So ungefähr in der fünften Klasse ging ich durch eine Phase, in der mich surrealistische Bilder sehr faszinierten. Damit meine ich jetzt kein kunsthistorisches, ästhetisches oder intellektuelles Interesse, sondern das Gefühl einer tiefen Verbindung, wenn ich mir, z.B., Bilder von Dalí oder Magritte anschaute. Während diese Maler später für mich etwas an Reiz verloren - vermutlich, weil sie heutzutage an jeder zweiten Wartezimmerwand und auf jedem zweiten Notizbuch zu finden sind - hat meine tiefe Faszination mit surrealistischen Motiven eigentlich nie wirklich nachgelassen. Ja, man könnte sagen, daß sie eine der Hauptmotivationen meines Interesses am Fantastischen sind.

Die Wikipedia hat zum Surrealismus unter anderem das hier zu sagen:

"Der Surrealismus war eine künstlerische und literarische Bewegung des 20. Jahrhunderts, die sich vom psychoanalytischen Begriff des Unbewussten inspirieren ließ. Die Bewegung hat also versucht das Unbewusste darzustellen, indem sie Traum und Realität miteinander verschmelzen ließ."

http://de.wikipedia.org/wiki/Surrealismus

Bis heute sprechen mich Motive und Elemente in der SF und Fantasy besonders stark an, die einen traumartigen Charakter haben. D.h. z.B. verblüffende, nicht unmittelbar logisch nachvollziehbare Verbindungen für sich genommen 'normal' erscheinender Gegenstände/Situationen/Personen/Eigenschaften; (scheinbare) Unendlichkeit; extreme Vergrößerung oder Verkleinerung; 'künstlich' wirkende Umgebungen; Dinge, die unbegreiflich scheinen aber dennoch einer inneren Logik zu folgen scheinen - alles, was dazu beiträgt, eine traumartige oder rauschartige Atmosphäre zu erzeugen.

Beispiele:

- Regen im Wohnzimmer und der fließende Übergang in die zugehörige Kindheitserinnerung sowie ähnliche Szenen (sich verwandelnde oder zerfallende Häuser etc.) in Eternal Sunshine of the Spotless Mind (Vergiss mein nicht). (Film)

- Und wo wir gerade schon bei Jim Carrey-Filmen sind: Die gesamte Grundsituation der Truman Show, insbesondere die Szene, wo Truman den Himmel berührt, die Szene, wo der Scheinwerfer vom Himmel fällt, und die extreme Sauberkeit der ganzen Stadt. (Film)

- Die aus dem Boden wachsenden oder schrumpfenden Gebäude in Dark City. (Film)

- 'Drachenkinder' in Naru Taru - lebende, fliegende Kreaturen, die aussehen wie die Skelette riesenhafter, fremdartiger Monster. (Manga)

- Die unendlich scheinende Megastruktur in Blame - eine künstliche Umgebung, die so groß ist, daß darin Stämme und Völker von Menschen teilweise so weit voneinander entfernt leben, daß sie noch nie voneinander gehört haben. (Manga)

- Das gelatineartig fest werdende und in Säulen und anderen Formen emporwachsende Meer in Aldebaran, außerdem die Sauberkeit und das fast durchgehend gute Wetter der ganzen Welt dort. (Comic)

- Die Gigantomanie der Technik bei Iain M. Banks - bei Banks ist irgendwie alles Technische zehntausend Mal größer als vorstellbar, z.B. gigantische Schiffe, die auf einer noch gigantischeren ringförmigen Struktur im Weltraum fahren, die so groß ist, daß es darauf Ozeane und eine Atmosphäre gibt. (Romane)

- Der 'Eierkrieg' in der Nikopol-Trilogie, wo sich rätselhafte Fraktionen anscheinend mit gigantischen außerirdischen Eiern beschießen, und das mitten in Berlin in einer nahen Zukunft - es wird nie wirklich erklärt, was es mit diesem Krieg auf sich hat, er dient lediglich als Hintergrund. (Comic)

- Statuen so hoch wie Berge; Geschöpfe, die nur ein Fetzen Nacht zu sein scheinen und Leuten in die Nase kriechen; unendliche Sonnensegelschiffe im All in The Book of the New Sun und The Urth of the New Sun. (Romane)

- Die von seltsam mißverstandenen Fetzen der Erinnerung an unsere Gegenwart durchzogene fremdartige, zeitlich nicht einordbare, aber dennoch recht deutlich irdische Welt von Finder. (Comic)

- Die leere Stadt, in der schattenhafte Menschen mit Harpunen die Schatten von Riesenfischen jagen in Angel's Egg. (Anime)

- Der Turm, der bis in den Himmel reicht in Beyond the Clouds. (Anime)

- Die Eisenbahn, die auf dem Meer fährt und deren Passagiere bloß Schatten sind in Spirited Away (Chihiros Reise). (Anime)

- Die Art, wie William Blake in Dead Man in traumwandlerischer Apathie Menschen tötet, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu fragen, weshalb - um anschließend genauso selbstverständlich seinen eigenen Tod hinzunehmen. (Film)

- Praktisch alles in der Welt von Cordwainer Smith. (Roman/Kurzgeschichten)

- Ebenso praktisch alles in der Welt von Philip K. Dick. (Romane/Kurzgeschichten)

Wie sieht es bei Euch aus? Könnt Ihr diese Faszination nachvollziehen? Teilt Ihr sie? Oder schreckt Euch sowas eher ab? Und würde Ihr sagen, daß SF und Fantasy an sich eine Menge mit dem Unbewußten zu tun haben?