@Bademeister
Vielen Dank für die Empfehlung des Essays "Empört euch". Solche Vergleichsmuster sind mir auch schon mehrmals aufgefallen. Das Idealbild des ökonomisch effizienten Leistungsmenschen ist nicht allzu weit entfernt von dem des nationalsozialistisch propagierten Herrenmenschen. Und bei jeder dieser Ideologien sind letztlich die Kranken, Behinderten und Alten nicht viel mehr als eine störende Belastung, die irgendwie "gemanaged" werden muss.
In Bezug auf den Umgang der Hitler-Diktatur mit "unwertem Leben" ist besonders erschütternd (und bezeichnend), dass viele Ärzte nicht mal die Nazi-Ideologie brauchten, um sich für das Entsorgen alter und "schwacher" Menschen zu begeistern:
Dieses Menschenbild wurde auch in anderen Diktaturen ausgelebt, z.B. vom Ceaușescus-Regime in Rumänien:[...] Bewertung der Rolle der Medizin bei der Euthanasie in der NS-Zeit
Wesentlich war die Initiativfunktion wissenschaftlicher Funktionseliten bei den NS-Medizinverbrechen.
Zu bedenken gilt, dass alle Ärzte freiwillig mitwirkten, oft sogar mit Begeisterung. Dabei stellten sie die Nazi-Ideologie und ihre eigene Einschätzung der Kranken über den Mediziner-Eid, der die Tötung eines Patienten oder den Rat dazu verbietet. Die schon lange vor Beginn des Dritten Reiches eingeleitete Schwerpunktverlagerung von der kurativen hin zu einer eugenischen, prophylaktischen Medizin führte dazu, dass Heilen und Vernichten im Selbstverständnis der am Krankenmord beteiligten Ärzte zu Kehrseiten ein und derselben Medaille wurden.
Die Medizin wurde nicht von den Nazis instrumentalisiert, sondern machte sich die eröffneten Handlungsspielräume zunutze, um ihr sozialsanitäres Programm zur Schaffung eines erbgesunden Volkskörpers in die Praxis umzusetzen. Die meisten der mehr als 20 universitären Institute für Rassenhygiene waren bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten gegründet. [...]
Quelle: Wikipedia.de
...und das alles ist noch gar nicht sooo lange her. Besonders wichtig finde ich dabei den Begriff "'Euthanasie' durch die Verhältnisse". Das umschreibt sehr gut, dass unbequeme Bevölkerungsgruppen nicht nur mit den offensichtlichen brachialen Mitteln dezimiert werden können, so wie wir es z.B. bei den Nazis erlebt haben, sondern auch durch subtile politisch/ökonomisch gewollte Änderungen in unserem Gesellschaftssystem.[...] Bis zur politischen Wende und zum Sturz Ceaușescus 1989 wurden in Rumänien vielfach ungewollte, behinderte und chronisch kranke Kinder und Erwachsene in Heimen wie Cighid systematisch vernachlässigt („Euthanasie“ durch die Verhältnisse). Es gab auch eine „Euthanasie“ für ältere Menschen, indem Patienten ab einem Alter von 65 medizinische Hilfe versagt wurde. [...]
Quelle: Wikipedia.de (Unterpunkt "Ausländische Regelungen")
Ein interessanter Beitrag zu dem Thema ist auch diese Doku aus der WDR-Reihe "die story":
ARD Mediathek: Verarmt, verstorben, verscharrt - Wenn der Tod zu teuer ist | WDR Fernsehen
ARD Mediathek: Podcast "die story - zum Mitnehmen" | WDR Fernsehen
die story - WDR Fernsehen
"Wenn der Tod zu teuer ist" - das kann in unserer Gesellschaft, unabhängig vom Alter, für jeden Menschen zum Problem werden, der nicht wohlhabend genug ist, um für sich oder seine Angehörigen die "letzte Ruhestätte" zu finanzieren. Aber gerade ältere Menschen mit schmaler Rente, die nicht mehr fit genug sind für den nervenzehrenden Behördenmarathon, haben umso schwerer daran zu tragen. Am Ende ist eben nicht mal der Tod umsonst - egal wieviele Jahre lang man sich für Vater Staat und Mama Kapitalismus den Buckel krumm geschuftet hat.
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