PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Rezension: Hauen und Stechen



FloVi
15.10.2002, 14:15
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!

Inhalt
Prinz Charming ist ein solcher Mensch. Ein Ausbund an Hilfsbereitschaft, edel nicht nur von Herkunft, nein, auch von der Gesinnung. So reist der Königssohn durch die Lande, befreit es von wütenden Drachen und anderem Getier. Rettet unschuldige Prinzessinnen vor blutrünstigen Bestien und/oder bösartigen Zauberern. Natürlich erwartet er keinen Lohn, doch ist er überglücklich die Dankbarkeit und Liebe des Volkes entgegenzunehmen.

Okay, das ist die Story aus Sicht der PR-Abteilung des Königreichs. Tatsächlich beschäftigen den Prinzen ganz andere Dinge, denn jedes Mal wenn er bei Rettungsaktionen die halb- bis ganz nackten Mädels sieht, denkt er tagelang nur noch an eine Sach...nein zwei Sachen: Titten. Dass aber ein freundschaftlicher Kuss auf die Wange das Maximale ist, was die keuschen Schönheiten ihm anbieten, stürzt die männliche Jungfrau in eine arge Krise. Doch er ist ein treuer und wohl erzogener Sprössling, also begibt er sich erneut auf eine "Slay and Rescue"-Aktion. Die Reise führt in ein kleines, verarmtes Nachbarreich, wo eine böse Königin ihre Stieftochter wie eine Dienstmagd hält, nur weil ein dusseliger Spiegel meint, die Kleine wäre hübscher als sie.

Nur langsam begreift Charming, wo die eigentliche Gefahr für ihn lauert, dass Frauen - besonders machthungrige - Männer nur als Mittel zum Zweck benutzen und sie daher nur als notwendiges Übel betrachten. Ein richtiges Märchen also. Daher auch genug von der Story, die ist eh' nur Nebensache und ab zur

Meinung
Es ist klasse! Selten habe ich mich in letzter Zeit bei einem Buch derart amüsiert wie bei Hauen und Stechen (Slay and Rescue im Original). Natürlich wird auf dem Rückentext der wohl unvermeidliche Vergleich zu Terry Pratchett gezogen, doch das wird beiden nicht gerecht.

Pratchett versucht eigentlich nicht witzig zu sein. Er beschreibt meist nur, wie heutige Technikstandards mit altertümlichen und magischen Mitteln umgesetzt werden. Die Absurdität der von ihm erzeugten Situationen bergen ihren eigenen Humor und lassen ihn auf den Leser einwirken, der dann den Witz für sich ganz allein entdecken muss.

John Moore dagegen versucht wirklich witzig zu sein und im Gegensatz zu Kollegen wie Tom Holt schafft er es auch. Warum? Weil er nichts erzwingt! Nicht jeder Satz muss zwei Pointen enthalten, manches ergibt sich auch aus der Situation, anderes weil er eine Sprache verwendet wie wir sie von heute kennen (siehe Leseprobe). Manch zunächst plumper Joke erweist sich eine Seite weiter nur als Vorbereitung auf einen echten Lacher.

Dass er für die diversen Rettungsszenarien Prinz Charmings bekannte Volksmärchen benutzt erinnert etwas an den Geralt-Zyklus des brillanten Polen Andrzej Sapkowski. Doch während dieser seinen Protagonisten meist sehr ernst antreten lässt, wartet Charming bei seinen Aktionen schon mal drei Stunden im Wald, um mit einer "Rettung in letzter Sekunde" den besseren Effekt zu erzielen. Na gut, "Hauen und Stechen" ist kein literarisches Meisterwerk. Es ist auch kein besonders dickes Buch (was den Vorteil hat, dass es nur 7,95 kostet). Es ist einfach nur ein Kleinod witziger Fantasy das wirklich Spaß macht und wert ist, gelesen zu werden.

Das Umschlagbild stammt übrigens von Josh Kirby. Bekannt wurde der britische Zeichner mit den Titelillustrationen für Pratchetts Scheibenwelt-Romanen. Kirby verstarb im Oktober 2001, knapp einen Monat vor seinem 73. Geburtstag.

Leseprobe
(Prinz Charming hat seinen Vater um ein persönliches Gespräch gebeten):

Charming lief auf und ab und trommelte mit zwei Fingern gegen den Griff seines neuen Schwertes. "Es geht um den Heldentrip, Paps. Lass mich in Zukunft außen vor. Ich komme nicht mehr damit klar."

Der König verschluckte sich an seinem Wein. "Warum denn? Charming, du hast wundervolle Arbeit geleistet. Superb! Das Volk liebt dich. DEIN Volk. Und jedes Mal, wenn du das Land wieder von irgendeinem üblen Einfluss befreit hast, steigt deine Popularitätskurve steil an." Der König zog eine Papierrolle unter seiner Robe hervor. "Sieh dir nur mal die Ergebnisse der letzten Meinungsumfrage an."

"Meinungsumfragen sind mir schnurzegal! Ich habe die Schnauze voll! Immer nur Töten und Retten, Retten und Töten! Ich hab's satt. Jeder Westentaschenzauberer, jeder abtrünnige Ritter, jeder Drache, Troll oder Riese, der hier in der Gegend seinen Laden aufmacht, schnappt sich zum Einstand und als Arbeitsgrundlage irgendeine dunpfschädelige, aber jungfräuliche Eselin. Und dann sagt jeder sofort: 'Wir müssen Prinz Charming zu Hilfe rufen. Er wird sie schon retten.' Und das tue ich auch. Aber erhalte ich irgendeinen Dank dafür? Neeeeiiiin!"

Fakten
John Moore: Hauen & Stechen
(Slay And Rescue)
Übersetzung: Michael Siefener
Copyright der Erstausgabe: 1993
Heyne Taschenbuch, 258 Seiten
ISBN: 3-453-21389-0
Preis: EUR 7,95