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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mulholland Drive



Sepia
19.10.2002, 21:15
Kann mir bitte mal einer der meint den Film verstanden zu haben kurz eine Inhaltsangabe machen. Der Film ist ja recht groß geworden, was man von Lynch auch nicht anders erwartet hat, aber leider ist er auch recht schwer zu verstehen. Meine Erklärungsversuche scheitern auf jeden Fall eklatanter als in Lost Highway und daher wäre ich froh wenn mir kurz jemand seine Sicht des Films darstellen könnte (So wie es RocketMan im alten Forum schon einmal getan hatte).

Agamemnon
19.10.2002, 21:30
Ich würde dir ja gerne helfen, bin aber noch bei "Total Recall" am Rumrätseln.

RocketMan
19.10.2002, 21:59
@FREAK: Weil Du's bist! ;)

Nicht viel in dem Film ist wirklich passiert, hier ist die Realität:

Diane, ein früherer Tanzchampion, hat das heimische Kanada verlassen und ist nach Hollywood gegangen, um dort Karriere zu machen. Dort trifft sie auf Camilla, die beiden verlieben sich und haben eine Beziehung. Bei einem Vorsprechen bei Regisseur Tesher bekommt Camilla die weibliche Hauptrolle, weil sie eine Affäre mit Tesher hat; Diane geht leer aus und verliert ihre Geliebte an den Regisseur. Bei einer Party in dessen Haus erfährt sie all dies und wird erniedrigt. Rasend vor Eifersucht heuert sie einen Auftragskiller an, der Camilla beseitigen soll. Dieser hinterläßt wie abgesprochen nach begangener Tat einen Schlüssel als Signal in Dianes Wohnung. Sie erkennt daraufhin ihre schreckliche Tat und begeht Selbstmord.

Der Hauptteil des Films ist Dianes Traum. Ich nehme an, daß sie diesen Traum in den Sekunden vor ihrem Selbstmord träumt, da kurz vor dem Vorspann ihre Bettlaken gezeigt werden, während Diane schluchzt. Es ist das Bett, auf dem sie sich erschießt.

Der Traum wirkt wegen ihrer Faszination mit dem alten Hollywood wie ein aufgeblasener Film Noir: Eine mysteriöse Schöne ohne Gedächtnis, Auftragskiller, ein verkrüppelter Studiomogul, der hinter den Kulissen die Fäden zieht, usw.

Außerdem läuft in dem Traum all das richtig, was sie im richtigen Leben versaut hat: Diane heißt nun Betty (den Namen hat sie aus der Realität von dem Namensschildchen der Bedienung aus Winkie's), und Camilla (jetzt Rita) hat ihr Gedächtnis verloren. Sie erlebt Ihre Romanze so, wie sie möchte: Rita ist hilflos und völlig auf Betty angewiesen, worauf sie sich verliebt. Die beiden erleben ein Detektivabenteuer zusammen, und der verhaßte Regisseur Tesher bekommt ein paar auf's Maul.

Wie in einem Traum üblich, haben die Personen andere, aber doch ähnliche Rollen als im wirklichen Leben:
Aus zwei Gästen der verhängnisvollen Party macht sie den mysteriösen Cowboy und den italienischen Finanzier, der seinen Espresso angewidert ausspuckt. (In dem Moment, als Diane ihn auf der Party sieht, trinkt sie selbst einen Espresso.)
Aus Teshers Mutter Coco wird ihre Vermieterin.
Ihre eigene Nachbarin taucht als die Nachbarin der vermißten Diane auf.
Ein Obdachloser hinter dem Fast-Food-Restaurant Winkie's wird zu einem Monster, der den bösen Plan personifiziert, den Diane im wirklichen Leben dort mit dem Auftragskiller abschließt.
Dann wäre da noch die seltsame Tarantino-mäßige Szene mit dem Killer (in der er die Frau durch die Wand anschießt und ein Blutbad anrichtet). Im wahren Leben hält Diane den Auftragskiller für einen nachlässigen Schussel, dementsprechend hat er in ihrem Traum einen völlig übertriebenen Auftritt, bei dem so ziemlich alles schief geht, was schiefgehen kann.
Aus ihren Eltern wird ein älteres Ehepaar, das sie im Flugzeug trifft. (Die beiden haben mich zunächst am meisten verwirrt, aber während der Szenen des Tanzturniers vor dem Vorspann sieht man, wie die beiden Diane stolz in den Armen halten. Daß ihre Eltern sie am Ende in den Tod treiben, ist nur ein Symbol dafür, daß sie gleichzeitig von ihrer unschuldigen Jugend und ihrem schlechten Gewissen eingeholt wird.)

In ihren Traum sucht sie den Club "Silencio" auf, in dem alles nur eine Illusion ist. Dadurch bemerkt sie, daß auch der Traum unecht ist. Diese Erkenntnis läßt sie das Kästchen in ihrer Handtasche entdecken, zu dem der dreieckige Schlüssel paßt. In dem Kästchen ist die Realität, in die sie durch das Öffnen zurückkehrt. Der Cowboy aus ihrem Traum weckt sie auf, und in einem letzten Rückblick erfahren wir die tatsächlichen Ereignisse.



Last edited by RocketMan at 19.10.2002, 21:00

Sepia
20.10.2002, 18:55
Wow. Danke.

Das das ganze ein Traum war, hat sich auch für mich angedeutet. Was ich absolut nicht einordnen konnte waren: Vorspann, das ältere Ehepaar, das blaue Kästchen und vieles von dem was komplett ohne Diana/Betty stattfindet.
Irgendwie ist der Film auch etwas merkwürdig. Die ganzen urkomischen Szenen mit dem Regisseur und dem Auftragskiller passen nicht wirklich zum Rest, finde ich. Aber ansonsten hat Lynch es mal wieder geschafft mich gebannt zweieinhalb Stunden lang auf den Bildschirm starren zu lassen (und das gleich zwei Mal innerhalb eines Tages).

RocketMan
20.10.2002, 19:25
Ich denke, die witzigen Szenen sind bewußt so dargestellt, daß sie nicht ganz zum Rest passen. Die Zusammenhangslosigkeit ist schließlich charakteristisch für Träume. ;)

(Wobei man allerdings zugeben muß, daß manche Leute gerade deswegen nicht mit Lynch klarkommen. Bei ihm bekommt man zwar selten eine schlüssige Handlung mit einer definitiven Auflösung, dafür aber immer eine unvergleichliche Athmosphäre.)

Dr.BrainFister
21.10.2002, 13:04
Mittlerweile dürfte von dem "nichtjedermannsGeschmackaberdochirgendwiedollweils oschönpseudointellekutuell"-Schinken die deutsche DVD erhältlich sein. Ist das vielleicht wieder mal so, dass die sich in Sachen Feautures, Quali und so von der UK/US-Fassung unterscheidet? Würd mich freuen, was über Vor- bzw. Nachteile zu erfahren.

RocketMan
21.10.2002, 15:44
Die deutsche Scheibe ist erhältlich, genauso extra-arm wie die Releases aus UK und US. Bild und Ton bewegen sich um Sackhaaresbreite unter dem technisch brillianten US-Vorbild. Dem Otto-Normal-Verlyncher sollte das nicht auffallen, außerdem ist der Preis erstaunlich niedrig. (Läufst Du in Saturn, staubst Du für 14,99 € ab.)

Sepia
21.10.2002, 20:22
Originally posted by Dr.BrainFister@21.10.2002, 11:04
"nichtjedermannsGeschmackaberdochirgendwiedollweils oschönpseudointellekutuell"-Schinken
You miss the point. Der Film ist nicht doll weil er pseudo-intelektuell ist, sondern weil er einfach die dichteste Atmosphäre seit Lost Highway (Für nicht Lyncher: Sieben) aufbaut. Selbst wenn nichts passiert starrst du gebannt auf den Bildschirm. Das macht Lynch zu einem Meister.

wu-chi
22.10.2002, 06:13
Ich habe mir gerade den Film zum ersten Mal angesehen. Und ich war wieder so verwirrt wie bei Lost Highway. Während Lost Highway mir nicht so gefallen hat, fand ich diesen schon viel besser. Doch gerade in der letzten halben Stunde (Öffnung der blauen Kasette) überschlugen sich die Ereignisse, so daß ich auch Herrn Lynch verflucht habe (im positiven Sinne).

Aber ich habe mich erinnert, daß es hier einen Thread über diesen Film gibt. @RocketMan, danke. Du hast mit Deiner umfassenden Erklärung den Film für mich gerettet. Jetzt habe ich sogar wieder Lust diesen Film anzuschauen. Ich glaube nicht, daß ich selbst beim zweitenmal anschauen alle aufgeführten Details erkannt hätte.

Grüße
wu-chi

Glottisfly
22.10.2002, 09:31
Für mich sind die Argumente, die für Mullholland sprechen, eben die angesprochene Atmosphäre, die mich zeitweise wirklich gefesselt hat, plus die witzigen Personen wie der Studioboss, der Italiener oder das ältere Paar.
Ich gehe mit Rockets Analyse konform, wobei ich wirklich ganz schön gebraucht habe, die Handlung soweit zu entschlüsseln, einige Details fügen sich jetzt besser zusammen, danke, Onkel Rocket!
Wenn ich den Film jedoch, und jetzt kommt meine Kritik, eben auf diese Handlung reduziere, bin ich enttäuscht. Platt gesagt, wenn wir den Lynch-Stil weglassen, haben wir einen Sex-Thriller mit Minimalst-Handlung, nichts wirklich neues. Zudem gibt ein Traum-Setting (mit dem ich grundsätzlich Schwierigkeiten habe, siehe "Vanilla Sky"-Kritik von anno dünnemals) Lynch zu viele storybezogene Freiheiten, so daß man seine Arbeit als Regisseur gar nicht mehr bewerten kann. Es ist wie mit der modernen Kunst - man muß wohl ein Faible dafür haben. Hier regiert definitiv style over substance, meiner Ansicht nach.
Trotzdem drei Sterne für besondere Atmosphäre.

Interessant finde ich den unfreiwillig komischen(?) Neologismus "Lyncher". :D