Ich frage mich gerade, ob ich damals den falschen Film gesehen habe. Wann ging es in Elephant denn konkret um die Pubertät?Dr.Gerhirnimeinmachglas: die pubertät besteht aus vielen klischees. in dieser entwicklungsphase ist das bedürfnis, eine bestimmte rolle zu finden und irgendwas nachzuahmen, sehr groß. diese erkundungsphasen werden meist eine zeit lang sehr obsessiv ausgelebt und dann auch schnell wieder fallen gelassen. bei teenies in instabilen verhältnissen kann aber während eines grenzen-austestens auch eine art von obsession entstehen, die für einen menschen ohne entsprechende lebenserfahrung unkontrollierbar wird. dieses pubertäre entwicklungschaos wird als ein wichtiges element der symptomatik von amokläufen betrachtet. insofern ist es legitim, dass "elephant" diese elemente zeigt. warum es bei einigen teenies dann letztlich soweit eskaliert, dass eine so grausame tat folgt, ist jedoch schwer zu beurteilen. das tut der film auch nicht - gerade dieser umstand entfaltet die schockwirkung: man will es begreifen, bleibt aber mit ratlosigkeit und trauer zurück.
Und natürlich sind die Schüler die dort auftauchen Klischees. Der Film spielt halt mit der Perspektive. Man verfolgt die einzelnen Schüler ja. Schaut ihnen quasi über die Schulter. Der Film beurteilt sie nicht. Das die Jungs und Mädels Klischees sind, das ist das Urteil des Zuschauers. Weil er halt immer nur ein einen kleinen Ausschnitt aus ihrem Leben sieht.
Ich fand die ersten 60 Minuten übrigens brutaler als den eigentlichen Amoklauf am Ende.
Nehmen wir mal das Mädchen mit der Brille. Die möchte beim Sportunterricht keine kurzen Hosen tragen. Für die Lehrerin ist das ein Problem. Warum auch immer. Also kriegt die Brillenträgerin erst mal ne Standpauke. Später dann, in der Umkleidekabine, für mich die brutalste Szene des Films. Das Mädchen zieht sich um, und im Hintergrund hört man die andern Mädchen über sie lästern. Sie weint nicht; sie rennt nicht raus; sie zieht sich einfach weiter um. Da darf man jetzt reflektieren. Haben wir nicht mal alle über unseren dicken Mitschüler gelästert? Heute würde ich so etwas wohl nicht mehr tun. Damals hab ich mir keine Gedanken darüber gemacht, was so ein bisschen halblautes Lästern anrichten kann.
Aber es interessiert halt keinen wieso sie keine Shorts tragen mag.
Auch nett: Der blonde Junge am Anfang. Erst muss er mit seinem betrunkenen Vater zur Schule fahren, dann wird er gleich vom Direktor abgefangen, der ihn zum nachsitzen verdonnert, oder? Der steht dann zum Heulen in nem großen Raum. Zwar fragt ein Mädchen was er hat, aber sie muss dann auch gleich weg.
Die Schüler in der Schule, und die Lehrer, interessieren sich doch nur für sich selber. Das hat für mich nix mit der Pubertät zu tun.
Darauf gibt der Film keine Antwort? Er bezieht also keine Stellung? Hm ... 60 Minuten des Films wird der Schulalltag gezeigt. Für mich halt auf eine brutal realistische Art und Weise. Dazu gehört halt auch, das langweilige „durch den Gang laufen“. Erst die letzten 20 Minuten geht um den Amoklauf. Allein das dort erst mal alle Vorurteile aufgereiht werden, was denn der Amokläufer von nebenan für Hobbys hat (Waffen, Computerspiele etc.), und in was für zerrütteten Verhältnissen sie leben (Mutter und Vater müssen zur Arbeit! Skandal!) zeigt doch, wie wenig ernst man das zu nehmen hat."warum?"
Ein kluger Mann halt mal eine Rede gehalten, und dort gesagt, dass das wichtigste im Leben ist, aufmerksam zu bleiben. 24 Stunden am Tag. 365 Tage Im Jahr. Man nimmt den Alltag halt nur aus der eigenen Perspektive wahr. Da vergisst man schnell mal seine Mitmenschen.
Das ist für mich die Kernaussage von Elephant: Wieder mal ein bisschen mehr Rücksicht auf seine Mitmenschen nehmen. Denn am Ende weiß man halt echt nicht, ob die Frau die vor einem an der Kasse steht, und gerade ihr Kind anbrüllt, nicht die Nacht damit verbracht hat, am Bett ihres schwer krebskranken Mannes zu verbringen.
In Elephant fleht der Direktor ja auch am Ende um sein Leben. Lass uns doch drüber reden, meint er. Aber dafür ist es dann halt zu spät.
Amen.





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