Ich wollte damit ausdrücken dass sich Brainfisters auf guter Moral begründete Argumentation nicht so einfach halten lässt. Gerade Unternehmen wie ALDI sind sehr profitabel und könnten durchaus bessere Löhne zahlen - das würde aber die Gewinne der Privateigentümer schmälern. Das sind keine schlingernden Konzerne wo die Mitarbeiter Gehaltskürzungen tragen müssen um den Konkurs zu vermeiden. Fister kann natürlich mit einigem Recht fordern "dann straft die Lohndumper ab indem Ihr bei teureren Fachgeschäften einkauft" - das verkennt aber die Lage vieler Menschen, die gar nicht den finanziellen Spielraum dafür haben und bei Läden wie Aldi und Netto einkaufen *müssen* eben *weil* ihre eigenen Löhne und Gehälter für mehr nicht ausreichen. Konzerne wie ALDI profitieren von der Verarmung der Gesellschaft.

Man sollte dieses Phänomen auch im landesweiten Kontext sehen. Dass es Deutschland erheblich schlimmer trifft als unsere europäischen Nachbarn, ist eben nicht der derzeitigen Wirtschaftskrise geschuldet, sondern der Politik der Regierungen Kohl, Schröder und Merkel, welche in den letzten 20 Jahren mit ihrer Lohn- und Steuerpolitik substanziell die Kaufkraft der Mittelschicht, und damit den Binnenmarkt geschwächt haben. Für den Titel "Exportweltmeister" kann sich der Michel nämlich nichts kaufen - in der Krise, die global stets besonders stark den Export betrifft, wirkt ein starker Binnenmarkt wie der Fels in der Brandung.

Wäre das Lohnniveau Heute noch auf dem Level von 1990, hätten die Bürger beispielsweise alleine letztes Jahr über 100 Milliarden Euro zum Verkonsumieren mehr in der Tasche gehabt - was dies für die Binnennachfrage bedeutet, kann sich sicherlich jeder ausmalen.

Dennoch predigt die Politik seit vielen Jahren unisono mit den Unternehmen die Lohnzurückhaltung. Niedrigere Löhne würden Deutschland angeblich "wettbewerbsfähiger" machen und somit Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Die aktuelle Krise zeigt klar, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Der frühere Wohlstand Deutschlands beruhte signifikant an unserem Status als Hochlohnland - und diese hohen Löhne waren eben kein Wettbewerbsnachteil, sondern Standortvorteil, da sie ein Hinweis auf gut ausgebildete Arbeitskräfte und produktive Unternehmen waren.

Noch vor dreissig Jahren war ein deutsches Durchschnittseinkommen zum Beispiel doppelt so hoch wie das eines Briten - mittlerweile haben uns die Briten überholt. Dennoch ist Deutschland kein Arbeitskräfteparadies mit Vollbeschäftigung geworden.

Traurig finde ich, dass trotz der größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren in den Köpfen der Eliten noch keinerlei Umdenkprozesse bezüglich der Führung von Staat und Wirtschaft zu erkennen sind. Wenn sich hier nichts ändert, werden Zeltstädte à la USA auch in Deutschland bald Realität werden. Der Staat muss die Kosten der Krise nun einmal irgendwem aufbürden, und wenn er so weiter verfährt wie bisher, wird sich die Oberschicht schadlos halten, während die Mittelschicht einmal mehr zum Opferaltar geführt wird. Viel zu holen gibt es dort allerdings nicht mehr.