Ich weiß, heutzutage ist Japan *das* Comicland, aber es gibt doch gelegentlich auch ganz interessante Beiträge aus anderen geographischen Regionen... und da wir hier ja auf einem irgendwie SF-orientierten Board sind, dachte ich mir, empfehle ich hier mal einen Science-Fiction-Comic, von dem wahrscheinlich noch nicht viele gehört haben.

"Finder" ist eine kleine amerikanische Independent-Serie, die im Alleingang von einer unglaublichen Frau namens Carla Speed McNeil veröffentlich wird, und zwar schon seit etwa acht Jahren oder so. 'Unglaublich' nenne ich Carla Speed McNeil, weil sie den Comic nicht nur in Alleinregie schreibt und zeichnet, sondern allein dafür auch einen Verlag gegründet hat und diesen ebenfalls so ziemlich im 'Ein-Frau-Betrieb' führt. Die Frau muß eine unvorstellbare Energie haben... aber das nur am Rande.

Laut der Autorin ist "Finder" "anthropologische Science Fiction", d.h. es geht weniger um Raumschiffe und Außerirdische (obwohl einige sehr seltsame Wesen herumlaufen, die gut Außerirdische sein könnten - was sie wirklich sind, darüber schweigt die Autorin sich vorerst aus) als um Menschen und Gesellschaftsformen einer fremden Welt. Bei dieser fremden Welt handelt es sich allem Anschein nach um eine sehr ferne Zukunft, in der die Erde eine hochtechnisierte Zivilisation bereits hinter sich hat und die menschliche Zivilisation auf einem sanft absteigenden Ast zu sein scheint, auf dem es sich aber immer noch recht bequem leben läßt. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in großen überkuppelten Städten - die Technologie, mit der diese Kuppeln geschaffen wurden, ist lang schon vergessen - in denen das Zusammenleben nach Clans, deren Mitglieder alle die gleichen genetischen Merkmale haben, geregelt ist. Außerhalb der Städte leben Nomaden, Jäger und Siedler, sowohl mehr, als auch weniger menschliche.

Der Protagonist, nach dessen Beruf oder Berufung - er ist ein 'Finder', jemand, der Leute und Dinge findet - die Serie benannt ist, heißt Jaeger Ayers (fragt mich nicht, wie sich das bißchen Deutsch über die Jahrtausende erhalten hat, und dann noch als Vorname ;-)) und ist ein Ascian-Halbblut, d.h. seine Mutter gehörte zum Nomadenvolk der Ascians (eine Mischung aus Prärieindianern und Mongolen, die auf Riesenechsen und Büffeln reiten), während sein Vater, in Ermangelung eines besseren Wortes, ein 'ganz normaler Weißer' war. Jaeger ist ein ewiger Außenseiter, der sich in Städten nicht wohl fühlt, aber sich doch auch von ihnen angezogen fühlt, und der bei 'seinem' Volk, den Ascians, ein Unberührbarer ist, da er ein 'Sin-Eater' ist, der anderer Leute Sünden auf sich nimmt und dadurch unrein wird.

Ob man "Finder" interessant findet, hängt zum Teil davon ab, ob man Jaegers komplizierte Psyche interessant findet. Die ersten beiden Bände, die zusammen die bisher längste Story, 'Sin-Eater', bilden, drehen sich hauptsächlich um Jaegers seltsame Beziehung zu einer Frau, die er wohl liebt, ihren drei Kindern, die in ihm abwechselnd einen Vater-Ersatz, eine Art großen Bruder und einen Konkurrenten sehen, und dem aus dem Gefängnis zurückgekehrten Ehemann der Frau, der einmal Jaegers Vorgesetzter beim Militär war. Außerdem geht es auch um Jaeger und sein Verhältnis zur technologischen Zivilisation der Städte, und in späteren Stories erfährt man auch noch mehr über sein Leben bei seinem Stamm und in anderen Situationen, die sein Volk betreffen, sowie sein Sexleben und seine Kindheit.

Gleichzeitig ist "Finder" aber auch die Geschichte von vielen anderen Charakteren, und die Serie entfernt sich manchmal für Jahre von Jaeger und widmet sich statt dessen bisherigen Nebenfiguren oder ganz neuen Charakteren. Dabei wird die Welt, in der "Finder" spielt, immer detailreicher und überzeugender.

Uneingeschränkt empfehlen kann ich die ersten beiden Bände, auch wenn man im ersten noch gelegentlich sieht, daß Carla Speed McNeil noch dabei war, zeichnen zu lernen ;-) Die folgenden drei Bände sind ebenfalls interessant, aber "Sin-Eater" ist zum Einsteigen am besten geeignet. Wenn man jedoch erstmal eine kurze Kostprobe möchte, ist man auch mit dem Einzelheft "Beware of Dog" recht gut beraten, das sich mit Jaegers Sexleben beschäftigt, aber vor allem eine Charakterstudie ist. Dieses Heft ist auch gerade für den Eisner Award, den wichtigsten amerikanischen Comicpreis, als 'best single issue' nominiert. Einige Seiten aus ein paar Stories kann man auch auf der Website der Autorin betrachten:

http://www.lightspeedpress.com

Zusammenfassend kann man sagen, daß "Finder" sicher kein Comic für alle ist, aber wer psychologisch überzeugende Charaktere und gutes Worldbuilding zu schätzen weiß, sollte der Serie vielleicht mal eine Chance geben.