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Thema: Die Höhle des Himmels

  1. #1
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    26.12.2002
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    Die Höhle des Himmels
    Die Zeit läuft stetig weiter. Mann kann sie weder festhalten, noch anhalten, noch zurückdrehen. Man weiß von vielen Wesen und Geschehnissen nur aus Erzählungen und man kann sich sicher sein, dass vieles davon nicht ganz der Wahrheit entspricht. Doch kann man sich auch sicher sein, dass in jeder Sage ein wahrer Kern steckt; Ereignisse, die einst wirklich passiert sind.

    Die kleine Wiese, die sich kurz vor dem Waldrand befand, war in tiefes schimmerndes Blau gehüllt. Die Bäume und das Gras wiegten sanft im Wind und in dem kleinen Bach, der durch die Wiese lief, war der kleine runde Mond zu sehen, dessen Ebenbild durch die ständigen Wellen gebrochen wurde. Es roch nach frischem Gras, denn der Frühling war gerade hereingebrochen, sodass es auch leicht kühl war.
    Dies war auch der Grund, warum das Tier, das nahe am Waldrand neben einem umgestürzten Baum stand, immer wieder auf und ab ging. Es hielt sich warm, um nicht zu erschlaffen. Denn es war ein Räuber, ein Wolf. Und ein Wolf musste bereit sein, wenn seine Beute sich zeigte. Allerdings bewegte er sich nur, weil er sich klar war, nicht beobachtet zu werden. Ansonsten hätte die Beute sicher längst die Flucht ergriffen. Der Jäger ließ seine Nase zum Boden herab und begann zu schnüffeln. Die Fährte seines letzten Opfers hatte er leider verloren und konnte sie auch nicht wieder aufspüren. Und eine andere war auch nicht auszumachen.
    Dennoch, da war etwas anderes.
    Zuerst spürte es der Jäger nicht, doch mehr und mehr verstärkte sich für ihn der Eindruck, dass da etwas anderes war. Etwas, das ihn beobachtete.
    Der Wolf betrachtete seine Umgebung sehr sorgfältig ohne auch nur die Spur anderen Lebens zu finden. Nur der Wind verschaffte der Umgebung etwas wie Leben. Was aber nicht heißen musste, dass da auch wirklich nichts war. Er begann langsam rückwärts zu gehen. Für einen anderen Beobachter wäre es gar nicht aufgefallen, da die Bewegungen sehr koordiniert waren. Der Körper war mit der Umgebung eins. Diese Szene dauerte so lange, bis das Tier in den Schatten der Bäume verschwunden war. Es betrachtete weiter seine Umgebung. Immer war noch nichts zu sehen. Einige Minuten verstrichen, bis der Jäger ein leises Geräusch hörte, dass von seiner linken her aus dem Unterholz kam. Kaum hörbar, eben nur für die Ohren eines wachsamen Jägers bestimmt. Das Tier blickte sich um. Doch da war nichts. Die Bäume standen ruhig da, das Geäst am Boden bot lediglich nur kleine Unterschlüpfe und Gebüsch war auch keines vorhanden und es war absolut nichts zu sehen. Doch etwas war da.
    Der Jäger machte aber nicht den Fehler aufzustehen, um die Umgebung abzusuchen, sondern blieb in seinem Versteck liegen. Die Augen ließ er immer noch nach links gerichtet, in die Richtung, in der er das andere Tier vermutete. Plötzlich hörte er ein Geräusch rechts von sich. Er blickte sofort in die Richtung, aber dennoch war nichts zu sehen. Langsam fühlte sich der Jäger unwohl. Nun war er vom Jäger zum Gejagten geworden. Dennoch bewahrte er Ruhe. Doch da war wieder ein Geräusch zu hören, jetzt genau hinter ihm. Nun war die Lage dem Jäger eindeutig aus den Händen geraten. Von drei Seiten eingekreist. Doch den Ausweg nach vorne, über die Wiese nahm er nicht. Das konnte eine Falle sein. So gab es nur noch einen Ausweg: mitten durch den oder sogar durch die Angreifer hindurch. Der Jäger, oder besser nun Gejagte, wartete nicht mehr lange und lief los. Vor ihm tauchte ein Hindernis auf, das seine verschärften Sinne sofort als einen umgestürzten Baumstamm erkannten. Er war bereits von Moosen und Farnen überzogen und ragte unheilvoll in die Höhe, eingekeilt zwischen zwei anderen Bäumen. Doch dies war kein Problem. Der Wolf sprang mit einem Satz über den Baum ohne ihn im geringsten zu berühren. Doch womit er nicht gerechnet hatte, war das Problem, das hinter dem Stamm lag. Direkt dahinter floss nämlich ein kleiner Bach, der über Jahre hinweg eine tiefe Mulde gegraben hatte. Der Jäger bemerkte seinen Fehler noch während er flog, doch auch seine hilflosen Bewegungen, die er sofort unternahm, bewarten ihn nicht mehr davor, in den Bach zu fallen. Der Aufprall war nicht besonders heftig, der feuchte Boden aber brachte den Jäger zum Stürzen. Kaum wollte er sich ein wenig aufrichten, da wurde er durch einen heftigen Stoß wieder in den Bachlauf gedrückt. Angst machte sich in ihm breit und unwissend der Dinge, die nun folgen würden, schloss er die Augen. Wegen des Gewichtes auf seinem Rücken konnte er sich kein kleines Stück bewegen. Einige Augenblicke geschah nichts, dann spürte er, dass das Ding auf seinem Rücken sich nach vorne lehnte, zu seinem Ohr.
    „Na, hab ich dich endlich einmal gefangen, Schlauberger.“
    Es war eine ihm bekannte Stimme. Und als er sie erkannte, fiel im sofort ein Stein vom Herzen. Es war die Stimme seiner kleinen Cousine Ari und nicht etwa die von drei Verfolgern, wie er vermutet hatte.
    „Den großen Meister des Anschleichens, ich habe ihn besiegt.“
    Sie gab keine Ruhe und hörte nicht auf ihn noch weiter zu blamieren.
    „Ist ja gut.“ Langsam war im die Situation lästig. Immerhin lag er im Schlamm und seine kleine Cousine lag über ihm und hüpfte auf ihm mit beleidigenden Bemerkungen herum.
    Mit dem Aufschrei eines Siegers stand Ari auf und hüpfte aus dem Bachlauf. Mühsam richtete sich der Geschlagene auf, stand eine Sekunde auf wackligen Beinen und sprang ihr dann nach.
    „Mach dir nichts draus Paro“, sagte Ari keck. „Keiner, auch nicht der beste, ist perfekt.“ Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen meinte sie das nicht trostspendend, sondern eher sarkastisch. Und Paro fasste es auch gar nicht als Trost auf. Durch ihre Art wurde er nur noch mehr gereizt.
    „Jetzt halt doch endlich mal deinen Mund.“, begann er, „Dass ist ja nicht zum aushalten.“ „Ein vagerer Versuch, meinen Sieg niederzumachen, ist dir wohl nicht eingefallen. Das wird dir nicht gelingen.“, antwortete Ari. Paro sah sie wütend an. Ari wies mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung und sagte: „Komm, wir müssen gehen. Der Tag bricht bald herein.“ Paro blickte auf und sah durch die Baumstämme bereits leicht rötliches Licht flimmern. Er nickte und augenblicklich begann ein kleiner Lauf, der bald zu Ende war. Als sie eine kleine Mulde, in der Nähe eines mächtigen Baumes, erreichten, blickte gerade der erste Sonnenstrahl über die Hügelkette. Ari war gerade im Sprung in die Mulde, als sie vom Licht berührt wurde. Ein kleiner, leuchtender Schimmer umgab sie und sie landete in der Grube. Paro war kurz hinter ihr, sprang ihr aber nicht nach. Dass gleißende Licht umgab auch ihn. Es währte aber nur ein paar Sekunden. Während dieser Zeit verwandelte er sich in seine menschliche Gestalt. Dieser Körper war ungefähr fünfzehn Jahre alt und von gesunder Statur. Und er war nackt.
    Ari blickte aus der Grube. Ihr hübsches, kindliches Gesicht, das inzwischen auch das eines Menschen war, wurde umrahmt durch das Licht der aufsteigenden Sonne. Ihre blonden Haare gaben dem Ganzen dazu den perfekten Rahmen. Ari war ein kleines bisschen jünger als Paro, doch von der Größe her war sie ihm für ihr Alter fast ebenbürtig. Nur eine halbe Kopfeslänge war sie kleiner. Aber selbst das war eine Sache, über die sich Paro oft ärgerte.
    „Gibst du mir bitte meine Sachen?“, fragte er sie. Mit einem Grinsen warf sie ihm eine braune Jacke und eine braune Hose vor die Hände, denn noch immer saß er auch allen vieren. Augenblicklich verschwand ihr Gesicht wieder in der Mulde. Paro blickte an sich herab und stellte fest, dass er sehr verschmutzt war (woran seine kleine Cousine eine große Schuld trug). So machte er ein paar Schritte zu einem kleinen Bach in der Nähe und begann sie notdürftig den ärgsten Schmutz abzuwaschen. Obwohl Paro in der Erwartung war, dass Ari ihn wieder verhöhnen würde, stellte er eine Frage: „Wie hast du es eigentlich geschafft, mich zu überlisten?“ Die Antwort kam nicht sofort und Paro war sich sicher, dass Ari gerade um ihre Fassung kämpfen musste, um nicht wieder loslachen zu müssen. „Na ja, so schwer war das nicht. Das wichtigste ist einfach nur Ablenkung. Du glaubst gar nicht, was ein paar Steine an die richtige Stelle geworfen alles bewirken können.“ „Steine?“, fragte Paro ungläubig, während er begann, sich anzuziehen. „Wie kannst du denn Steine werfen. Ich meine als Wolf?“ Nun glaubte er wirklich ihr Lächeln „hören“ zu können. Dennoch antwortete sie gefasst. „Mit ein bisschen Übung kann man alles. Auch mit dem Maul eines Wolfes einen Stein sehr weit werfen.“ Nun war sie ihm endgültig über. Inzwischen machte er sich sogar ernsthaft Sorgen um sie. Aber nicht wegen ihrer Fähigkeiten im Steinwurf in Wolfsform, sondern über ihren geschwätzigen Mund. Wenn sie diese Geschichte im Dorf erzählte, würde er die Stellung bei den anderen Jungen (und natürlich auch bei den Mädchen) verlieren. Denn wer lässt sich schon von einem Mädchen besiegen, dazu noch von einem, dass um einige Jahre jünger war.
    „Da wäre noch etwas Ari, ...“, doch er kam gar nicht mehr dazu weiterzusprechen, denn Ari schnitt im das Wort im Munde ab, indem sie sagte: „Ja, ja, ich weiß schon was du sagen willst. Ich soll nicht bei den anderen herumerzählen, was gerade passiert ist, stimmst? Also, zu deiner Beruhigung, ich werde nichts erzählen, aber ich habe etwas gut bei dir, in Ordnung?“ Paro war noch mehr verblüfft über Ari, willigte aber sofort in den Handel ein. Er hatte sich fertig abgewaschen und sich seine Kleider angezogen.
    „Komm“, sagte Ari, „wir sind spät dran.“ Behände hüpfte sie aus der Grube. Inzwischen war auch sie angekleidet. Paro nickte nur noch und schon machten sie sich auf den Weg.

    Das Dorf erwachte gerade zu neuem Leben. Sie waren nicht die letzten Heimkehrer gewesen, die aus der Umgebung nach und nach herangelaufen kamen. Die Kinder machten sich immer einen Spaß daraus mit ihren Fähigkeiten zu spielen und blieben oft die gesamte Nacht außer Haus.
    Die Dorfidylle wurde verstärkt durch den Rauch, der aus den Kaminen der kleinen Häuser kam und durch den Geruch nach frischem Brot, dass Meister Matius gerade buk. Ari verabschiedete sich mit einem Augenzwinkern. Paro, der genau wusste was dies bedeutete, sah ihr mit bedeutungsschwangerem Blick nach bis sie im Haus ihrer Eltern verschunden war. Er blickte das Haus an. Etwas an ihm gefiel ihm nicht daran. An den anderen Häusern waren die Fenster geöffnet und davor herrschte rege Betriebsamkeit. Nur hier nicht. Paro machte sich aber nichts weiter daraus. Wahrscheinlich würden sich Aris Eltern nur noch ausruhen, was nicht gerade häufig vorkam.
    Sein Haus lag am anderen Ende des Dorfes. Da es nicht geregnet hatte, war der Weg schön fest und angenehm zu laufen, ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Ungewöhnlich hingegen war nicht die rege Betriebsamkeit. Nach dem Winter begannen die Leute wieder, ihre neugewonnene Freiheit zu nutzen, die ihnen der Winter verwehrt hatte. Selbst die Alten saßen wieder vor dem Hauseingang und schauten fröhlich in die Runde.
    Als Paro zu Hause angekommen war, machte ihn etwas stutzig. Auch hier waren die Fenster geschlossen und nichts regte sich davor. Langsam begann sich Unruhe in ihm breit zu machen. Denn die möglich Alternative, dass seine Eltern noch schlafen würden, verschwand mit zunehmender Zeit, in der er das Haus betrachtete. Im Grunde konnte dies nur noch eines bedeuten. Doch Paro wollte das nicht wahr haben. Denn dieses Zeichen, dass die Fenster geschlossen waren, wurde nur bei großer Trauer angewandt. Paro konnte sich nicht mehr beherrschen und legte die letzte Strecke mit ein paar weit ausgeholten Schritten zurück. Er riss die Tür auf und blickte in das Zimmer. Ein paar Sekunden brauchten seine Augen, um sich an das dunkle Licht hier drinnen zu gewöhnen. In Situationen wie dieser wünschte er sich, seine Wolfsfähigkeiten auch am Tage gebrauchen zu können. Noch bevor er wirklich etwas erkennen konnte wurde er plötzlich von einem Schatten in das Haus hineingezogen und die Tür hinter ihm wieder geschlossen. Das einzige Licht kam jetzt nur noch von dem Raido, dass in der Ecke stand und alles in violettes Licht tauchte. Gesehen hatte es Paro bisher nur zweimal zuvor, nämlich als seine Großmutter und deren Bruder gestorben waren. Es war ein kleines Behältnis aus Glas, das vom Magier des Dorfes denjenigen gegeben wurde, bei denen ein Angehöriger kurz vorm Sterben lag oder bereits Tod war. In solch schweren Stunden einer Familie sollte nämlich kein normales Licht brennen. Das Licht aus dem Raido stammte nämlich von den Göttern. Paro sah sich um. Nun konnte er drei Schatten ausmachen. Rechts von ihm stand sein Vater, der ihn düster betrachtete, auf einem Stuhl nahe des Tisches saß seine Mutter, die auch auf ihn blickte, nur dass ihre Augen feucht schimmerten. Der dritte Schatten lag auf dem Bett, an der gegenüberliegenden Seite der Tür unter dem Fenster. Paro erkannte trotz der Dunkelheit sofort, wer es war. Es war sein Großvater. Mit schnellen Schritten war er bei ihm und blieb nur kurz davor stehen.
    „Ist er schon ... tot?“ Er traute es sich kaum auszusprechen. Und er bekam auch keine Antwort. Jedenfalls nicht von seinen Eltern. Stattdessen regte sich sein Großvater ein kleines bisschen. Seine Hand bewegte sich auf und ab und er legte seinen Kopf zur Seite, bis er Paro genau ansehen konnte. Trotz des schwachen Lichtes konnte Paro erkennen dass es ihm nicht gut ging. Jetzt erst viel Paro das große Alter seines Großvaters auf. Das heißt, es war ihm natürlich schon vorher aufgefallen, er hatte sich aber nie Gedanken darüber gemacht, dass sein Großvater mal sterben würde. Nun, wo es so weit war, kam es ihm ziemlich irreal vor. Sein Großvater sah ihn an und schaute an ihm vorbei. Paro drehte sich um. Sein Vater stand mit dem Rücken zu ihnen und seine Mutter starrte ins Leere vor sich. Da wurde plötzlich die Tür aufgerissen und da stand Ari. Genau wie er schaute sie ziemlich verwirrt in das Zimmer, bis Paro`s Vater sie wütend hereinzog und die Tür wieder schloss. Ari eilte auf Paro und ihren Großvater zu, bis sie neben Paro stehen blieb. Ungläubig starrte sie auf den alten Mann, der vor ihr auf dem Bett lag an. Paro`s Vater blickte nun auf die beiden Kinder und Paro konnte deutlich erkennen, dass auch er tief betroffen war. Er zeigte zwar keine Tränen, aber durch seine Haltung und seine Bewegungen war die tiefe Trauer, die er empfand erkennbar.
    „Wie geht es dir Großvater?“, begann Ari zu fragen, doch anstatt zu antworten wehrte Großvater nur mit der Hand ab und wandte sich zu Paro`s Eltern.
    „Könntet ihr mich einen kleinen Moment mit den beiden alleine lassen?“ fragte er. Erst sahen sich Paro`s Eltern nur unschlüssig an, dann gingen sie gleichzeitig nach draußen, der Aufforderung des alten Mannes gehorchend.
    Paro und Ari blickten immer noch auf ihren Großvater herab, so als wäre er bereits verstorben. „Schaut mich doch nicht so an, liebe Kinder.“, kommentierte er ihren Blick. „Noch ist es nicht soweit, aber die Schwelle ist überschritten. Es gibt kein zurück mehr.“ Er röchelte leicht. Ari war nun fast dem Weinen nahe. Doch Paro fasste seinen Mut zusammen und fragte, obwohl er die Antwort schon wusste: „Großvater, was hast du denn?“ „Das Alter mein Junge. Das Alter. Niemand lebt ewig. Meine Lebensenergie hat mich verlassen.“ Dabei blickte er traurig auf seine faltigen Hände herab. „Und auch mein Tara ist verschwunden." Paro schaute ungläubig auf seinen Großvater. Erstaunt fragte er: „Das Tara lässt nach? Ich dachte es hält ewig und existiert immer in der gleichen Stärke.“ Großvater schüttelte nur den Kopf. „Nein, nein mein Junge. Ab einem bestimmten Alter nimmt seine Stärke und Konsistenz nach und nach ab. Wenn man es dann noch benutzt oder es um Hilfe anfleht verliert man es noch schneller bis es schließlich ganz erlischt. Und nun ist es bei mir soweit. Meine Zeit ist um.“ Als die Kinder diese Worte hörten wurden sie noch trauriger als sie es schon waren. Immerhin war Großvater seit sie auf der Welt waren bei ihnen gewesen und hatte sie immer beschützt. Beide konnten sich eine Welt ohne ihn gar nicht vorstellen. Paro wurde noch wehmütiger und erinnerte sich an einen Augenblick vor zwei oder drei Jahren, als er vor einem Fuchs hatte flüchten müssen, weil er leichtsinnigerweise mit einem Stock nach ihm geworfen hatte. Doch sein Großvater hatte ihn in der Gestalt eines Bären gerettet ... Moment, was hatte da sein Großvater eben gesagt gehabt? Wenn jemand ab einem gewissen Alter das Tara benutzt, dann verschwindet es noch schneller? Das würde ja bedeuten, dass er schuld war an dem Sterben seines Großvaters. Hätte er diese Leichtsinnigkeit mit dem Fuchs nicht begangen, dann würde er jetzt gesund und munter herumlaufen und nicht auf einem Strohbett in einem abgedunkeltem Raum auf den Tod warten.
    „Großvater, ich...“ begann Paro, doch der Großvater winkte ab und legte einen Finger an den Mund. „Sei still mein Junge. Alles was du jetzt sagen willst ist mir klar. Mach dir keine Vorwürfe. Aber lass dir und natürlich auch dir“, dabei blickte er auf Ari, „gesagt sein, dass auch ich euch beide sehr vermissen werde. Aber macht euch keine Sorgen. Euer Tara wird euch noch lange beschützen. Ach Paro, könnest du mich mit Ari einen kleinen Moment alleine lassen?“ Paro blickte einen kleinen Moment verwirrt auf seine kleine Cousine, nickte dann aber so heftig, dass man beinahe meinen könnte, sein Kopf würde abfallen und stand dann auf. Als er sich herumdrehen wollte, erfasste ihn sein Großvater noch einmal an der Hand und drückte sie heftig.
    „Dir steht großes bevor mein Junge, das fühle ich.“
    Auf diese Worte hin lies er Paro los. Paro ging, da er Tränen in den Augen fühlte, ohne sich noch mal umzublicken zur Tür, zog diese auf und ging nach draußen. Das grelle Licht blendete ihn die erste Sekunde, doch dann konnte er seinen Vater erkennen, der mit seinem Schwager, dem Vater von Ari, in leisen Worten sprach. Sie bemerkten Paro gar nicht. Nur seine Mutter, die mit Ari`s Mutter auf einer Bank vor dem Haus saß und versuchte, ihre Schwägerin zu beruhigen, die um ihren Vater weinte, bemerkte ihn. Andere Dorfbewohner sahen nach den beiden Familien, trugen aber noch nicht ihre Mitleidsbekenntnisse vor, da dies offiziell erst nach der Totenfeier gemacht werden durfte. Außerdem, dachte Paro bestürzt, ist Großvater auch noch gar nicht tot. Doch er machte sich Gedanken, als wäre er bereits in die andere Welt gegangen. Paro schloss die Tür hinter sich und trat auf die Straße hinaus, ging aber wieder einen Schritt zurück, als er bemerkte, dass er von anderen Kindern beobachtet wurde, was ihm gar nicht recht war. Wie schon gesagt, er war ein Junge und einem Jungen verzeiht man kein Weinen. Aber verdammt noch mal, durfte er nicht mal weinen, wenn sein Großvater im Sterben lag oder war das Jungen schon von vornherein verwehrt. Den Männern wäre wohl niemals diese Gabe zu Teil geworden, wenn sie sie gar nicht benutzen durften.
    Trotzdem hielt er sich im überschatteten Hauseingang auf, bis plötzlich die Tür aufgemacht wurde und Ari herausstürzte. Unschlüssig sah sie sich einen Moment lang um und rannte dann heftig schluchzend in eine Richtung davon. Paro war gar nicht aufgefallen, wir ruhig sie während des gesamten Gespräches mit Großvater gewesen war. Ebenso hätte es Paro interessiert, was Großvater ihr so wichtiges mitteilen wollte, was nicht für seine Ohren bestimmt war. Vorhin hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, doch nun fiel ihm das auf. Normalerweise gab es zwischen ihm, Großvater und Ari so gut wie keine Geheimnisse. Außerdem war er immer viel öfter mit Großvater zusammen gewesen als Ari. Wieso gab es dann da etwas, was nur sie wissen durfte und er nicht?
    Paro ohrfeigte sich innerlich selber. Wie konnte er seinem Großvater nur etwas böses nachsagen, wo er doch immer so gut zu ihm gewesen war. Aber dennoch, dieses Rätsel hätte Paro gerne noch gelöst. Er drehte sich um und ging die durch Ari geöffnete Tür hindurch. Wieder mussten sich seine Augen an das heftige Dunkel gewöhnen, das nur durch das violette Licht des Raidos durchbrochen wurde. Doch trotz dieser Behinderung ging er sofort zum Bett. Er wartete auf eine Reaktion seines Großvaters, doch es kam keine. Da beschlich ihn ein leiser Verdacht. Der wurde dadurch untermauert, dass sein Großvater keine körperliche Regung machte. Innerhalb einer Sekunde war Paro`s Hals trocken und es hatte sich ein Kloß gebildet. Außerdem wurde ihm noch auf einen Schlag kalt und zittrig. Er hielt seinen Atem an, doch er hörte keine kleinste Regung, keinen Atemzug seines Großvaters. Paro streckte langsam seine Hand aus und legte sie auf die Brust seines Großvaters. Er war gestorben, sein Tara, seine lebenserfüllende Kraft hatte ihn endgültig verlassen.

    Paro wusste nicht wie lange er so schon da gestanden hatte, eine Hand auf seinem Großvater liegend und mit Tränen in den Augen. Für ihn waren es Stunden gewesen, gewiss hatte es aber nicht länger als eine Minute gedauert. Dennoch hatte er in dieser Minute über unzählige Dinge nahgedacht. Auch über Dinge, die eigentlich unwichtig in diesem Moment erschienen. Trotzdem hatte er an sie gedacht. Erst durch die kräftige Hand seines Vaters war er unterbrochen worden, die sich auf seine rechte Schulter gelegt hatte. Nun folgten auch sein Onkel und seine Tante in das Zimmer, die weinend den Tod des Großvaters beklagten. Seine Tante kniete sich vor dem Leichnam nieder und begann eines der Sakral – Gebete zu sprechen, die für diese Momente größter Trauer geschrieben worden waren und die aus älteren Zeiten der Welt stammten.

    Las far, di vendul,
    di vendul molcher mi
    dene Koper wäre mor
    so selche ken di.

    Als er vor die Tür kam, registrierte er, dass sich inzwischen das gesamte Dorf um das Haus gescharrt hatte und in andechtlicher Stille verweilte. Nur ein kleines Mädchen, das wohl gerade erst laufen gelernt hatte, rannte fröhlich im Kreis, um die ersten Sonnenstrahlen zu begrüßen, unwissend der Dinge, die gerade geschehen waren. Schließlich wurde es von seiner Mutter aufgenommen und in die hinteren Reihen getragen, wo man es noch eine ganze Weile fröhlich lachen hörte. Die anderen Kinder standen ungeduldig in der ersten Reihe im Halbkreis und warteten darauf, dass etwas geschah.
    Der Dorfmagier, gekleidet in ein türkises Gewand, kam und stimmte ein weiteres Trauerlied an und klopfte dabei mit seinem langen Holzstab mehrmals kräftig auf die Erde, um den Erdgeistern zu huldigen, aus denen Paro`s Großvater einst erstanden war. Als nächstes schwenkte er den Stab mit ausgestrecktem Arm in der Luft, um den Luftgeistern zu huldigen, die die Luft zum Atmen gegeben hatten. Darauf, der Leichnam war inzwischen auf einer Trage herausgebracht worden, schüttete der Magier aus einem kleinen Fläschchen Wasser auf den Toten und huldigte damit den Wassergeister. Dort, wo das Wasser auf den Boden fiel, wuchsen sofort kleine Pflänzchen empor. Während dieser ganzen Prozedur konnte Paro seinen Blick nicht von seinem Großvater lassen. Er weinte ganz bitterlich. Inzwischen war es ihm egal, was die anderen Kinder von ihm dachten. Er fragte sich nur, nach einem kurzen Rundblick, wo Ari war. Da entdeckte er sie, wie sie sich an ihre Mutter presste und die Hand ihres Vaters drückte. Im Gegensatz zu vorhin wirkte sie nun eindeutig gefasster. Allerdings machte sie auf Paro den Eindruck, als verabscheute sie das, was der Magier da gerade an ihrem Großvater vollführte.
    Der Magier fuhr währenddessen mit seinem Tun fort. Er gab seinen Stab seinem Gehilfen, der vor drei Jahren unter den Dorfjugendlichen eines benachbarten Dorfes erwählt worden war, um eine Ausbildung als Magier anzutreten. Paro kannte ihn kaum. Die Jugendlichen eines Dorfes blieben meist unter sich. Treffen mit Kindern aus anderen Dörfern gab es nur bei feierlichen Anlässen, bei denen die Besten eines Dorfes in Wettkämpfen gegen die anderen Dorfbesten antraten. Auch dieser Gehilfe war in ein türkises Gewand gekleidet, das aber nicht so reich verziert war wie das des Magiers. Der Magier packte in seine Ledertasche und holte seine Hand geschlossen wieder heraus. Mit einer kurzen Handbewegung war er etwas staubähnliches unter Paro`s Großvater. Unter dem Leichnam begann augenblicklich ein kleines Feuer zu lodern, von dem Paro wusste, dass es kein wirkliches Feuer war. Denn der Leichnam sollte ja nicht verbrannt werden. Als letztes ergriff der Magier wieder den Stab, der ihm von seinem Gehilfen auf beide Hände gelegt gereicht wurde, und hielt ihn längs über den toten Körper. Hierbei gab er wieder Worte aus der alten Sprache von sich, die diesmal aber nur er kannte und verstand. Der Stab begann augenblicklich violett zu leuchten. Die Aura vergrößerte sich und erfasste schließlich auch Paro`s Großvater, bis dieser ebenso violett leuchtete.
    Mit einem Mal erlosch das Leuchten. Der Magier zog den Stab zurück, verneigte sich vor dem Leichnam, wobei die Dorfbewohner es ihm gleichtaten. Paro`s Vater reichte ihm mit gebührendem Respekt das Raido zurück, dass der Magier heute Morgen selbst gebracht hatte, und verneigte sich nun ebenfalls vor dem Toten.
    Vier Träger, die kurz zuvor erwählt worden waren, brachten unter der Führung des Magiers die Trage zum Stein der Ahnen, einem großen, flachen Felsbrocken, der in der Nähe des Waldes auf einer kleine Erhöhung stand. Er war umgeben von einer seltenen Baumart, die auf wundersame Weise auch im Winter ihre Blätter nicht verlor, sodass man von außen nicht auf den Stein und auf das, was im Baumkreis vor sich ging, blicken konnte.
    Es wurden sich hinter vorgehaltener Hand Dinge darüber erzählt, was in dem Baumkreis vor sich ging. Offiziell hieß es, dass der Magier den toten Körper bereit machte, für seinen Weg in das ewige Leben. Andererseits hörte man auch Gerüchte, in denen von unheimlichen Bestien die Rede war, die den Baumkreis als eine Versammlungsstätte betrachteten. Manche Nächte hörte man schaurige Geräusche von dort. Dann wurden die Türen verschlossen und die Götter angebetet, dass sie ihre schützenden Hände über die Menschen hielten.
    Der alte Larius, der schon eine Weile verstorben war, hatte davon erzählt, dass der Magier selbst dort seltsame, okkulte Dinge verrichtete. Larius war nämlich eine Nacht dort gewesen und hätte ihn dabei beobachtet, wie er in Ekstase einen Drachen beschwören wollte. „Er wähnte sich wahrscheinlich ungestört“, hatte der Alte immer wieder erzählt, „denn es war wieder so eine Nachte gewesen, in der die wilden Bestien los waren.“ Auf die Frage hin, was er dann dort draußen gesucht hatte, war er immer wieder ausgewichen. So war er als seniler, alter Spinner abgetan worden, der zuviel getrunken haben musste. Doch der alte Larius bestand auf seiner Geschichte, bis er an einer Lungenentzündung gestorben war. Seitdem war Paro nichts anderes mehr zu Ohren gekommen, was den Stein der Ahnen betraf.
    Paro schaute dem Totenzug traurig nach. Sein Vater befahl ihm in einem sanften Ton, sich neu anzukleiden und für die Begräbniszeremonie fertig zu machen. Beim hineingehen fiel Paro seine Cousine auf, die immer noch neben ihrer Mutter stand, diese nun aber nicht mehr an sich drückte. Sie blickte immer noch an die Stelle, an der sein Großvater gerade verschwunden war, obwohl die Träger und der Magier längst nicht mehr zu sehen waren und die Dorfbewohner sich wieder verteilt hatten, um ihren Arbeiten nachzugehen. Nun sah Ari gar nicht mehr so verletzt aus wie vorhin. Sie wirkte auf Paro auf eine sonderbare Weise sogar recht trotzig. Nun fiel Paro auch ein, wie sie vorher auf den Magier geschaut hatte. Es war keine Abscheu gewesen oder Trotz. Nein, was er in ihren Augen gelesen hatte, war ganz eindeutig Hass gewesen. Dieses Gefühl konnte Paro in diesem Moment allerdings nicht verstehen, vor allem nicht gegenüber dem Magier. Vielleicht war sie aber auch gar nicht dem Magier sauer. Vielmehr musste sie unter dieser absurden Situation leiden, die sie aus ihrem friedlichen Leben gerissen hatte. Doch Paro hatte keine Zeit mehr darüber nachzudenken, denn sein Vater kam wieder auf ihn zu, um ihn erneut aufzufordern, sich für das Begräbnis fertig zu machen.

    Bis zur Abenddämmerung hatte es allerdings noch recht lange gedauert. Großvater war am Mittag gestorben, doch die Feierlichkeiten konnten erst am Abend stattfinden. Diese Zeit war Paro viel schlimmer vorgekommen als kurze Zeit zuvor. Nämlich der Moment, in dem er gemerkt hatte, dass sein Großvater gestorben war. Die Stunden zogen sich qualvoll in die Länge und Paro kam der Verdacht auf, dass das Zeitgefüge mit seinem Großvater von der Erde verschwunden war.
    Als die Prozession schließlich begann, war er heilfroh. Wiederrum hatte sich das gesamte Dorf versammelt, um einem der ihren die letzte Ehre zu erweisen. Die Prozession setzte sich kurz nach dem Eintreffen des Magiers in Bewegung. Der erste Halt war der Stein der Ahnen, wo der Tote gesalbt und für seinen weiteren Weg fertig gemacht worden war. Die Gemeinde wurde vom Schüler des Magiers erwartet. Er hatte am Leichnam Wache gehalten, um ihn vor bösen Geistern zu beschützen, die, so wurde berichtet, immer auf der Suche nach einem toten Körper waren, von dem sie Besitz ergreifen konnten. Der Tote wurde auf die Trage gelegt und die Prozession ging weiter. Paro blickte auf. Vor ihnen erstreckten sich die gewaltigen Gebirge der Morat Me. Man konnte meinen, sie gingen von einem Teil des Horizonts zum anderen und sie ragten so hoch in den Himmel, dass die Spitzte in Nebelschwaden verschwand. Diese gewaltige Front war die Mauer gegen die östlichen Länder, die so lange Zeit die friedlichen Gebiete bedroht hatten. Kurz unter der Nebelbank konnte man feinen, weißen Schnee glitzern sehen.
    Das Gelände wurde zusehends steiler und die Träger hatten mehr und mehr Schwierigkeiten, den Toten in einer stabilen Lage zu halten.
    Paro blickte sich um. Keiner der anderen sprach etwas. Er suchte nach Ari, konnte sie aber nicht erblicken.
    Sie kamen der Gebirgskette näher und näher, bis sie an den ersten größeren Felsbrocken vorbeikamen und schließlich am Fuß des Gebirges ankamen. Vor ihnen erhob sich eine kleine Treppe, die schon vor Jahrhunderten erbaut worden war. Sie war komplett aus dem Stein gehauen. Die damaligen Baumeister hatten den Anfang der Treppe mit zwei Fabeltiere beschmückt. Farin, ein junges Rehkitz mit einem Adlerkopf, und Silut, der unerschrockene Bär, der vor keiner Gefahr zurückschreckte. Einst soll er Margo, den Gründer der umliegenden Dörfer, vor einem Rudel Wölfe beschützt haben, woraufhin Margo ihn reichlich belohnt hatte. Die beiden Tiere galten als Beschützer in der Totenwelt. Sie halfen denen, denen dort Unrecht geschah.
    An die Treppe schloss sich eine hölzerne, verschlossene Tür an. Bis hier hin durften die Gemeinde und die Angehörigen gehen, weiter nur der Magier und sein Gehilfe.
    Der Magier öffnete die Tür mit seinem Stab, indem er dreimal dagegen pochte. Das Licht, das durch die geöffnete Tür fiel, zeigte einen dunklen, unförmigen Gang, von dessen Decke eine Trage hing. Paro`s Großvater wurde auf ihr aufgebahrt.
    Paro hatte sich außerhalb des Halbkreises, der um das Eingangstor gebildet worden war, aufgestellt. In diesem Moment sah Paro Ari. Sie stand etwas abseits der Gemeinde und starrte ihn an. Er schaute misstrauisch zurück.
    „Was willst du?“ fragte er flüsternd.
    Sie sah ihn ernst an, gab ihm einen Wink, dass er ihr folgen solle und schon lief sie in die Richtung eines einzelnen Baumes, der nicht weit von ihr entfernt stand. Paro warf verstohlen einen Blick auf die Dorfbewohner, dann rannte er Ari nach. Sie wartete bereits auf ihn. Sie stand recht ungeduldig da und wankte von einem Bein auf das andere.
    Paro sah sie an und konnte sich ihr Verhalten nun wirklich nicht mehr erklären. Etwas war mit ihr geschehen. Sie sah ihn erwartungsvoll an. Anscheinend wollte sie ihm etwas sagen, fand aber nicht die richtigen Worte. Paro erfasste sie am Arm und hielt sie fest. Sie schien auf irgendetwas hinter ihm fixiert zu sein, doch als sich Paro umschaute, sah er nur die Gemeinde und den Magier, wie er gerade ein Gebet sprach. Paro drehte sich wieder zu Ari um.
    „Was willst du mir sagen, Ari? Wir stören gerade das Begräbnis unseres Großvaters und verletzten die alten Sitten. Warum machst du hier so einen Aufstand?“
    Verstohlen blickte er sich um, doch keiner der Dorfbewohner hatte bisher eine Notiz von ihnen genommen, was Paro schon relativ verwunderte. Immerhin waren sie nicht gerade geräuschlos gewesen.
    Ari hatte sich anscheinend durch seine Worte wieder klar gemacht, warum sie ihn hierher gebracht hatte und öffnete schließlich den Mund. Paro wartete schon mit ebenfalls geöffnetem Mund auf die Antwort, wobei er bemerkte, dass er Ari immer noch mit festem Griff hielt. Verwundert über sein rabiates Verhalten ließ er sie erschrocken los. Ari war ihm anscheinend dankbar dafür, denn sie schaute ihn konzentrierter an und begann endlich zu reden: „Paro, du musst mir helfen. Besser gesagt, du musst Großvater helfen und nicht nur ihm.“ Sie redete ziemlich hektisch und war irgendwie aufgeregt.
    Paro starrte sie verwirrt an. Was redete sie da für wirres Zeug? War sie durch den Tod ihres Großvaters übergeschnappt? „Was willst du von mir?“
    Ari sah ihn einen Moment an, dann nahm sie seine Hand und zog ihn noch ein wenig mehr unter den Schatten des Baumes. Sie zog seine Hand zu sich heran und legte etwas hinein. Als Paro seine Hand betrachtete, sah er, dass sie ein kleines Fläschchen hineingelegt hatte. „Du musst das Trinken, bitte.“
    Dieses nachträgliche „bitte“ hatte sie sehr betont und fordern ausgesprochen, so dass sie anscheinend keinen Widerspruch duldete. Als sich Paro immer noch nicht rührte, nahm sie plötzlich wieder das Fläschchen in die Hand, öffnete es in einer schnellen Bewegung und hielt es ihm an die Lippen. Wie von Zauberhand begann Paro zu trinken. Eigentlich wehrte er sich dagegen, aber eine starke Macht hielt ihn dazu an, nicht vom Fläschchen wegzutreten und es bis zur Hälfte auszutrinken. Als er fertig war, sackte er mit einem Schlag zusammen auf das Gras. Er sah, dass auch Ari das Fläschchen an die Lippen führte und es fertig austrank.
    Paro spürte nichts. Weder Wut, obwohl er eigentlich wütend hätte sein müssen, noch Verwirrung. Für einen kurzen Moment wurde ihm schwindelig und er musste die Augen schließen. Als er sie wieder öffnete, traf es ihn wie ein Schlag. Seine Umgebung hatte sich verändert. Er konnte immer noch den Baum vor sich erkennen und Ari, die darunter stand, aber alles war in Rot getaucht und leicht verschwommen. Eine Sekunde später erschien um Ari eine gelbe Aura. Er konnte erkennen, wie sie das Fläschchen einsteckte und auf ihn herabsah. Paro rieb sich die Augen. Doch es blieb bei dem Ergebnis. Seine normale Umwelt war in Rot getaucht, nur Ari war von einem gelben Umhang umgeben. Ari, oder zumindest das, was sie nun war, beugte sich über ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Los komm mit, aber sei bitte still!“ Obwohl ihm elend zu mute war und er sich eigentlich gar nicht orientieren konnte, gehorchte er Ari. Er wusste auch nicht was es war. Es schien so, als hätte sie ihr älteres Ich abgelegt und hätte ein neues Leben angefangen. Sie war eine total andere Person geworden. Aus dem kleinen Mädchen, das sie immer gewesen war, war eine Art Herrscherin geworden, die kein „Nein“ duldete.
    So richtete er sich auf und hätte sich kaum auf den Beinen halten können, so schwindelig war es ihm geworden. Etwas, nein Ari, erfasste seine rechte Hand und zog ihn mit sich. Paro fasste sich an den Kopf. Zu dem Schwindel hatten sich nach den ersten Schritten auch noch Kopfschmerzen gesellt. Eine weitere Frage, die er sich stellte: Spürte Ari denn nicht genau dasselbe wie er. Allem Anschein nach nicht, denn sie lief, ohne auch nur einem Anzeichen von Schmerzen, über den steinigen Weg zur Gemeinde. Alles um ihn herum lief in der halben Geschwindigkeit ab. Es war, als würde ihn die Zeit verhöhnen. Als sie bei der Gemeinde angekommen waren, machten sie dort jedoch nicht halt, sondern sie liefen auf die Steintreppe zu. Paro versuchte seine Cousine zurückzuhalten. Denn er wollte nun nicht auch noch eines der ältesten Gesetzte überschreiten und als unrechtmäßige Person die beiden steinernen Wächter passieren. Doch was es auch war, entweder diese Flüssigkeit hatte ihn aller Kräfte beraubt oder aber Ari hatte sich außer in eine Herrscherin noch in eine kräftige Kämpferin verwandelt, die jede Art körperlichen Widerstandes brechen konnte, hielten ihn auf seinem Weg. Er wurde immer weiter in Richtung Treppe gezogen. Sie hatten die erste Stufe erreicht, da drehte Paro sich um und sah schuldbewusst in die Menge. Und da kam das unglaubliche, was ihn wie ein Blitzschlag traf. Niemand der Gemeinde sah auf ihn oder Ari. Alle blickten stumm auf den Magier, der immer noch seine Gebete sprach.
    Sie waren auf der obersten Treppenstufe angekommen, da beendete der Magier sein Gebet, nahm seinen Stab in beide Hände und hielt ihn, während er die Stufen hinauf ging, vor sich. Einen Augenblick lang sah er genau in Paros Augen, doch er sah ihn nicht. Er schaute durch ihn hindurch, als wenn er nicht da war.
    Anscheinend war er das ja auch, dachte Paro bestürzt. Er musste für die anderen unsichtbar sein. Kaum hatte er Paro erreicht, da zog Ari Paro durch das Tor. Paro konnte gerade noch sehen, wie sich die Gemeinde auflöste. Er wusste, dass sie nun in einer ungeordneten Formation nach Hause zurück laufen würden. Der Magier würde mit seinem Gehilfen den Leichnam mit tief ins Innere des Gebirges nehmen und .... Ja, so genau wusste man nicht, was dort mit den Toten geschah, denn es war ein Geheimnis. Ein Geheimnis, dass nur der Magier kannte – und sein Gehilfe.
    Die Gemeinde würde nach Hause gehen und spätestens zu Hause würde es seinen Eltern auffallen, dass er nicht mehr da war. Dann würden sie ihn suchen und Paro hoffte, dass er bis dahin nicht für seinen Frevel bestraft sein würde. Im weiteren war nur noch klar, dass etwa gegen Mitternacht aus den Öffnungen des Berges farbige Nebel aufstiegen, die man sogar noch im Dorf beobachten konnte. Was aber sonst geschah, wusste niemand. Außer eben der Magier.
    Ari riss ihn weiter mit sich. Der Weg führte nun weit in die Tiefe. Paro musste aufpassen, nicht hinzufallen, denn nicht nur das Gefälle machte ihm zu schaffen. Der Weg war außerdem gespickt mit Steinen, die anscheinend nur da lagen, um ihn zu Fall zu bringen. Außerdem war ihm noch übel und schwindelig zugleich, die sonderbare Rotfärbung raubte ihm die Orientierung und Ari trieb ihn zu einem unmenschlichen Tempo an. Nicht nur einmal strauchelte er, aber trotzdem kam er wie durch ein Wunder nie zu Fall.
    Sie liefen so eine Weile bis Ari plötzlich halt machte. Paro währe in seinem Zustand beinahe über sie gefallen und hätte sie umgerissen, doch er konnte sich noch im letzten Moment an einem Stein abfangen, wobei er sich aber ein wenig die Haut aufriss. Paro bemerkte, wie Ari sich umschaute und sie ihn schließlich hinter einen großen Stein zerrte. Dankbar setzte er sich und pustete schwer atmend auf seine Hand. Da ergriff Ari seine Hand und hielt sie fest. Ein unmissverständliches Zeichen ruhig zu sein.
    Allmählich konnte Paro wieder besser sehen. Der rote Schimmer verschwand langsam und machte er der tiefen Finsternis des Höhlenganges Platz. Sie wurden umringt von einer fast undurchdringlichen Schwärze. Nur ein kleines Lichtchen, das hüpfend von oben näher kam, erhellte den Gang ein wenig. Ari drückt ihn heftiger gegen den großen Steinbrocken, hinter dem sie sich versteckten. Der Lichtschein wurde größer. Von wem er kam, war Paro klar. Es war der Magier und sein Schüler, die den Leichnam nach unten brachten. Es dauerte etwa eine Minute, da hatten sie sie erreicht.
    Der Magier schritt voran, in der einen Hand den Magierstab, der für jeden Magier einzeln angefertigt wurde und ein Einzelstück war, mit der anderen hielt er den Kopf von Paro`s Großvater, der ein wenig aus der Trage heraus steckte. Diese war unter der Decke in einer Art Laufbahn angebracht. Mit Rädern, die in der Laufbahn steckten, konnte die Trage ohne große Mühe bewegte werden. Der Gehilfe folgte als letzter und schob die Trage den Weg hinunter.
    Paro atmete innerlich auf als sie vorbei waren.
    Er hatte wirklich vermutet, dass ein unbedachter Seitenblick des Magiers ihr Versteck preisgeben würde. Nun sah Paro auch, wodurch das Licht verursacht wurde. In einem Abstand von etwa einem Meter waren Fackeln zu beider Seiten des Ganges angebracht. Jede, die zwei Schritte vor und zwei hinter dem Magier waren entflammten bzw. verloschen nach und nach.
    Ari setzte sich in die Hocke und drückte ihren Arm auf Paros Brust. Paro verstand inzwischen ihre Zeichensprache. Ihm war auch viel zu schlecht, als dass er etwas anderes gewollt hätte, als liegen zubleiben. Als nur noch ein leichter Lichtschimmer erkennbar war, stand Ari völlig auf und zog Paro mit sich: „Komm,“, flüsterte sie, „wir müssen gehen.“
    Das war das erste gewesen, was sie seit einer langen Zeit wieder gesagt hatte. Nun konnte ja auch er wieder fragen: „Erklärst du mal bitte, was du hier machst, Ari?“
    Doch seine Frage wurde nicht beantwortet. Sie hielt sich nur den Zeigefinger an die Lippen, was trotz des schwachen Lichtes noch gut zu erkennen war. Paro war ihrer ständigen Zeichensprache langsam überdrüssig, aber einen Widerspruch hätte sie wahrscheinlich gar nicht zur Kenntnis genommen.
    So folgten sie dem flackernden Lichtschein, möglichst bedacht, keine unnötigen oder überlauten Geräusche zu machen. So liefen sie eine lange Zeit, Stunden, wie sie Paro vorkamen. Dieser Tag schien einfach kein Ende zu nehmen, dachte Paro. Heute Nachmittag schon hatte er einen Zeitbruch gehabt, der die normal verstreichende Zeit unnatürlich in die Länge gezogen hatte. Alles war nur gekommen wegen Großvaters Tod. Und nun lief er mit seiner kleinen Cousine, die sich zu einer Kampfmaid entwickelt hatte, durch einen Stollen dem Leichnam ihres Großvaters und dem Magier samt Gehilfen hinterher, wobei das schlimmste war, dass er überhaupt nicht wusste, warum sie dass taten. Paro wurde nun die ganze Absurdität seines hier seins bewusst, aber er hoffte jedenfalls, dass sich seine Fragen bald klären würden.

    Sie waren noch eine ganze Weile so marschiert, immer tiefer in den Berg hinein, ohne zu wissen wohin. Irgendwann war der Weg beinahe abrupt in die Gerade gegangen, was das Laufen unglaublich erleichtert hatte. Erst hatten sie deswegen den trauten Fackelschein aus den Augen verloren, da die Truppe vor ihnen ja eine kurze Zeit schneller voran gekommen war als sie selbst. Doch dann hatten sie gesehen, dass der Fackelschein in der Ferne haltgemacht hatte. Ari machte ihm zu verstehen, dass er nun langsamer zu laufen hatte, um keine unnötigen Geräusche zu machen. Paro hatte ihr aufs Wort gehorcht und so kamen sie dem Lichtschein zwar langsam aber stetig näher. Je näher sie ihm kamen, desto mehr viel Paro auf, das sich die Intensität des Scheins gut verdoppelt, wenn nicht sogar verdreifacht hatte. Sie trauten sich immer weiter vor. Dann erkannte Paro, was passiert war. Sie kamen am Fuße einer gewaltigen Höhle an. Gewaltig nicht wegen der Bodenfläche, die war nicht besonders groß. Jedenfalls nicht zur Höhe der Höhle. Diese Höhle erstreckte sich soweit hoch, dass man die Decke gar nicht sehen konnte. Das scheinbar tiefenlose Schwarz wirkte wie ein dunkles Meer oder besser noch, wie ein Himmel. Ein Himmel in einer Höhle, dachte Paro irritiert.
    Im Grunde war es ja auch die Höhle des Himmels, denn wenn Paro nicht alles täuschte wurden hier die Zeremonien vollzogen. Hier wurden die Toten von ihrem irdischen Leben entbunden.
    Hier am Höhleneingang hing auch die Trage, mit der ihr Großvater transportiert worden war. Der untere Teil dieser Höhle war erhellt durch ein Lichtermeer von Fackeln, die hier in rauen Mengen hingen. Es wunderte Paro ein wenig, dass der Magier hier nun alle Fackeln erleuchtet hatte, im Gang aber nur begrenzt.
    Aber Paro konnte sich nicht lange genug darüber wundern, denn da leuchtete auf einmal gegenüber vom Eingang etwas auf, was ihm den Atem stocken ließ. Gegenüber erschien ein riesiger Alter, verschwenderisch beschmückt mit Gold und farbigen Tüchern, schönere Farben als Paro je gesehen hatte. Sie übertrafen sogar die Schönheit aller Blumen, die Paro in seinem ganzen Leben gesehen hatte. In vier Ständern, die an den Eckpunkten des Altars standen, brannten farbige Feuer, eines braun, ein anderes blau, ein anderes grün, das letzte rot. Paro fielen sofort wieder die vier Elemente ein, die der Magier schon heute Mittag angerufen hatte. Hinter dem Altar stand eine große, hölzerne Figur. Es war die Gestalt eines großen Mannes mit einer Königskrone auf dem Kopf und einem Tierfell um den Nacken gelegt.
    Belmor. Das war Belmor, der König der Ewigen Lande, der östlich Gebiete. Das hieß, er war einmal König gewesen.
    Einst, so wird berichtet, gab es viel Frieden in dieser Ebene des großen Kontinents. Doch wie schon oft berichtet gab es auch hier einen machtbesessenen Mann, der die freien Völker unterdrücken und mörderisch erpressen wollte. Doch sein Plan wurde durch ein paar Getreue der Gegenseite vereitelt, sein Heer besiegt. Die Greife, über die er Herr war, konnten nicht die alles entscheidende Wendung bringen. Doch er konnte sich retten. Mit seinen übrig gebliebenen Greifen floh er gen Westen über die Morat Me wo er in einen Hinterhalt geriet. Salvaare, mächtige Geschöpfe mit zwei Flügelpaaren, die von Belmors Flucht erfahren hatten, kesselten ihn hier ein. Es kam zu einem gigantischen Luftkampf. Belmor saß auf dem größten Greifen seiner Flugschar. Seine Tierfell auf seinem Rücken wehte heftig im Wind. Er stellte sich aufrecht und zog sein Schwert, einen mächtigen Bihänder und schnitt dem ersten Salvaaren, der ihn angriff, einen Flügel ab. Der Salvaar taumelte in die Tiefe und verschwand im Nebel. Dem nächsten hieb er den Schädel ab. Dem dritten stieß er den Bihänder bis zum Anschlag in den Leib, dass das Blut auf ihn herunterlief und sein Tierfell rot färbte. Die Greife kämpften verbissen gegen die Übermacht und hatten sich Dank der Hilfe ihres Meisters bereits einen Vorteil verschafft. Die Schlacht wäre wohl verloren gewesen, wäre nicht diesem Moment die Sonne aufgegangen und Belmor geblendet gewesen. Diese Unachtsamkeit verhalf den Salvaaren zum Sieg. Ein getöteter Greif fiel vom Himmel auf Belmors Flugtier und riss es nach unten mit sich. Belmors Aufschrei war noch lange zu hören gewesen. Die restlichen Greife wurden besiegt oder vertrieben. Die Suche der Salvaaren blieb erfolglos. Die hereingebrochene Nacht machte einen Erfolg unmöglich. Belmor ward nie mehr gesehen.
    Und nun sah Paro hier eine hölzerne, riesige Statue Belmors, des Unheilbringers, des Herrschers der Greifen in dem Raum, in dem seine Ahnen ihre letzte Ruhe fanden. Dies gefiel ihm überhaupt nicht. Dies konnte doch auch eigentlich gar nicht möglich sein. Belmor. Das war auch der Grund gewesen, weswegen der Magier nichts davon erzählte, was in diesem Berg geschah. Die Dorfbevölkerungen würden so etwas niemals zu lassen.
    Die Statue Belmors hatte ihre Arme über den Altar gestreckt und hielt auf den nach oben gerichteten Handflächen ein riesiges Schwert. Es war der Bihänder, mit dem Belmor so furchtbar unter seinen Feinden gewütet hatte. Der Künstler dieser Skulptur musste eindeutig ein Belmorverehrer gewesen sein.
    Und nun erkannte Paro auch den Magier und seinen Schüler, wie beide eine Zeremonie vorbereiteten. Über den Altar war ein Tuch gelegt und was darunter lag, wusste Paro ganz sicher, woher auch immer.
    Genau in diesem Moment zog der Magier das Tuch weg. Er nahm seinen Stab und verankerte ihn in dem Bihänder, der etwa zwei Meter über Paro`s Großvater hing, sodass der Stab genau auf das Herz des Großvaters zielte.
    Paro war wie gelähmt von dem Anblick, dass er sich nicht rühren konnte. Dass Ari nichts unternahm verriet ihm, dass es ihr genau so erging. Er schloss die Augen.
    Das kann doch nicht sein, sagte er sich immer wieder und wieder.
    Das ist nicht wirklich.
    Doch es half nichts. Als er die Augen wieder öffnete sah er, dass sich an der Szene kaum was geändert hatte. Nur der Magier stand nun breitbeinig da und hielt seine Hände genau über den Altar. Sein Gehilfe kam von hinten heran und zog ihm ein rotgefärbtes Ledergestell über die Schultern, sodass es aussah, als würden aus den Schultern des Magiers gewaltige Hörner ragen. Der Gehilfe verneigte sich ohne ein Wort zu sagen und ging rückwärts davon und stellte sich, erst als er ein wenig abseits der Szene war, wieder aufrecht hin.
    Der Magier begann wieder magische Formeln zu sagen. Kurz darauf begannen seine Hände bläulich zu glühen, die vier unterschiedlich farbenen Feuer loderten hell auf.
    Nun konnte Paro sich doch nicht mehr halten. Er wollte auffahren, doch Ari hielt ihn blitzschnell zurück. Er hatte sich jetzt schon bestimmt hundert Mal gefragt, was mit Ari los war, aber noch nie so deutlich wie jetzt. Dort unten passierte irgendein schrecklicher Kult mit ihrem Großvater und sie konnte nichts besseres tun, als zuzusehen und nichts zu machen. Paro verstand die Welt nicht mehr. Sieh hielt ich sogar zurück, irgendwas zu unternehmen. Mehr als ein schlechter Traum konnte das doch nicht mehr sein. Aber er wachte nicht auf.
    Paro wandte sich wieder der unglaublichen Szenerie zu und fühlte sich mehr und mehr verloren. Das Glühen der Hände des Magiers hatte nachgelassen, dafür glühte jetzt der Magierstab und das Glühen nahm zu. Plötzlich schoss alle Energie des Stabes in Paro`s Großvater, was Paro wieder zusammenfahren ließ. Aus den Augen der Statue begann nun ein grüner Nebel zu schießen, der in der Luft Spiralen flog und sich so in der ganzen Halle ausbreitete. Der Nebel, der nun aus den Augen der Figur austrat, war gelb. Nach und nach kam immer mehr Nebel in den unterschiedlichsten Farben hervor. Die ganze Höhle war erfüllt durch farbige Dunste. Das sonderbare aber war, dass sich die Farben nicht vermischten. Dort schwebte roter Nebel, dort hinten blauer. Die Augen der Figur hatten inzwischen mit ihrem seltsamen Treiben aufgehört. Der Dunst stieg ganz allmählich auf.
    Einige Sekunden lang passierte gar nichts. Dann geschah das Unglaubliche. Der Tote bewegte sich. Paro war es so zu mute, wie in dem Moment, als er festgestellt hatte, dass sein Großvater gestorben war. Nur, dass das hier noch mal viel schlimmer war, weil es einfach gegen die Naturgesetzte verstieß.
    Doch es war so.
    Sein Großvater bewegte sich und zwar immer heftiger.
    `Dieses Glühen in dem Stab, das musste Tara gewesen sein`, dachte Paro. Der Magier hatte seinen Großvater wiederbelebt, wofür ihm Paro eigentlich dankbar hätte sein müssen, doch er war es nicht im geringsten. Es konnte auf keinen Fall zu etwas Gutem Nutze sein, denn sonst würde der Magier nicht so ein Geheimnis daraus machen. Sein Großvater begann zu Atmen. So musste sich ein Ertrinkender anhören, wenn seine Lungen sich mit nichts anderem mehr füllten als mit Wasser. Hier war es zwar das genaue Gegenteil, das Ergebnis war aber dasselbe. Die Lungen fühlten etwas ungewohntes, obwohl sein Großvater doch erst seit einigen Stunden tot war. Seine Lungen mussten sich aber wahrscheinlich daran, dass sie wieder arbeiten mussten, erst gewöhnen. Schließlich atmete Paro`s Großvater in gleichmäßigen Zügen und richtete sich auf. Er schwenkte die Beine über die Kante des Altars und hätte beinahe den Magierstab abgebrochen, hätte der Gehilfe den Stab nicht mit einer schnellen Bewegung entfernt. Großvater saß nun mit dem Rücken zu Paro und Ari und Paro konnte nicht erkennen, was er da machte. Er sah anscheinend den Magier an, sagte jedoch nichts. Der Magier machte einen zufriedenen Gesichtsausdruck.
    Einige Augenblicke später stand der Großvater auf und lief auf die Statue zu. Da geschah es. Die Belmorstatue öffnete sich in der Mitte und schwang nach außen. In der Statue glaubte Paro etwas grünliches schimmern zu sehen. Sein Großvater machte ein paar weitere Schritte auf den grünen Schimmer zu und war plötzlich verschwunden. Nun konnte sich Paro nicht mehr halten. Aris Reaktion kam zu spät, um ihn aufzuhalten. Er lief mit Tränen im Gesicht auf die Stelle zu, an der sein Großvater verschwunden war.
    Der Magier blickte auf. Keine Reaktion war auf seinem Gesicht abzulesen. Auf dem Gesicht seines Schülers hingegen konnte Paro ganz klar Erstaunen erkennen. Er lief auf die Öffnung in der Statue zu. Plötzlich begann sie sich zu schließen. Paro traute seinen Augen nicht. Trotzdem rannte er, als wenn er um sein Leben laufen würde (wahrscheinlich tat er dies gerade auch).
    Dennoch, mit einem Hechtsprung sprang Paro in den grünlichen Schimmer und ... tauchte auf der anderen Seite wieder auf. Er fiel, stolperte, sah einen Schatten über sich und verlor das Bewusstsein.

    Paro erwachte nach einer langen Zeit aus seiner Bewusstlosigkeit. Jedenfalls glaubte er, dass es eine lange Zeit gewesen war. Er öffnete die Augen und blickte um sich. Die verschwommenen Dinge um ihn herum bildeten langsam Konturen und wurden schärfer. Seine Kopfschmerzen begannen wieder aufs Neue. Er schaute auf. Vor ihm erstreckten sich Hügel in saftigem Grün und neben ihm stand ein großer Baum, der bestimmt schon einige Jahrhunderte alt sein musste.
    Paro glaubte an der selben Stelle zu sein, an der er aus dem grünlichem Licht gefallen war. Aber dann ... musste auch sein Großvater hier sein. Er sah sich zu allen Seiten heftig um, doch nirgendwo sah er auch nur irgendeine Spur von Leben. Auch das grüne Tor, aus dem er hereingekommen war, war verschwunden. Niemand zu sehen. Er war so zu sagen mitten im Niemandsland. Zu allen Seiten erstreckten sich grüne Hügel, vereinzelt standen Bäume herum. Er fühlte sich gestrandet und verlassen, was er auch sicherlich war. Langsam begann sich Angst in ihm breit zu machen. Was wenn es in dieser Landschaft doch niemanden gab außer ihm? Diesen Gedanken schloss er aber sofort wieder aus. Wenigstens sein Großvater musste irgendwo ....
    Er hatte ein Geräusch gehört. Nicht laut, aber auch nicht weit entfernt. Er schaute wieder um sich. Niemand. Da hörte er wieder ein Geräusch. Paro begann sich jetzt wirklich Sorgen zu machen. In einer fremden Welt konnten auch fremde Gefahren lauern, von denen er überhaupt nichts wusste. Dieser Gedanke verschlimmerte ihm seine Lage noch mehr, als dass er ihm half. Da war wieder das Geräusch. Es hörte sich an wie ... sanftes Nagen. Langsam zweifelte Paro wirklich an seinem Verstand. Sanftes Nagen. Wie kam er nur auf so einen Blödsinn. Da traf ihn auf einmal etwas in seinen Hosenboden, dass ihn schreckhaft auffahren ließ. Er schaute auf die Stelle herab, auf der er gerade gesessen hatte. Nichts. Er ließ sich auf seine Knie herab und betrachtete weiter den Boden. Plötzlich schreckte er zurück. Der Boden hatte sich leicht gehoben und wieder gesenkt, als ob er atmen würde. Da kam plötzlich etwas herausgeschossen. Und es war ... ein Maulwurf.
    „Na endlich bist du von meinem Bau runter du Nichtsnutz. Hast du nichts besseres zu tun als in der Gegend rumzulaufen und dich genau auf meinen Bau zu setzten?“
    Paro war wirklich verdutzt. Konnte das sein? Gab es noch eine Welt, in der Tiere sprechen konnten? Da schoss es Paro wie ein Blitz durch den Kopf.

    Das war der erste Teil meiner Geschichte.
    Bitte schreibt doch, ob es euch gefallen hat und ob ihr gerne wissen wollt wies weiter geht. Denn jetzt geht’s erst richtig los, glaubt mir.

    Es muss euch klar sein, dass dies die erste Rohfassung der Geschichte ist und vielleicht noch einige Denkfehler enthalten sind.
    Diverse Änderungen an diesem ersten Teil der Geschichte behalte ich mir vor, wenn sie der weiteren Handlung dienlich sind.

    Über konstruktive Kritik würde ich mich freuen.
    Wenn ihr eine Fortsetzung wollt, müsst ihr euch ein wenig gedulden, denn die Schule hat wieder begonnen. Vielen Dank fürs Lesen und für eure Geduld!!!!!!!



    Alle Rechte liegen bei Hendrik Schmitt

  2. #2
    Kleiner SpacePub-Besucher
    Dabei seit
    19.11.2002
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    Standard

    Hallo Hendrik,
    meine Meinung schreibe ich in einer PM, freue mich auf Antwort.
    <u><span style='color:green'><span style='font-size:8pt;line-height:100%'>Es gibt so viele Lebensarten wie Menschen auf dieser Welt und jede ist es wert, näher betrachtet zu werden</span></span></u>

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