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summerwine
26.06.2009, 19:28
Diese Geschichte ist komplett aus meinem Buch Valongatu Insights entnommen. Valongatu Insigts ist eine Kurzgeschichtensammlung aus dem Valongatu Universum.

Zug um Zug
Separationskriege
2 vpgz.

Die Landschaft war bis zum dunklen, in Nebelwolken gehüllten Horizont mit allen Arten von Kratern und Trichtern übersät. Im Dauerregen, der aus dem düsteren, wolkenverhangenen Himmel fiel, hatten sich in den Trichtern glucksende Tümpel gebildet. Einige so klein und flach wie seichte Teiche, andere dagegen weit und tief, als seien es große Seen. Die lehmige Erde dazwischen war morastig und durchweicht – ein vom endlosen Trommelfeuer gezeichneter Boden, erschöpft und verstümmelt. Das Land war um und umgewühlt, bis es einem endlosen traurigen Acker glich, unfähig, auch nur das primitivste Leben zu tragen. Alle Vegetation war verschwunden, und kahle Hügel und Täler bestimmten das triste Bild. Ein Inferno, grau in grau.
In einer natürlichen Senke erkannte Awed eine Ansammlung von Containern und Baracken. Fahles gelbes Licht schimmerte hinter quadratischen Fenstern und spiegelte sich im nassen Schlamm. Er spähte durch das Cockpitfenster seines Raumschiffes, an dessen Scheiben die Regentropfen in langen, zittrigen Bahnen entlang liefen. Während das Schiff langsam herabschwebte, sah er schwach beleuchtete Wege, die sich mittels schwimmender Pontons zwischen den Baracken hindurch schlängelten. Nach einer Weile fand Awed den großen Flugplatz nahe einer bizarr aufragenden Ansammlung von Radarkuppeln und Antennen. Wegen der angeordneten Funkstille musste er sich ohne Leitstrahl oder den hilfreichen Anweisungen der Flugsicherung einen Platz suchen, wo er seine wuchtige Amy Sue landen konnte. Er kreiste eine Weile über dem Platz, bis er eine kleine Lücke zwischen zwei überdimensionierten gepanzerten Frachtern ausmachte, die mit viel Vorbehalt als Landeplatz in Frage kam. Vorsichtig begann er mit der Landeprozedur und brachte es schließlich mit Mühe fertig, auf der kleinen Fläche aufzusetzen.
Endlich schaltete er den Antrieb ab, der seit Tagen ohne Unterbrechung gelaufen war. Als die leuchtenden und summenden Anzei-gen erloschen, meinte er einen dankbaren Seufzer zu vernehmen, bevor sich Stille ausbreitete. Wie fremdartig und erholsam empfand er diese Ruhe, nachdem die unentwegt atmende Maschinerie heruntergefahren und zum Stillstand gekommen war.
Awed zog sich hohe Stiefel und einen schweren Regenmantel an, streifte die Kapuze über und verließ das Schiff.
Prasselnd klatschten die stärker gewordenen Schauer auf ihn herab. Die hastig aufgegossene Betonfläche des Flugfeldes war uneben; zahl-lose tiefe Wasserlachen hatten sich darauf angesammelt. Awed eilte über das umzäunte Rollfeld auf den Ausgang zu, wo ein großes Schild den Weg zur Kommandantur wies. Über die schwankenden Pontonwege kam er nur langsam voran. Immer wieder musste er innehalten und um sein Gleichgewicht kämpfen. Es gluckerte und schmatzte satt, wenn er über die hölzernen Planken lief, graubrauner Schlamm spritzte ab und an zwischen ihnen hindurch. Bald war Awed so mit Dreck besudelt, dass selbst der heftige Regen ihn nicht mehr fortzu-waschen vermochte.
So erreichte er eine Gruppe von Soldaten, die ihm, miteinander ins Gespräch vertieft, den Weg versperrten. Er wusste sofort, dass die gelangweilten Soldaten seine Situation ausnutzen würden, um sich ein wenig Abwechslung zu verschaffen. Und tatsächlich, so wie er es vorausgesehen hatte, machten sie keine Anstalten den Weg freizugeben, der, obwohl nicht sehr breit, genug Platz geboten hätte, ihn mühelos passieren zu lassen. Doch die fünf Männer, von denen einer ein hoch aufragender Akkato war, ignorierten Awed und führten einfach ihre Unterhaltung fort.
„Könntet ihr mich vorbeilassen?“, machte sich Awed endlich bemerkbar, und tatsächlich unterbrachen sie ihr Gespräch. Der große, pferdegesichtige Akkato bedachte ihn mit einem abschätzigen Blick.
„Frag uns lieber, ob wir das wollen“, grunzte der Akkato in einem breiten Dialekt. Seine Kumpanen lachten laut; einer schlug dem hü-nenhaften Geschöpf auf die Schulter. Erst jetzt konnte Awed erkennen, dass er an einer Art Pfeife gesogen hatte, die er in seinem Mantel verborgen gehalten hatte. Nun blies er den Rauch aus der Nase und hüllte Aweds Gesicht damit ein. Der Tabak, oder was immer es auch sein mochte, roch widerlich. Nur mit Mühe überwand er einen starken Hustenreiz.
„Paß bloß auf.“ Der Akkato trat einen Schritt näher. „Unsere Laune ist so schlecht wie das Wetter und wenn dich nicht der Blitz erschlägt... Dann tu ich das vielleicht.“
Nach diesen Worten starrten die beiden einander lange an. Dann aber schien der Akkato das Interesse an Awed zu verlieren, wendete sich wieder ab und das Geplauder mit seinen Kammeraden ging weiter.
Schließlich machte Awed einen Schritt zur Seite und stieg hinein in den Schlamm. Sofort sank er ein; tiefer als erwartet. Bis zum Knie reichte ihm nun die zähe, schwammige Erde, und es war ihm fast un-möglich, einen weiteren Schritt zu tun, so kräftig saugte der schmie-rige Brei an seinen Beinen.
Die Soldaten lachten und kicherten wie Schuljungen über einen ge-glückten Streich. Dann trollten sie sich und waren schnell außer Sicht. Awed mühte sich unterdessen ab, wieder auf den Pontonweg zu ge-langen, und es dauerte etwa zehn Minuten, bis er es endlich geschafft hatte. Danach ärgerte er sich darüber, nicht den Mut oder die Tollkühnheit aufgebracht zu haben, sich auf einen Streit einzulassen. Den Akkato hätte er mit einigen geschickten, überraschenden Schlägen niederstrecken können. Immerhin war ihm so etwas schon einmal gelungen, aber das war schon eine Weile her. Seine Spezialausbildung wäre ihm in dieser Hinsicht bestimmt von Nutzen gewesen. Aber bei all seinen Überlegungen fiel doch sehr ins Gewicht, dass er viel zu müde und erschöpft war, um sich auf einen Kampf einzulassen. Wie fertig ich doch bin, dachte er bei sich.
Er fluchte und erinnerte sich daran, wie er vor etwa zwei Monaten hier gewesen war. Die schreckliche Hitze damals war ihm noch gut im Gedächtnis geblieben. Um die endlose Langeweile zwischen den Gefechten zu überbrücken, hatte General Dazzin angeordnet, das Lager immer wieder aufs Neue ab- und wieder aufzubauen. Eine schweißtreibende und harte Arbeit, die Awed damals als reine Schikane betrachtet und ihm Mitleid mit den Soldaten abverlangt hatte. Nun allerdings sah er die Sache anders und wünschte, dem General wäre etwas noch Perfideres eingefallen, um seine Leute jetzt, während der gegenwärtigen Schlechtwetterperiode, beschäftigt zu halten.
Noch immer hatte der Regen es nicht fertig gebracht, den Schmutz von Aweds Mantel abzulösen; er bezweifelte, dass man ihm in diesem Zustand Zutritt zu Dazzin ermöglichen würde. Aber egal, er kam ja nicht umhin, den General aufzusuchen, und irgendwie musste man ihm ja Zugang gewähren.
Bald gelang es ihm, den unangenehmen Vorfall mit den Soldaten beiseite zu drängen und sich wieder damit zu beschäftigen, was in aller Welt so wichtig sein konnte, dass man ihn so dringend anforderte. Umgehend und in aller Dringlichkeit, sofort, ohne Aufschub, das waren die Begriffe, die immer wieder in seiner Order auftauchten. Diese Formulierungen hielten seine Gedanken während der Passage hierher in das Golon-System unentwegt beschäftigt. Denn längst waren die Fronten in diesem Krieg erstarrt. Die Nachrichten beinhalteten gewöhnlich nur Angaben über unbedeutende und meist sinnlose Truppenverschiebungen. Der Wortlaut, in dem sie zumeist abgefasst waren, ließ keinerlei Dringlichkeit erkennen. Zunehmend laxer formuliert, bemühte man sich mittlerweile kaum noch um offizielle Formulierungen und scherte sich nicht um Geheimhaltung. Denn die Separationskriege gingen zu Ende. Eine Tatsache, die selbst der einfachste Gefreite erkennen konnte. Diese Welt hier befand sich zwar mittlerweile weitab von der Frontlinie, tief in der Etappe, im Niemandsland, das keinen hochrangigen Befehlshaber interessierte. Doch man konnte selbst hier das Ende des Krieges und das Kommen eines bitteren Friedens spüren. Indes waren die Separatisten und die kaiserlichen Truppen, denen Awed angehörte, arg mitgenommen. Beide Seiten trachteten danach, auf schnellst mögliche Weise Frieden zu schließen, wenn auch die Oberen dies nicht öffentlich zugeben wollten und unaufhörlich den Geist ihrer gerechten Sache beschworen. Jedenfalls waren die Streitkräfte jeder Seite erschöpft und große Veränderungen gab es kaum noch. Alles war erstarrt, kaum eine Bewegung fand statt. Diese Reglosigkeit zehrte an den Nerven und belastete die Truppen mehr und mehr. Keinesfalls war zu erwarten, dass Aweds Auftrag so etwas Gewichtiges wie die lange erwartete Friedensbotschaft enthalten könnte. Das Golon-System taugte kaum dazu, eine Quelle derartiger Neuheiten zu sein. Hier war Awed nichts weiter als der Überbringer buchhalterischer und logistischer Überlegungen. Er war nur ein Laufbursche. Es konnte nicht anders sein. Oder doch?
Verdammt, zischte er, ich brauche dringend ein wenig Schlaf. Meine Gedanken verknoten sich. Er beschloss darum, nicht weiter darüber zu grübeln und erreichte nach kurzer Zeit die Kommandantur.

Noch ehe der massige Wachroboter an der Pforte reagieren konnte, rief ihm Awed ein Passwort zu. Ein Zittern durchlief den massigen, stählernen Leib, der kurz eine Verteidigungspose angedeutet hatte und nun wieder zurück in den Standbymodus sank. Sogleich schwenkte das Panzerschott nach oben und gab den Eingang frei. Prompt stürmte Awed ein junger Page entgegen - seine graue Uniform war tadellos, die Messingknöpfe und die braunen Stiefel glänzten - den ausgestreckten Zeigefinger auf Aweds Stiefel gerichtet.
„So kommen Sie hier nicht herein!“, sagte er und schob den Kurier wieder hinaus, ohne ihn zu grüßen.
„Ich muss zu General Dazzin“, entgegnete Awed. „Er erwartet mich.“
„Ich weiß, Sie sind der Kurier. Ich kenne Sie. Sie waren vor ein paar Wochen schon einmal hier. Sie sollten doch wissen, dass der General sehr penibel ist, wenn es um seine Teppiche geht.“
Awed erinnerte sich. General Dazzins Quartier war ausgestattet mit allerlei persönlichem Inventar, und besonders an die wertvollen Teppiche konnte sich Awed entsinnen. Natürlich wollte sich der General diese nicht verleiden lassen. Damals, als es so heiß gewesen war, hatte man Aweds Stiefel und Kleider in einer aufwändigen Prozedur mit Druckluftdüsen und feuchten Tüchern äußerst penibel vom Staub befreit, bevor man ihn einließ. Nun musste er sich vor dem Eingang auf ein Gitter stellen, damit ihn der Page mit einem Wasserschlauch abwaschen konnte. Eine eher demütigende Behandlung, die Awed mit verhaltenem Zorn über sich ergehen ließ.
Als der junge Mann zufrieden war, führte er Awed in den Lift und fuhr mit ihm einige Stockwerke hinauf. Mit dem Öffnen der Türe in der obersten Etage befanden sie sich zugleich im Quartier des Generals. Die weichen Teppiche waren dort, wo sich voraussichtliche Besucher bewegen sollten, mit weißen Laken bedeckt. An den Wänden hingen prachtvolle Gobelins, die historische Ereignisse darstellten. Den großen Globus, der ein leuchtendes Hologramm der Galaxis in sich barg und der Awed schon bei seinem letzten Besuch aufgefallen war, hatte man umgestellt und nun nahe beim Panoramafenster platziert. Vor dem Fenster stand ein Stuhl mit hoher Rückenlehne und ein schwarzer auf Hochglanz polierter Schreibtisch. Der Raum war dunkel bis auf das trübe Licht, welches durch das breite Fenster fiel sowie dem Glimmen einer kleinen Lampe, die von einer Ecke aus einen warmen gelben Schimmer erzeugte. Dort erhob sich ein hohes, gut gefülltes Bücherregal. Ein bequemer, lederner Sessel lud ein, sich niederzulassen, ein Buch zur Hand zu nehmen oder sich dem Schachspiel zu widmen, das auf einem niedrigen Tischchen stand.
Der Page trat in den Raum, schlug die Hacken zusammen, stellte den Kurier vor, machte kehrt und fuhr wieder mit dem Lift nach unten.
Am Fenster stand, Awed den Rücken zugewandt, General Dazzin. Den kahlen Kopf umwölkt vom blauem Dunst einer Zigarette, die in einem langen, eleganten Mundstück aus Messing steckte. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, drehte er versonnen an einem goldenen Ring an seiner rechten Hand und starrte auf die öde Landschaft hinaus.
Dazzin ließ viel Zeit vergehen, bis er sich entschloss, Awed seine Aufmerksamkeit zu schenken. Gerade als dieser es als wirkliche Provokation auffasste und aufkeimenden Ärger empfand, drehte er sich um. Er schob das metallene Filterstück zwischen den schmalen Lippen von einem Mundwinkel zum anderen und fixierte den Kurier mit seinen hellgrauen Augen. Dieser kalte, stechende Blick, dachte Awed. Ein Blick, der die Wüste mit Frost überziehen konnte.
„Freut mich, Sie wohlauf zu sehen“, sagte Dazzin. „War sehr zufrieden mit Ihrer Leistung. Ich mag es, wenn Leute selbständig arbeiten können. Gibt zu wenige von der Sorte.“
Wie sehr doch diese tiefe, warme und volltönende Stimme mit dem eisigen Blick kontrastiert, überlegte Awed. Eine Eigenart, die ihn schon bei seinem letzten Besuch seltsam berührt hatte.
„Danke“, erwiderte Awed, denn der aufkommende Ärger war an dieser Offensive unerwarteten Lobes sogleich verpufft.
„Wie sieht‘s draußen aus?“
„ Sir?“
„Draußen - an der Front?“
„Ich bin viel unterwegs“, sagte Awed. „Und meist hinter den Linien. Ich erfahre kaum etwas.“
„Na, Sie werden doch noch mitbekommen, was die kämpfende Trup-pe so alles leistet“, bohrte Dazzin weiter nach.
Awed wusste darauf nicht viel zu sagen, denn er erhaschte tatsächlich immer nur flüchtige Eindrücke und es fiel ihm schwer, sich daraus ein Bild zu machen. Zwar wurde Awed immer wieder zum Kampf ge-zwungen und in allerlei Scharmützel verwickelt, aber das mochte nichts heißen. Aufschlussreicher waren die Gespräche und die Stimmung unter den Kämpfern, doch davon wollte er Dazzin nichts be-richten. Mit Sicherheit aber konnte er sagen, dass die kämpfende Truppe, wie sich der General ausdrückte, des Krieges müde war. Die erfahrenen Soldaten waren entweder tot oder erschöpft, die jungen ohne Begeisterung. So suchte er eilig nach einer unverfänglichen Ant-wort.
„Die Truppe hat Urlaub verdient, Sir“, sagte er schnell.
Dazzin nickte sofort. „ Ja, wir haben beachtliches geleistet.“ Er nahm ein glänzendes Kuvert aus Silberfiset von seinem Tisch. „Haben Sie nicht den Eindruck, dass wir alle müde sind?“
„Nein, Sir!“, antwortete Awed automatisch und unüberlegt.
Dazzin grinste in sich hinein. „Was uns hier betrifft: Wir sind müde“, erklärte er. „Seit fünf Wochen dieses Wetter. In den Monaten davor nur Hitze, Staub und Mücken. Der letzte Einsatz liegt acht Monate zurück. Seither nur Konserven zählen. Die Männer werden von der Langeweile umgebracht, und ich lese zum zehnten mal die Lyrik des Katain. Alles dreht sich im Kreis. Es ist zum verrückt werden.“
Er machte eine kurze Pause, nahm die Zigarette aus dem Mund und entließ langsam und genussvoll eine lange Rauchfahne durch seine dünnen Lippen. „Langeweile ist der wahre Feind. Manchmal denke ich, der eigentliche Angriff erfolgt in den Stunden, Tagen und Wochen nach dem Kampf. Es ist seltsam, was die Langeweile mit dem Verstand so alles anstellen kann. Seltsame Dinge spuken einem dann permanent im Kopf herum und lassen einen nicht zur Ruhe kommen. Abstruse Ideen und Vorstellungen, die einen normalerweise abstoßen würden, sich aber nicht aus dem Hirn vertreiben lassen, erfreuen uns plötzlich - wie ein amüsantes Schauspiel. Wenn es doch nur mal wieder richtig krachen würde, damit man endlich auf andere Gedanken kommt.“
Awed war sprachlos. Dieser Mann war dermaßen erschöpft und aus-gezehrt, dass er eine schier greifbare Bedrohung ausstrahlte. Er wusste zwar noch nicht, worin genau die Gefahr lag und ob sie gegen ihn persönlich gerichtet war, doch er konnte sie so deutlich erkennen wie den Schatten, den Dazzin im diffusen Tageslicht warf. Der General hob die Hand und streckte Awed das funkelnde Kuvert entgegen.
Der zögerte es entgegenzunehmen und fragte: „Wohin geht es?“
„Wie letztes Mal. General Wetan auf Soraz im Denebon-System.“
Awed nahm das Kuvert und willigte ein.

Er hätte seiner Amy Sue gerne noch ein wenig Ruhe gegönnt, doch er sollte sich, Dazzins Willen gemäß, umgehend auf den Weg machen. Deswegen bereitete er eilig den Abflug vor. Das Hochfahren der mal-trätierten Triebwerke bereitete ihm einen beinahe körperlichen Schmerz; er verspürte eine starken Widerwillen, den Schub der Düsen zu erhöhen.
Die Anzeigen im Cockpit flammten auf, und die ihm so vertraute Symphonie aus leisem, stetigem Summen und Piepsen erfüllte erneut den Raum.
Awed ließ das Schiff vertikal aufsteigen. Schnell schrumpfte das Lager unter ihm zu einer Miniatur zusammen. Nebel hüllte die Amy Sue ein - und für einen Moment wurde es stockdunkel. Doch die Wolkendecke lichtete sich rasch, und schlagartig fiel blendend helles Sonnenlicht in die Pilotenkanzel. Ein azurblauer Himmel stach Awed mit schimmernder Reinheit in die Augen - unter ihm breitete sich ein schneeweißer Wolkenozean aus. Wie wunderschön und friedlich, dachte Awed.
Je höher die Amy Sue stieg, um so lichter wurde das kräftige Blau des Himmels. Es verblasste zusehends; Sterne, eingebettet in tiefes Schwarz, kamen allmählich zum Vorschein.
In großer Entfernung funkelte golden ein rechteckiges Sprungtor, auf das Awed nun seinen Kurs festlegte. Er gab das Skaub-System als Ziel in den Prayer ein. Da Denebon ein seit jeher unbewohntes System war und daher kein Faynar besaß, musste er den Umweg über das Skaub-System hinnehmen. Awed konnte sich wenigstens damit trösten, dass selbst dieser indirekte Weg schneller war als eine direkte Hyperraumpassage. Wie immer, wenn man ein Faynar benutzte. So hielt Awed auf das Tor zu und beschleunigte.
Bald war es deutlich in seiner Form erkennbar und nur noch achthundert Kilometer voraus, doch als Awed das Signal aus dem Prayer an das Tor senden wollte, ertönte ein schrilles Warngeheul. Im gleichen Augenblick spie der gewaltige Rahmen des schimmernden Faynar eine Unzahl von Kriegsraumern der Separatisten aus. Wuchtige Schlachtschiffe, schlanke Fregatten, Bomber, Belagerungs-plattformen und Torpedoboote.
Awed vollzog eine harte Wende und raste mit Höchstgeschwindigkeit davon. Eine Fehlentscheidung, denn die feindlichen Schiffe, von der Austrittsbeschleunigung der Faynarpassage getragen, jagten an ihm vorüber und schnitten ihm den Weg ab. Aus ihren Hangars quollen Jagdmaschinen hervor - fünf davon hefteten sich der Amy Sue sogleich ans Heck.
Awed aktivierte das Schutzschildsystem. Das Schiff erzitterte heftig, als die ersten Salven darauf einhämmerten. Knisternd brannten etliche Sicherungen durch, Kabel begannen zu schmoren. Eilig richtete Awed die Heckgeschütze auf die Verfolger aus und erwiderte das Feuer. Er traf sofort einen Jäger, der funkensprühend davon trudelte.
Für einen Moment waren die übrigen vier irritiert und wichen aus, ohne jedoch die Verfolgung aufzugeben. Awed nutzte deren Verunsicherung und schlug einige Haken. Er brachte etwas Distanz zwischen die Angreifer und sich und machte ein paar Raketen scharf, während die Feinde erneut heranrückten. Ohne Zögern fasste Awed zwei von ihnen ins Visier und schoss. Die Raketen gingen daneben.
Die Amy Sue erhielt im Gegenzug eine Reihe von Treffern. Der Schild flimmerte, drohte zu erlöschen, ein Triebwerk detonierte. Weitere Schüsse zerhackten die Raketenrampe. Doch bevor sie gänzlich zerstört war, feuerte Awed die geladenen Raketen ab. Ein Jäger erhielt einen Volltreffer und musste abdrehen. Trümmer schwirrten in alle Richtungen davon und beschädigten eine weitere Maschine. Diese verlor an Geschwindigkeit und fiel zurück.
„Der Esel kann auch ausschlagen!“, schrie Awed voller Wut und begann zu lachen.
Die Piloten der verbleibenden Raumschiffe waren offensichtlich erfahrener, begannen undurchschaubare Manöver zu vollführen und waren nicht abzuschütteln. Sie versetzten der Amy Sue immer wieder harte Schläge. Ihren Rumpf zeichneten bald zahllose, rotglühende Striemen. Die Panzerung splitterte und hinterließ scharfkantige Narben.
Der Schildgenerator begann immer mehr Strom zu fressen und saugte wie ein Vampir Energie aus dem Reaktor, um das Abwehrfeld aufrecht zu halten. Tapfer arbeitete sich der Schild wieder zu beinahe voller Stärke hinauf, doch vereinzelte Schüsse kamen noch immer durch - das Heckgeschütz ging dabei verloren.
Awed leitete alle Energie dem Schild zu und berechnete den Kurs für einen Sprung in den Hyperraum. Dann vollführte er einen Looping. Als die feindlichen Schiffe, durch das plötzliche Manöver überrascht, die Amy Sue kurzzeitig aus dem Visier verloren, schaltete Awed den Schild ab, nahm eine weitere Trefferfolge in Kauf und flüchtete aus dem Normalraum.

Awed konnte Denebon nicht direkt anfliegen; zu weit war das Planetensystem entfernt. Er musste irgendwo zwischenlanden, um genügend Treibstoff und Energie zu laden. So wie er gerade durch den Hyperraum flog, war die Taberi-Tankstation am günstigsten. Um sie zu erreichen, war in etwa fünfzig Stunden eine Kurskorrektur nötig; erst dann konnte er von dort aus Denebon direkt ansteuern.
In den kommenden Stunden würde er die Zeit mit den Reparaturarbeiten zubringen. Das erwies sich tatsächlich weitaus nützlicher als es den Anschein gehabt haben mochte, denn es brachte ihn auf andere Gedanken. Außerdem war Awed, bevor er Kurier wurde, als Mechaniker tätig gewesen. Alte Raumschiffe, zu denen auch seine schnelle Amy Sue zählte, waren eine Leidenschaft, die er seit seiner Jugend hegte. So gelang es ihm tatsächlich, die Raketenrampe wieder einigermaßen funktionsfähig zu machen und das Heckgeschütz auszutauschen, ehe er die Tankstation erreichte. Als er den Normalraum wieder verließ, war es höchste Zeit, denn durch zahlreiche Risse im Leitungssystem war Kühlmittel verloren gegangen. Dadurch begann der Reaktor allmählich zu überhitzen. Auch die Sekundärbatterien, durch die vorrangegangenen Kämpfe stark beansprucht, mussten aufgeladen werden. Andernfalls würde bald die Bordelektronik ausfallen.

Die Amy Sue verließ den Hyperraum und geriet erneut in ein Gefecht. Eine Unmenge von Raumschiffen hing qualmend im Orbit um die gewaltige Tankstation, die ihrerseits von Dunst und Gasschleiern umhüllt war, wie ein rauchender Vulkan. Die Schlacht breitete sich über einen großen Bereich aus, und so wurde Awed nicht gleich bemerkt, während er die Station ansteuerte.
„Was um alle Himmel ist nur los?“, fragte sich Awed, als in der Ferne ein Kreuzer in blendendem Feuer verging. „Haben sich die alten Herren doch noch an eine Großoffensive gewagt?“
Er schaltete den Abtaster ein und erhielt umgehend eine Darstellung der Kampfsituation. „Grundgütiger!“, entfuhr ihm ein entsetzter Ausruf, denn der Bildschirm war rot von Symbolen, die kleine und große Objekte anzeigten. Es war schwer abzuschätzen, ob das alles Schiffe waren oder Trümmerstücke, die ziellos durch das System drifteten.
Seine Hände zitterten, als er den Steuerknüppel nach vorne drückte und beschleunigte. „Nur die Ruhe“, ermahnte sich Awed. „Nur nicht die Nerven verlieren. Sich anzuschleichen erfordert alle Sinne.“
Doch natürlich ging das nicht lange gut. Zwei feindliche Jagdmaschinen, die Aweds altes Raumschiff für leichte Beute hielten, stürzten übermütig auf ihn herab. Sie eröffneten das Feuer und ein donnerndes Stakkato von Explosionen schüttelte das Schiff erneut durch. Doch der Schutzschild wehrte den Angriff, den sie nur mit leichten Bordwaffen führten, mühelos ab. Awed war nun wieder ganz ruhig. Mit klaren Gedanken und sicheren Händen visierte er die Feinde an, erwiderte das Feuer und erwischte die beiden sofort.
Zwei helle Feuerbälle blähten sich auf und spuckten Trümmerstücke aus. Aber ein großes Rumpfteil samt Cockpit schlug unterhalb des Bugs der Amy Sue ein. Awed wurde beinahe aus dem Sitz gerissen. Neben seinem Kopf zerplatzte ein Monitor und spuckte Glassplitter in sein Gesicht. Dichter Qualm begann die Räume zu erfüllen - der Gestank von brennenden Kunststoffen breitete sich aus.
Er schottete die Kanzel ab und suchte eilig nach einer Landemöglichkeit in einem der Hangars der Tankstation. Er steuerte zwischen den Kämpfern hindurch und versuchte sich aus der Schlacht weitgehend herauszuhalten. Awed fand zwar bald eine Landebucht, doch immer wieder musste er harte Treffer hinnehmen und geriet aus der Bahn. Mit viel Glück und Mühe brachte er es fertig, auf einer freien Fläche auf dem Hangarboden aufzusetzen. Ein heftiger Ruck erschütterte das Schiff. Zweifellos waren die Landegreifer beschädigt. Das ächzende Knirschen zerreißenden Metalls drang an Aweds Ohr.
„Tut mir leid altes Mädchen.“ Wieder berührte er zärtlich die Steuerkonsole. „Ich hatte nicht vor, dir die Knochen zu brechen.“ Diese Mission steht unter einem schlechten Stern, befürchtete er.

Awed eilte nach draußen und fand sich inmitten eines unüberschaubaren Chaos wieder. Eine Ansammlung verschmorter und verbeulter Kampfmaschinen waren in einem heillosen Durcheinander in der Halle verteilt. Dazwischen die Verwundeten; Rettungs- sowie Mechanikerteams liefen scheinbar ziellos durcheinander.
Awed versuchte sich einen Überblick verschaffen, aber es war zwecklos, dieses Wirrwarr zu durchschauen. Es gab keine Ordnung, die irgendwie zu erkennen gewesen wäre. Sirenen heulten, ferne Detonationen ließen den Boden erzittern, überall Geschrei und Maschinenlärm. Während sich Awed noch umsah, wurde er aufgeschreckt vom jaulenden Zischen der Schaumkanonen eines Löschvehikels, dass sich seiner Amy Sue annahm und sie mit weißem Pulver bedeckte. Eilig und überraschend trat der Hafenoffizier an ihn heran. Ein blonder, korpulenter Mann in einer mit Öl und Ruß verschmierten Uniform.
„Was fällt Ihnen ein, mit diesem Pott hier aufzukreuzen?“, schimpfte er.
Awed brauchte einen Moment, um zu reagieren. „Ich bin mit einer wichtigen Nachricht auf dem Weg nach Denebon. Ich wollte hier auftanken.“
„Sie sehen doch, was hier los ist.“ Der Mann sah sich müde um. „Das ist kaum zu bewältigen. Ein verdammtes Schlachtfeld.“
„Warum wird hier gekämpft?“, wollte Awed wissen. „Ich habe nicht geglaubt, der Feind würde so einen großen Angriff starten.“
„Mann, Sie können Fragen stellen“, entrüstete sich der Offizier. „Wir haben Krieg und jemanden ist wohl in den Sinn gekommen unsere Tankstelle hier sei leichte Beute. Mir ist das im Moment egal. Wir kümmern uns hauptsächlich um die Leute. Für Ihr Schiff müssen Sie selbst Sorge tragen. Nehmen Sie sich, was Sie brauchen.“ Damit deutete er auf das Ersatzteillager und die Werkstatt und machte sich eilends davon.

Im Lager fand Awed einen schmalen Lastenschlitten und lud hastig Kanister mit Kühlmittel sowie einige neue Batterien auf. Doch selbst, als er die Fläche des Schlittens vollgestellt hatte, reichte er bei weitem nicht aus, um seinen Bedarf zu decken. Er würde mehrmals nachfassen müssen, was in dem Durcheinander ein beinahe unmögliches Unterfangen darstellte. So brachte er die erste Fuhre zu seinem Schiff, an dem sich noch die Feuerwehrleute zu schaffen machten und begann, die Kanister und Batterien ins Innere des Schiffes zu schleppen.
„Sie wollen doch nicht gleich weiterfliegen?“, sagte ein Feuerwehrmann.
„Mir bleibt nichts anderes übrig“, erwiderte Awed, der eine schwere Batterie auf den Boden plumpsen ließ.
„Ist nicht zu empfehlen“, beharrte der Feuerwehrmann. „Die gesamte untere Bugsektion ist ausgebrannt. Sie werden nur sehr eingeschränkte Sensor- und Navigationsfähigkeiten zur Verfügung haben. Auftanken können Sie nicht. Ich kann das auf keinem Fall zulassen. Sie werden auf Ihre Reserve zurückgreifen müssen.“
„Hab ich mir fast gedacht“, sagte Awed resigniert. Er versuchte mehr schlecht als recht eine Kopfrechnung. „Ich werde wohl mit trockenem Tank ankommen. Aber was soll‘s, überall ist es besser als bei Ihnen.“ Awed stellte den letzten Kanister ab und schob den Ladeschlitten hinaus, um weiteres Material zu holen, als ein lauter Donnerschlag durch den Raum dröhnte und der Boden schwankte. „Hier bleibe ich jedenfalls nicht.“
Awed gelang es, einen Großteil der notwendigen Dinge an Bord zu bringen, bis man ihm den Schlitten abnahm, um damit Verwundete abzutransportieren. Den Rest musste er mit den Händen tragen, was bei den schweren Batterien enorm viel Kraft kostete.
Er war beinahe fertig, als man eiligst begann, den Hangar zu leeren und zu evakuieren. Wer noch einigermaßen laufen konnte, machte sich selbst auf den Weg und humpelte davon. Das Deckpersonal wies die Richtung an und drängte zur Eile. Dichter schwarzer Nebel verbreitete sich schnell in der Halle, und mit ihm der Gestank von verbrennenden Kunststoffen. Flammen schlugen aus einer Wand heraus, eine Explosion trieb heiße Luft und Funken heran. In bizarren Wirbeln und Kringeln stoben die Rußschwaden auf.
Die Mannschaften beeilten sich noch mehr mit der Evakuierung. Die Hektik steigerte sich. Vereinzelt brach Panik aus.
Nach kurzer Zeit war Awed fast ganz alleine. Er schleppte schwitzend eine weitere Batterie zu seinem Schiff. Der Rauch verdunkelte mittlerweile den Raum so stark, dass die Scheinwerfer an der Decke kaum noch erkennbar waren. Dann flackerte das Licht und ging aus.
Die Notbeleuchtung hüllte die Umgebung in ein düsteres, schemenhaftes Rot. Awed hielt inne, gefangen in einem Augenblick der Faszination und Angst zugleich, denn dieses blutrote Licht tauchte die Halle in eine unwirkliche, visionäre Szenerie. Mit einem Mal war alles wie entrückt, der furchtbaren Wirklichkeit entzogen. Wie die Bühne eines mythologischen Theaterstückes. Feuer, Rauch, glühendes Metall, der ferne Donner, Hammer und Amboss. Die schwarzen Silhouetten der Schiffe, löchrig und verbogen, aufragend in den Flammen. Die Waffenschmiede des Vulkans.
Awed lächelte, denn ihm kam es vor, als würde er in einen Traum eintreten wie in ein Fluchtportal. Und doch war ihm dieses Gefühl nicht ganz unbekannt. Man nannte dieses Phänomen Fronttaumel oder Schlachtvision. Eine Reaktion des malträtierten Gehirns auf übermäßige Belastung.
Awed hatte es schon mehrmals selbst erlebt oder bei anderen beobachtet. Er erinnerte sich an einen Mann, der Konzertpianist war und inmitten eines heftig entbrannten Feuergefechts zwischen den Kameraden herumlief, nach Papier und Bleistift fragend. Unbedingt wollte er eine Komposition aufschreiben, die sich ihm während des Kampfes wie ein Geschoss in den Kopf gebohrt zu haben schien. Awed sah es noch so deutlich vor sich, als sei es erst ein paar Stunden her. Ein junger Mann, der sich seines Helmes und Waffen entledigt hatte und sich sichtbar für Freund und Feind auf einem Erdwall niedersetzte. Wie beschützt von tausend Engelsflügeln saß er da, inmitten des Kampfes Noten auf einen Fetzen Karton kritzelnd. Ein weiterer Mann, der in dichtes Abwehrfeuer geraten war, wurde währenddessen und danach von vielfarbigen feurigen Traumbildern geplagt. Er studierte später wie ein Besessener die Malerei und bannte seine Eindrücke auf die Leinwand. Wie Awed später gehört hatte, tat er das sogar mit großem Erfolg.
Nun hatte es Awed erneut gepackt und er genoss diese Entrückung wie einen Sirenengesang. Der ölige Smog und die Verbrennungsgase taten das Übrige.
Der dicke Offizier von vorhin kam in einem Wagen angebraust und hätte Awed fast umgefahren. „Kommen Sie mit“, rief er, als ein sen-gender Sturmwind losbrach. „Der Bereich wird abgeriegelt und ent-lüftet. Kommen Sie!“
Awed kam wieder etwas zu sich. Er sah, wie der Offizier sich eine Gas-maske überstülpte. „Nun kommen Sie schon!“, hörte er dessen Stim-me, die nun gedämpft durch den Filter drang. Seine Augen starrten ihn finster an.
Awed winkte ab. Der Offizier zögerte kurz, doch dann fuhr er los und entschwand im schwarzen Nebel.
Die Batterie glitt Awed aus den Fingern. Wie in Trance fühlte er sich. Unbeholfen vorwärts taumelnd, hustend und keuchend fand er den Weg zurück ins Cockpit seiner Amy Sue.
Als er startete, bereitete ihm die Dunkelheit arge Schwierigkeiten bei der Orientierung. Die Steueranzeigen flackerten und versagten. Aweds Schiff tastete sich vorsichtig, in niedriger Höhe schwebend, durch die Trümmerwüste. Doch es gelang ihm nicht, die Außenschleuse des Hangars zu finden. Andauernd tauchte der zerfetzte Umriss eines klobigen Minenlegers im Lichtkegel seiner Nebellampe auf. In immer neuen Blickwinkeln stellte er sich dar, aber es war stets dasselbe Wrack.
Awed begann zu fluchen, als das schwelende Ding ein fünftes Mal vor ihm auftauchte. Angst machte sich in ihm breit und er fühlte, dass er bald den Kopf verlieren könnte. Daraufhin beschloss er, systematischer vorzugehen, doch der Zufall kam ihm zu Hilfe. Plötzlich konnte Awed sehen, wie die Feuer ringsum mit einem Mal erloschen, als wären es Kerzen, die man ausblies. Die Rauchwolken, von einer starken Windböe erfasst, wurden fortgeblasen. Unvermittelt war die Sicht wieder klar und zeigte das ganze Ausmaß der Verwüstung ringsum. Kleinere Gegenstände lösten sich vom Boden und sausten wirbelnd davon. Als der zerstörte Minenleger quietschend und rasselnd über den Flur schlitterte, wurde auch Aweds Schiff von einer unsichtbaren Faust gepackt und mit aller Macht aus der Station geschleudert. Ein Hagel von Metall und Kunststofffragmenten schlug auf das Schiff ein, als es in einer Wolke aus Trümmern und verdrehten Metallteilen in den Weltraum hinaustrudelte. Mit unbändiger Kraft saugte das Vakuum den Hangar leer und warf alles, was darin war, der noch immer tobenden Schlacht entgegen.
„Das Schrottgeschwader greift in die Schlacht ein“, lästerte Awed.
Die Amy Sue geriet in ein Übelkeit erregendes Schleudern. Die Beschädigungen und der Mangel an Energie machten sich so stark bemerkbar, dass Awed zeitweilig dachte, gänzlich die Kontrolle über sie zu verlieren. Mit sehr viel Geschick und Konzentration konnte Awed den Kurs jedoch stabilisieren. Wie ein Artist auf dem Hochseil, der um sein Gleichgewicht kämpfte, war er sich dabei vorgekommen und hatte ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben. Jetzt lehnte er sich erleichtert zurück.
Er schaltete den beschädigten Antrieb ab, der das Schlingern wieder zu verstärken drohte, und ließ sich treiben. Diese Idee erwies sich tatsächlich als recht nützlich, da er auf diese Weise nicht weiter auffallen würde. Niemand nahm Notiz von ihm, und so schwebte er nach und nach aus dem Kampfgeschehen hinaus. In seiner Lage mochte er sich nicht auf ein Gefecht einlassen; so konnte er zumindest eine Zeit lang sicher sein. Toter Mann spielen war wohl nicht die mutigste Strategie, aber in seiner Situation die nützlichste.
Er schnallte sich an und schaltete nach und nach alle Systeme ab, die verräterische Energieemissionen verursachten - Sensoren, Abtaster, Konsolenbeleuchtung, die künstliche Gravitation. Die Kanzel war nun dunkel. Awed versuchte, in seinem Sitz festgezurrt, ein wenig Schlaf nachzuholen. Doch das war trotz oder gerade wegen seiner Erschöpfung nicht so einfach, denn seine Nerven waren angespannt und die Gedanken kreisten wirr durcheinander. Auch als die Schlacht schon weit entfernt war, konnte er keine Ruhe finden.
Dann aber heftete sich sein Blick auf den eigenartig verformten Minenleger, mit dem zusammen er aus der Station geschleudert worden war und der sich nun in einiger Entfernung langsam um seine Achse drehte. Ein Anblick, der in seiner Anmut so widersprüchlich war wie der federleichte Tanz einer fetten Ballerina. Licht und Schatten wechselten auf seiner Oberfläche in immer neuen Mustern, und in seinen Fenstern blinkte zuweilen das Sonnenlicht. Ein seltsamer Reigen von Formen und Farben, regelmäßig und doch nicht gleichförmig. Dabei driftete er allmählich davon. Awed überkam nach und nach die herbeigesehnte Müdigkeit. Schließlich wiegte ihn der hypnotische Reigen schnell in einen tiefen Schlaf.
Doch selbst hier holte ihn der Krieg erneut ein.
In einem unruhigen Traum fand er sich in einem Graben wieder. Die Erde roch frisch und erwartete nach dem langen Winter den herannahenden Frühling. Doch es war ein Erwachen in einem Alptraum.
Über den sonnigen Himmel leuchteten die hellblauen Striemen tödlicher Strahlengeschosse. Es knackte bei jedem Blitz. Danach verbreitete sich ein angenehmer Vanillegeruch. Awed hob den behelmten Kopf über den Grabenrand und spähte über eine weite braune Ebene, über ein wieder und wieder umgepflügtes Land.
Kettenfahrzeuge, schwer gepanzert, mit wuchtigen Kanonen rollten heran. Dazwischen marschierte die Infanterie, große Roboter und Soldaten der unterschiedlichsten Rassen. Vereinzelt krachten Schüsse und ließen Erdfontänen hochspritzen. Die Panzer feuerten ebenfalls. Vor Awed wölbte sich der Boden blasenförmig auf, wuchs zu einem Berg heran und zerplatzte in Form einer gleißenden Feuerblume.
Dann fegten niedrig fliegende Jäger heran. Ihre Waffen schlugen breite Schneisen in die Reihen der Angreifer. Unter lauten Hurrarufen erhoben sich die kaiserlichen Truppen aus ihren Gräben und Löchern.
Auch Awed sprang auf und fühlte augenblicklich einen kräftigen Schlag in den Bauch. Starker Vanilleduft stieg ihm in die Nase und er kippte nach hinten. So lag er unbeweglich auf dem Rücken und starrte nach oben. Über den Himmel flogen die silbernen Maschinen. Blaue Lichtbahnen glommen auf. Soldaten sprangen über Awed hinweg, die Gewehre im Anschlag, Triumphschreie gellten aus ihren Kehlen. Er lag still auf der Erde, als sei er ein Teil von ihr, und die Welt um ihn herum versank ins Dunkel und in Stille...

Awed dämmerte langsam aus dem Schlaf herauf.
Sein erster Blick fiel auf den nun schon kaum mehr sichtbaren Minenleger, dessen monotones Taumeln ihm den Schlaf beschert hatte. Nur ab und an ein schwaches Blinken in der Ferne.
Awed hatte gut sieben Stunden geschlafen. Es war ein unruhiger Schlaf gewesen, aber immerhin hatte er ihm ein bisschen Erholung gebracht. Er erinnerte sich an viele Träume. Bestimmend waren die Bilder aus den unzähligen Kämpfen gewesen, die er miterlebte und die nun schon so lange andauerten.
In seinen dreihunderteinundzwanzig Lebensjahren hatte Awed weit mehr erlebt, von dem es erfreulicher und angenehmer gewesen wäre zu träumen, doch anscheinend stellte der Krieg eine zu beherrschende Größe dar, als dass irgend etwas anderes dagegen hätte bestehen können. Aber es beunruhigte ihn, gerade an die Schlacht erinnert worden zu sein, in der er beinahe das Zeitliche gesegnet hätte.
Awed sah forschend hinaus. Die Auseinandersetzung schien beendet. Keine Raumschiffe waren zu sehen, weder Explosionen noch dahinrasende Kampfmaschinen. Auch die Tankstation war nicht mehr da. An deren Stelle gab es nur einen milchigen, durchscheinenden Nebel, fast nicht zu erkennen, und darin so etwas wie feinen, glitzernden Staub.
Awed blieb schwerelos in seinem Pilotensessel sitzen und rieb sich die Augen. Er holte tief Atem und versuchte diesen Augenblick der Ruhe und der Einsamkeit mit jedem seiner Sinne zu erfassen, festzuhalten und zu bewahren. So wollte er verharren, eingeschlossen in einem nie endenden Moment des Friedens.
Doch es war ihm natürlich klar, dass er, wollte er weiterleben, noch eine Menge Arbeit zu erledigen hatte. Er schaltete alle Systeme bis auf den Schwerkraftgenerator an und begann mit dem Einbau der Akkumulatoren sowie dem Auffüllen des Kühlaggregats. Die schweren Kollisionen und Brandschäden aber musste er in einem Dock beheben. Bis dahin würde er auf viele Funktionen verzichten müssen, die das Navigieren unterstützt hatten. Beeinträchtigt waren vor allem die Nahsensoren und die Kampftaster der Verteidigungsanlage. Awed Versuche sie notdürftig zu flicken schlugen fehl, was ihm ernste Sorgen bereitete, denn im Falle eines Kampfes war er zu keiner gezielten Abwehr imstande.
Aber die Wahrscheinlichkeit, nochmals angegriffen zu werden, schien ihm nun eher gering. Denn die ermüdeten Kriegsparteien sahen seit einigen Jahren gewöhnlich von Großoffensiven ab, die in der Regel mehrere Sektoren umfassen konnten. Dass er in zwei Auseinander-setzungen hineingeraten war, die bestimmt nicht Bestandteil einer grö-ßeren Kampagne waren, mochte seiner Ansicht nach purer Zufall ge-wesen sein. Darum war es eher unwahrscheinlich, erneut in Kampf-handlungen verwickelt zu werden.
Dennoch bestand die Möglichkeit eines umfassenderen Schlages der Separatisten. Dabei war es durchaus möglich, von einem Schlamassel ins andere zu schlittern. Awed tat diese Überlegung allerdings schnell ab. Sie entsprachen nicht seiner Denkweise, die er von seinem ehemaligen Vorgesetzten übernommen hatte und besagte, dass kein Übel so schlimm sein konnte wie das, aus dem man gerade ent-kommen war. Mit dieser Devise hatte er sich über den ganzen Krieg hinweg behauptet.

Als er nach drei Stunden seine Instandsetzungsarbeiten beendet hatte, machte er sich daran, das Denebon-System anzusteuern. Er leerte die Reserve und Zusatztanks und programmierte den Hilfsreaktor darauf, die Triebwerke mit weiterer Energie zu versorgen. Die Berechnungen für den Flug hatte er mehrmals überprüft und nun, da er sicher war, leitete er den Sprung in den Hyperraum ein. Der Amy Sue schien dies wenig zu behagen, denn den ganzen Flug über schüttelte sie sich widerstrebend wie ein bockiger Esel.
Als sie das Denebon-System erreicht hatten und das Schiff aus dem Hyperraum fiel, wollte es beinahe auseinanderbrechen. Es folgte geraume Zeit keiner stabilen Flugbahn. Als sie beschossen wurden, merkte Awed es daher nicht gleich. Erst als die aufleuchtenden Explosionen die Kanzel in blendendes Licht tauchten, begriff er, dass er tatsächlich in eine neuerliche Auseinandersetzung geraten war. Diese Erkenntnis kam so spät wie der Alarm, den der Hauptcomputer seiner Amy Sue auslöste.
Mit ohrenbetäubenden Getöse zerbarst ein großer Teil der Hecksektion. Die Luft entwich und die Schotten schlugen automatisch zu. In Todesangst setzte Awed eine Atemmaske auf.
Er versuchte ein Ausweichmanöver, doch die Angreifer waren hartnäckig und erfahren, durchschauten jeden Trick, den er probierte. In wenigen Augenblicken war auch der Schildgenerator so überlastet, dass er zusammenbrach. Nun wurden die Haken, die Awed schlug, immer gewagter, denn jeder Treffer konnte sich jetzt verheerend auswirken.
Mit aller Mühe gelang es ihm, weiteren Schlägen zu entkommen und sich zugleich dem Planeten Soraz anzunähern. Im richtigen Moment fuhr er alle Bordsysteme auf ein Minimum hinunter und jagte die gesparte Energie in die Triebwerke.
Der Planet wuchs in einem Augenblick zu seiner gewaltigen Größe an. Dann sendete er das imperiale Kuriersignal und seine persönliche Kennung. Umgehend empfing er die Landekoordinaten. Ein Leitstrahl begann seine Instrumente auf das Ziel hin zu justieren. Als er darauf einschwenkte, tauchten seine Verfolger wieder auf. Die Sensoren waren so stark beschädigt, dass sie ihn nicht warnen konnten. Er bemerkte sie erst, als die Düsen explodierten und die Amy Sue in der Mitte auseinandergerissen wurde.
Mit zitternden Händen holte er das Kuvert mit der Nachricht an General Wetan aus dem Verwahrungsfach und verstaute es in der Innentasche seiner Jacke. Er schnallte sich hastig an und sprengte das Cockpit aus dem zerfetzten Rumpf.
Die Welt um ihn herum verschwamm in wirbelnden Schlieren. Er wurde herumgeschleudert wie in einer Zentrifuge, bis sich die Kapsel endlich auf den Leitstrahl ausrichtete.
Die Amy Sue detonierte.
Die Jagdmaschinen flohen vor den glühenden Fragmenten, die wie scharfe Schrapnellen durch den Raum schossen. So brachte ihr Tod Awed ein paar Sekunden Vorsprung.
Die Außenhaut der Rettungskapsel begann sich rasend schnell zu erhitzen, als die Feinde wiederum herankamen. Awed war ein leichtes Ziel. Eine Reihe präziser Treffer richtete die Rettungskapsel übel zu. Alle Bildschirme fielen aus. Funken sprühten aus der Konsole.
Dann ein immenser Knall, eine Druckwelle und Awed bekam einen gewaltigen Schlag in den Rücken. Als er an sich herabblickte, sah er unterhalb seines Brustbeines eine glänzende Hydraulikstange herausragen, die sich dann in die Armaturen bohrte.
Anstatt zu erschrecken oder in Panik zu geraten, ärgerte er sich über den beträchtlichen Schaden, den sie in den Armaturen verursachte und über das Loch, das sie in seine Jacke gerissen hatte. Erst nach und nach realisierte er die Schwere seiner Verwundung, wobei es ihn irritierte, keinerlei Schmerz zu verspüren. Er hatte oft kleinere Kratzer abbekommen, die peinigend waren, nun hingegen spürte er tatsächlich gar nichts. Er nahm nur den unangenehmen Umstand wahr, dass da etwas war, was dort nicht hingehörte, etwa so, als hätte er sich einen winzigen Holzsplitter eingefahren oder Kaffee auf seine Kleider gegossen.
„Ich glaube, ich habe nun ernste Probleme“, flüsterte er. „Ich hoffe, die haben da unten einen guten Arzt.“
Awed erkannte noch, wie imperiale Abfänger zu seiner Rettung heran-fegten, dann krachte es erneut und es wurde ihm schwarz vor Augen.

Als er wieder zu sich kam, war es ruhig. Er hörte vereinzelte Stimmen.
„Dass der nicht hinüber ist?“, sagte einer.
„Noch nicht - aber bald.“ Ein anderer.
Dann hörte er, wie jemand Kunststoff und Metallteile zur Seite bog.
Als er fühlte, wie sich jemand am Verschluss seiner Jacke zu schaffen machte und eine Hand nach deren Innentasche tastete, packte er mit aller Kraft zu. Der andere schrie auf.
„Schon gut“, sagte der, „ich will nur wissen, wer Sie sind. Ausweispapiere und so. Sie verstehen?“
Awed öffnete die Augen. Grelles Sonnenlicht fiel durch die gesplitterte Scheibe seiner Kapsel und verursachte ihm heftige Schmerzen. Er kniff die Lider zusammen, tastete nach dem Kuvert in seiner Jacke und umklammerte es fest.
„Ich habe Nachricht für General Wetan“, presste er hervor. „Es ist eilig.“
Darauf hin machten sich die Leute daran, Awed aus dem kleinen Fahrzeug zu bergen. Das erwies sich als äußerst kompliziert und war für ihn derart qualvoll, dass er sogleich wieder das Bewusstsein verlor.
Hin und wieder dämmerte er aus der Ohnmacht heraus.
Er fühlte, wie er getragen wurde.
Eine Bahre.
Schaukeln, rütteln, keuchen, schwere Stiefel, die auf Staub und Kies traten.
Er schmeckte Sand. Heiße, trockene Luft.
Eine hastig hervorgestoßene Frage „Wo sind seine Beine?“
„Die sind noch in der Kapsel“, die schnelle Antwort.
Er öffnete die Augen. Strahlend blauer Himmel, eine weiß leuchtende Sonne. Zu hell, viel zu hell. Blendend, gleißend ihre Strahlen, wie scharfe Dolche, stechend in seine Augen. Dann erneutes Hinweg-gleiten in die barmherzige Ohnmacht. Schwärze, wirre Träume.
„Er hält es fest“, sagte jemand, der das silbrige Kuvert aus dem Griff von Aweds Fingern zu lösen suchte.
Er war sofort hellwach und versuchte den Mann abzuwehren.
Doch der linke Arm fehlte, und so zappelte er nur hilflos auf seiner Trage herum. Die Sanitäter wichen etwas zurück. Awed bemerkte, dass man ihn in ein geräumiges Zelt gebracht hatte. Es war kein La-zarettzelt. Mit geschultem Blick nahm er Einzelheiten wahr, die ihm verrieten, dass er sich in der Unterkunft eines hohen Militärs befand.
Als man abermals versuchte, ihm die Nachricht zu entwinden, trat ein hochgewachsener Mann an die Bahre, beugte sich herab und legte eine Hand auf Aweds Schulter. „Die Nachricht ist für mich. Ich bin General Wetan“, sagte er.
Awed erkannte den Mann wieder und ihm schien, als sei er seit dem letzten Mal etwas fülliger geworden. Awed holte unter großer Mühe das Kuvert hervor. In seinen Fingern fühlte er das kühle Silberfiset, aus dem es bestand und wie das getrocknete Blut seine Finger daran kleben ließ.
„Auftrag ausgeführt“, hauchte er.
In diesem Moment überkam ihn eine tiefe Müdigkeit. Er spürte, wie sämtliche Wärme aus seinem Körper wich. Sie verflüchtigte sich so rasch wie die Dämmerung an einem Winterabend. Er wollte jedoch noch sehen, wie General Wetan auf die Information reagierte, und krallte sich hinein in das schwindende Leben.
Der General öffnete den Umschlag, nahm das Papier heraus und warf einen kurzen Blick darauf. Er murmelte etwas unverständliches und zischte zornig durch die Zähne. Dann schlenderte er hinüber zu ei-nem kleinen Tisch, betrachtete die Spielfiguren darauf, machte einen Zug und tippte den weißen König an. Der kippte um und fiel mit einem leisen Klicken auf das Schachbrett.