Zitat Zitat von Dr.BrainFister Beitrag anzeigen
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Auch das "Niemand muss sich bei Facebook anmelden"-Argument überzeugt mich nicht. Der Gruppendruck, an solchen Social Networks teilzunehmen, ist inzwischen nicht nur bei Jugendlichen sehr hoch. Als Erwachsener muss man sich inzwischen genauso rechtfertigen, wenn man nicht "dazugehört". Sowohl im Studium als auch von Kollegen im Job wird mittlerweile immer mehr erwartet, dass man sich über Facebook & Co. untereinander vernetzt. Wer dazu bewusst "Nein!" sagt, wird oft als Spielverderber hingestelllt. Oder als jemand, der sich nicht voll ins Team bzw. in die Clique einbringen will.
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Laut Facebook gibt es insgesamt fast 30 Mio. Accounts mit Ursprung aus Großbritannien, einer Staatenunion mit knapp über 60 Mio. Einwohner. Statistisch gesehen ist also jeder zweite Engländer, Waliser, Schotte und Nordire bei fb angemeldet.
Während meines Auslandsstudiums vergangenen Winter in London hatten ein mit mir befreundeter deutscher Austauschstudent und ich folgendes festgestellt: Lernt man eine neue Person kennen (dabei ist es fast egal ob das ein Student ist oder jemand vom Uni Staff oder jemand außerhalb dieser Institution) und es kommt zu einem Smalltalk der über das Erfragen des Weges hinausgeht, wird innerhalb der ersten fünf Minuten des Gesprächs die Frage "Are you on Facebook?" gestellt. Wir beide hatten und haben keinen Account dort, weshalb wir das stets mit einem wahrheitsgemäßen "No" beantwortet haben. Damit waren wir dann auch jedes Mal als prähistorische Neandertaler abgestempelt, denn einer dieser Zeitgenossen schlussfolgerte aus dem einfach "No" sogar, dass wir nicht wüssten was das Internet sei.

Also gerade in England habe ich es beinahe täglich gemerkt, wie präsent diese Krake in der Gesellschaft ist. Als ich in London mit einem Kumpel bei einer Sportveranstaltung war, war es ihm in der Pause am wichtigsten, seinen Freunden per fb mitzuteilen wo er gerade sei und was er da tut - statt sich lieber ein neues Bier tatsächlich zu kaufen. Ein viel schlimmeres Beispiel: offizielle Events der Universität, wie Exkursionen, Partys oder sonstige Unternehmungen wurden sämtlich in irgendwelchen FB-Gruppen organisiert. Erst nach vehementer Beschwerde zahlreicher Erasmus-Studenten konnte zumindest bei International Office der Uni erreicht werden, dass Informationen über Events auch über einen eMail-Verteiler weitergegeben werden. Ansonsten kannte man dort nur eine Problemlösung: "Just make a facebook account". Auf ein freundliches "I don't want to be on facebook" wurde dann erwidert "Everybody's on facebook". Damit war die Diskussion dann beendet. Eine offizielle Beschwerde von mehreren facebook-Verweigerern wurde von der Universitätsleitung dahingehend erwidert, dass man mit der Zeit gehen müsse, man so die meisten Personen der Zielgruppe (=Studenten) erreiche und man durch eine Aufsplittung des Informationsflusses (= auch noch woanders Energie als FB reinstecken) an performance verliert.

Darüber konnte man an unserer Uni hier in Deutschland - noch? - nur den Kopf schütteln. Und ich fände es äußerst erschreckend wenn es hier in D ähnliche Entwicklungen gäbe. Wenn durch das soziale Umfeld ein derartiger Druck entsteht, dass man bei einer Verweigerung schlicht mit der Isolation leben muss, dann hilft einem auch kein scheinheiliges "Niemand muss bei Facebook angemeldet sein"-Argument.
Für die kurze Dauer in England war es ja ganz erträglich, zumal mich ein englischer Mitstudent stets mit den wichtigsten Infos versorgte. Aber das kann ja nicht die Generallösung sein.

Der Post geht zwar jetzt durchaus an der eigentlichen Thematik vorbei, aber ich wollte diesen Punkt gerne noch aufgreifen.