division One – chapter 3

Licht kitzelt an meinen Augenliedern und zwingt mich vorsichtig zu blinzeln. Es ist zu grell um meine Augen offen zu halten. Sie verengen sich wieder zu ganz kleinen Schlitzen. Ein steriler Geruch wie in einem Krankenhaus zieht in meine Nase. Ich zucke kurz zusammen als ein kleiner Luftstoß meinen Körper berührt. Mir ist kalt und dem Luftzug zufolge liege ich nackt hier. Wo auch immer hier ist. Angestrengt versuche ich meine Augen zu beherrschen um ein Bild von meiner Situation zu bekommen. Wie wenn man das Radio langsam aufdreht melden sich nun auch meine Ohren. Doch mehr als ein Piepston der regelmäßig piepst ist nicht zu hören. Mein Bild von dieser Situation vervollständigt sich in meinem Kopf. Steriler Geruch, grelles Licht, ein regelmäßiges Piepsen… ein Krankenhaus.
Die Augen gewöhnen sich langsam an das grelle Licht und senden erste verschwommene Bilder an mein Gehirn. Viele weiße Flächen, die meinen Verdacht vom Krankenhaus bestätigen. Da ist noch etwas. Eine Silhouette. Es handelt sich um eine Frau. Eine Krankenschwester?
„Guten Morgen Mr. Eargon.“, eine sanfte Stimme erklingt in meinem Ohr und obwohl ich nicht erkennen kann, dass die Krankenschwester spricht, ist mir durchaus bewusst, dass es ihre Stimme sein muss.
Ich versuche ein mit einem „Guten Morgen“ zu antworten, doch es reicht nur zu einem gekrächzten „N… morgn“.
„Ich weiß, dass Ihnen das Sprechen sehr anstrengend für Sie ist, Sie müssen sich allerdings dazu zwingen um Ihre Stimmbänder wieder zu trainieren. Wie geht es Ihnen? Sind Sie schmerzfrei?“
Über diese Fragen habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich zögere einige Momente um festzustellen wie es meinem Körper geht und ob irgendwelche Schmerzen, die ich bis jetzt verdrängt habe, auftauchen. Nachdem keine Beschwerden auftreten versuche ich erneut zu antworten: „E… Es“, ich schlucke, „Es geht… ganz gut.“
Es könnte Einbildung sein, doch es scheint als zaubert diese Antwort ein schmales Lächeln auf das Gesicht der Frau.
„Das freut mich zu hören Mr. Eargon. Mein Name ist Ann Merch und ich bin Ihr Probas. Das heißt ich bin so etwas wie eine Mischung aus Bewährungshelferin und Psychologin. Aber keine Angst das ist alles nur Routine arbeit. Sie sind in keinerlei Schwierigkeiten von denen ich wüsste.“, sie versucht das ganze witzig rüberzubringen, verkrampft aber zu sehr.
Diesmal nicke ich nur kurz mit dem Kopf, und bin überrascht dass es funktioniert, ehe sie ihre Ansprache fortsetzt.
„Meine Aufgabe ist es Sie wieder in das Leben resozialisieren. Wir sind mehr oder weniger Partner für die Zeit die Sie brauchen um einen Job, eine eigene Wohnung und Ähnliches zu finden. Ich muss ihnen jetzt einige Dinge die für Sie sehr schwer zu glauben sind. Was ist das letzte woran Sie sich erinnern können?“
Meine Stirn muss sehr angestrengt aussehen, zumindest wenn es nach dem geht wie sehr ich darüber nachdenke, was meine letzte Erinnerung ist. Es kommt mir vor als habe ich stundenlang geschwiegen als es mir plötzlich wieder einfällt.
„Operationstisch… Wartezimmer… Dr. Pasperon… Dr. Arnolds… Leben als alternative zum Tod… Naevisus… Naevisus…“, keine Ahnung wie oft ich Naevisus wiederholt habe, aber Ann Merch dürfte zufrieden sein.
„Sie sind, mehr oder weniger, noch immer im Naevisus Gebäude. Ihre Identität wurde wiederhergestellt. Da es zu dem Zeitpunkt ihres Backups noch keine ‚Körperwunschlisten’ gab, steckt Ihre Identität nun in einem Standard Körper. Ich werde Ihnen nun einen Spiegel vorhalten. Sie werden sich in diesem Spiegel selbst sehen, auch wenn Sie sich anders in Erinnerung haben. Es könnte Sie in einen Schockzustand versetzen. Versuchen Sie sich also zu entspannen. Verstehen Sie was ich Ihnen sagen will?“
Natürlich habe ich keine Ahnung was das alles soll, dennoch erwidere ich ein simples „Ja.“, das sich schon überraschend gut anhört, da sich meine Stimmbänder scheinbar langsam erholen.
Die Frau steht auf und verschwindet kurz hinter einem Schrank. Kurz darauf kommt sie mit einem Spiegel zurück.
„Sind Sie bereit Mr. Eargon?“
Ich nicke kurz und merke wie mein Puls höher schlägt, da das Piepsen schneller und in meiner Empfindung auch lauter wird. Sie bewegt den Spiegel so, dass ich mein Gesicht darin erkennen kann. ‚Mein’ Gesicht.
Jetzt kann ich mit Sicherheit sagen, dass mein Gesicht kreidebleich ist.
„Alles in Ordnung Mr. Eargon?“
Mein Mund öffnet sich und ein Ja stößt hervor, doch es scheint als habe mein Mund diese Anweisung nicht von mir. Es ist nicht in Ordnung. Das bin nicht ich. Ein stechender Schmerz in meinem Kopf setzt ein.
Ms. Merch hat wohl gemerkt dass ich den Anblick nicht weiter ertrage und lässt den Spiegel wieder verschwinden.
„Wollen Sie ein Beruhigungsmittel?“
Ich schüttle den Kopf.
„Mr. Eargon“, eine kurze Pause bevor sie weiter spricht: „das ist nur der Anfang. Es ist meine Pflicht Ihnen noch mehr zu erzählen. Ich fürchte es könnte Sie beunruhigen. Sollen wir es für den Moment belassen und erst morgen weitermachen.“
„Ms. Merch, es ändert nichts daran ob Sie es heute oder morgen sagen. Also lassen Sie uns einfach weitermachen.“
Sie nickt und was danach folgt klingt alles sehr seltsam und ich weiß nicht ob ich alles richtig verstanden habe…

„Ich bin darauf spezialisiert zurückgeholte Menschen zu betreuen. Das wichtigste ist dass wir beide uns vertrauen, auch wenn ich für den Anfang eine wildfremde Frau für Sie bin. Ich werde Ihnen ein wenig von mir erzählen und dazwischen immer wieder etwas von der Welt die Sie da draußen erwartet. Es ist ein hartes Stück arbeit das alles zu verarbeiten. Mir ist das bewusst. Wenn Sie das Gefühl haben nicht mehr zu können sagen Sie es mir bitte und wir brechen für den Moment ab.
Wie sie bereits wissen ist mein Name Ann Merch. Der Körper den Sie sehen ist 24 Jahre alt. Tatsächlich bin ich aber bereits 82. Auch ich bin bereits gespeichert und wieder zurückgeholt worden. Bereits zweimal. Ich weiß also was es heißt diese Strapazen über sich ergehen zu lassen. Der Grund warum meine Identität das erste Mal gespeichert wurde, war eine Krankheit. Aids um genau zu sein. Ich war bereits im Endstadion der Krankheit und die Ärzte gaben mir nur noch einige Tage zu Leben also stimmte ich dem Backup zu. Zu diesem Zeitpunkt war ich Psychologin und nachdem Naevisus in meinen zweiten Körper steckten, heuerten sie mich an für Naevisus zu arbeiten. Es begann meine erste Zeit als Probas. Ich habe drei Leute betreut ehe der Aufruf kam, dass sich alle Naevisus Mitarbeiter den „circle of life“ Chip implantieren lassen müssen. Wie sich herausstellte war es mein Glück, denn mein zweiter Körper hatte… Nunja… irreparable Schäden. Meine Identität wurde also erneut gespeichert und in einen neuen – diesen – Körper gesteckt. Es ist schwer sich an diesen neuen Körper zu gewöhnen. Ich konnte mich Jahrelang nicht dazu überwinden in einen Spiegel zu sehen, doch irgendwann war es mir egal. Es kommt nicht auf den Körper an. Es kommt darauf an welcher Geist in diesem Körper steckt.
Ich hatte noch einen Fall den ich bearbeiten musste bevor ich Ihnen zugeteilt wurde. Mein wissen um Ihre Zeitepoche hilft mir Sie bestens auf die ‚neue’ Welt vorzubereiten.
Wir befinden uns in einer so genannten Circlotron Stadt. Eine Stadt die Ringförmig aufgebaut ist. Es handelt sich dabei um 7 Ringe. Im Prinzip ist es ganz einfach. Je höher Sie sozial gestellt sind, desto weiter sind sie von dem inneren Kern der Stadt weg. Der Grund warum sich die wichtigen Unternehmen und Regierungsgebäude sowie die Sozial höher gestellten im äußeren Ring sind ist im Prinzip ganz einfach: Während dem Krieg, von dem ich Ihnen später erzähle, wurden viele Bomben geworfen die eine sehr große Reichweite hatten. Die Circlotron Städte sind so aufgebaut, dass wenn eine Bombe einschlägt, die Regierung im Äußeren Ring immer noch mindestens 3-4 Gebäude hat um weiter zu funktionieren. Sollte eine Bombe direkt im Kern der Stadt einschlagen wären die beiden Äußeren Ringe komplett verschont.
Aber lassen Sie uns die politischen Dinge und den Krieg für später aufheben. Lassen Sie mich einige Dinge über sich selbst erklären.
Wie jeder Naevisus Mitarbeiter haben auch alle Leute die wieder Restored wurden den „circle of life“ Chip integriert. Sie sehen an ihrem linken Unterarm. Er zeigt die Zeit an, die Ihr Körper biologisch überleben kann. Das heißt aber nicht dass Sie bis zum Ablauf der Zeit unsterblich sind. Nein. Sie können sich beim stolpern das Genick brechen und Ähnliches. Die Zeit zeigt im Prinzip die Dauer Ihres Lebens bei idealen Bedingungen an. Wenn Sie über genügend Geld verfügen, können Sie sich vor Ablauf der Zeit einen neuen Körper erkaufen und Ihre Identität nochmals speichern und wiederherstellen. So haben Sie im Prinzip die Chance auf ein unendliches Leben. Theoretisch.“

Sie sieht mich etwas seltsam an und zieht ihre linke Augenbraue hoch.
„Sie können mir nicht mehr folgen oder?“
Ich versuche ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern.
„Es ist sehr viel Information und es klingt alles reichlich seltsam.“
„Okay Mr. Eargon. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir hören heute auf mit der ‚Belehrung’. Dafür hole ich Ihnen einen Arzt der mit Ihnen das Gehen trainiert. Wenn Sie erstmal gehen können, hole ich Sie ab und zeige Ihnen die Welt und wir beginnen mit der Resozialisierung. Einverstanden?“
„Danke Ms. Merch!“, sage ich sichtlich erleichtert.
„Wir werden noch viel Zeit miteinander verbringen, also nennen Sie mich bitte Ann.“
Ich lächle erneut bin aber zu erschöpft eine Antwort zu geben.

Ann steht auf und verschwindet aus dem Raum. Ich fühle mich etwas verloren und starre auf meinen Unterarm. Die Zahlen die langsam runterzählen verstärken dieses unangenehme Gefühl. Doch da ist noch etwas anderes. Eine gewisse Neugierde…