Zudem empfinden wir zumindest unterbewusst gegenüber Kindern generell einen stärkeren Beschützerinstinkt. Insbesondere diejenigen die Eltern sind werden sicherlich bei jeder solcher Meldung im Kopfkino einen entsprechenden Film abspulen wie es ihnen in dieser Situation ginge.
Einen gleichartigen Instinkt gegenüber alten Menschen gibt es in der Natur nicht, da im Naturprinzip die Alten sterben sobald sie ihren körperlichen Zenit überschritten haben. Die Sorge um unsere Alten ist kein Produkt unserer Biologie sondern ein Produkt unserer Sozialisation - eines, das leider stark gelitten hat in jüngster Zeit, da gebe ich dem Fister Recht.
Aus ganz ähnlichen Urinstinkten beurteilen wir vermutlich den Tod von Frauen ("Frauen und Kinder" - nicht "Kinder und Frauen" - die Frauen sind an erster Stelle) als tragischer verglichen mit dem Tod von einfachen Männern. Journalisten sollten sich eigentlich bemühen solche subjektiven, gefühlsbetonten Wortbausteine zu unterlassen, sie tun es dennoch in der Regel nicht.
Einmal zum Thema Altersdiskriminierung zurück, ich denke wir haben Heute ein Problem der Generationengerechtigkeit. Dies trifft die Alten, aber zuweilen auch die Jungen - so wird der Lebensstandard meiner Generation in den nächsten Dekaden deutlich unter dem Lebensstandard unserer Elterngeneration liegen, was ein Novum in unserer Gesellschaftsgeschichte sein dürfte. Die Verantwortung dafür trägt aber nicht unsere Generation, sondern die 50 bis 80 jährigen die in den letzten 30 Jahren an den Schalthebeln von Politik und Wirtschaft die Weichen dafür gestellt haben.
Macht und Kapital in dieser Gesellschaft sind nicht bei uns Jungen konzentriert, sondern bei der Generation 50+. Auch als Wähler bauen sie schon rein nummerisch ihren Einfluss aus (was z.B. ein Teilgrund für die Zunahme des Konservativismus ist - ältere Leute wählen tendenziell Rechts, Jüngere links), während unsere Anzahl durch die Geburtenschwäche mehr und mehr schwindet. Musste unsere Elterngeneration einen halben Rentner mit ihrer Arbeit und ihren Steuern mitfinanzieren, werden wir einen ganzen Rentner mitfinanzieren müssen der selber nicht mehr erwerbstätig ist.
Auf der anderen Seite bildet sich auch unter den Älteren eine Zweiklassengesellschaft heraus, ein Jeder hier kennt sicherlich Ältere die sehr bequem leben, drei Reisen im Jahr machen und es sich gut gehen lassen, während wir ebenso Fälle kennen die von Grundsicherung leben und noch Zeitung austragen oder Pfandflaschen sammeln müssen um ihre karge Rente aufzubessern.
Auch der Arbeitsmarkt ist ein zweischneidiges Schwert. Viele Ältere ab 50 haben es schwer nach einem Jobverlust wieder eine Stelle zu bekommen, allerdings gibt es auf der anderen Seite auch eine Menge exzellent ausgebildete Leute zwischen 25 und 35 die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln und einfach keinen festen Job bekommen. Die deutsche Wirtschaft will nun mal die eierlegende Wollmilchsau zwischen 30 und 40 die Berufserfahrung mitbringt, keine Kinder hat, die belastbar und "flexibel" ist und sich gerne in einer Geschäftsführertätigkeit für 900 Euro im Monat aufreibt - das ist übrigens kein Witz, solche Stellenanzeigen habe ich schon gesehen. Es gibt genug Ältere die einfach deshalb rausgeschmissen werden weil sie nach Jahrzehten von Gehaltserhöhungen und guten Tarifabschlüssen erheblich teurer für Unternehmen sind - und hier tun sich gerade hochprofitable Großkonzerne wie z.B. Siemens unrühmlich hervor - während ein jüngerer Mitarbeiter für einen Appel und ein Ei zu haben ist.
Einfache Lösungen gibt es bei diesen Konflikten nicht. Ich sehe das, ganz philosophisch ausgedrückt, als Teilbereich einer größeren Teile und herrsche-Strategie mit der unsere Eliten verschiedene Gesellschaftsschichten gegeneinander aufbringen. Der inszenierte Generationenkonflikt ist da nur eine weitere Dualität neben Frauen/Männern, Wessis/Ossis, Arbeitenden/Arbeitslosen und Germanen/Migranten. Die Menschen kriegen die Nebelgranaten um die Ohren gehauen so dass sie gar nicht mitbekommen wer ihnen eigentlich wirklich das Geld aus der Tasche zieht.
Was nun den von Braini angesprochenen "Jugendwahn" angeht, so ist es doch nur eine weitere Spielart des unbegrenzten Wachstums im Kapitalismus. Jeder Markt ist irgendwann gesättigt und es müssen neue Märkte erschlossen werden um weiter zu wachsen. Wie erschließt man neue Märkte? In dem man dem Menschen/Konsumenten das Gefühl gibt, ungenügend zu sein. Selbstzufriedene, selbstsichere, glückliche Menschen sind schlechte Konsumenten. Der Mann ab 40 welcher ständig mit knackigen Sixpackbeaus bombardiert wird, entwickelt eine Unzufriedenheit und mit dieser lässt sich Geld machen. Schönheitsoperationen, die wie ein Krebs aus dem Boden sprießenden Fitnessclubs, teure Statussymbole wie dicke Autos um den eigenen Marktwert zu erhöhen und vieles mehr.
Dies funktioniert bei Mann und Frau nur wenn das Alter(n) nicht mehr als ein Wert und eine Leistung an sich angesehen wird, sondern als eine Krankheit die es mit immer teureren Mitteln zu bekämpfen gilt. Da diese Krankheit aber nicht geheilt, sondern nur permanent behandelt werden kann (einen Jungbrunnen gibt's eben noch nicht), lässt sich den Menschen dekadenlang haufenweise Mist andrehen den sie gar nicht brauchen.
Hier ließe sich noch viel schreiben, z.B. über die Verwahrung und Verbannung des Alterns und Sterbens als natürlicher Bestandteil des Lebenskreislaufs aus unserem Alltag hinter hohe Mauern von Altenheimen, Pflegeheimen und Hospizen - aus den Augen, aus dem Sinn - aber ich komme an dieser Stelle mal zu einem abschließenden Fazit:
Für mich laufen alle diese Punkte auf den homo oeconomicus hinaus, dieses goldene Kalb der Wirtschaftsliberalen. Den Menschen also, der nur noch als möglichst effizientes, möglichst produktives Humankapital angesehen wird. Der Mensch wird nicht mehr unter humanistischen Gesichtspunkten beurteilt, sondern nur noch anhand seiner Nützlichkeit. Das führt zwangsläufig dazu dass ein Jeder der nicht nützlich genug ist (im Sinne wirtschaftlicher Verwertbarkeit), seien es Alte, Arbeitslose, Behinderte, Migranten etc. - in diesem Denksystem unweigerlich abgewertet wird. Er ist weniger Mensch, weniger wertvoll.
Ich empfehle in diesem Sinne die Lektüre des Essays "Empört Euch" von Stéphane Hessel, er als Jude und Kämpfer der französischen Résistance zieht darin Parallelen zwischen dem Faschismus und diesem Raubtierkapitalismus den wir Heute mit Begriffen wie "Neoliberalismus" beschreiben. Aus meiner Sicht ist dieser Vergleich passender als uns lieb sein mag, denn beide Denkschulen laufen darauf hinaus den Wert des Menschen nicht als universell anzusehen, sondern anhand seiner Nützlichkeit und Verwertbarkeit einzuordnen. Die eine Philosophie macht das anhand biologischer und rassischer Kategorien fest, die andere anhand ökonomischer - und, wie man gerade am enormen Erfolg von Sarrazin sieht - beide Denkweisen lassen sich auch wunderbar miteinander verknüpfen.
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