Angesichts des bedauernswerten Bildungszustandes der Menschheit (wie viele Prozent der 6,7 Mrd. haben schon Zugang zu einem Bildungssystem à la Finnland?) dürfte es noch eine ganze Weile dauern bis Religionen von einer Art weltweitem Humanismus abgelöst werden. Für 90 % ist Religion, sei es Christentum, Islam, Hinduismus oder eine der vielen kleineren Religionen, nach wie vor wichtig für die Selbstidentifikation und Ausgestaltung der Gemeinschaft, Kultur, Brauchtümer und - besonders im Fall Islam - des Rechtssystems. Diese Menschen brauchen eben noch einen Vatergott der Regeln und Normen aufstellt, auf deren Einhaltung pocht, die immer komplexer werdende Welt einfach erklärt und Identität spendet.

Ich habe den Eindruck dass diese Integrationsdebatten bei Muslimen eher den gegenteiligen Effekt haben - sie führen nicht zu mehr Integration, sondern zu mehr und zu konservativerer Identifikation mit der eigenen Religion. Wer von anderen immer nur als Muslim identifiziert und daran beurteilt wird, der beginnt irgendwann sich auch selbst darüber zu identifizieren. So hat z.B. die Anzahl der Muslims welche den Ramadan und die halal-Lebensmittelgrundsätze achten im letzten Jahrzehnt erheblich zugenommen - aus der Minderheit der Muslims die ihre Religion auch wirklich ausleben wurde eine Mehrheit, und das mache ich an äußeren Einflüssen fest.

Das ist für mich vergleichbar mit dem Schwarzen der sich auch über seine Hautfarbe identifiziert, weil sie eben in einer weißen Mehrheitsgesellschaft immer noch Thema und Identifikationsmerkmal ist. Mir als blassem Mitteleuropäer würde es nicht einfallen mich über meine Hautfarbe zu identifizieren oder dieser im alltäglichen Leben auch nur gewahr zu sein. Wer ein Kopftuch trägt oder einen langen Araberbart und dementsprechend misstrauisch von Jedermann beäugt wird, der wird weniger geneigt sein sich in diese Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Er wird sich stattdessen stärker mit der peer group identifizieren, in der er bereits steckt.