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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Rezension: Der große Süden



FloVi
15.10.2002, 14:10
Inhalt
Hodge Beckmaker wird 1921 als Sohn eines Schmieds in Nordamerika geboren. Seine Vorliebe für das Lernen, die er als junger Mann entwickelt stößt bei seinen Eltern auf Unverständnis und Abneigung. Nachdem die Nordstaaten den Unabhängigkeitskrieg verloren haben, reißen die Reparationszahlungen an den Süden das Land in einen wirschaftlichen Abgrund. Da Hodge zu Hause keine Möglichkeit sieht, sich intellektuell zu entwickeln, und dies von seinen Eltern auch als Zeitverschwendung betrachtet wird, macht er sich auf den Weg nach New York.

Dort wird Hodge erst einmal ausgeraubt, findet jedoch auch einen wohlmeinenden Menschen, der ihm einen Job gegen Kost und Logis bei einem Buchdrucker verschafft. Die Arbeit ist nicht schwer und Roger Tyss, Besitzer der Druckerei und offenbar auch Schlüsselfigur in einer Untergrundbewegung, lässt dem Heranwachsenden viele Freiheiten. Hodge nutzt diese Freiheit, indem er alles liest, was ihm in die Finger kommt, kann sich die ganze Zeit jedoch nicht mit der militanten Nebenbeschäftigung seines Arbeitgebers anfreunden.

Als sein Mentor, ein farbiger Botschafter und Kunde des Buchladens, Opfer eines Attentats wird, hat Hodge bereits einige Kontakte zu Universitäten hergestellt und hofft auf ein Stipendium. Schließlich bekommt er Besuch von Barbara Haggerwells, die ihn nach Haggershaven einlädt. Beckmaker nimmt die Einladung an und findet dort eine Art Kommune mit wissenschaftlichem Hintergrund. Hier herrscht für Hodge das optimale Klima und er bildet sich quasi selbst zum Historiker aus, der in der übrigen Fachwelt sogar auf Anerkennung stößt.

Barbara, ein Physikgenie mit soziologischen Defiziten, macht schließlich eine Erfindung, die der Traum aller Geschichtswissenschaftler ist. Sie entwickelt eine Zeitmaschine, mit der Hodge zum Augenzeuge eines bedeutenden Moments des Unabhängigkeitskrieges wird. Durch eine Unachtsamkeit wird er jedoch von einem Konföderierten-Trupp entdeckt und löst eine Kettenreaktion aus, die das Gesicht seiner Welt grundlegend verändern soll.

Meinung
Obwohl sich der Autor Ward Moore nur am Rande mit der Science Fiction befasste, hat er mit Der große Süden einen echten Genre-Klassiker geschaffen. Das Buch ist eines der besten Beispiele für die Faszination, die die was wäre wenn-Spiele der Alternativwelt-Romane ausüben können. Unglaublich detailliert beschreibt Moore eine Welt, die fremd ist und gleichzeitig so bekannt vorkommt, dass einem ab und zu ein Schauer über den Rücken läuft. Denn so weit das alles entfernt scheint, sind doch ausreichend Denkanstöße vorhanden, die auch den deutschen Leser direkt berühren. Denn hätten die Nordsaaten tatsächlich den Bruderkrieg verloren, hätte es dann das Amerika gegeben, das wesentlich zum Ende von Hitlers Terror-Herrschaft beitrug?

Dieses Buch beschäftigt einen weit über die letzte Seite hinaus, es regt an, zeigt uns eine Welt, wie sie tatsächlich hätte sein können und nur durch eine Kleinigkeit nicht so geworden ist. Darüber darf man an sich nicht weiter nachdenken, es sei denn, man hat die Kraft rechtzeitig aufzuhören. Ward Moore hatte offenbar diese Fähigkeit und lässt uns an seinen Erkenntnissen teilhaben, die in scharfsinnigen Dialogen und mit einem intelligenten Humor präsentiert werden.

Dabei ist die Zeitreise eigentlich nur Nebensache, auch wenn sie gern von den Marketing-Abteilungen der Verlage herausgehoben wird. Tatsächlich nimmt sie auch nur einige Seiten am Ende des Buches ein und wirkt beinahe störend. Viel interessanter ist das Beinahe-Universum, das wir durch die Figur des Hodge Beckmaker erleben dürfen und an dem wir nur ganz knapp vorbeigeschrammt sind.

Und für den Fall, dass ich bisher zu subtil war: Unbedingt lesen!

Steckbrief
Der große Süden
Bring the Jubillee
Ward Moore
ISBN: 3453179498
Preis: EUR 9,50 (gebundene Ausgabe)

Dilla
16.10.2002, 16:04
es ist zwar schon etwas zeit vergangen, seitdem ich das buch gelesen habe, aber es ist mir noch durchaus angenehm in erinnerung.
dadurch, dass alles so real wirkt, hat es eine ziemlich verstörende wirkung.
die kommune mit ihren vielen figuren, oder eigentlich vielen wirklichen glaubhaften charakteren, macht für mich den größten reiz des buches aus. und wenn ich mich recht entsinne, ist das ende der kommune und des buches nicht gerade sanf.

ich glaube, ich werde es demnächst wieder einmal zur hand nehmen, schon allein deshalb, weil mir gerade ein paar szenen im kopf herumspucken, von denen ich nicht exakt sagen kann, ob sie wirklich aus diesem roman stammen oder zu einem anderen werk gehören.

FloVi
17.10.2002, 02:11
Originally posted by Dilla@16.10.2002, 16:04
ich glaube, ich werde es demnächst wieder einmal zur hand nehmen...
Das lohnt sich bei diesem Buch allemal.