Erinnerungen an eine friedliche Revolution: Tag der Deutschen Einheit

[Dr.BrainFister]

Am 03. Oktober 1990 wurde Deutschland wiedervereinigt. Die ganze Welt hat damals auf unser Land geschaut, in dem wir etwas erreicht haben, das es vorher und auch danach nur selten in der Menschheitsgeschichte gab - eine friedliche Revolution:







Manch ein Ostalgiker hätte es sich wohl eher so gewünscht:




Wie erinnert ihr euch an die Deutsche Einheit? Was waren eure ersten Erfahrungen mit "denen von drüben"?

[DerBademeister]

Ich habe an den Tag keine bewusste Erinnerung - schließlich war ich erst sieben Jahre alt und durfte noch keine Nachrichten gucken, welche meine Eltern religiös um 20 Uhr verfolgten. Auch denke ich dass die Einheit für uns Westdeutsche ein weit weniger einschneidender Zeitenwandel war als für unsere ostdeutschen Mitbürger, da sich an unserer Gesellschaft schließlich kaum etwas änderte - sie wurde nur ein bischen größer. Im Osten fanden dagegen in kürzester Zeit tiefgreifendste politische, wirtschaftliche und soziale Umwälzungen statt, deren Folgen der Osten auch Heute noch nicht völlig verarbeitet hat. Nicht umsonst hat sich der Begriff "Wende" etabliert. Wirklich befreit davon sind vermutlich nur die jungen Ostdeutschen unter 25 welche keine bewusste Erinnerung an das "davor" der DDR mit ihrem anderen Gesellschaftsentwurf haben.

Wo wir aber nun der Einheit gedenken darf auch ER nicht fehlen - schließlich brachte SEIN Song alleine die Mauer zum Einsturz.

[Dr.BrainFister]

Ich kann mich an den Tag der Wiedervereinigung auch nicht mehr bewusst erinnern, obwohl ich ihn auf der Ostseite erlebt habe. Kann daran liegen, dass die damit verbundenen Festivitäten damals nicht bis in unser winziges Dörfchen durchgedrungen sind. Woran ich mich aber noch erinnern kann, ist unser erster Besuch im Westen. Das müsste schon 1989 gewesen sein, kurz nachdem die Grenze geöffnet wurde. Wir sind damals zu Verwandten nach Bayern gefahren, um endlich mal echte Westluft zu schnuppern. In meinen Erinnerungen sind von diesem Besuch vor allem die prall gefüllten Schaufenster und die bunte Leuchtreklame hängen geblieben, die ich bei einem Spaziergang durch die Einkaufsstraße fasziniert bestaunt habe. Plötzlich war all das tolle Spielzeug, das ich sonst nur aus dem Westfernsehen kannte, zum Greifen nah. Eine riesige Reizüberflutung. Zum Glück meiner Eltern war es schon etwas später am Abend und die Geschäfte waren bereits geschlossen. Ich konnte mich also nicht in meinen ersten bewusst erlebten Konsumrausch hineinstürzen, selbst wenn ich das damals wahrscheinlich seeehr gerne getan hätte.

Später schlich ich mich dann in die Speisekammer unserer Verwandten, während alle anderen schliefen. Dort gab es so vieles, das ich unbedingt mal ausprobieren wollte: z.B. jede Menge Saftflaschen mit Hohes C und haufenweise Schokoladensorten. Selbst die Rennie Magenkaugummies, die da gerade rumlagen, waren nicht vor mir sicher. Sahen irgendwie zu lecker aus in ihrer schicken Verpackung. Nach dieser Fressorgie ist es mir kotzübel geworden. Aber zum Glück hatte mich niemand dabei ertappt. Die West-Verwandten werden es am nächsten Tag wahrscheinlich bemerkt haben, zeigten ggü. uns armen Ossies jedoch ihre kapitalistische Großzügkeit und machten kein Problem aus der Sache. Mein Erstkontakt mit denen von "drüben" ist also friedlich verlaufen und weckte bei mir Lust nach mehr... Spielzeug und Süßigkeiten!

Eine durchaus gelungene filmische Aufarbeitung der Vorwendejahre ist übrigens "Der Turm", nach dem gleichnamigen Roman von Uwe Tellkamp. Man kann sich den Zweiteiler sowie einiges an Begleitmaterial derzeit noch kostenlos online in der ARD-Mediathek anschauen:
ARD Mediathek: Sammlung "Der Turm - Reise in ein versunkenes Land" |

Wer sich den Film irgendwann mal später anschauen möchte, findet hier einige Tipps zum Runterladen von Videos aus der Mediathek:
http://www.chip.de/artikel/Mediathek..._47670328.html

[DerBademeister]

Das ist ja noch ein vergleichsweise geringer Kulturschock. Ich habe mal einen Film über junge afrikanische Flüchtlinge gesehen die von ihrem Flüchtlingslager in die USA emigrieren durften, wo sie aber schon nach drei Monaten Starthilfe auf eigenen Beinen stehen mussten (ein soziales Netz gibt es in den Staaten eben nicht). Die hatten noch nie einen Kühlschrank und fließend Wasser gesehen. Der Film heißt "God grew tired of us" (ist glaube ich auch irgendwo legal im Stream anguckbar) und die Protagonisten wurden über mehrere Jahre im Mutterland des Kapitalismus begleitet. Im Sarrazinzeitalter kann man sich kaum verstehen welche enorme Anpassungsleistung den Flüchtlingen und Einwanderern abverlangt wird, eine Leistung die sich weniger in Euro und Dollar umrechnen lässt und deshalb auch nicht geschätzt wird.

Für manchen Germanen ist es schon traumatisch von München nach Hamburg zu ziehen.

Wie sind eigentlich Deine Erfahrungen mit der Besserwessi-Attitüde?

[Dr.BrainFister]

Euch allen einen wunderschönen, erholsamen und besinnlichen Tag der Deutschen Einheit!

[DerBademeister]

Den wünsche ich Dir auch!

Schade dass wir ausgerechnet heute nicht konsumieren, kaufen, kaufen können wegen Feiertag.
Wie besser könnte man den Tag der Einheit feiern als mit einer Konsumorgie?

[Dr.BrainFister]

Den wünsche ich Dir auch!

Schade dass wir ausgerechnet heute nicht konsumieren, kaufen, kaufen können wegen Feiertag.
Wie besser könnte man den Tag der Einheit feiern als mit einer Konsumorgie?

Danke! Schade aber auch, dass du selbst am Tag der Einheit die typisch deutsche Zynismuskeule rausholen musst.

(PS: Bei mir in der Nähe veranstaltet eine Stadt für alle Konsumjunkies einen "verkaufsoffenen Feiertag"... )

[DerBademeister]

Danke! Schade aber auch, dass du selbst am Tag der Einheit die typisch deutsche Zynismuskeule rausholen musst.

(PS: Bei mir in der Nähe veranstaltet eine Stadt für alle Konsumjunkies einen "verkaufsoffenen Feiertag"... )

Bei dem schönen Wetter habe ich lieber im Wald einen Ausflug gemacht. Kostenpunkt: sozialistische 0,00 Euro.

Ist der Zynismus eigentlich typisch westdeutsch oder typisch gesamtdeutsch, also auch typisch ostdeutsch?
Die Wessis hatten als Land wo Milch und Honig floss doch eigentlich weniger Grund zum Zyniker zu mutieren.

[Dr.BrainFister]

Ich glaube, Zynismus und vor allem der notorische Hang zum Nörgeln war und ist ein gesamtdeutsches Phänomen.

[DerBademeister]

Deshalb sind wir auch den Südländern in Hassliebe verbunden. Da funktioniert die Hälfte nicht, die Organisation ist ein Graus und die Leute machen sich trotzdem locker - wie können die nur!?!

[Dr.BrainFister]

@Bademeister
Jetzt versteh ich endlich, warum du in letzter Zeit öfter mal die "Besserwessi"-Schublade rausholst - du bist als Praktikant beim "letzten Ossi" angestellt:



Wer ein so hohes Opfer für die Annäherung zwischen Ost und West bringt, verdient meinen Respekt. Ein Hoch auf die Völkerverständigung (ostdt. Übersetzung: "Välgervarständschung")!

[DerBademeister]

Ach was, ich bin noch bei dem Kerl am Anfang dieses Clips (der mit der Hornbrille aus Spanholz-Imitat-Gestell) in die Lehre gegangen: