Zitat Zitat von nevermore Beitrag anzeigen
Genau darum geht es ja bei der ganzen Debatte. Stichwort Autorenintention vs. Werkintention. Früher hat man die Interpretation darauf festgenagelt, was der Autor uns sagen wollte. Auch da können unbewusste Einflüsse hineinspielen. Das ging dann soweit, dass Literaturwissenschaftler anfingen, die Autoren zu psychoanalysieren, um herauszufinden, was der Autor denn sagen will, und man sich mehr mit der Psychologie des Autors und Versuchen, dessen Gedanken zu lesen, beschäftigte als mit dem Werk an sich.

Wobei nichtmal die behauptet haben, dass ein Werk nur enthält, das der Autor bewusst so sagen wollte - sprich geplant hat. Woher diese Idee kommt, die ich in Foren häufig lese, ist mir völlig schleierhaft.

Solche Exzesse führen in aller Regel zu Gegenbewegungen, in diesem Fall dazu, dass sich eine Richtung entwickelte, die auf irgendwelche Informationen vom Autor oder über den Autor überhaupt keine Rücksicht mehr nahm und nur den Text analysierte. Dabei wurden sogar biographische und gesellschaftliche Kontexte ausgeblendet. Die Haltung war, der Autor sei der schlechteste Interpret seines eigenen Werks. Sprich, Autoren wissen überhaupt nicht, was sie da schreiben, sie "channeln" auf irgendeine Weise irgendwelche Inspirationen und letztlich zählt nur die Werkintention.

So extrem sieht das heute auch kaum einer mehr. Ich selber finde mich da irgendwo in der Mitte wieder, denn ich glaube nicht, dass man Biographie und gesellschaftliches Umfeld gänzlich vernachlässigen kann. Definitiv geht die Aussage eines Werks aber über das hinaus, was der Autor planvoll geschrieben hat. Das heißt aber nicht, dass man beliebig alles hineininterpretieren und daraus dem Autor Absichten unterstellen kann, von denen sich der ausdrücklich abgrenzt. Wenn jemand das so interpretieren, und dafür schlüssige Begründungen im Text findet - bitte sehr. Das halte ich für legitim. Nicht aber, wenn man die eigene Interpretation zur Autorenintention deklariert.
So oder so geht meiner Erfahrung nach der Kritiker mit einer bestimmten Intention an die Interpretation so eines Werkes, und findet genau die Belege die seine Meinung bestärken - das ist eine klassische selbsterfüllende Prophezeihung für die Literatur- und Filmkritik wegen ihrer Interpretierbarkeit noch weit anfälliger sind als beispielsweise die Naturwissenschaften. Übrigens auch ein Vorwurf der den Geistes- und Sozialwissenschaften immer wieder gemacht wird.

Ich spiele deshalb gerne mal advocatus diaboli und nehme Positionen ein die ich nicht wirklich selbst vertrete (wie den Rassismusvorwurf bei Tolkien). Darüber hinaus fehlt mir bei der schieren Menge guter fiktiver Stoffe auch einfach der unbedingte Drang des Fans, ein einzelnes Werk bis in alle Ecken und Enden zu ergründen. Ich habe eine ganze Reihe Star Wars Bücher, aber so fasziniert dass ich darüber Doktorarbeiten durchackern will hat mich dieses Werk der Massenunterhaltung noch nicht.