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Thema: Raumzeitverzerrungen

  1. #1
    Warmgepostet Avatar von cronos
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    07.10.2002
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    "Transistion in fünf, vier, drei, zwo, eins, null," zählte die Astrogatorin, und ein kaum spürbarer Ruck durchlief die BSRS Revelation, als sie aus dem Subraum in den Normalraum zurückkehrte. "Gute Arbeit, diesmal war es wirklich butterweich," lobte sie Commander Toney Hubl und erinnerte sich an die Transistion vor vier Monaten, die beinahe das Schiff zerrissen hatte. "Comm, rufen Sie Willard Station und erbitten Sie Landeerlaubnis. Astro, berechnen Sie den schnellstmöglichen Roundevouzkurs." Nachdem beide mit "Aye, aye, Cap." bestätigt hatten, lehnte Toney sich im Kommandostuhl zurück und versuchte sich ein wenig zu entspannen. Er war zwar vom Rang her Commander, aber als Kommandeur des Schiffes wurde er von der Mannschaft mit Captain angesprochen.

    Vor drei Jahren schoss ein Space-Telescope des Barnards Star System ein einmaliges Bild: Zweihundertvierzig kleine schwarze Punkte, die eine Linie bildeten, zeichneten sich von dem fluoreszierenden Nebel im Hintergrund ab. Die Wissenschaftler konnten dieses Phänomen nicht mal ansatzweise erklären, daher schickte man ein Scoutschiff zu der Anomalie. Nach neun Monaten kehrte es zurück, und berichtete, es handle sich um eine Anordnung von relativ kalten Neutronensternen, die alle synchron in relativistischer Geschwindigkeit rotieren. In der unmittelbaren Umgebung wurden keine Anzeichen von Zivilisation gefunden, nicht einmal primitives Leben. Also beschloss man, im Nachbarssystem SDL-287575B2, welches 2037,5 Lichtjahre von Sol entfernt ist, um den einzigen Himmelskörper, einen Gasriesen, eine Versorgungsstation zu errichten, um so die Erforschung zu ermöglichen. Die Willard Station ist, vereinfacht ausgedrückt, ein gigantisches, rotierendes Rad, an dessen Nabe sich der Raumhafen befindet und der 'Felge' die Quartiere und andere Einrichtungen untergebracht sind. Die vier "Speichen" enthielten Aufzüge und Versorgungsleitungen. Aufgrund des Korioliseffektes verzichtete man auf die Schwerkraftgeneratoren. Die Station extrahiert aus der Atmosphäre des Gasriesen Wasserstoff und Sauerstoff, stellt in ihren Syntheseanlagen Nahrung her, bietet den von der langen Reise erschöpften Besatzungen ein wenig Erholung und stellt einen zentralen Datenverarbeitungspunkt für die gesammelten Informationen bereit. Somit kann sie mit geringen Nachschub eine ganze Armada von Forschungsschiffen und zwei Schlachtkreuzergeschwader ohne Probleme versorgen. Zwar herrschte seit dem Großen Krieg Frieden, doch angesichts der Bedeutung des Fundes schlossen die Militärs einen Überfall nicht aus.

    "Guten Abend, Commander Hubl," hörte Toney eine Stimme hinter sich, während er durch einen Gang von Willard Station ging. Er blieb stehen und drehte sich um. Es war Dr. Palmer Lammy, der Leiter der Forschungsabteilung auf seinem Schiff.
    "Abend Doc. Was kann ich für Sie tun?"
    "Ich hatte mir gedacht, sie könnten nach der langen Reise einen richtigen Drink brauchen. Ich kenn da eine Bar, die soll echten terranischen Whiskey ausschenken."
    "Gerne," antwortete er. Der Dr. war ihm sympathisch, und eine gute Beziehung zwischen dem Leiter der Forschungsabteilung und dem Captain konnte für beide Seiten nützlich sein.
    "Also Doc, auf was stoßen wir an?", fragte Toney, als er das Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit von der Kellnerin entgegennahm. Das Lokal, in dem sie saßen, hatte einen Boden aus komplett durchsichtigen Kristallglas, das Mobiliar war milchig eingefärbt, gerade so, dass man es erkennen konnte. So sah man in regelmäßigen Abständen den Gasriesen mit seinen gewaltigen Stürmen unter sich vorbeiziehen, die Milchstraße als dichter, bleicher Schleier und den die schwarze Unendlichkeit, wo sich nur noch vereinzelt Sterne finden ließen.
    "Auf gute Zusammenarbeit."
    "Ja, auf gute Zusammenarbeit." Toney nahm einen Schluck. Echter terranischer Whiskey. Muss wohl ein kleines Vermögen kosten. "Was sagen Sie eigentlich zu dieser Aussicht?", fragte er und wies mit der Hand auf den Kristallglasboden, wo gerade die Milchstraße wieder ins Blickfeld kam.
    "Überwältigend, aber wahrscheinlich nichts im Vergleich mit dem, was wir in ein paar Tagen zu sehen bekommen. Sagen Sie mal, wie kamen Sie eigentlich zur Navy? Sie kommen mir nicht wie ein typischer Raumschiffskommandant vor."
    Toney leerte sein Glas und winkte der Kellnerin. "Es war im Großen Krieg, ich wurde zwangsrekrutiert, sobald ich achtzehn wurde. Sie meinten, ich würde einen guten Offizier abgeben. Da ich nicht durch den Schlamm kriechen wollte entschied ich mich für die Navy." Er nahm das neue Glas dankend an und blickte nachdenklich durch dessen Inhalt. "Nach dem ich die Akademie mit viel Glück abgeschlossen hatte, wurde ich auf einen leichten Kreuzer in der Heimatsflotte eingesetzt. Nach dem selbstmörderischen Angriff der Ringweltenflotte brauchte man wieder dringend Schiffe und Mannschaften, um die Flotte wieder auf Sollstärke zu bringen. Am Ende des Krieges, war ich erster Offizier, und ich wurde zum Commander befördert und bekam das Kommando über mein erstes Schiff, den Zerstörer BSS Arrowhead. Ich patroulierte knapp ein Jahr in den Systemen der Allianz, um Frachter vor Piraten zu schützen. Die Arrowhead, als Handelsschiff getarnt, eskortierte gerade einen Frachter zur Arusi Station im Alpha Centauri System, als ein Piratenschiff angriff. Ich hatte den Gegner unterschätzt, daher wurde die Arrowhead zu Schrott geschossen und zweiundfünfzig Männer kamen dabei ums Leben. Was noch schlimmer war, der Händler wurde danach aufgebracht. Haben Sie gehört, was manche Piraten mit der Crew anstellen?" Er kippte den Whiskey und spürte, wie er in seinem Magen explodierte und hinterließ eine wohlige Wärme. Der Wissenschafter nickte mitfühlend. "Das Oberkommando war wohl der Ansicht, ich könne ein Schiff gut leiten, wäre aber in einer Kampfsituation nicht zu gebrauchen. Deshalb bekam ich das Kommando über die Revelation. Seit dreizehn Jahren flieg ich einen Haufen Wissenschafter an ihre Studienobjekte. Aber ein Forschungsschiff zu kommandieren, hat auch seine Vorteile. So brauche ich nicht mehr den Helden zu spielen, sobald es heiß wird. Auf die Orden kann ich verzichten. Irgend jemand hat mal gesagt, die muss man in der Regel mit Unmengen an Blut und einem schlechten Gewissen bezahlen." Als Dr. Lammy einen besorgtes Gesicht machte, fügte er noch hinzu: "Keine Sorge Dr., Sobald ein Feind hier auftaucht, sind die Forschungsschiffe die ersten, die verschwinden. Und schließlich ist dort ein Geschwader Schlachtkreuzer stationiert, das uns den Rücken frei halten soll." Er bestellte sich seinen dritten Drink, lehnte sich zurück und betrachtete die farbenfrohen Stürme des Gasriesen. Nach ein paar Minuten des Schweigens sagte er: "So Lammy, jetzt habe ich Ihnen meine Lebensgeschichte offenbart, jetzt sind Sie an der Reihe."
    "Die bin ich Ihnen jetzt wohl schuldig, auch wenn sie nicht so ereignisreich ist, wie Ihre. Der Blick in den Nachthimmel hatte mich schon immer überwältigt. Schon als Kind, oder besser gesagt als Jugendlicher interessierte ich mich brennend für astronomische Phänomene, über das Leben der Sterne und ähnlichem. Mein Kindheitstraum war es damals, als Entdecker mit einem Einmannschiff in Regionen vorzustoßen, die nie zuvor ein Mensch gesehen hatte. Also studierte ich Astrophysik, arbeitete nach dem Abschluss siebzehn Jahre lang an einer Universität und bekam schließlich eine Stelle auf einer Forschungsstation, welche um Mirkun kreist. Ich arbeitete mich zum stellvertretenden Leiter hoch. Danach wurde die Sache hier bekannt gegeben, und ich bewarb mich sofort um einen Platz auf einem Schiff. Ist wohl die Chance meines Lebens."
    Nachdem sie einige Zeit lang stumm die Aussicht genossen hatten, verabschiedete sich Dr. Lammy mit der Begründung, er hätte noch einiges für die Abreise vorzubereiten.

    Die BSRS Revelation befand sich nun schon seit dreizehn Tagen im Neutronensternsystem und beschleunigte auf einen Kurs entlang der Linie mit einem zehntel G. Dies war ihre zweite und letzte Runde, bevor sie wieder zu Willard Station zurückkehren musste, um Vorräte und Treibstoff aufzufüllen.
    Die Konstellation bestand aus genau zweihundertvierzig Neutronensternen, die wie an einer gespannten Schnur in einem regelmäßigen Abstand von circa fünfhundert Kilometern aufgefädelt waren. Allein dieser Aspekt ließ jede natürliche Entstehung aus den Theorien verschwinden, denn Neutronensterne entstanden, wenn ein Stern mit einer Masse in einem bestimmten Bereich sich dem Ende seines Lebenszyklus zuwendet. Nachdem er als Supernova die äußeren Schichten abgestoßen hat, bleibt nur noch der Kern zurück, der nicht mehr genug Energie aufbieten kann, um den Gravitationskollaps zu widerstehen. Liegt die Masse der Sternenleiche zwischen 1,4 und 2 Sonnenmassen, reicht die Energie der Neutronenentartung, um der Gravitation Einhalt zu gebieten, und es entsteht ein circa zwanzig Kilometer durchmessender Ball aus Neutronium. Ist sie höher, kollabiert der Stern komplett und wird zu einem alles verschlingenden Schwarzen Loch.
    Doch damit nicht genug, denn bereits die ersten Schiffe stellten fest, dass die Masse jedes Neutronensterns nur um Millionstel von dem kleinsten abweicht, und alle synchron in relativistischer Geschwindigkeit rotieren. Manche Forscher sind der Meinung, die Rotation bewahre dieses Gebilde vor dem Kollaps, andere wiederum sind der Ansicht, die Erbauer haben irgend eine der Menschheit unbekannte Kraft benutzt, um es zu stabilisieren.

    Ein dezentes Summen machte Toney Hubl auf das eingehende Gespräch aufmerksam. Mit einem genervten Seufzer nahm er es entgegen, und sein Bericht, an dem er gerade arbeitete, verschwand im Hintergrund. Auf dem Terminal war nun Dr. Lammys ernstes Gesicht zu sehen.
    "Captain, kann ich mit Ihnen mal über ein paar neue Methoden zur Informationsbeschaffung reden?", begann er ohne Umschweife.
    "Können Sie ihre Ideen nicht bei der nächsten Besprechung vorschlagen?"
    "Ich würde sie lieber zuerst mit Ihnen absprechen."
    "Also schön, kommen Sie in zwei Stunden in meine Kabine. Bis später."
    "Danke Captain", sagte Lammy erleichtert und beendete die Verbindung.
    Commander Hubl lehnte sich zurück und nahm einen Schluck synthetischen Kaffee. Was wollte der Dr. schon wieder von ihm? Die Lage, aus der Sicht der Wissenschaftler, ist eher schlecht. Der Auftrag der BSRS Revelation ist die Erforschung des Gravitationsfeldes, das die Neutronensterne umgab. Die Priorität liegt dabei, Daten zu sammeln und sie zumindest soweit auszuwerten, dass man spuren entdecken und weiter verfolgen kann. Selbst mit dem kompletten Sortiment der Sensoren der Revelation konnte man nichts Neues mehr in Erfahrung bringen. Und bei ferngesteuerten Drohnen brach schon nach kurzer Distanz die Verbindung ab. 'Lass dich überraschen', dachte Toney und wandte sich wieder den Papierkrieg zu, den er gegen die Beamten auf Willard Station ausfocht.

    "Was ist denn so dringend?", fragte Toney den Dr. und setzte sich an den kleinen Tisch in seinem "Wohnzimmer", die Füße legte er auf den gegenüberstehenden Sessel. Mit einer Handbewegung bot er Lammy ebenfalls einen Platz an.
    "Es geht nichts weiter. In den letzten zweiunddreißig Stunden haben wir keine neuen Daten mehr bekommen. Überhaupt keine, nicht mal ein einzelnes Bit. Die Messungen bestätigen nur das, was wir schon zehn mal überprüft haben. Was mit den Drohnen passiert wissen Sie ja", begann er und seufzte.
    "Sind Sie nur gekommen um mir die Ohren vollzujammern?", fragte Toney ärgerlich.
    "Entschuldigung. Ich möchte Sie um einen bemannten Flug in die Ausläufer des Gravitationsfeldes bitten."
    "Was? Sie wissen genau dass bemannte Flüge dorthin verboten sind. Mich wird man auf ein Werkstattschiff versetzten und Sie werden Ihre Stelle auf ihrer Station verlieren. Und von hier abgezogen. Setzten Sie doch programmierte Drohnen ein, die da drinnen Daten sammeln und sie wieder zum Schiff zurückkrarren."
    "Das haben wir bereits. Auch sie decken nichts Neues auf. Was ich brauche ist ein Mensch, einer der seine Messungen durchführt und erkennt, wonach er suchen muss und wie er das anstellt. Jemand der schnell Entscheidungen trifft." Der Dr. beugte sich vor und sprach in verschwörerischen Ton: "Ich stehe kurz vor dem Durchbruch. Die Daten die wir haben sind heiß, aber sie sind unvollständig. Eine gewisse Komponente fehlt."
    "Doktor, es ist zu riskant, einen Menschen in dieses Feld zu schicken!" warf Toney ein, doch Lammy gab sich noch nicht geschlagen und stellte einen kleinen, tragbaren Holoprojektor auf den Tisch. Als er ihn einschaltete erschien eine Karte und massenhaft Daten. "Wir können den Effekt des Feldes auf unsere Technik genau berechnen. Und von siebenunddreißig autonomen Sonden haben wir zwei verloren, die wir ein paar ausschlaggebende Faktoren zur Berechnung der Schwerkraft nicht kannten. Sehen Sie, diese Region wird..."
    Nachdem Commander Hubl eine knapp drei Stunden dauernde Einführung in Gravitationsmechanik erhalten hatte, schätzte auch er das Risiko als sehr gering ein. Sollte der Flug nicht genug Neues bringen, dann konnte er versuchen, den Vorfall zu vertuschen.

    "Die Schlachtkreuzer sind nun außer Sensorreichweite. Sie jagen sich gegenseitig und werden uns nicht all zu viel Aufmerksamkeit schenken", berichtete der taktische Offizier, dessen Aufgaben an Bord des Forschungsschiffes stark eingeschränkt waren. Der Commander nickte und wandte sich an Dr. Lammy, der sich mit dem taktischen Offizier die Konsole für Sensoren teilte. "Sind Ihre Leute so weit? Dann geben Sie ihnen das Startsignal!"

    In der Umkleidekabine zwängte sich Dr. Janet Orgathi in ihren Raumanzug, der speziell an ihren Körper angepasst und für die Mission konfiguriert wurde. Als der Helm einrastete füllte er sich mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, die die Luft ersetzte. Sie kämpfte die aufkeimende Angst vor dem Ersticken nieder und lehnte sich erschöpft gegen die Wand.
    "Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Dr.?", erkundigte sich Lieutenant Anette Sanders, die Pilotin des Shuttles. Sie hatte sich den Raumanzug übergestreift als wäre er wie eine Uniform, die sie täglich trug.
    "Ja, danke. Ich hasse diese verdammten, engen Dinger. Helfen Sie mir bitte mit dem Manövrierpack und dem Tornister."
    Sanders schnallte und zurrte ihn mit routinierten Bewegungen fest und startete die Selbstdiagnose. Danach legte sie ihren eigenen an und betraten das Shuttle, welches im Hangar bereits startbereit war. Janet ließ sich schwer in den Sessel vor ihrer Konsole fallen und atmete hastig die Flüssigkeit ein.
    "Geht es ihnen gut Doc? Ihr Puls ist ziemlich hoch", erkundigte sich Sanders wieder, die die vollkommene Kontrolle über die medizinische Einheit der Raumanzüge besaß.
    "Oh danke, mir geht es prima. Ich kriege in dem verdammten Ding nur Platzangst, habe das Gefühl ein Fisch zu sein und bin dabei, mein Leben für ein paar beschissene Daten zu riskieren. Und wenn ich da lebend rauskommen sollte, kann mir der Schiffsarzt meinen Rücken komplett überholen, so schwer ist das verdammte Ding!"
    "Ich verabreiche Ihnen jetzt ein paar Medikamente, die helfen Ihnen mit der Platzangst. Der Raumanzug wird sie in Ihren Blutkreislauf inektieren. Sobald wir draußen sind, können wir die Schwerkraft ein bisschen runterdrehen", meinte sie versöhnlich. "Lehnen sie sich zurück und versuchen Sie sich ein bisschen zu beruhigen. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir starten dürfen."

    Nach einer knappen viertel Stunde erhielten Lieuteant Anette Sanders und Dr. Janet Orgathi die Startfreigabe. Die riesigen, mit mehreren Tonnen Panzerstahl verstärkten Hangartore öffneten sich im Zeitlupentempo und übergaben das Shuttle der Schwärze des Alls. Auf der Unterseite leuchteten die kleinen blauen Flammen der Manöverdüsen, und das Shuttle schob sich behutsam aus dem Hangar, und wendeten es, so dass der Bug auf die Gravitationsfeld zeigte, das durch zweihundertzweiundvierzig synchron rotierenden Materieklumpen aus Neutronium erzeugt wurde. Nachdem sich die Hangartore geschlossen und das Shuttle den Sicherheitsabstand überschritten hatte, zündete Lieutanent Sanders den Hauptantrieb, ein einfaches, kleines Fusionstriebwerk. Sie flog auf einen Kurs, der sie circa fünfzehntausend Kilometern von der BSRS Revelation zum relativen Stillstand kommen lassen würde. Tiefer im Feld, als jede Drohne zuvor eingedrungen war.
    Das Shuttle näherte sich dem Schubumkehrpunkt und Sanders schob den Regler auf den Nullpunkt, um das Raumfahrzeug um einhundertachtzig Grad zu wenden. Doch das Triebwerk ging nicht wie befohlen in den Standby Modus, sondern verschmolz weiterhin Wasserstoffatome zu Helium auf eingestellter Stufe und spie die dabei entstandene Energie durch die einzige Öffnung.
    "Computer, Diagnose starten! Schadensbericht akustisch wiedergeben!" befahl die Pilotin und bekam wenige Sekunden später die Antwort mit einer beruhigenden, weiblichen Stimme präsentiert: "Die Regelung der Wasserstoffzufuhr zur Fusionskammer reagiert nicht, das Ventil ist beschädigt."
    'Verdammt', fluchte sie in sich hinein. Das Triebwerk lief jetzt auf fünfundsiebzig Prozent, und die Anzeige kletterte immer höher. Längerer Betrieb auf Überlast, einhundertundzwanzig Prozent, würde unweigerlich zu einem Versagen der Magnetflasche führen, und das komplette Beiboot in einer künstlichen Miniaturnova vergehen lassen. Sie begann nun, beinahe eine halbe Minute zu spät, die einhundertachtzig Grad Wende, doch der Raumer reagierte nur sehr träge. Sie würden den Neutronensternen viel näher kommen, als geplant.

    Lieutenant Sanders riss die holographische Disk, die sämtliche Daten des Flugschreibers enthielt,
    aus ihrem Laufwerk und ließ dem Computer einen Countdown bis
    zum Versagen der Magnetflasche starten. "Nehmen Sie die Backupdisk und kommen Sie mit mir zur Luftschleuse!", befahl sie, doch die Astrophysikerin sah sie verwirrt an. 'Natürlich, sie hat von dem ganzen noch nichts mitgekriegt', schoss es ihr durch den Kopf. Dank der künstlichen Gravitation und des Trägheitskompensators merkte man nichts von der Gewaltwende, die sie durchgeführt hatte. "Keine Zeit für Fragen, beeilen Sie sich!", sagte sie gehetzt und schob Orgathi richtung Luftschleuse.
    "Was ist das?", fragte Janet ängstlich, als das Shuttle leicht, aber zunehmend stärker zu vibrieren anfing.
    "Später. Wir müssen abspringen. Machen Sie sich bereit! Nehmen Sie meine Hand, wir dürfen uns nicht verlieren." Die Äußere Schleusenluke ging auf, als alle Luft abgepumpt war. "Auf Drei stoßen wir uns gemeinsam ab," informierte sie sie und begann zu zählen. Mit einer nahezu synchronen Bewegung stießen sie sich von der Rückwand der Schleuse ab und schwebten in den offenen Weltraum, das Schiff raste an ihnen vorbei und wurde immer kleiner.
    "Was zum Teufel ist eigentlich los? Wieso sind wir vom Schiff runter? Und wie sollen wir jetzt zurück zur Revelation?" Dr. Orgathi holte gerade Luft für einen neuerlichen Schwall von Fragen, als das Shuttle, welches sich auf einem Feuerschweif reitend entfernte, in einen gleißenden weißen Feuerball aufging.
    "Die Treibstoffzufuhr war beschädigt und das Treibwerk lief auf Notschub. Es konnte dieser Belastung nicht lange Standhalten.", erklärte sie mit ruhiger Stimme, als wäre nichts geschehen. Die Beruhigungsmittel, die sie nach dem Absprung genommen hatte, zeigten augenblicklich Wirkung.
    "Keine Sorge, ich habe die Koordinaten der Revelation, und wir haben genügend Treibstoff um rechtzeitig zurückzukommen, bevor uns die Luft ausgeht.", sagte sie, jedoch erhielt sie keine Antwort. 'Wahrscheinlich muss die gute Frau Dr. noch den Schock verdauen', dachte sie, 'dazu hat sie noch gute siebenundzwanzig Stunden, wenn die Revelation auf uns wartet.'

    "Sir, hier draußen ist etwas explodiert. Ungefähr auf dem Kurs unseres Shuttles. Die Größe der Explosion könnte auch passen, das verdammte Gravitationsfeld verzerrt die Messungen," berichtete der taktische Offizier, "ich lege sie auf Ihr Display."
    Toney checkte die Aufzeichnungen und kam auf den selben Schluss: das muss das Shuttle gewesen sein. Was könnte die Ursache gewesen sein? Das Shuttle wurde im Top Zustand gehalten, auch wenn es schon ein älteres Modell war. Hatten die Gezeitenkräfte zugeschlagen, die es so weit von dem Zentrum gar nicht geben sollte, oder hatte Dr. Lammy ihn vor drei Tagen ein paar Risikofaktoren verschwiegen?
    Sein Grübeln wurde durch den Signaloffizier unterbrochen: "Sir, Captain Warner Gordis von der BSS Hephaistus möchte Sie sprechen. Die Nachricht kommt über Laser herein." Toney warf einen Blick auf die taktische Karte, doch keine Schiffe waren zu sehen. "Taktik, lokalisieren Sie die Quelle. Setzen sie einen Suchstrahl ein, wenn nötig." Wenige Sekunden später erschien ein Symbol für einen Schlachkreuzer in gerade mal 40.000 Kilometern Entfernung. "Er befindet sich auf Schleichfahrt, Sir, wir hatten keine Chance, ihn zu bemerken. Er strahlt nahezu nichts ab."
    Was hatte der Kreuzer hier zu suchen? Nahm er am Manöver Teil oder sollte er ein Auge auf die Revelation werfen? "Also gut, stellen Sie ihn durch Comm," befahl er und das Gesicht des Schlachtkreuzerkapitäns erschien auf einem der schwenkbaren Displays seines Kommandostuhls.
    "Commander Toney Hubl der BSRS Revelation, ich bin Captain Warner Gordis des Schlachtkreuzers BSS Hephaistos." Schon bei der Begrüßung stellte er klar, dass er ranghöher war. "Ich habe beobachtet, wie Sie ein Shuttle tief in die verbotene Zone geschickt haben, und ebenfalls eine Explosion, die von der Größe her das Raumfahrzeug sein könnte. Laut den Dienstvorschriften muss ich Sie zurück nach Willard Station schicken, wo das Vergehen weiter untersucht wird. Das war das Offizielle, Sie wissen was Sie erwartet. Nun zum Wichtigen: Gibt es überlebende?"
    "Sir, wir können noch nicht mal abschätzen, was mein Shuttle da draußen überhaupt erwischt hat. Aber die Pilotin ist eine miener besten Offiziere, sie weiß, wie man sich in Gefahrensituationen verhält. Wenn sie die Gefahr rechtzeitig erkannt hat..."
    "Also gut Commander", schnitt Gordis ihm den Redeschwall ab, "ich stelle eines meiner Beiboote unter Ihr Kommando, Sie haben jetzt ja wieder platz im Hangar. Und keine bemannten Flüge in die verbotene Zone! Nach dem Manöver werde ich dem Commodore Bericht erstatten, er wird danach den Fall übernehmen. Viel Glück, Commander, Ich hoffe Sie finden Ihre Pilotin."
    Bevor Toney noch "Danke Sir!", sagen konnte, hatte der Schlachtkreuzerkommandant schon die Verbindung beendet.

    Janet Orgathi schlug benommen die Augen auf, und sah schwarz. Sie versuchte, sich zu bewegen, doch überall stieß sie auf Widerstand. 'Wo bin ich?', dachte sie. Dann bemerkte sie den bleichen, weißen Schleier in der Schwärze, und ganz langsam kam es ihr in den Sinn. 'Ich bin im Weltall, in einem Raumanzug!' Sie bewegte ihren Kopf und bekam damit die Innenwände des Helms mit ihren Statusanzeigen und Kotrollelementen ins Blickfeld. Sie erinnerte sich schwach daran, getobt zu haben, komplett eingeengt, bewegungsunfähig gewesen zu sein. "Was ist passiert?", fragte sie sich, und bemerkte erst, dass sie diese Frage laut gestellt hatte, als die Antwort über Funk hereinkam: "Sie gerieten in Panik, nachdem sie unsere Lage begriffen haben." Kühl und distanziert, Lieutenant Sanders schien nie Emotionen zu zeigen. "Ich hielt es für notwendig, ihnen ein paar Beruhigungsmittel zu verabreichen."
    Nach den Kopfschmerzen zu urteilen, die sie plagten, musste sie wohl etwas zu viel abbekommen haben. Angst stieg in ihr auf, doch sie zwang sich, analytisch zu denken. Sanders klang wie immer, kühl und zuversichtlich, was bedeuten musste, dass die Karten gar nicht so schlecht standen. "Wie ist unsere Lage?", fragte sie daher.
    "Wir beschleunigen auf die letzte Position der Revelation zu. In siebenundzwanzig Minuten erreichen wir relativen Stillstand, danach brauchen wir noch circa einundzwanzig Stunden, sie kontaktieren zu können. Keine Sorge, die Raumanzüge können uns ohne Probleme zwölf Tage am Leben halten. Wir sind schon so gut wie gerettet."
    'Die Motoren des Raumanzuges wurden deaktiviert, um den besten Ansatzpunkt der Antriebskraft zu schaffen. So gut wie gerettet. Ha, wenn das verdammte Forschungsschiff dann überhaupt noch da draußen ist.', dachte sie und bemerkte die plötzlich aufkeimende Müdigkeit. Viel mehr als abwarten blieb ihr nicht übrig, also schloss sie die Augen und probierte etwas zu schlafen.

    Commander Toney Hubl saß im Arbeitszimmer seiner Kabine und starrte erwartungsvoll das Display seines Terminals an. Ein Gespräch mit über sechs Minuten Signalweg zu führen war eine nervende Sache. Vor zwei Stunden hatten seine Mannschaft die Lieutenant Sanders und Dr. Orgathi aufgelesen. Sie waren nach siebenundzwanzig Stunden EVA psychisch total am Boden, man konnte mit ihnen nicht einmal mehr ein vernünftiges Gespräch führen. Dr. Orgathi hatte sogar eine große Menge an Rückständen von Beruhigungsmittel im Blut. Jetzt erholten sie sich in der Krankenstation von den Strapazen.
    Vom Terminal ertönte ein Summen, die Antwort des Konteradmirals war eingetroffen. "Commander,", sagte das Gesicht am Bildschirm, "Sie haben die Leben ihrer Leute leichtsinnig auf's Spiel gesezt. Auf Willard Station wird die Sache weiter untersucht werden, Sie werden sich aller Voraussicht nach vor einem Kriegsgericht verantworten müssen. Ich müsste Sie unverzüglich zur Basis zurückbeordern, allerdings brauchen wir hier draussen jedoch jedes einzelne Forschungsschiff. Daher melden Sie sich planmäßig bei Willard Station und machen hier Ihre Arbeit fertig!" Das Bild erlosch und das Display zeigte wieder den Berg von Papierkram an, den er noch zu bearbeiten hatte. 'Ein Kriegsgericht, verdammt', dachte er. 'Wie konnte ich nur zustimmen?' Er kramte die Flasche Terran-Whiskey, die er sich auf der Station gekauft hatte, hervor und nahm einen kräftigen Schluck. Die Flüssigkeit brannte sich ihren weg in den Magen und schien dort zu explodieren. 'Adieu Revelation!' Ein weiterer Schluck zog eine Spur wohliger Wärme durch seinen Körper. 'Sie werden mich sicherlich auf irgendeine Station versetzen. Den ganzen Tag Papierkram erledigen, wo es immer ein höheres Tier gibt. Kein unabhängiges Kommando mehr.' Er aktivierte den großen Panoramaschirm und ließ ihn das Bild einer Aussenkamera anzeigen, worauf sich der schwache, weiße Schleier der Milchstraße durch das allgegenwärtige Schwarz zog. 'Wenn ich Glück habe. Sonst entlassen die mich wahrscheinlich unehrenhaft.'

    "Captain, ich und mein Team haben herausgefunden, was es mit den Neutronensternen auf sich hat", platzte Dr. Lammy heraus.
    Commander Hubl sah ihn nachdenklich an. Er hatte ihn vor einer halben Stunde auf der Brücke kontaktiert. Er sah aus, als hätte er seit der Rettung der Piloten vor vier Tagen nicht mehr geschlafen und gewaschen. Dennoch wirkte er hellwach und aufgeregt. Anscheinend hatte er Speedplasts benutzt, die jedes Schiff der Barnards Star Navy mit sich führte, um Offiziere in Krisensituationen bis zu neun Tage wach und bei Verstand zu halten, die Nachwirkungen konnten bis zu einem Monat andauern. Nun befanden sie sich im Besprechungsraum am Brückendeck, der Doktor fing schon an, bevor er überhaupt platz genommen hatte. Er tippte etwas in seinen Minicomputer und aktivierte den Holoprojektor, der in der Mitte des Tisches stand.
    "Die Maschine liegt einem genauso einfachen wie genialem Prinzip zu Grunde. Materie krümmt die Raumzeit. Sie kennen sicher das Gedankenspiel. Ein Schiff fliegt zu einem Schwarzem Loch und schickt einem Astronauten auf den Ereignishorizont zu. Sagen wir mal, nach einem Jahr beschließt man auf dem Schiff, ihn wieder zurückzuholen. Wenn wir einmal die Gezeitenkräfte aus dem Spiel lassen, die ihn bis dahin sicherlich in Stücke gerissen hätten, wäre für den Astronauten weniger Zeit vergangen, als am Schiff."
    Der Commander nutzte die kurze Pause: "Das ist mir bekannt, Dr. Lammy, kommen Sie zur Sache."
    "Bei der Auswertung der Daten von der Backup-Disk des Shuttles und der Blackbox der Raumanzüge, fiel mir auf, dass bei den Aufzeichnungen rund neunundachtzig Sekunden fehlen. Die Aufzeichnung wurde nicht zu spät gestartet oder beendet, auch geschnitten wurde sie nicht. Die Uhren liefen, von unserem Standpunkt gesehen, einfach schneller ab. Die Krümmung der Raumzeit ist um ein Vielfaches höher als wir berechnet hatten."
    "Also ist dieses Artefakt nichts anderes als eine gigantische Zeitmaschine? Wo bleibt der Sinn? Solche Raumkrümmungen kann man auch bei großen schwarzen Löchern finden. Und es wäre für die Erbauer sicherlich leichter, die komplette Galaxie drei mal abzusuchen als zweihundertzweiundvierzig Sterne anzuschleppen, wie auf einer Perlenkette aufzureihen und sie noch dazu bringen, mit solch einer Geschwindigkeit synchron zu rotieren!"
    "Genau das ist der Haken an der Sache. Durch die Rotation entsteht eine stärkere Raumkrümmung als hinter einem Ereignishorizont. Und das vor dem Bereich, wo die Gezeitenkräfte wirken." Er deutete auf die Projektion, die über dem Tisch schwebte. Sie zeigte eine einfache Darstellung der Neutronensterne. "Die unmittelbare Umgebung kann man grob in drei Zonen Teilen. Betrachtet man die Konstellation als Zylinder und macht einen Querschnitt davon," die Projektion aktualisierte sich, und zeigte jetzt vier konzentrische Kreise, "so stellt der mittlere, kleine schwarze die Sterne dar. Der zweite, rote ist die 'Verbotene Zone', während der blaue der Negativität ist, und der grüne die positive Krümmung darstellt."
    "Also kann man, wenn man in den blauen Ring eindringt..."
    "In der Zeit zurück reisen. Bis zu dem Zeitpunkt der Fertigstellung."
    Der Commander durchbrach das darauf folgende, schier ewig dauernde Schweigen: "Ist es möglich, eines unserer Schiffe in diese Zone zu manövrieren?"
    "Theoretisch ja, aber ich habe weder genaue und bestätigte Daten über die Zeitmaschine, ich kann die Grenzen nicht ziehen. Ausserdem bin ich kein Schiffsingenieur, ich weiss nicht, welche Belastungen die Schiffe standhalten."
    "Also gut, Doktor. Gehen Sie auf die Krankenstation und lassen Sie sich was gegen die Speedplasts geben. Danach schlafen Sie sich aus. Ich kontaktiere Sie in zwanzig Stunden."
    Lammy nickte zur Bestätigung.
    'Zwanzig Stunden! Aber ich brauche ihn voll leistungsfähig in den nächsten Tagen.' Gedankenversunken begab er sich wider auf die Brücke.

    Der Commander war in seinem hautengen Druckanzug auf dem Weg zur Brücke, während der Alarm heulte und jeden auf seinen Posten rief. Ein echter Gefechtsalarm auf einem Forschungsschiff war zwar absurd, jedoch besteht die Besatzung auch hier aus Soldaten, die für nicht ganz so ruhige Posten gedrillt werden mussten. Daher wusste jeder, was er zu tun hatte, und Mannschaften hasteten zielstrebig durch die Korridore. Doch diesmal war es kein Drill. Toney, mittlerweile im Gehirn der Revelation angekommen, setzte sich auf seinen Kommandostuhl und betrachtete die Brückencrew mit prüfenden Blick. Alle steckten in ihren schwarzen Druckanzügen, deren Helme griffbereit in Halterungen an den jeweiligen Posten verankert war. Auf ihren Minen konnte er die Entschlossenheit erkennen, dieses Experiment durchzuführen und Stolz, Geschichte zu schreiben. "Status?" ,fragte er. Er hatte seit der zehnstündigen Konferenz, in der er mit der gesamten Brückencrew das Vorhaben geplant hat, nur wenige Stunden schlaf bekommen. Nun war die Revelation in Position am einem Ende der Neutronensternformation eingenommen und die Schlachtkreuzer waren zu weit entfernt, um einzuschreiten. Es war seine einzige Chance, das Kommando über seine Revelation zu behalten.
    "Alle Mann auf ihren Posten nach Plan Beta, alle Stationen geben grünes Licht. Wir sind einsatzbereit.", meldete der Erste Offizier.
    "Sehr gut." Er wandte sich an Dr. Lammy, der sich im Anzug nicht ganz wohl zu fühlen schien. "Wie sieht es aus Dr.?"
    "Es läuft alles nach Plan."
    "Navigation, folgen Sie dem Kurs Gamma."
    "Aye aye, Sir!", bestätigte die Astrogatorin und die BSRS Revelation beschleunigte auf die Reihe aus Neutronensterne zu.

    "Eintritt in die positive Zone in drei, zwo, eins, null", berichtete Dr. Lammy nach der über zwei Stunden langen Beschleunigungsphase. Der Commander beobachtete gespannt die Zeitanzeige auf seiner Konsole. Ein kleiner Zähler daneben stieg langsam, aber ständig und immer schneller werdend an. Noch betrug die Verschiebung nur ein paar Pikosekunden, doch je näher sie dem Zentrum kommen würden, desto ausgeprägter auch der Effekt. Vier Stunden würden sie noch durch die Positive Zone fallen, bevor sie die Negative eindringen sollten. Er prüfte nochmals sämtliche Statusdisplays und gab sich danach der unvermeidlichen Warterei hin.

    Der Timer war auf fünf Minuten, als der Commander die heiße Phase des Gefechtsalarms aktivierte. Ein viel drängenderer Alarmton hallte in jedem Winkel der BSRS Revelation und kündigte Kampfhandlungen in den nächsten Minuten an. Ein kalter Schauer durchfuhr ihn, als er den Helm aufsetzte und den Druckanzug versiegelte. Das letzte mal, als er im Ernstfall Gefechtsalarm gab, verloren dabei seine einundfünfzig Männer und Frauen ihr Leben, und das nur auf seinem Schiff, dem Zerstörer BSS Arrowhead.
    Doch dieses mal war es kein Gefecht zwischen Schiffen, sondern ein Flug nahe an einer künstlich geschaffenen Gravitationsanomalie. Deshalb wurden die Mannschaften, die normalerweise an den Raketenabwehrgeschützen stationiert waren, Reperaturteams zugeteilt.
    "Eintritt in die negative Zone in fünf, vier, drei, zwo, eins, null.", meldete Dr. Lammy. "Wir reisen nun rückwärts durch die Zeit."
    Hubl betrachtete wieder den Timer, der nun langsam und in den kleinsten Einheiten rückwärts laufen begann. Sein Blick wanderte auf den Holotank in der Mitte der Brücke. Die beiden Beschleunigungsvektoren liefen spitz zusammen und zeigten weg vom Zentrum, jedoch beschrieb die Bewegungslinie einen spitzen Bogen. Die Triebwerke arbeiteten zur Zeit mit fünfundsiebzig Prozent Schub, der Rest war als Beschleunigungsreserve eingeplant.
    "Statusbericht!" forderte er nach einigen Minuten auf.
    "Hier Schadenkontrolle. Alle Stationen sind in Bereitschaft und melden alles in Ordnung."
    "Navigation. Alles in Ordnung."
    Nachdem sich alle regulären Stationen gemeldet hatten, die Wissenschaftsstation sich nach mehreren Sekunden jedoch nicht meldete, fragte er: "Und, Dr. Lammy? Wie ist Ihr Status?" Jedoch rührte sich der Angesprochene nicht und starrte tief in Gedanken versunken auf seine Konsole.
    "Dr. Lammy!" Er schreckte hoch und drehte sich zum um.
    "Ja?"
    "Wie ist ihr Status?", fragte der Commander mit einer leicht ärgerlichen Stimme.
    "Ähm, die Daten, die wir jetzt über die Sensoren bekommen haben Abweichungen von meinen Berechnungen. Ich bin gerade dabei, sie auszuwerten."
    "Geben Sie mir Bescheid, sobald Sie fertig sind."
    "Natürlich", sagte er und wandte sich wieder seiner Konsole zu. 'Diesen Wissenschaftler sollte man einen Crashkurs in militärisches Benehmen verpassen, bevor man sie auf die Mannschaft loslässt.' dachte sich Toney.
    Knapp fünfzehn Minuten später holte ein "Captain!" ihn aus seinen Gedanken.
    "Ja, Dr.?"
    "Ich habe soeben die Auswertung abgeschlossen. Die Gravitationsquelle ist wesentlich stärker als berechnet. Wenn wir so weiter fliegen, werden wir in die verbotene Zone kommen."
    "Berechnen Sie mit Lieutenant Jaqbe einen Kurs, der das verhindert."
    "Das habe ich bereits", antwortete er und legte die Kursprojektion auf den Holoprojektor, in einer anderen Farbe, um sie vom derzeitigen Kurs zu unterscheiden. "Wenn wir ab diesem Punkt, den wir in drei Minuten erreichen werden, die Triebwerke auf volle Leistung schalten, können wir wie geplant entkommen und halten die für den alten Kurs gesetzten Sicherheitstoleranzen ein. Unsere Zeitreise wird aber circa zwei Tage kürzer sein."
    Zwei Tage waren allerdings zu viel Verlust, um seinen Posten zu retten. "Das ist zuviel Zeitverlust. Wenn wir die Sicherheitsspanne weglassen?"
    "Dreizehn Stunden, allerdings wird das verdammt knapp, und ich will mich nicht auf Dr. Lammys Berechnungen verlassen.", sagte die Astrogatorin nach eier kurzen Berechnung.
    "Also gut. Setzen Sie den Kurs." Sollten sich Lammys Berechnungen abermals als ungenau erweisen, konnte er immer noch die Sicherheitssperren der Triebwerke ausschalten und somit gute zehn Prozent mehr Leistung erhalten, ohne das Risiko eines Defektes einzugehen. Die Navy setzte die Spezifikationen der Geräte nach einem gesunden Verhältnis von Leistung und Abnutzung. 'Es muss reichen,' dachte er sich und hob die Sicherheitssperren der Triebwerke mit seinem persönlichem Code auf.
    "Kurs gesetzt.", bestätigte die Astrogatorin.

    Palmer Lammy rief die neuen Sensordaten ab und ließ sie durch ein Programm laufen. Als er den Output sah, wurden seine Befürchtungen wahr, die Zahlen waren diesmal wieder viel höher als angenommen. Er leitete sie unverzüglich an die Navigatorin Jaqbe weiter. Diese zog sie in ihre aktuellen Kursberechnungen ein und erbleichte.
    "Captain! Mit dem aktuellen Kurs werden wir hier nicht mehr rauskommen," berichtete sie sofort.
    Bestürzt betrachtete er die neue Projektion vom Holoprojektor. "Wieviel Beschleunigung brauchen wir?"
    "Mindestens zusätzliche fünfundzwanzig G, Sir."
    Das würde die Triebwerke bis in den kritischen Bereich belasten, wo jederzeit ein Bauteil versagen könnte. Er drückte einen Knopf auf seinem Kommandositz.
    "Maschienenraum, Leitender Ingenieur." meldete sich das Gesicht am Bildschirm.
    "Können Sie noch mindestens fünfundzwanzig G aus den Maschienen rausholen?" fragte er.
    "Das entspräche dann einer Triebwerksleistung von hundertsiebzehn Prozent. Das ist im roten Bereich Captain. Jederzeit kann ein Teil den Geist aufgeben."
    "Das ist mir bewusst, also schaffen sie das?", fragte Toney ärgerlich, obwohl er wusste, dass es die Pflicht des Leitenden Ingenieurs war, den Kommandant auf die Leistungsgrenzen der Ausrüstung hinzuweisen.
    "Ja, Sir."
    "Gut, die Sperren habe ich bereits aufgehoben."
    Toney lehnte sich zurück. Fünfunddreissig Minuten mussten die BSRS Revelation die Beschleunigung aufrecht erhalten. Laut Lammys Berechnungen, die eine beängstigende Rate an Abweichungen hatten.

    Das komplette Schiff vibrierte, als die Triebwerke nun im verschwenderischem Ausmaß die Wasserstoffatome verschmolzen und die Fusionsenergie gebündelt aus einem Rohr entweichen ließen. Die Kühlsysteme für die Fusionskammer liefen auf Hochtouren und leiteten die Hitze in die Kühlrippen, die ihre Wärme direkt in das All abgaben. Die Pumpen liefen ohrenbeteubend laut, und schaufelten flüssigen Wasserstoff in die mehrfach redundanten Treibstoffleitungen, welche vor Druck zu platzen drohten. Minuten verstrichen wie Stunden, und alle Menschen auf dem Schiff waren der geleisteten Arbeit der Werftarbeiter hilflos ausgeliefert.
    Drei Minuten vor Ablauf der kritischen Beschleunigungsphase versagte das Kühlsystem der Fusionskammer. Das Notabschaltsystem der Treibstoffzufuhr reagierte innerhalb von Nanosekunden, die Pumpen schalteten ab und die Ventile der Wasserstoffleitungen schlossen sich. Doch eines war durch die enorme Hitze verzogen und dichtete nicht richtig. Durch den Druck innerhalb der Leitung spritzte der restliche Wasserstoff in die überhitzte Fusionskammer.
    Die BSRS Revelation verging in einem sonnenhellen Aufleuchten. Die Besatzung bekam nichts von ihrem Tod mit.







    Erstmal danke an alle, die den Brocken gelesen haben:
    Ich hoffe sie hat euch gefallen. Ich freue mich über Kommentare und konstruktive Kritik. Bitte nehmt euch ein bisschen Zeit und beantwortet mir ein paar Fragen:

    Was hat euch gut gefallen, was weniger gut?
    War sie durchgehend spannend? Welche stellen waren langweilig?
    Waren die Erklärungen verständlich und interessant, oder verwirrend und langweilig.
    Konntet ihr euch die beschriebenen Szenen gut (bildlich) vorstellen?
    Wie fandet ihr die Charaktere?
    Wie ist der Gesamteindruck der Geschichte.
    The Blue Lotus, a legend, I thought a myth
    Old poems and stories gone
    A beauty of unimaginable lust
    Both men's hearts, and Gods, were won
    Skin like milk, an angels face
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    Her hair the blackest of all black
    Stories I thought though, still
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  2. #2
    Treuer SpacePub-Besucher Avatar von Estefan
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    Standard

    Was war gut/schlecht? Alles rein subjektiv...

    Positiv:
    - Relativ knappe (das ist gut - zu langatmige Beschreibungen mag ich nicht), aber anschauliche Beschreibungen - das Restaurant mit dem Sternenfussboden besonders.
    - Viele Dialoge.
    -> Ich konnte mir die Szenen und ihre Hintergründe gut vorstellen.
    - Ein ungewöhnliches "Science"-Element (Neutronensterne auf 500 (&#33 Kilometer Abstand), dass bei naturwissenschaftlich Halbgebildeten wie mir Interesse weckt - wie kamen die Dinger in eine so ungewöhnliche Position, weswegen bleiben sie dort?
    - Es passieren überraschende Sachen (das Antriebsproblem des Shuttles, das Auftauchen des Kreuzers)

    Neutral:
    - Charaktere: Den Captain finde ich ganz interessant, die panische Wissenschaftlerin im Raumanzug hatte zumindest mein Mitgefühl, der Rest hat mich (noch) nicht irgendwie angesprochen

    Negativ:
    - Die Lebensgeschichte des Captains war mir zu langatmig
    - Manchmal fand ichs verwirrend (Kriegen jetzt beide oder blos eine Weltraumspaziergängerin Drogen ins Blut? - irgendwo injiziert sich Frau Leutnant was, auf der Krankenstation findet man aber blois was bei der Wissenschaftlerin)
    - Dass der altgediente Captain Sicherheitsvorschriften missachtet, kam mir irgendwie zu plötzlich


    Alles in allem hat mir die Geschichte gut gefallen - ich finde sie spannend, und bin auch gespannt, wie es mit dieser ungewöhnlichen Zeitmaschine weitergeht, und was noch Unerwartetes auftaucht.
    Radiaton... too much radiation...

  3. #3
    Warmgepostet Avatar von cronos
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    Hallo Estefan

    Erstmal danke fürs Lesen und für deine Kritik.

    Ich muss dich vorerst enttäuschen, die Geschichte ist abgeschlossen und ich habe keine weiteren Stories in dieser Welt geplant. Diese Zeitmaschine basiert übrigens auf einer Theorie von Frank Tipler.

    ps: Fehler und Unstimmigkeiten ausgebessert.

    mfg
    cronos
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  4. #4
    Treuer SpacePub-Besucher Avatar von Estefan
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    Standard

    Abgeschlossen? Wer Farscape kennt, weiß, dass der Tod selten etwas Endgültiges ist, von daher könnts schon weitergehen.

    Vielleicht spaltet diese Maschine den Zeitstrang auch auf in lebendig - tic - und tot - toc...
    Radiaton... too much radiation...

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