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Thema: Milchstraße

Hybrid-Darstellung

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  1. #1
    kleines pelziges Wesen Avatar von Squirrel
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    07.10.2002
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    Standard

    Niemals hatte er daran gedacht, aus eigenem Antrieb etwas an der durchaus akzeptablen Situation zu verändern, die auf dem Möbelstück vor ihm geherrscht hatte. Daher fiel es ihm ausgesprochen schwer, sich jetzt auf die sich selbsttätig verändernde Lage einzustellen.
    Das bedeutet im Klartext:
    da er niemals auf die Idee gekommen wäre, das Glas umzuwerfen,fiel es ihm jetzt schwer, sich mit der Milchpfütze anzufreunden, die sich rasch auf dem Tisch ausbreitete, nachdem das Gefäß offenbar ohne jeden äußeren Einfluß umgekippt war. Obwohl er wie bereits erwähnt nicht allzu glücklich darüber war, so erfreute er sich doch immerhin an seiner völligen Verblüffung, denn etwas derart Spektakuläres hatte sich nicht mehr ereignet, seitdem etwa eine halbe Stunde zuvor eine Fliege auf eine besonders niederschmetternde Art und Weise gegen das Küchenfenster geprallt war und seitdem in bemitleidenswert ziellosen Bahnen auf der Fensterbank umherstolperte.
    Qalos beschloß er, sich mit dem schnell wachsenden Milchsee näher zu beschäftigen. Während sein Kinn schläfrig auf eine Hand gestützt lag, ließ er seinen Blick gemächlich über den Tisch wandern. Er entdeckte einen Zwieback, der wie eine Eisscholle auf der Milch dahintrieb...oder wie ein Floß. Neben dem marmeladenglas stand eine Dose mit zahnstochern. Zwischen Daumen und Zeigefinger fischte er ein Hölzchen heraus und bohrte es in die Mitte des Zwiebacks hinein...ganz langsam, damit dieser nicht zerbrach. Sein Floß hatte einen mast bekommen. Es schaukelte wie ein Geisterschiff träge am Griff eines Löffels entlang.
    Er nahm ein Papiertaschentuch vom Tisch, das von den Fluten noch verschont geblieben war. In der Mitte falzte er es sorgfältig, riß es in zwei Hälften und spießte eine davon auf den Zahnstocher. Mit einem segel wirkte das Floß nun entschieden seetüchtiger, wie er mit einem prüfenden Blick feststellte.
    Zögernd schaute er sich einen Augenblick lang in der Küche um, dann bestieg er das Gefährt. Es begann bedrohlich zu schwanken, und er stelzte unsicher wie auf Storchenbeinen darauf herum, was die Stabilität auch nicht spürbar verbesserte. Also hob er hilflos beide Füße gleichzeitig vom Boden und überließ es der Schwerkraft, sein Problem zu lösen. Diese handelte ebenso prompt wie entschieden, indem sie ihn fürchterlich auf sein Steißbein krachen ließ. Der Zwieback honorierte das mit einem munteren Knirschen.
    Ächzend stellte er fest, daß sein Gefährt jetzt wenigstens nicht mehr schaukelte. Ruhig trieb es auf dem Milchsee dahin...ruhig aber stetig schnellerwerdend, wie er stirnrunzelnd bemerkte. Er beschattete seine Augen mit der hand und blickte forschend in die Richtung, in die die Milch floß. Zuerst konnte er nichts besonderes entdecken (abgesehen von der Fliege, die anscheinend den Rest ihrer navigatorischen Fähigkeiten eingebüßt hatte, infolgedessen von der Fensterbank herunter und auf das marmeladenbrot gefallen war, wo sie sich jetzt ungeniert im süßen Fruchtbrei suhlte und sich gleichzeitig gierig damit vollstopfte). Doch dann sah er etwas, das ihn latent beunruhigte: Schaum. Und zwar Berge von Schaum, die wild rotierend im Boden zu verschwinden schienen. Ein Strudel! Ein riesiger Milchstrudel riß alles in die Tiefe; über seiner monströsen Öffnung schäumte die Milch panisch auf.
    Während das Floß jetzt schneller und immer schneller auf das allesverschlingende Loch zudriftete, beschloß irgendein winziger, untergeordneter Teil seines Gehirns, daß es höchste Zeit sei, in Panik zu geraten. Also pochte dieser Teil bei einem ihm übergeordneten Teil an, der kurz mit dem ersteren darüber diskutierte, ob es sich wirklich lohnen würde, eine noch höhere Instanz mit dieser angelegenheit zu behelligen. Just in diesem Augenblick wurde der gesamte Körper durechgerüttelt, weil ein Stück des Zwiebackfloßes abgebrochen war. Das überzeugte eine tragfähige Mehrheit weiterer Hirnregionen:
    Er geriet in Panik, und zwar enorm. Während er vergeblich versuchte, in mehrere Richtungen gleichzeitig zu fliehen, brach ein weiterer großer Brocken des durchweichten Zwiebacks unter seinen Füßen weg.
    Als sei es die vernünftigste Sache der Welt, zog in diesem Moment ein schnatterndes Entenpärchen an seinem Floß vorüber, ohne ihn jedoch in seiner Notlage wenigstens eines Blickes zu würdigen. Wie die Perlen auf einer Schnur folgte ihnen ein Dutzend munter poepsender Küken. Eines davon winkte ihm fröhlich mit dem Flügelchen zu. Unsicher erwiderte er den Gruß mit der Hand. Die gesamte Entenfamilie verschwand kommentarlos im Strudel, den jetzt auch sein dahinschwindendes Gefährt erreicht hatte. Mit rudernden Armen rang er vergeblich um sein Gleichgewicht, während der Milchschaum ihm brodelnd in die nasenlöcher quoll. Mit einem infernalischen Nieser verschwand er in der gähnenden Tiefe, als sich der Zwieback endgültig in Wohlgefallen aufgelöst hatte.



    Das erste, was er sah, als er die Augen öffnete, war nichts. Es war absolut dunkel. Hatte er geträumt? Es roch unangenehm nach inzwischen saurer Milch, und als er an sich herabtastete, stellte er fest, daß seine Kleidung immer noch feucht war.
    Das zweite, was er sah, war ebenfalls nichts, mit dem Unterschied, daß jetzt seine Augen schmerzten, weil jemand Licht gemacht hatte.


    Fortsetzung folgt...

  2. #2
    fradjo
    Gast

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    Wirklich sehr gut!! Ich liebe ja deine Wortwahl und deine Ideen

    Fortsetzung!!!!!
    Fradchen

  3. #3
    kleines pelziges Wesen Avatar von Squirrel
    Dabei seit
    07.10.2002
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    Danke! Ich werde es fortsetzen, versprochen - sobald ich mit meinen Ideen betreffend die Fortsetzung zufrieden bin. Das kann durchaus dauern, wie du an diesem Beispiel siehst, aber ich habe es nicht vergessen.

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