Es wird Dich vielleicht wundern, aber ich kann Vieles in diesem dünnen Parteiprogramm unterschreiben. Was an diesem Flyer-artigen Programm allerdings gegenüber den anderen Parteien, die eine Langversion ihrer Programme bieten, fehlt, ist eine detaillierte Erläuterung ihrer Pläne zur völligen Umkrempelung unseres Wirtschaftsraumes. Nicht so wichtig bei banal-selbstverständlichen Themen wie "Deutschland muss familien- und kinderfreundlicher werden", denn das steht in allen Programmen Heute drin und unterscheidet die AfD nicht vom Rest.
Absolut unerlässlich beim absoluten Kernpunkt des AfD-Programms und ihrer eigentlichen Existenzberechtigung:
- Wir fordern eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern schadet der Euro.
- Wir fordern die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde. Die Wiedereinführung der DM darf kein Tabu sein.
Ja, in der FAQ werden immerhin einige Ideen näher erläutert, was offenbar zu Beginn des Wahlkampfes noch nicht der Fall war und zurecht kritisiert wurde. Für mich bleiben trotzdem viele Fragen offen - und ich bin kein studierter Volkswirt.
- Welchen Schritt-für-Schritt Plan hat die AfD zur Abwicklung der Eurozone?
- Wie ist der Zeitplan? In der Faq wird luftig von behutsamer Auflösung und mehrjährigen Übergangsprozessen gesprochen.
- Welche "kleinere und stabilere Währungsverbünde" sollen an ihre Stelle treten? Warum nennt Herr Lucke nicht konkret die Staaten die er für würdig erachtet?
- Wann, wie und wie schnell kann die deutsche Wirtschaft, exportabhängig wie keine andere Wirtschaft in der EU, transformiert werden um den erwartbaren Kollaps zu verhindern wenn unsere wichtigsten Handelspartner wie Frankreich nach dem Ende des Euros massiv unsere D-Mark aufwerten um ihre Wettbewerbsfähigkeit anzupassen? Diese Frage ist der absolute Knackpunkt der Eurozonenkrise, denn Deutschland hängt am süßen Gift seines durch zwanzig Jahre Lohnzurückhaltung verursachten riesigen Außenwirtschaftsüberschusses.
- Welcher Startkurs der Nationalwährungen untereinander wird angestrebt? (wichtig z.B. für Personen und Unternehmen die Geld- und sonstige Anlagen im Ausland halten - insbesondere für langfristige Investments relevant)
- Welcher Startkursder Nationalwährungen zu anderen Weltwährungen wie Dollar und Yen wird angestrebt? In der FAQ steht lediglich, der freie Markt - hier der Devisenmarkt - solle die Wechselkurse regeln, aber nicht welche Kurse zur Einführung angestrebt werden. Ist mir zu vage. Ist aber essentiell z.B. für ein Unternehmen wie VW dass einen riesen Teil seines Umsatzes in China erwirtschaftet (nur ein Beispiel).
- Was passiert mit der EZB?
- Wie werden Schulden und Forderungen an Länder wie Griechenland, Spanien etc. umgerechnet und abgewickelt wenn an Stelle der Euroschulden DM, Franc, Kronen und Co. treten? Z.b. bei langfristigen Staatsanleihen? Du weißt dass die Schulden beispielsweise der Griechen mittlerweile fast vollständig von den privaten Gläubigern auf die öffentlichen Gläubiger (vorrangig) Deutschland verlagert wurden und der nächste (auch von der AfD richtigerweise geforderte) Schuldenschnitt uns dementsprechend hart treffen wird im Bundeshaushalt. Ganz zu schweigen vom Übernächsten.
Mir würden hier noch einige weitere Fragen einfallen, der Punkt ist: Die AfD gibt darauf zu wenige Antworten für ihr Selbstverständnis als Ökonomenzirkel. Da stellt sich mir die Frage: Warum? Sie wissen es entweder selber nicht, oder wollen sich nicht angreifbar machen wenn sie konkreter werden. Dass dieses Problem unheimlich komplex ist und viele Variablen beinhaltet die wir nicht vorausplanen können ist klar - dann kann man sich aber auch nicht hinstellen und den Menschen einfache Lösungen versprechen. Meiner Ansicht nach leiden Ökonomen im Punkt der Zuverlässigkeit ihrer Planungen nicht nur diesbezüglich mittlerweile an Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten. Nach dem völligen Versagen gerade der dt. Ökonomie bei der Vorhersage der Finanzkrise sollte hier eigentlich etwas Demut eingekehrt sein.
Wer Kerneuropa von Grund auf umkrempeln will der muss auch erklären wie er das ganz konkret anstellen will, ansonsten kommt es zu genau dem ungeordneten Kollaps den Du mit Deiner Stimme für die AfD zu verhindern suchst.
Merkel und Steinbrück haben diesen Plan auch nicht, sie erläutern ihre Lösungsvorschläge noch weniger als die AfD - das ist unbenommen und ich bin der Erste der ihnen das vorwirft. Genau deshalb hangeln sie sich von Krise zu Krise ohne langfristige Lösungsansätze. Genau deshalb muss eine Partei die sich auf die Fahnen schreibt Europa mit einem großen Plan vor dem drohenden Kollaps zu retten mehr bieten als luftige Forderungen ohne ein stichhaltiges eigenes Konzept. Es ist grundlegende Wissenschaftstheorie - egal ob es sich um VWL, Politologie, Medizin oder Physik handelt - dass man Hypothesen detailliert erläutert um sie im peer review verifizier- oder falsifizierbar zu machen. Professoren sollten sich nicht davor scheuen ihre Pläne auf den Tisch zu legen und von ihren Kollegen überprüfen zu lassen.
Das was da auf der AfD-Plattform erläutert wird ist mir zu dünne und das obwohl ich dem grundsätzlichen Tenor der Eurokritik sowie der Idee den Euroraum auf ein homogenes Kerngebiet zu schrumpfen (für mich: Westeuropa + Skandinavien) durchaus zustimme.
Vom "Bodensatz" und anderen widerlichen Sozialrassismen will ich an dieser Stelle gar nicht anfangen, das würde zu weit führen.
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