Peter Gabriel - Up

Peter Gabriel dürfte jedem hier ein Begriff sein. Der Ex-Sänger von Genesis hat seit 1977 eine eindrucksvolle Solo-Karriere hingelegt und es im Gegensatz zu seinem Genesis-Streitgenossen Phil Collins stets verstanden, Anspruch und Mainstream miteinander zu verbinden und sich selbst treu zu bleiben.

Nach seinem letzten Soloalbum "Us" von 1992 mussten die Fans viel Geduld haben. Gabriel ist bekanntlich jemand, der sich mit seinen Alben sehr viel Zeit lässt. Nach der Ankündigung seines 7. Soloalbums "Up" im Jahr 1995 folgten lange Jahre des Wartens. Vom "Meister" sind aus der Zeit folgende aussagekräftige Zitate überliefert:

"Deadlines are things that we pass through on the way to finishing."- Peter Gabriel
"I always get pregnant when I make records."- Peter Gabriel
"I'm just bloody slow."- Peter Gabriel
"Old men take a little longer to get 'up'."- Peter Gabriel
"Starting is always easy ... finishing is harder."- Peter Gabriel
"Speed is not my strength, diversions are."- Peter Gabriel
"We're intending to release in September - you see I never specify the year."- Peter Gabriel
"If I get hit by a bus tomorrow, there will be an album to put out."- Peter Gabriel
"The time seems to have evaporated."- Peter Gabriel


Letztendlich hat sich das lange Warten gelohnt und Gabriel konnte es im Herbst 2002 all denen zeigen, die ihm keinen neuerlichen Geniestreich mehr zugetraut hatten. 10 Jahre nach seinem letzten Soloalbum (wenn man "Ovo - die Milleniumshow" nicht mitzählt) überrascht er mit einem erfrischend unkommerziellen und unverbrauchten Sound, der sofort als typisch Peter Gabriel erkennbar ist und doch neue "Tiefen auslotet".

Die erste Überaschung erfolgt gleich nach Einlegen der CD. Man sollte nicht den Fehler machen, bei den ersten gedämpften Percussion-Klängen von "Darkness" die Lautstärke zu weit aufzudrehen, sonst erschrickt man sich bei dem folgenden Aufschrei zu Tode.
Die Dynamik ist über die ganze CD wunderbar ausgeprägt. Dem völlig überaschend losbrechenden musikalischen Malstrom folgt wieder eine flüster-leise in sich gekehrte Passage, die sich langsam steigert.. so etwas hat man auf Mainstreamproduktionen lange nicht gehört.
Gabriel setzt hier ein deutliches Zeichen gegen das komprimierte, aller Ecken und Kanten beraubte, gleichförmig-unaufdringliche Sound-Gewaber im Radio und auf aktuellen CD-Produktionen. Ein Wagnis, zu dem man ihm nur gratulieren kann!

Die Dynamik trägt viel bei zur dichten Atmosphäre von "Up", das wie aus einem Guss wirkt. Die Reihenfolge der Songs ist mit viel Bedacht ausgewählt - Peter Gabriel behauptet, er habe zum Schluss gut 150 Songs zur Auswahl gehabt, von denen er 10 auswählte.
Es ergibt sich eine in sich geschlossene düstere Atmosphäre, die einen in den Bann zieht.
Die Produktion ist, wie nicht anders von Gabriel gewohnt, allererste Sahne. Glasklarer unglaublich detailverliebter Sound. Man merkt in jeder Sekunde, wieviel Zeit der "Meister" in die Produktion hat fließen lassen. Es lässt sich auch beim X-ten Hördurchlauf stets etwas neues entdecken - und doch ist die Musik zugänglich und nicht überladen.

Ein weiterer Pluspunkt ist die stilistische Vielfalt der Platte. Man merkt deutlich, dass Gabriel keine Angst vor modernen Einflüssen hat. Zur düsteren Horror-Oper von "Darkness" gesellen sich Worldmusic- / Ethno-Einflüsse und sogar moderne Dancefloor-Rhythmen lassen sich auf "Growing Up" ausmachen. Mein Anspieltip ist das getragene, wunderbar melancholische "Signal to Noise", was nach langsamen Aufbau in einem epischen Finale endet.

"Up" ist insgesamt ein Album, was beim ersten Hören nicht leicht verdaulich ist. Wenn man einmal den Zugang gefunden hat, kann man es dafür wieder und wieder hören, ohne dass man übersättigt wird. Der "Meister" meldet sich auf eindrucksvolle Weise zurück und man hofft auf "mehr" - und das vor 2020.