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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Lobbyismus in Politik und Wirtschaft - oder: "Wer nicht schmiert, verliert!"



Dr.BrainFister
25.11.2010, 03:40
im zusammenhang mit fast jeder politischen reform kommt immer wieder das thema "lobbyismus" zur sprache: die pharmalobby hat klein-röslers gesundheitspaket so zurechtgestutzt, dass am ende nur noch ein reförmchen übrig blieb. und auch die energiekonzerne haben dieses jahr allen grund zum feiern - der austieg vom atomausstieg ist beschlossene sache! ein umweltpolitisches ziel, für das jahrzehntelang hart gearbeitet wurde, ist mal eben entsorgt worden, damit die energiewirtschaft sich die sowieso schon prallen geldsäckel noch weiter anfüllen darf.

unter'm strich bleibt für die bevölkerung vor allem das bittere gefühl von ungleichbehandlung - bedingt durch ein machtverhältnis zwischen politik und wirtschaft, das schon lange nicht mehr als ausgewogen bezeichnet werden kann. während die wirtschaft durch aggressive lobbyarbeit politische ziele zu ihren gunsten beeinflusst, scheint "der kleine mann" die zeche für all den bullshit zahlen zu dürfen, der weltweit verzapft wird.

was ist euer standpunkt zu dem thema? wo ist euch lobbyarbeit schon unangenehm aufgefallen? oft gibt es sowas, z.b. in form von vetternwirtschaft, ja auch direkt vorder eigenen haustür. welche möglichkeiten seht ihr, gegen unseriösen lobbyismus vorzugehen? oder denkt ihr, dass die zusammenarbeit von politik und bestimmten lobbygruppen unvermeidbar ist und dass es dafür auch einige positive beispiele gibt?

ich habe im internet eine interessante initiative zu dem thema entdeckt:


http://www.daburna.de/blog/wp-content/uploads/2010/10/lobby2010.jpg (http://www.worstlobby.eu/de)

Worst EU Lobbying Awards (http://www.worstlobby.eu/de)

bei den "Worst EU Lobbying Awards" kann man noch bis einschließlich 26. november über mehrere kandidaten abstimmen, die durch unseriöse lobbyarbeit auf sich aufmerksam gemacht haben. hier eine beschreibung der ziele dieser initiative:


Tausende von Unternehmenslobbyistinnen und –lobbyisten bevölkern die Brüsseler Flure der Macht. Sie arbeiten meist hinter den Kulissen und scheuen sich auch nicht, zu unlauteren Methoden zu greifen: Sie geben vor, besorgte Umweltschützer zu sein, halten die EU durch bedrohliche Szenarien von Maßnahmen ab oder sichern sich privilegierten Zugang zu EU-Entscheidern und -Entscheiderinnen.

Diese verstohlenen Taktiken, kombiniert mit der Macht von Großunternehmen, haben es Lobbyisten ermöglicht, ihre Lobbyarbeit im Namen des Profits zu Lasten von klima- und verbraucherfreundlichen Regelungen für die Allgemeinheit zu betreiben. Sie stellen ihre Profite über die Bedürfnisse von Mensch und Planet.

Wenn diese schmutzigen wie demokratieschädlichen Lobbytaktiken Sie beunruhigen, dann fürchten Sie sich nicht: Hilfe ist unterwegs und Sie können Ihren Teil dazu beitragen! Hier kommen die diesjährigen Worst EU Lobbying Awards – mit einem zweifachen Fokus: Klima und Finanzen. Mit Hilfe Ihrer Stimme und unserer „Lobby-Putze“ können wir die Lobbyszene in Brüssel säubern und Abschreckung für kontroverse Lobbypraktiken schaffen, indem wir die skrupellosesten Akteure ins Rampenlicht stellen und die Lobby von Großkonzernen innerhalb der EU-Entscheidungsgremien diskreditieren.

Lobby-Cleaner, die Anti-Heldin der Worst EU Lobbying Awards, streift auch durch die Korridore der Macht in Brüssel, hat aber ein anderes Ziel: Eine saubere Lobby und ein sauberes Lobbying. Sie ist gekommen, um die von Lobbyisten in Brüssel angerichtete Sauerei zu beseitigen. Dafür hat sie die dreistesten Lobbyisten in den Kategorien Finanzen und Klima zusammengetragen. Nämlich jene, die am rücksichtslosesten und mit den problematischsten Methoden versucht haben, ambitionierte und effektive Klima- und Finanzregulierungen der EU in der letzten Zeit zu blockieren.

Allerdings kann die „Lobby-Putze“ nicht allein entscheiden, wer den Award am meisten verdient. Deshalb ruft die Dame Sie um Hilfe, um je einen Gewinner in den Kategorien Finanzen und Klima zu küren. Informieren Sie sich hier über die Finalisten und stimmen Sie jetzt ab!.

für die finale abstimmung sind dieses jahr folgende kandidaten nominiert:

Goldman Sachs and derivatives lobby group ISDA
Hedge fund and private equity lobby groups AIMA and EVCA
Royal Bank of Scotland
ArcelorMittal
BusinessEurope
RWE (npower)

weitere infos zu den kandidaten findet ihr hier:
Worst EU Lobbying Awards (http://www.worstlobby.eu/2010/nominees)

und das sind die organisatoren dieser awards:
Corporate Europe Observatory (http://www.corporateeurope.org/)
FoE Europe - Home (http://www.foeeurope.org/)
LobbyControl (http://www.lobbycontrol.de/blog/)
Spinwatch (http://www.spinwatch.org/)

übrigens haben die kollegen der satiresendung extra3 (http://www.ndr.de/extra3/) vor kurzem die auszeichnung "Lobbyarsch der Woche" vergeben - an keinen geringen als hessens berühmtesten hassprediger ... Roland Koch:


http://www.youtube.com/watch?v=hKEVrj-GiEQ

DerBademeister
25.11.2010, 12:33
Der heilige Roland ist nur Lobbyist der Woche? Unser hessischer Berlusconi müsste sich doch mindestens den Monatstitel gesichert haben.

Reiner
28.11.2010, 10:11
Wir lernen ja nicht wirklich dazu. Viele haben FDP letztmals gewählt und sich dann erschrocken und verwundert, dass Hotels Steuerrabatt bekamen, dass Energiekonzerne nun die Atomkraftwerke länger laufen lassen dürfen, dass die sog. Gesundheitsreform eher eine Krankheit geworden ist ... etc. pp.

Auch wenn ich für Recht und Ordnung stehe, aber ich hoffe es gehen noch mehr protestieren gegen Atomkraft und gegen noch mehr Lobbyismus. Es reicht!

PS: Nächste Bundestagswahl kommt sicher, doch wage ich heute schon die Prognose = wir vergessen wieder was mal in Vergangenheit war. Das geschied ja gerade auch schon, wenn man die Grünen sieht mit deren Umfragewerte - Multikult war gestern falsch und soll nun wiederkommen oder was?

DerBademeister
28.11.2010, 19:30
Lobbyismus ist nicht per se schlecht - Gewerkschaften und Sozialverbände betreiben beispielsweise genauso Lobbyismus. Ohne den Lobbyismus gäbe es schließlich kaum gesellschaftliche Einflussnahme auf die Politik, vom Wahlkreuzerl alle vier Jahre abgesehen. Der Lobbyismus gehört also grundsätzlich zu einer aktiven Demokratie. Problematisch ist eher dass sich der Lobbyismus und die PR-Arbeit der Unternehmer- und Arbeitgeberverbände enorm professionalisiert hat. Da können Vereine und Gewerkschaften einfach nicht mithalten, weil sie nicht annähernd diese finanziellen Ressourcen auffahren können.

Was hier hilft wäre zum Ersten eine Karenzzeit für Spitzenpolitiker die ihnen verbietet direkt nach dem Ausscheiden aus der Politik einen Job in der Wirtschaft anzunehmen der unmittelbar mit ihrer vorigen Tätigkeit zusammenhängt - Beispiel Roland Koch, Beispiel Gerhard "Gazprom" Schröder, Beispiel Mietmaul Peer "nie da im Bundestag, trotzdem danke fürs Gehalt" Steinbrück. Die Halbwertszeit der meisten Politiker ist nämlich für die Unternehmen eher kurz, da sich deren Wertigkeit an ihrem Bekanntheitsgrad und der Aktualität ihrer Kontakte ausrichtet. Wer mehrere Jahre von der Bildfläche weg ist, wird kein Vorstandschef bei Bilfinger-Berger mehr oder kassiert zigtausende Euros für Vorträge.

Zum Zweiten die Ratifizierung der UN Konvention zur Abgeordnetenkorruption. Diese liegt seit sieben Jahren dem Bundestag vor, der sich aber aus bekannten Gründen weigert sich selbst strengere Korruptionsmaßstäbe aufzuerlegen. Damit befinden wir uns leider in guter Gesellschaft von Bananenrepubliken und Diktaturen und machen uns international bei allen Konferenzen und Initiativen der Korruptionsbekämpfung mehr und mehr lächerlich. So kann ich als deutscher Unternehmer z.B. straffrei einen Bundestagsabgeordneten bestechen, wandere aber vor den Kadi wenn ich einen Abgeordneten eines ausländischen Parlaments besteche - das ist nämlich strafbar. Dies ist absurd.

Drittens brauchen wir mehr Transparenz. Jeder Hartz IV Empfänger wird finanziell bis auf die Unterhose durchleuchtet, was unsere Abgeordneten nebenher verdienen verschwimmt aber nach wie vor im Nebel, da nur Nebentätigkeiten ab einer beträchtlichen Höhe überhaupt angezeigt werden müssen - und dann muss noch nicht einmal angegeben werden, wie viel derjenige z.B. für einen Vortrag vor der Versicherungsindustrie oder dem Bankenverband einkassiert hat. Bei Guido Westerwelle waren das z.B. 2008 mindestens 500.000 Euro - vermutlich deutlich mehr. Dagegen ist sein Gehalt als Abgeordneter und Parteichef schon beinahe ein Taschengeld. Wenn ich aber als Wähler genau weiß was mein Abgeordneter nebenbei macht, kann ich auch wesentlich eher einschätzen ob er meine Interessen vertritt, oder eher die von Herrn Ackermann. Mehr Transparenz sorgt also dafür dass wir bessere Wahlentscheidungen treffen können um Menschen in unsere Parlamente zu schicken die den Abgeordnetenjob nicht als bloßen Nebenerwerb ihrer sonstigen Tätigkeiten für Banken, Energiekonzerne und Versicherungen betrachten.

DerBademeister
30.11.2010, 19:21
Das WDR-Radio hatte einen Thementag zum Lobbyismus, die Beiträge kann man sich auch als Podcast anhören:
NachDenkSeiten – Die kritische Website » Hinweise des Tages (http://www.nachdenkseiten.de/?p=7578#h14)

Eine weitere Webseite um sich über Lobbytätigkeiten zu informieren ist abgeordnetenwatch.de: Das virtuelle Wählergedächtnis (http://www.abgeordnetenwatch.de/)

DerBademeister
01.12.2010, 15:20
Wie das Geschäft von Lobbyisten funktioniert

Drei Ökonomen liefern in einer Studie faszinierende Einblicke: Sie fanden heraus wie die Strippenzieher arbeiten und wann sie eine hohe Durchschlagskraft haben. Das Ergebnis: Direkte Kontakte mit der Politik zahlen sich für Lobbyisten aus.


Quelle: Handelsblatt (http://www.handelsblatt.com/politik/oekonomie/_b=2701800,_p=30,_t=ftprint,doc_page=0;printpage)