Kapstadt, AF


Carla Vegaz verließ das Forschungsinstitut eiligen Ganges. Sie war eine Frau, die den perfekten Weg zwischen Ästhetik und Praxis in Sachen Kleidung gefunden hatte. Jedes ihrer Kleidungsstücke musste drei Anforderungen erfüllen: Es musste gut aussehen, sie musste sich darin wohlfühlen und - so sagte sie gerne scherzhaft - sie müsste darin laufen, springen und einen Baum hochklettern können. Bei ihrer Arbeit im Biologischen Institut musste sie allerdings kaum noch Bäume hochklettern, die Zeiten waren nun mit 32 Jahren doch schon seit langer Zeit vergangen. Tatsächlich hieß das nun, dass sie außer bei feierlichen Anlässen meist auf Absätze verzichtete und wenn schon Röcke angesagt waren, dann nur mit Leggins. Was wiederum ihrer Neigung zupass kam, ihre alten Balletttrainingsstücke wieder aufzutragen. Faszinierend, wie Dinge die vor 15 Jahren dem Sport gedient hatten jetzt modisch sein konnten. Man musste nur richtig kombinieren. Und Carla hatte nach fast 20 Jahrgängen der Vogue, der Forpap und der Elle gelernt, wie man jede Art von Mode kombinieren konnte. Überhaupt las sie viel. Viel alte Literatur, viel neue Literatur und ja, sie schrieb auch selbst sobald ihr die Zeit dazu blieb. Wenn man sich also ein Bild von Carla Vegaz in diesem Moment machen wollte, so war sie eine schlanke 32-jährige, die wie 29 aussah, mit schulterlanger Frisur und einem Kittel über die Handtasche geworfen. Sie ließ das Institut hinter sich. Das Institut, das hauptsächlich aus Glas und Stahl bestand. So war der Zeitgeist. Sie hatte in ihrem Büro ein repliziertes Gemälde aufgehängt, das den menschlichen Werken aus der Zeit der sogenannten "Romantik" entsprach. Prä-Warp-Kunst. Sie hatte ein Faible dafür. Und wenn Sie nicht gerade das Ferienhaus in Australien für ihre Familie gekauft hätte, so hätte sie in ihrem Büro auch noch Stuck anbringen lassen. Im Moment war sie allerdings froh darüber weder ans Büro noch an Stuck zu denken sondern an ihre Tochter und ihren Mann. Sie musste lächeln, als sie sich an die Transitstation stellte und sie ein Kind an der Hand einer erwachsenen Frau sah. Carla sah an ihr hoch und erkannte eine Kollegin. Sie nickte ihr zu und schaute dann wieder geradeaus auf die Gärten, die sich an der Transitstation erstreckten. Es war Frühling und der Duft der blühenden bajoranischen Kräuter konkurrierte nur zu gut mit den Tulpen von Betazed. Die Eisblumen von Andor hatte man ins Gewächshaus verfrachten müssen da sie unter der terranischen Sonne viel zu gut gedeihten und wohl innerhalb von zwei Jahrzehnten den gesamten Planeten überwuchert hätten. Die Untersuchung, die sich damit befasste, hatte Carla damals in der Polarstation angefertigt und unterzeichnet.

Ein sanftes Rauschen an den Schienen kündigte den Transit an. Carla sah nach links um ihm entgegenzuschauen. Es war bereits Nachmittag und die Sonne brannte kaum noch. Die Temperaturen hatten in der letzten Woche einige Höhenflüge erlebt und das Wetter war immernoch gut. Im Romulanischen Imperium tobte ein Krieg aber Carla war Meisterin im Verdrängen. Das waren wohl alle hier bei solchem Wetter. Niemand dachte an Flüchtlinge, Verschleppung oder Warbirds. Man dachte an warme Duschen, Abendessen mit der Familie oder vielleicht noch ein paar Seiten im Alpha-Centauri Roman "Das Pjotr-Prinzip", die gelesen werden wollten. Carla schaute kurz in ihre Tasche ob ihr ID-Ausweis - der auch als Fahrschein und Arbeitsausweis galt - in eben jener war und als sie ihn unter einem Padd fand, war sie beruhigt. Jedenfalls beruhigt genug um einzusteigen. Wie immer sah sie die Vulkanierin schon von weitem. T'Ling war Vulkanierin - so typisch wie man nur sein konnte. Strenger Haarschnitt und damit wohl das Gegenteil der impulsiven Biologin. Aber Carla genoss die abendlichen Gespräche mit T'Ling im Transit jedesmal. Wenn sie länger als die konstanten 20 Minuten dauern würden - dann nämlich müssten beide aussteigen - würden sie sich vermutlich böse in die Haare bekommen aber so war T'Ling ein Blitzableiter der Carlas Tiraden andauernd standhielt. Egal welche Probleme Carla gerade im Institut wälzte. T'Ling Fand immer Antworten oder auch Ideen dazu, die so logisch und klar augesprochen waren das Carla ihr um den Hals hätte fallen können weil diese brünette und kapriziöse Forscherin sich vor ihren eigenen Emotionen nicht retten konnte. Wenn Carla dann manchmal ausstieg, hatte sie das Gefühl, das genau dafür die Föderationg gegründet worden war: Gegenseitige Hilfe und ein Austausch, bei dem sich alle ergänzten. Dieser Gedanke hatte etwas paradiesisches.
"T'Ling, ich habe da mal eine Frage an Sie ..."
"Sprechen Sie, Mrs. Vegaz."
"Also wenn Ihr Mann Ihnen Blumen kaufen würde - aber nicht die Blumen, die Sie mögen. Und er weiß, dass Sie sie nicht mögen-"
"Mein Mann kauft mir keine Blumen."
"Lassen Sie mich ausreden. Also er weiß, dass Sie sie nicht mögen ..." Und so ging das dann 20 Minuten lang.

Später am Abend würde Carla dann mit Keith und Keri zu Abend essen, vermutlich würde es Salat oder Nudeln geben. Etwas, das ganz einfach war. Traditionell, könnte man sagen. Keith - Carlas Ehemann - war respektabler Beamter. Er arbeitete für die Verkehrsbehörde der Föderation. Also war er dafür verantwortlich, dass der Transit funktionierte. Das ging hoch bis zu den Schiffen, die im Orbit lagen und die Samen bajoranischer Gewürze lieferten. Alles musste logistisch geplant und verarbeitet werden. Ein Job, den Carla todsterbenslangweilig fand aber Keith war jemand mit einem abgebrochenen Kunststudium. Carla liebte Künstler. Keri war die bezaubernde Tochter der beiden. "Vier Jahre alt" und "aufgeweckt" waren die treffendsten Beschreibungen. Zwar war Keri nie so aufgeweckt und exzentrisch geworden wie Arty, der Sohn von Clint aber Carla seufzte oft genug über den kleinen Wirbelwind. Anders als Clint versuchte sie nämlich, ihr so etwas wie eine Erziehung angedeihen zu lassen. Es hatte Carla fast die gesamte Schwangerschaft gekostet, um ein Hologramm nach ihren Wünschen zu programmieren. Ein Hologramm, das als Babysitter und Erzieher arbeitete wenn Keith und Carla auf ihren Arbeitsplätzen weilten. Allerdings war "Hilary" (so nannte Carla das Programm) im Moment abgeschaltet und Keri beschwerte sich lautstark über den harten Brotrand. Carla konnte nur seufzen während Keith schmunzelte. Nun muss man nur noch wissen, wo sich alle befanden. Aber erstmal muss erklärt werden, warum Carla immernoch Vegaz hieß und nicht Anderson. Wie ihr Mann. Sie hatten beschlossen, ihre alten Namen zu behalten. Es war einfach nicht notwendig, die Namen zu ändern und Carla fühlte sich sowieso nicht allzu wohl, wenn sie sich mit dem Namen als Eigentum von jemandem kennzeichnete. Keith sah das ein, wie immer bei seiner Frau.

Das Haus der Vegaz-Familie lag am Stadtrand von Kapstadt. Einer der ruhigen Vororte in denen auch abstraktere Architektur lebte und atmete. Carla und Keith hatten sich lange über die Gestaltung ihres trauten Heimes gestritten und mehr als einmal waren beide den Tränen nah - so sehr fochten sie um ihre Träume. Carla wollte es eher altmodisch-terranisch während Keith von vulkanischer Moderne schwärmte. Letztendlich war es tatsächlich Keri, die den Gedanken ins Rollen brachte. Eine ihrer Kritzeleien war ein buntes Haus ohne jede erkennbare Gerade. Ohne Geometrie im weitesten Sinne. Einige Besuche bei alten Freunden von Keith später hatten Sie Keris Kritzelei in einen Entwurf umgewandelt: Ein nahezu pinkes Haus mit allerlei Schrägen, gewundenen Linien und Farben, die sich bissen. Das Innere war genauso. Hier und da nur eine halbe Wand, eine Beinahe-Durchreiche und das Kinderzimmer war das einzige Zimmer im Haus, das tatsächlich ganze Wände besaß. Der Rest war Beton, buntes Glas und zersplitterte Kacheln, die in den Boden eingefügt waren. Es war traumhaft. Und mitten in der Küche stand dann auch ein unförmiger Tisch, an dem alle ihren Platz fanden während sie sich am Salat gütlich taten. Carla würde später Keri ins Bett bringen und dann noch einige Zeilen lesen. Das Kaminfeuer würde dabei sein Übriges tun und Keiths warmer Schoß als Platzhalter für ihren Kopf dienen. Heute würde sie vermutlich mit ihm schlafen, ihre Stimmung war einfach zu gut und es würde mit Sicherheit so leidenschaftlich sein wie immer. Ja, es war ein gutes Leben, das sie da hatten.