Warnung: Ist noch nicht beta gelesen!!! Wenn sich jemand "opfern" möchte, bitte, nur zu.

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Übersetzung zu:
THE DELITESCENT DOORWAY
by analise
[…]
Summary: Set on Earth in a secret government facility, a young woman makes a life-changing discovery.
Feedback: Yes, please. analise@2cowherd.net
Disclaimer: The Farscape characters don't belong to me. Obviously.
Notes: Talk about more work than expected. This undertaking ended up twice as long as and far more fun than its original incarnation. And thank god for that. As always, gushing thanks to Kirby Crow for her usual crackerjack Beta. This time I'd also like to thank Craig for his fabulous comments, even though he's not a fanboy he stuck it out and helped enormously. Thanks sweetie! And as I like to add to my notes, *please* read it all the way through without skipping to the end. Trust me, you won't be sorry. I hope Enjoy!


Deutscher Titel: Verborgene Türen
übersetzt von: Dashan (dashan@scapesisters.com)
Feedback: Gerne.
Fandom: Farscape
Spoiler: keine
Charaktere: John Crichton/Aeryn Sun, OC
Kategorie: Drama
Disclaimer: Farscape ist, meines Wissens nach, Eigentum der Henson Company. Ich leihe mir dieses Universum und seine Charaktere lediglich zu nichtkommerziellen Zwecken aus.
Zusammenfassung: In einer geheimen Regierungseinrichtung auf der Erde entdeckt eine junge Frau etwas, das ihr Leben verändert. Und wie analise schon angemerkt hat, lest bis zum Ende, auch wenn ihr zwischenzeitlich das dringende Bedürfnis verspüren solltet, euch durchs geschlossene Fenster zu stürzen...



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Das kleine Raumschiff tauchte aus einem Schwall strahlend blauen Lichts jenseits des Asteroidengürtels auf und bewegte sich langsam und unauffällig auf den blauen Planeten zu. Gut verborgen unter dem Schutz der Sonnenstrahlen trat es direkt über dem magnetischen Zentrum des Südpols in die Atmosphäre ein. Es flog tief über die Eisflächen Richtung Norden, zu schnell und zu lautlos, als dass es zufälligen Beobachtern hätte auffallen können. Sie hielten sich immer auf der dunklen Seite des blauen Planeten, hatten ihren Anflug so geplant, dass sie unter dem Radar, in der Stille der Nacht fliegen konnten. Als sie das Schiff in den hohen Kiefernwäldern von Maine landeten, hatte außer einigen aufgeschreckten Waldtieren niemand ihre Anwesenheit bemerkt.

Die beiden Personen, die von Bord gingen, er blond, sie dunkel, hatten nicht vor, länger als einige Tage zu bleiben. Sie verbargen das Raumschiff sorgfältig unter einem Tarnnetz, erworben auf einem weit entfernten Planeten, dessen Bewohner Feuer spieen. Sie nahmen jeder eine kleine Tasche mit ihren Habseligkeiten und wanderten zu einer nahe gelegenen, kleinen, rustikal gebauten Hütte, die sich ans Ufer eines Sees schmiegte, der nur für seine Moskitos bekannt war.

Trotz ihrer Sorge um die unbekannten Gefahren, in die sie sich durch ihr Kommen begeben hatten, ließen sich beide einen Moment von der Schönheit des eisigen Herbstabends und dem leisen Sirren der nachtaktiven Insekten gefangen nehmen. Der Schlüssel fand sich an seinem Platz hinter dem Verandalicht, im Schuppen war immer noch Holz und Dosen mit Essen in der kleinen Speisekammer. Als sie schließlich einschliefen in dieser Nacht auf den staubigen Laken des Bettes auf dem Dachboden, fanden sie Geborgenheit in dem Armen des anderen.

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Herbstlaub raschelte und wisperte in einer spätnachmittäglichen Brise, rot und orange und gelb, während es leise zu Boden fiel. Der leise Wind war immer noch warm, aber er brachte schon eine Ahnung von Frost mit sich, eine kleine Erinnerung, dass der Winter nicht mehr fern war und dieser alles andere als mild werden würde. Er erinnerte mich daran, dass ich die Fenster in meinem Appartement noch winterfest abdichten musste. Die Winter in Washington D.C. waren nie besonders freundlich.

Ich bemerke, dass ich immer noch auf dem Parkplatz stand, meine Hände umklammerten die Tür meines Autos. Das Ticken des abkühlenden Hondamotors und das entfernte Brummen des Verkehrs auf der Sternway Avenue vermischten sich fast nahtlos mit dem leisen Lachen der Stare auf einem Baum einige Meter weiter.

Ich holte mich mühsam wieder aus meinen Gedanken, sammelte meine Tasche und die Schlüssel ein und warf die Autotür mit der Hüfte zu. Das Krachen sandte eine regelrechte Schockwelle durch den Baum mit den zeternden Vögeln und seine Krone explodierte in einer Wolke von schwarzen Flügeln, Schatten und empörtem Schimpfen, ein glänzender Walnussbaum im schräg einfallenden Sonnenlicht.

Das Geflatter wirkte berauschend, ich spürte, wie die Fäden meines Bewusstseins ausfransten, sich auflösten, als ich ihr Erschrecken zu berühren suchte. Für einen Augenblick blieb die Zeit stehen, und die Vögel verharrten in der Luft, ein wundervolles Muster aus Schwingen und Sonnenlicht. Mein Blick verschwamm, ich starrte sie an, bis sie nur noch braune Tupfen auf einer blauen Leinwand waren. Abstraktion. Das Leben wurde zu einer Palette von Farben und Schatten ohne jede Bedeutung, außer ich gab ihm diese. Es dauerte nur einen Moment, bis ich fühlte, wie die Kontrolle zurückkehrte, und die Vögel verstreuten sich himmelwärts, als seien sie nie unterbrochen worden. Sie fanden sich wie auf ein unsichtbares Zeichen wieder zusammen und landeten auf den Telefonleitungen, die sich gegen den Himmel abzeichneten. Sie fanden zurück zu ihrem Vogel-Geschnatter, als hätte ich sie nie gestört.

Ich zwinkerte, fand wieder zu mir selbst zurück. Zu erleben, was ich „Freezeframe“ nannte, als ich ein Kind war, war immer wieder unbeschreiblich ermüdend. Die Energie schien aus mir zu fließen wie Wasser aus einem Hahn. Eine Strähne löste sich aus meiner Haarspange und flatterte mir im Wind gegen die Wange, Haar von der Farbe der Stare. Schwarz mit dunklem Braun darin, nur nicht so glänzend. Ich strich mir die freie Strähne zurück hinter mein eiskaltes Ohr, während ich langsam die breiten Stufen hinauf stieg und ins Innere ging, den reizenden Nachmittag mit der klimatisierten Sterilität des Gebäudes G-2 tauschte.

Unwillen, vermutete ich. Das war es wohl, was ich mehr und mehr verspürte, jedes Mal, wenn ich hierher zurückkehrte. Dieser Ort war die einzige Verbindung und die einzige Gemeinschaft, die ich jemals gehabt hatte. Mein Beruf, meine kleine Wohnung, mein Zimmerkaktus, diese Dinge waren lediglich Formen und Begriffe. In diesem kahlen Gebäude hier war ich aufgewachsen, hier waren Menschen, die ich kannte und die mich kannten. Ich verstand intuitiv, dass dies nicht das war, was die Stare dort draußen verband. Es war anders. Hier gab es keine wirkliche Nähe und Wärme für mich. Aber wenn nicht hier, wo dann?

„Dr. Pollson hat Zeit für Sie, Miss Gray.“ Die Wache am Empfang gab mir eine Besuchermarke, nachdem er meinen Ausweis doppelt überprüft hatte, und bedeutet mir, diese an meinem Kragen zu befestigen. „Bitte, setzen Sie sich doch, während Sie auf Ihre Begleitung warten.“ Als ob ich den Weg nicht mit geschlossenen Augen finden könnte. Aber ich kannte diesen Mann nicht gut genug, um ihm dies zu erklären und er kannte mich nicht gut genug, um mir zu trauen. Ich drehte mich also um und meine Schritte hallten durch den Flur. Ich setzte mich auf einen der harten, unfreundlichen, regierungseigenen Stühle. Es gab keine Zeitschriften. Dies war kein Ort, der gemütlich wirken sollte.

Mit übergeschlagenen Beinen ließ ich meinen Blick über die harten Linien des Eingangsbereiches schweifen. Es war nun zwei Jahre her, dass ich die Mauern des Gebäudes G-2 verlassen hatte um aufs College zu gehen, aber nichts hatte sich hier seither verändert. Ich war viele Male zu Besuchen zurückgekehrt und jedes Mal hatte ich erwartet, etwas zu bemerken. Ein Zeichen, dass Zeit vergangen war. Aber es tat sich nichts. Die Konstanz dieses Ortes, sein sich nie veränderndes Aussehen, passte zu meinem Gefühl einer dumpfen Fremdheit. Als ich von hier fort ging, war ich überrascht, dass ich so gar nicht von Bedeutung war. Dass ich hier nie etwas hinterlassen hatte, bei nichts und niemandem um mich.

Es war, als sei ich in einem Traum. Aber ich habe niemals geträumt.

Die Stare bildeten noch immer als eine erstarrte Szene der Schönheit in meiner Erinnerung. Ich schloss meine Augen und lehnte mich zurück, atmete kurz durch. Es war lange her, dass ich das getan hatte, was ich mit diesen Vögeln gemacht hatte. Ehrlich gesagt war mir nicht einmal bewusst gewesen, dass ich es noch konnte. Es war eine Fähigkeit in meiner Kindheit gewesen, eine seltsame, unwillkommene Macht. Etwas, dass mich hoffnungslos anders machte.

Ich konnte mich immer noch an das Gesicht des Pflegers erinnern. Es war so lange her, ich war nur ein Kind, vielleicht sechs Jahre alt, als es das erste Mal passierte. Ein langer weißer Korridor, fensterlose Türen am Ende. Ich wollte nicht dorthin, wo er mich hinbrachte. Diese Versuche taten weh, immer. Er schleppte mich, meine Füße rutschten in Socken auf den glänzenden glatten Bodenfliesen entlang, seine Finger umklammerten schmerzhaft an meine Handgelenke.

Panik löste es dieses erste Mal aus. Meine Selbstbeherrschung zerfranste, ich konnte fühlen, wie sich die weißgetünchten Gänge in meinem Kopf krümmten, ich konnte das Herz des Pflegers schlagen hören, ein Rhythmus gegen meine Haut. Vielleicht konnte er es spüren, vielleicht schaute er auch einfach nur zurück, aber sein Gesicht war mir zugewandt, als es regelrecht einfror. Geräusche verstummten, die Wände flirrten. Es war, als könne ich zusehen, wie sie sich in schneller Folge aufbauten und wieder einrissen. Ich konnte jeden Einzelnen im Gebäude spüren, *wusste*, dass sie an Ort und Stelle erstarrt waren, *wusste*, dass ich dies verursachte.

Ich war zu jung, um zu verstehen, was ich an diesem Tag getan hatte und ganz verstand ich es heute noch nicht. Niemand verstand. Aber der Pfleger wusste, *ich* hatte es verursacht, als ich meine Kontrolle fallen ließ wie eine heißen Kartoffel und seine Bewegungsfähigkeit zurückkehrte. Er ließ meine Handgelenke los, als ob ich verseucht sei und entfernte sich von mir, seine Augen voller Angst und Abscheu.

Jeder hatte mich danach für eine lange Zeit so angesehen. Sogar Beth.

“Miss Grey?” Ich öffnete meine Augen, ließ mich dankbar aus meinen Erinnerungen reißen. Ein junger Soldat mit starren Gesichtszügen war lautlos vor mir aufgetaucht, er schien kaum älter als ich selbst. Ich erkannte ihn wieder von meinem letzten Besuch im vergangenen Monat, aber an seinen Namen erinnerte ich mich nicht.

Ich stand auf und ließ mich vom ihm die kahlen Korridore entlang durch eine Sicherheitstür nach der anderen führen, Kontrollpunkt nach Kontrollpunkt, bis wir durch eine letzte graue Doppeltür aus Metall gingen und den Teil von G-2 betraten, der meine Heimat gewesen war.

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Für den Mann war es leicht, jede Vorsicht zu vergessen. Er war an einem seiner Lieblingsplätze, einem Ort, den er in seinen Erinnerungen oft besucht hatte. Er wollte in diesen Erinnerungen schwelgen, jetzt, wo er endlich hier war, wollte mit der Frau die Erinnerungen an jedes einzelne zerbrochene Brett und auch an die morsche Schaukel teilen. Sie ließ ihm seine Begeisterung, erfreute sich an seiner Nostalgie, auch wenn sie selbst immer wachsam war.

Sie sorgte dafür, dass er im Zeitplan blieb, obwohl sie sich bereits an diesem ersten Tag krank fühlte, sie konnte kaum Nahrung bei sich behalten. Seine Besorgnis über ihr Unwohlsein dämpfte seine Freude mehr, als jede Rüge von ihr, und er verdoppelte seine Bemühungen, ihre Geschäfte hier schnell zu erledigen.

Er traf einem alten Freund, der in dieser Gegend lebte. Dieser sollte als Mittler dienen, da er selbst nichts tun konnte, ohne zu sehr aufzufallen. Er erzählte dem Freund nichts, außer, dass das Telefon in der Hütte nicht funktionierte und der Freund sich bitte mit seinem Vater in Verbindung setzen sollte, diesem mitteilen, dass sein Sohn in der Hütte auf ihn wartete.

Am Ende des ersten Tages ging es der Frau wieder besser. Beide waren erleichtert.

Sie warteten bis in den nächsten Abend hinein auf eine Nachricht. Sie wussten nicht, dass der Freund es nicht geschafft hatte, den Vater des Mannes persönlich zu erreichen. Dass dieser die Geschäftsnummer des Vaters angerufen und dem Berater des Vaters eine detaillierte Nachricht hinterlassen hatte und dass diesem Berater nicht zu trauen war mit vertraulichen Informationen. Der Vater erhielt die Nachricht niemals.

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Meine Heimat, in der Tat. Bis zum heutigen Tag wusste ich immer noch nicht, was in den geheimen Räumen in G-2 wirklich passierte. Ich hatte nie gefragt, in dem Bewusstsein, dass ich nie eine Antwort bekommen hätte. Es war wie ein Mantra meiner Kindheit. ‚Stell keine Fragen.’ Ich hatte es nie getan. Seltsamerweise hatte ich auch nie das Bedürfnis danach.

Die Hochsicherheitsstation von G-2, in der ich aufgewachsen war, bildete einen deutlichen Unterschied zu der eisgrauen Kälte der Korridore und des Eingangsbereiches. Hier gab es Tageslicht, die Spätnachmittagssonne sandte warmes gelbes Licht herein auf ihrem Weg hinunter zum Horizont. Aus einem alten Fernseher am Ende des Raumes hörte ich eine leise kratzige Stimme, leere Stühle standen um ihn herum wie gealterte Groupies. Es gab breite, abgenutzte Couchen hier und da, Tische mit stumpfen Ecken, die am Boden befestigt waren und allgegenwärtig die umherstreifenden, fast ätherisch anmutenden weißen Gestalten der Patienten. Sie saßen auf den Stühlen, an den Tischen, standen an den Fenstern. Hier und dort platziert wie mit Laken verhängte Möbel.

„Bitte, warten Sie hier, Dr. Pollson sagte, sie wird jeden Augenblick hier sein, Dora.“

Ah, er konnte sich also an *meinen* Namen erinnern.

Ich ging in den Raum, meine Finger glitten über einen Fleck auf der Armlehne einer Couch, wo ich vor langer Zeit Traubensaft verschüttet hatte. Aus den Polstern hatte ich Festungen gebaut, während die Patienten ihren Mittagsschlaf hielten. Der Tisch, an dem Beth jeden Mittag Schach mit mir gespielt hatte und es immer noch tat, wenn ich sie besuchte. Erinnerungen trieben um mich herum wie aufgewirbelter Staub, hatten wenig Bedeutung. Es gab also doch Zeichen dafür, dass ich hier gelebt hatte, dass ich wirklich war und keine bloße Erscheinung. War es von eigentlich von Bedeutung, das ich einst hier gespielt hatte?

Meine Augen blieben an einem älteren Mann hängen, der an einem entfernten Fenster stand, er starrte hinaus auf die Blätter, die in der aufkommenden Brise herumwirbelten. Sein weißer Patientenkittel hing an ihm herunter, seine Gliedmaßen waren dünn.

Es war mein Lieblingsfenster, an dem er stand. Man konnte die Spitzen der Brückentürme über die Baumwipfel hinweg sehen und manchmal eine Flagge auf dem Mast eines Segelbootes, das hinaus aufs Meer fuhr, zu einem entspannten Tag. Ich hatte viele Stunden dort auf dem Fensterbrett gehockt, gewartet, um einen flüchtigen Blick auf die Boote zu erhaschen, immer ein wenig neugierig auf die Leben, die dort am Rande meiner Blickfeldes vorbeizogen.

Ich stelle mich leise neben den weißgekleideten Mann, starrte auf den Fluss, der nun da und dort als entferntes Aufblitzen durch die kahlen Baumkronen zu sehen war. Ich konnte mein Spiegelbild auf der Innenseite der Scheibe sehen, durchscheinend, wie der Geist, der ich war. Schmale Gesichtszüge, langes dunkles Haar, zusammengehalten in einer Spange, meine Züge eine helle Maske. Man hatte mich hübsch genannt, sogar schön. Aber genauso war ich als kalt beschrieben worden. Gefühllos. Verrückte und Dämon.

Ich konnte das Spiegelbild des Mannes neben mir ebenfalls sehen, er war vielleicht Ende vierzig oder Anfang fünfzig, es war noch zu erahnen, dass er einmal ein gutaussehender Mann gewesen war. Seine Augen blickten geradeaus, ohne zu blinzeln.

Eine Art Katatonie. Ich hatte keinen Zweifel, [...] wenn ich mit meiner Hand vor seinem Gesicht wedelte, er würde ihr nicht folgen. Merkwürdig, ein Teil von mir wollte wissen, was ihm [...] fehlte. Wie war er hierher gekommen? Wie lange war er schon hier? Warum hatte man ihn hier eingesperrt, weg von der Gesellschaft, aus den Augen der Öffentlichkeit? Aber ich wusste, noch bevor ich diese Gedanken für mich zu Ende formuliert hatte, dass mir niemand diese Fragen beantwortet würde.

‚Stell keine Fragen.’ Dieser Ort hatte den Namen Schattenbasis aus gutem Grund und die verlorenen Seelen hier besaßen keine Identität. Vielleicht ging es mir deshalb ähnlich.

Und doch war ich ein menschliches Wesen, und ich konnte nicht widerstehen, vorsichtig seine Hand zu berühren.

Er rührte sich nicht oder bemerkte mich, und ich belächelte mich im Stillen, es überhaupt versucht zu haben. Mit einem lautlosen Seufzer wandte ich mich wieder der Aussicht zu. Draußen sah ich die Stare, die sich immer noch auf den Telefonleitungen zusammen drängten. In meiner Erinnerung spürte ich jedes ihrer kleinen Vogelherzen schlagen, wie vorhin, als ich das Gefüge von Zeit und Raum, das sie umgab, eingefroren hatte. Vielleicht konnte ich einfach alles beschleunigen, dem Rest meines Lebens im schnellen Vorlauf zusehen, damit ich es nicht mehr ertragen musste, zu leben.

Ich beobachtete das Schimpfen und Plappern der Vögel und verpasste die winzige Bewegung im Spiegelbild des Mannes, als seine Augen plötzlich zur Seite blickten. Er sah mich an.

Als sein eisenharter Griff mein Handgelenk umschloss, fuhr ich zurück vom Fenster, Adrenalin schoss wie eine eisige Welle durch mich hindurch. Er starrte mir ins Gesicht, mit Augen so blau wie meine, nur heller. Wie die blauen Facetten eines Eisbergs.

"Erin?"

Ich war nicht fähig zu sprechen, so intensiv starrte er mich an, Myriaden von starken, unbekannten Emotionen schlugen über mir zusammen mit der Dreistigkeit von Kindern, die um Aufmerksamkeit buhlten. Er schaute... ich konnte nicht beschreiben, was ich sah, als er mich anschaute, aber Schauer liefen mir den Rücken rauf und runter. Meine Nerven lagen blank, meine Gedanken rasten. Irgendwie, auf seine Weise hatte dieser Mann etwas in mir berührt.

Zum ersten Mal in meine Leben fühlte ich etwas in mir. Etwas sehr Starkes, zu umfassend, um es zu begreifen. Und es veränderte alles.

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Sie kamen zwei Tage später vor der Dämmerung, schlichen sich an, kreisten die winzige Hütte mit lautloser Effizienz ein, die von Geheimnissen und Tod und Halbwahrheiten zeugte. Special Forces. Bekleidet mit mattschwarzen Panzern kamen sie, alarmiert von dem Berater, der schon vor Jahren zur Beobachtung des Vaters abgestellt worden war, für den Fall, dass genau dieses Ereignis eintrat. Etwas entfernt saßen Männer in schwarzen Mänteln in einem schwarzen SUV und beobachteten alles durch die Sicherheit von Nachtsichtgläsern.

Alles blieb ruhig in der Hütte. Der Mann und die Frau schliefen fest auf dem Dachboden, ohne die zuschnappende Falle zu bemerken. Sie hatten nur Augen für sich. Sie hatten sich lange, leise und schläfrig, unterhalten, miteinander verschlungen unter den alten Steppdecken, über ihre Krankheit und was sie inzwischen darüber wussten. Es war natürlich die Frau gewesen, die den Grund ihrer Appetitlosigkeit erkannt hatte.

Es sehe ihm ähnlich, sagte sie mit einem Unterton, der einen winzigen Hinweis auf ihre verständliche Angst enthielt, ihr ein Kind zu machen, das sie krank mache. Sie mussten beide leise lachen, aber es war jetzt dringender als zuvor, dass sie so bald wie möglich wieder aufbrachen. Der Mann schlug sogar vor, sofort zu gehen, aber die Frau lehnte ab. Sie hatten einen weiten Weg hierher zugelegt, und jetzt würden sie dies auch durchziehen. Er würde es bereuen, nicht ein letztes Mal mit seinem Vater zu sprechen. Wenn er nicht versuchte, das Wissen um die Gefahren, das er mitgebracht hatte, zu teilen. Wenn er seine Leute nicht warnte, vor dem, was dort draußen war.

Schließlich schliefen sie ein, beide voller Ängste und Hoffnung, fanden sie dennoch Trost im anderen.

Als die Sonne gerade begann, den See mit orange und rosa Streifen zu färben, brachen die schwarz gekleideten Soldaten leise in die Hütte ein. Beide, Mann und Frau, kämpften verbissen, aber es waren zu viele Gegner und schließlich wurden sie doch gefangen genommen.

Ohne großes Aufhebens wurden sie der Obhut der Regierung übergeben.

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“Ihr Name ist Dora, John.“ Die harte Stimme gehörte zu Dr. Beth Pollson, der Frau, die die größte Last meiner Erziehung getragen hatte. Sie war, in fast jeder Beziehung, meine Mutter. Und sie war es, die ich jeden dritten Donnerstag im Monat hier zu einem gemeinsamen Mittagessen besuchte.

Sie löste geschickt seine jetzt wieder schlaffe Hand von meinem Handgelenk und hakte meinen Arm hastig unter, als ob sie fürchtete, er könne mich wieder berühren. „Das ist ziemlich erstaunlich, Dora“, sagte sie knapp, „er hat jetzt seit fast 5 Jahren nicht mehr gesprochen. Du bist tatsächlich zu ihm durchgedrungen.“

Damit beendete sie abrupt die Leidenschaft, diesen Aufruhr, diesen Taumel der Gefühle aus den Zügen des Mannes. Sie beendete es und wandte sich ab. Das war etwas, das sie schon immer konnte. Mit einem einzigen Lidschlag beendete sie die Gefühle anderer Menschen. Aber da war noch etwas anderes, Furcht, ein Geheimnis, unter ihrer kühlen Begrüßung eingerollt wie eine giftige Schlange. Etwas. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es etwas mit dem Mann, mit John, zu tun hatte.

John.

Beth führte mich weg von ihm, aber ich konnte fühlen, wie sich der Blick seiner blauen Augen in meinen Rücken bohrte. Wenn ich diesen Blick hätte beschreiben sollen, hätte ich wahrscheinlich „hungrig“ gesagt. Ich wagte es nicht, zurück zu schauen, obwohl mich etwas dazu drängte. Ich widerstand dem nur durch Willenstärke. Warum nur fühlte ich mich, als ob ich ihn durch mein Weggehen verriet? Dass ich mich selbst verriet?

Wir gingen den Flur hinunter zu ihrem Büro, ließen die Geräusche des Fernsehers hinter uns, der im Gemeinschaftsraum eine alte Aufnahme von Bonanza zeigte. Ich fühlte mich atemlos, wie berauscht.

Wir betraten ihr Büro, wo sie meinen Arm losließ. Sie ging hinter ihren Schreibtisch und holte ein abgenutztes hölzernes Schachbrett hervor. Unser Essen stand bereits auf einem niedrigen Tisch, wo auch Fotos von mir und zwei anderen Personen, die ich lediglich als ihre Verwandten kannte, aufgestellt waren. Ich fragte mich beim Anblick dieser Bilder immer wieder, ob diese namenlosen Menschen von meiner Existenz wussten. Aber im Grunde glaubte ich nicht daran.

Ich setzte mich auf die alte orangefarbene Couch, die, wie Beth gerne versicherte, schon dort gestanden hatte, als sie die Stelle bei G-2 annahm. Der abgenutzte Stoff unter meinen Fingern war vertraut und mich überfielen Erinnerungen. So viel Zeit hatte ich auf dieser alten Couch verbracht, während ich darauf gewartet habe, dass Beth aufhörte zu arbeiten. Buntstifte, die leise über die Seiten meiner Malbücher kratzten. Sie hatte es nie gemocht, wenn ich laut spielte. Ich habe mich schon damals gefragt, warum sie die Bürde des Sorgerechts und meiner Erziehung auf sich genommen hatte, als meine Eltern starben. Sie wirkte so unbehaglich in ihrer Rolle als Mutter.

Sie nahm auf der anderen Seite der Couch Platz und sortierte die Figuren auf dem Spielbrett, als ich begann zu sprechen.

„Wer war dieser Mann?“ Die Worte waren heraus, bevor ich mich bremsen konnte, bevor mir bewusst wurde, dass ich sie nie zuvor irgendetwas gefragt hatte. Das dies schon immer ein Tabu zwischen uns gewesen war. Aber ich hatte niemals etwas so dringend wissen wollen, wie dies.

Beth sah mich lange an, der abgewetzte König und die Dame lagen lose in ihrer Hand, und ich verstand nicht, was ihre Augen in rascher Folge spiegelten. Schock? Angst? Schuld? Scham? Kummer? Ich erkannte keines dieser Gefühle, ich verstand nur, dass sie stark waren und dass sie mich nichts von all dem je hatte sehen lassen wollen.

Ich bedauerte meine Frage nicht. Ich konnte noch immer seinen Blick sehen. So intensiv. Er nannte mich Erin.

Sie sah weg, hinunter auf das Spielbrett, als gebe es dort etwas Wichtiges, fand aber nur die halbfertig aufgestellten Figuren. Warum nur schlug mein Herz jetzt schneller? Warum fiel mir das Atmen schwerer?

Dieses Geheimnis und dieser Mann mit den eisblauen Augen. Es ging hier um ein und dasselbe.

“Du solltest es besser wissen, Dora.” Ihre Kälte kam zurück, sie hatte ihre Fassung wieder. Ein stiller See, dessen Oberfläche keine Unruhe kräuselte. Unwillkürlich setzte ich mich gerade hin.

“Ja, natürlich.” Ich zwang mich zu lächeln, täuschte Gleichgültigkeit vor. Eine Kleinigkeit, mehr nicht.

Die Unterhaltung wandte sich Dingen zu, die wir in der Regel besprachen. Meine Arbeit, mein Leben, meine wenigen Unternehmungen. Wir sprachen nie von ihr, und zum ersten Mal wunderte ich mich über die einseitige Beziehung, die ich mit dieser Frau hatte, die meine Mutter war. Die Geheimnisse, die sie vor mir verbarg, waren schon immer da gewesen, aber ich hatte mich nie dafür interessiert.

‚Stell keine Fragen.’

Sie baute das Spiel auf, wir aßen die belegten Brote, die sie aus der Kantine mitgebracht hatte. Wir sprachen über die Art Dinge, über die wir immer sprachen. Meine steigende Miete. Das kranke Kind von nebenan, das mich nachts wach hielt. Das Wetter. Ich hatte mich nie so leer gefühlt und nie war es mir so bewusst gewesen. Und ehrlich gesagt, wollte ich gar nicht wissen, was Beth gerne aß, ob sie glücklich war mit ihrem Leben, ihren Zielen oder auch mit mir. Ich konnte an nichts denken, als an den alten Mann mit den blauen Augen.

Als Beth schließlich aufstand, um den Anruf eines Pflegers zu beantworten, erhob ich mich automatisch. Unser Spiel war noch nicht beendet, aber ich wusste, dass wir es heute nicht fortsetzen würden. Warum hatte ich nie bemerkt, was für ein Roboter ich geworden war? Hatte Beth mich so erzogen? Oder war ich als gefühlloses Monster geboren worden? Ich spürte immer noch dieses Feuer in den Augen des Mannes, in Johns Augen, es hielt mich irgendwie warm, nur durch die Emotionen, die er in mir ausgelöst hatte.

Beth und ich umarmten uns. Es war unausgesprochen klar, dass unser kurzes Treffen beendet war. Als ich hinunter in ihre blass-braunen Augen schaute, wusste ich plötzlich, dass ich nicht mehr hierher zurückkehren wollte. Ich spürte, dass ein Teil von ihr dies ebenfalls wusste. Es hatte einen Bruch gegeben zwischen uns, durch eine einzelne Frage, die ich niemals hätte stellen dürfen.

Beth verließ ihr Büro, eine kleine runde Gestalt in einem weißen Doktorkittel, die sich zielstrebig den Korridor hinunter bewegte, flankiert von zwei Pflegern. Sie schaute nur einmal kurz zurück, und ich fragte mich, ob sie sich nur vergewissern wollte, dass ich wirklich ging, oder aus einem anderen, mir unbekannten Grund.

Ich atmete durch und schulterte meine Tasche. Auf dem Weg hinaus warf ich einen kurzen Blick in den Gemeinschaftsraum, auf der Suche nach dem Mann, der mich so intensiv angesehen hatte.

Er war nicht mehr dort, das Fenster, an dem er gestanden hatte, zeigte lediglich das klare Muster aus Gittern und nachmittägliches Licht. Eine Welle aus Bedauern und Verzweiflung stieg in mir auf, und ich wehrte mich nicht, seltsamerweise froh, überhaupt etwas zu spüren.

Ein Schritt, ein zweiter, dann lief ich davon, zurück durch den Flur zum Eingangsbereich, ohne auf meine Eskorte zu warten. Ich blickte nicht zurück.

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Der Mann und die Frau wurden am gleichen Morgen getrennt. Fortgebracht in unterschiedlichen Fahrzeugen, betäubt, als klar wurde, dass keiner von beiden sich ruhig in die Gefangennahme fügen würde. Ein Flugzeug wartete schon auf einem kleinen örtlichen Flugplatz, das sie direkt in die Hauptstadt brachte. Man ließ große Suchteams zurück, die den Auftrag hatten, ihr Transportmittel zu finden.

Sie wurden zu einer geheimen Einrichtung gebracht, die als einfache gesicherte Anlage am Stadtrand von Washington D.C. getarnt war. Sie enthielt eines der fortschrittlichsten technischen Labors auf dem Planeten. Unter den Eingeweihten war es als nur als Schattenbasis bekannt. Die hier Eingesperrten wurden zu Geistern, verschwanden aus den Augen der Gesellschaft.

Hierher wurden der Mann und die Frau gebracht und hier wurden sie eingesperrt, in getrennte Hochsicherheitszellen. Keiner von ihnen kapitulierte vor ihren Entführern, sie sprachen nicht, sie fügten sich nicht, sie verweigerten sich einfach. Sie kämpften gegen die einfachsten Dinge, die die Aufseher von ihnen wollten. Bewegung, Essen... Sprechen, sie taten nichts ohne stillen, wütenden Protest oder wild um sich schlagend. Die Tests waren schmerzhaft und endlos, aber sie gaben nicht nach.

Es wurde bald komplizierter für die Frau. Sie konnte ihre Schwangerschaft nicht lange vor ihnen verstecken und sie wurden regelrecht besessen davon. Sie kooperierte immer noch nicht, nicht einmal, als sie begannen zu versuchen, ihr die Dinge zu erleichtern, sie gesund zu erhalten.

Und als sie versuchten, sie zu retten, wehrte sie sich.

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In dieser Nacht träumte ich.

Im Grunde war das wohl nichts Besonderes. Aber ich hatte noch niemals geträumt. Und in dieser Nacht, nachdem ich John-mit-den-blauen-Augen getroffen hatte, hatte ich einen Traum.

Weiße Flure, die Flure von G-2. Die Stille machte taub. Ich konnte meinen eigenen Atem hören. Die leeren Türöffnungen auf beiden Seiten des Ganges wirkten bedrohlich. Schmerz kroch in mir auf und ab, verkrampfte meine Muskeln, schnitt in meine Nerven. Ich konnte nicht schreien. Ich konnte mich nicht einmal bewegen. Eine Stimme war zu hören, meine eigene oder die eines anderen? Schluchzte einen Namen, so sanft, dass ich es mehr fühlen als hören konnte. John, flüsterte sie. John. Der Schmerz in dieser Silbe, der Kummer, die verlorene Hoffnung. Ich konnte es nicht ertragen.

Diese Last aus Trauer und Schmerz ließ mich in meinem Bett hochfahren. Ich saß dort, zusammengekauert, wiegte mich vor und zurück in kurzen Rucken, während mir die Tränen aus den Augen schossen. Und zum zweiten Mal in zwei Tagen verließ mich meine Kontrolle. Wie bei den Vögeln, bei dem Pfleger... bei dem Jungen, der versuchte mich zu vergewaltigen in meinem ersten Studienjahr. Ich fühlte den Herzschlag der Welt langsamer werden, anhalten. Dieses Mal dauerte es nur einen Augenblick. Fast panisch riss ich mich selbst vom Abgrund zurück, war in dieser Situation nicht vorbereitet gewesen auf den Freezeframe. Ich fühlte mich so schon verwirrt genug.

Es dauerte eine Weile, bis ich aus dieser Hysterie herausfand, und dazu in der Lage war, auf dem Nachttisch nach einem Kleenex, für das es eigentlich schon zu spät war, und nach einem Glas Wasser zu tasten. Meine Hände zitterten und ich konnte noch immer deutlich die flüsternde Stimme hören.

Das Geheimnis darin nagte schmerzhaft an mir. Und ich war darüber hinaus, nicht unbedingt wissen zu müssen.

Ich rollte mich aus dem Bett, ging über den knarrenden Holzboden meines Schlafzimmers, um das Fenster zu öffnen. Ich lehnte mich hinaus und spürte das Stechen der nächtlichen Kühle, die auf eine Kältefront hindeutete. Es klärte meine Gedanken ein wenig, beruhigte mich. Ich hatte Angst, wieder schlafen zu gehen. Angst vor einem weiteren Traum.

Angst, dass ich wusste, dass es kein Traum war. Eher eine Erinnerung. Nur...

… nur nicht meine eigene.

Ich wusste, es gab Antworten. Und die hatte Beth.

Und John hatte Antworten. Wer immer er war.

++++

Ich musste Beths Telefonnummer aus meinem kleinen Adressbuch heraussuchen. Ich rief sie nie an, sie hatte mir die Nummer gegeben, als ich aufs College ging, aber es war mir nie notwendig erschienen sie zu benutzen. Ich nahm das Telefon auf den Schoß, setzte mich auf die Kante meiner billigen Couch und starrte auf den schwarzen Telefonhörer in meiner Hand... die mit Bleistift gekritzelte Telefonnummer in meinem Notizbuch.

Warum zitterte ich? Die weißen Wände und der geflüsterte Name und die Verzweiflung und der schmerzhafte Verlust fraßen an mir wie Krebs. Ich musste es wissen und doch... ich zögerte.

Angst? Oder war da ein Kummer tief in mir, den ich nicht wieder hochkommen lassen wollte? Wenn ich jetzt nur den Schatten dieses *Dinges* spürte, wie würde sich dann die Wahrheit anfühlen? Eine Träne tropfte auf die Tasten des Telefons, das ich umklammerte und ich ließ den Kopf hängen.

Momente verstrichen, die einzigen Geräusche in meiner Wohnung waren das Brummeln des alten Kühlschranks und das Ticken der Wanduhr. Das gedämpfte Brummen eines Autos, das draußen vorbei und dann krachend in Schlagloch an der Ecke fuhr, holte mich zurück in die Wirklichkeit. Ich biss die Zähne zusammen und wählte langsam die Nummer.

Es klingelte vier Mal, bevor abgenommen wurde. Beths Stimme klang desorientiert und schläfrig. Es war immerhin drei Uhr morgens.

“Hallo?” In ihrer Stimme schwang leichte Besorgnis mit, niemand nahm so spät in der Nacht das Telefon ab, ohne eine gewisse Angst, ob etwas Schreckliches passiert sein mochte. Ich ging einfach davon aus, dass etwas geschehen war.

„Beth?” Wegen meiner Angst klang meine Stimme gedämpft und brach. „Hier ist Dora.“

Eine lange Stille folgte. Mir war klar, dass sie wusste, warum ich anrief. Ich, die niemals angerufen hatte, außer dem einen Mal, als ich eine Empfehlung für meinen Job in der Bücherei brauchte.

„Was ist los, Dora? Es ist früh. Ist alles in Ordnung?”

Sie wusste es, verdammt. Warum zwang sie mich dazu? Warum musste ich betteln?

“Bitte, Beth.” Ich konnte kaum ruhig sprechen. “Ich habe geträumt.”

Sie wusste, was das hieß. Sie wusste, ich hatte nie geträumt, nicht in den zwanzig Jahren meines Lebens. Ich konnte mich an eine Zeit erinnern, als sie einen Spezialisten angeschleppt hatte, der mit mir darüber sprechen sollte. Ich war damals elf Jahre alt.

Es wunderte mich nicht, dass Beth mich nicht nach der Art meines Traumes fragte. Stattdessen schwieg sie. So lange, dass ich schon fragen wollte, ob sie noch da war, als sie schließlich sprach.

“Triff mich am Gebäude, Dora. Ich werde dort sein.“

Dann legte sie auf, ließ mich alleine auf das summende Telefon starren, das Herz schlug mir bis zum Hals.

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Der Mann wusste, wann es passierte. Die Wissenschaftler amüsierten sich darüber, aber keiner von ihnen war immun gegenüber der Trauer, die ihn überwältigte. Aber natürlich waren sie nicht hier, um Mitleid mit ihm zu haben. Zuerst tobte er. Dann versank er in Verzweiflung. Schließlich… gab er auf.

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Das Gebäude war dunkel, die Vögel lange fort, als ich den Fußweg entlang ging. Beth stand am oberen Ende der Stufen im Schatten, einen langen Mantel über der hastig zusammengesuchten Kleidung. Ihr Haar war lose in eine Spange gefasst. Ich hatte sie nie so zerzaust gesehen. Niemals. Sie wirkte beinahe wie eine Fremde.

Als ich näher kam, sah ich, dass sie mir nicht nur wegen ihrer Kleidung fremd war. In ihren Augen war etwas, das ich nie zuvor gesehen hatte. Ich atmete schneller. Ich wusste, sie würde mir alles erzählen.

Mit ihrer Ausweiskarte kamen wir in das Gebäude, und sie zeichnete unser Kommen bei der Nachtwache ab. Niemand fragte nach ihren Absichten oder nach meiner Anwesenheit. Unsere Schritte hallten durch die leeren, düsteren Korridore. Beth sah mich nicht an, sie ging nur vor mir her. Ich fragte nicht, wohin, folgte ihr nur.

Ihr Büro. Sie setzte sich, hackte eine Reihe komplizierter Dinge in das System, als es hochgefahren war, das grüne Schimmern des Bildschirms beleuchtete ihre weichen und müden Gesichtszüge. Ich sah sie an, studierte sie. Ich wusste, sie war nicht wirklich meine Mutter. Und das nicht nur aufgrund der fehlenden emotionalen Bindung zwischen uns. Es war etwas nicht Greifbares. Nicht zu fassen. Aber in dieser Nacht, gerade jetzt, wurde mir zum ersten Mal klar, dass sie mich liebte. Ich konnte es in ihren Augen sehen, auch als diese nur auf den Bildschirm des Computers starrten und nicht mich ansahen. Ich dachte, zum ersten Mal verstand ich das wirklich.

Oder es war das erste Mal, dass sie es zeigte.

Sie drückte die Enter-Taste und stand abrupt auf, erschreckte mich. Sie streckte ihre Hand aus und ich nahm sie, ließ mich von ihr an den Computer ziehen, ließ mich von ihr in den Stuhl drücken.

Ich sah auf den Bildschirm. Und schnappte nach Luft.

Er war jünger auf diesem Foto, es war vor vielleicht zwanzig Jahren aufgenommen oder noch früher. Er sah sehr gut aus, die Sorte gut aussehend, die man in Marlborough Werbung sieht oder in Fernsehspots. Er war kräftig. Der Mann, den ich getroffen hatte, verblasste im Vergleich dazu. Das Leben war aus seinen Zügen verschwunden. Aber seine Augen waren dieselben.

Sein Name war John Crichton.

Meine Hände zitterten, und ich wandte mich nicht vom Bildschirm ab, um Beth anzusehen. Stattdessen las ich die Akte, verschlang sie regelrecht.

Konnte es kaum glauben.

Kontakt zu Außerirdischen? Außerirdische Mikroben? Außerirdische Biotechnologie? Außerirdisch?

Aber dort stand es, in kalten schwarzen Lettern auf weißem Hintergrund. Sauber geschrieben neben allgemeinen Informationen wie Blutgruppe und Haarfarbe. Irgendwie fand ich die Erkenntnis, dass außerirdisches Leben existierte, das es hier gewesen war, dass wir dort gewesen waren, fast unerheblich gegenüber der Tatsache, dass es um *ihn* ging. Er hatte diese Dinge getan. Und er hatte schließlich den Weg zurück nach Hause gefunden.

Und Beth und die anderen hatten ihn für den Rest seines Lebens in einer geheimen Regierungseinrichtung eingesperrt.

Meine Handflächen schmerzten, und ich bemerkte, dass ich meine Fäuste in meinem Schoß ballte, während ich den Blick des Mannes auf dem Monitor erwiderte. Ich warf einen Blick auf was immer ich mir selbst zugefügt hatte und als ich nach unten schaute, sah ich etwas aus dem Augenwinkel. Ein Link zu einer weiteren Akte mit einem Namen. Aeryn. Mein Atem stockte.

Erin?

Ohne Zögern, aber mit zitternden Fingern, klickte ich darauf. Der Schirm füllte sich mit Informationen. Unzählige Details, hunderte Querverweise zu Akten über innere Organen und zu DNA Untersuchungen. Ergebnisse über Ergebnisse von Bluttests. Des Weiteren zu neuralem Gewebe und unzähligen Studien über Gehirnfunktionen. Ich sah nichts davon.

Alles was ich sah, war das Foto und darauf war ich.

Ich legte meine Hand auf den Mund, unterdrückte ein aufkommendes Schluchzen. Ich schmeckte Blut, meine Zähne hatten die weiche Haut in meinem Mund eingerissen. Ich musste gar nicht weiter lesen, ich wusste alles.

Und ich wusste, was ich zu tun hatte.

So wie Beth.