Zitat Zitat von Dr.BrainFister Beitrag anzeigen
Gewissen ist für viele Menschen heutzutage nur noch ein relativer Wert.
Bei den Vorbildern braucht uns das nicht verwundern. Es ist schließlich kein Zufall dass die stetige Abnahme der Empathie unserer Mitbürger zusammenfällt mit der zunehmenden neoliberalen Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Überall stehen die Menschen Heute im Wettbewerb miteinander, werden gegeneinander aufgehetzt, müssen ihre Ellenbogen einsetzen um was zu erreichen.

Meines Wissens gibt es da in den USA eine interessante Langzeitstudie die seit mehreren Jahrzehnten bei neuen Collegestudenten psychologische Tests durchführt - Mitgefühl, Mitleid, die Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen nehmen seit ~1980 (Beginn der Reaganomics, Thatcherism, Kohl in der BRD) ab, narzisstische Typ A-Persönlichkeiten bis zur Psychopathie nehmen zu. Diese Entwicklung hat sich seit der Jahrtausendwende beschleunigt.

Wir nähern uns einem Klima der Leistungsbesessenheit, Lieblosigkeit und Mitleidlosigkeit an dass mich stark an die Vorkriegswelt von vor 100 Jahren erinnert, wie sie kongenial in Michael Hanekes bedrückendem Drama "Das weiße Band" portraitiert wird.

In dieser Gesellschaft ist die ökonomische Verwertbarkeit des Humankapitals der Gradmesser, jeder der zu alt, zu schwach oder zu ungebildet ist um bei der Kosten/Nutzenkalkulation ins Positive zu rutschen soll "verschwinden". Nicht durch den Kamin wie zu Onkel Ades Zeiten, wir sind schließlich zivilisiert, aber doch bitte außer Sichtweite unserer gepflegten Vorstädte. Wohin all diese "nutzlosen" Menschen verschwinden sollen wird selbstverständlich nie gesagt, das bleibt der Phantasie überlassen. Ob es sich nun um "Sozialschmarotzer" oder den "Bodensatz" aus Asylanten und "Wirtschaftsflüchtlingen" wie den in ihren Heimatländern weggejagten Roma handelt - geschenkt. Nicht zu vergessen das big bad, die Juden unserer Zeit natürlich, unsere muslimischen Mitbürger, jeder ein potenzieller Terrorist, mindestens aber ein Dönermörder im Wartestand.

Wenn ich einem Mann wie Lucke zuhöre wie er da bei Stuckrad-Barre sitzt, dann habe ich nicht den Eindruck dass er den Verlierern dieser Leistungsgesellschaft mehr zu sagen hat als die geschniegelten Bürschchen von der abgewählten FDP. Er wirkt wie ein netter Onkel mit seinem harmlosen Äußeren und seiner Fistelstimme, doch sein generöser Hinweis den "Bodensatz" nicht ins Land lassen zu wollen noch als Akt zum Wohle ebenjenes Bodensatzes umzudeuten - der sich schließlich eh nie aus der Gosse emporarbeiten könnte - das zeugt für mich von genau der überlegenen Attitüde eines (von uns Steuerzahlern!) gutversorgten Bessermenschen wie sie auch Thilo Sarrazin zeigt. Nicht umsonst kassieren beide Männer stets dann den lautesten Applaus von ihren rechtskonservativen Zuhörern wenn sie vom Bodensatz fabulieren.

Wenn solche Männer das Beste sind was unsere Gesellschaft aufbieten kann um die Robotregentin endlich zum Teufel zu jagen sehe ich uns selbst im besten Falle einer Wachablösung bloß vom Regen in die Traufe gleiten. Das ist kein Gesellschaftsentwurf der Aussicht und Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht in der es uns Allen besser geht (und nicht nur ein paar Begüterten die bereits jetzt kaum mehr wissen wohin mit ihrem meist geerbten Reichtum).

Helmut Schmidt sagte mal, "wer Visionen hat soll zum Arzt gehen!".
Eine Vision ist genau die Medizin welche wir Heute dringender brauchen denn je.