Ich möchte - kommentarlos diesmal - die Aufmerksamkeit auf einen interessanten Spiegelartikel zum Thema lenken (und diesen Thread damit mal wieder ausgraben):

NICHTRAUCHERPOLITIK

"Kapitulation vor der Tabakindustrie"

Von Alexander Bürgin

Nirgendwo in Europa rauchen so viele Jugendliche wie in Deutschland. Nun will Gesundheitsministerin Schmidt Jugendliche, die das Laster aufgeben, mit 2500 Euro locken. Gesundheitsexperten halten wenig von solchen Angeboten und fordern stattdessen eine umfassende, präventive Nichtraucherpolitik.

Weder gute Neujahrsvorsätze, noch schlaue Bücher, Nikotinpflaster oder die Erhöhung der Tabaksteuer helfen: Zwar wollen neun von zehn Rauchern mit ihrem Laster aufhören, doch nur die wenigstens schaffen es tatsächlich. Studien belegen: Wer vor dem 20. Lebensjahr anfängt, hat es besonders schwer, Psyche und Körper von der Sucht zu befreien.

Ausgerechnet in dieser Gruppe hält Deutschland den traurigen Spitzenplatz: In keinem Land der EU rauchen mehr Jugendliche als bei uns. Jeder Fünfte zwischen 12 und 15 Jahren, gar jeder Zweite bei den 16 bis 19-jährigen greift mehrmals täglich zur Zigarette. Schlimmer noch: Das Einstiegsalter ist auf 13 Jahre gesunken.

Deutschlands Jugendliche rauchen am meisten

Nun will Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mit der am Aschermittwoch gestarteten Nichtraucherkampagne "Rauchfrei 2004" zehntausende zum Aufhören bewegen: Die Teilnehmer verpflichten sich vier Wochen nicht zu rauchen - kontrolliert wird per Urintest. Wer nicht geschummelt hat, kann in einer Verlosung 2500 Euro gewinnen.

Doch der Kampf gegen das Rauchen bei Jugendlichen ist halbherzig, kritisieren Gesundheitsexperten. Erfolgversprechender wäre eine Politik, die konsequent auf Prävention setzt - damit Jugendliche erst gar nicht zum Glimmstängel greifen. Doch daran hapert es. Zwar plant die Ministerin Zigarettenautomaten bis 2007 mit Geldkarten umzurüsten, so dass Jugendliche nicht mehr so leicht ein Päckchen ziehen können - konsequent aber wäre eine komplette Abschaffung der Automaten. Außerdem: Wie einfach lässt sich eine solche Karte etwa bei älteren Mitschülern besorgen.

Halbherzige Politiker

Auch will die Gesundheitsministerin Packungen mit weniger als 17 Zigaretten verbieten. Denn je kleiner die Packungen, desto weniger Geld müssen die Kids auf einmal ausgeben, um an Zigaretten zu kommen. Die Tabakindustrie versucht durch diese Minipacks der Erhöhung der zu Jahresbeginn eingeführten Tabaksteuer entgegenzuwirken.

Studien des deutschen Krebsforschungszentrums belegen: Eine zehnprozentige Preiserhöhung bringt einen verringerten Konsum von 4 Prozent. Bei Jugendlichen ist die Preisempfindlichkeit aber bedeutend höher.

Eine kräftige Tabaksteuererhöhung wäre daher eine erfolgreiche Strategie. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt Deutschland beim Preis für Zigaretten nur im Mittelfeld - die osteuropäischen Staaten ausgenommen. "Ich hätte die Erhöhung der Tabaksteuer zu Jahresbeginn gerne höher ausfallen lassen, mehr war aber im Vermittlungssauschuss nicht drin", schiebt die Gesundheitsministerin den schwarzen Peter der Union zu.

Werbung fördert den Einstieg mehr als Eltern

Nichts Halbes, nichts Ganzes ist auch das Werbeverbot in Kinos vor 18 Uhr. Wer geht schon im Alter von 16 Jahren am Nachmittag ins Kino? In Frankreich dagegen gibt es ein umfassendes Verbot - im Kino, in Zeitungen und Journalen. Die Studien des Deutschen Krebsforschungszentrums zeigen: Zigarettenwerbung fördert den Einstieg ins Rauchen - mehr als der Einfluss von qualmenden Eltern.

Martina Pötschke-Langer, Medizinerin am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg hat für die halbherzigen Maßnahmen der Politik eine einfache Erklärung: "Die Politik kapituliert vor der mächtigen Tabakindustrie."

Andere Länder machen es besser

Pötschke kritisiert den Vertrag zwischen Tabakindustrie und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, einer dem Gesundheitsministerium nachgeordneten Behörde: 11,8 Milliarden Euro innerhalb von fünf Jahren lassen die Rauchwarenhersteller dafür springen. "Das Gesundheitsministerium ist der Tabakindustrie in die Falle gegangen. Denn die aus der Kooperation resultierenden Kampagnen sind nicht wirklich gegen das Rauchen gerichtet", sagt die Medizinerin. Von einer Politik, die sich von der Tabakindustrie sponsern lässt, dürfe man keine konsequente Prävention erwarten.

Der Tabakindustrie wirft sie vor, die Abhängigkeit von Jugendlichen bewusst zu fördern. "Die Zusatzstoffe in Zigaretten sind so entwickelt, dass der natürliche Ekel von Teenagern gegenüber der Zigarette abnehme. Die Politik müsste die Zusatzstoffe verbieten oder zumindest die Offenlegung deren Wirkung vorschreiben. Viel Hoffnung setzt sie nicht in die Politik: "Die Verantwortlichen lassen zu, dass unsere junge Generation in die Abhängigkeit getrieben wird."

Gleicher Tenor auch bei Klaus Hurrelmann, Leiter des Zentrums der Weltgesundheitsorganisation (WHO)an der Universität Bielefeld. "Dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Geld von Tabakindustrie angenommen hat, merkt man den Kampagnen an." In Deutschland gebe es zwar einige gute Einzelaktionen wie die "Rauchfrei 2004" - Kampagne, aber eine präventive Politik aus einem Guss fehle. Grund: "Die gesellschaftliche Akzeptanz ist bei uns höher als in anderen Ländern", so Hurrelmann. Demnächst wird das Bielefelder WHO-Zentrum eine Studie veröffentlichen, die den traurigen Spitzenplatz Deutschlands unter 35 Ländern bei jugendlichen Rauchern bestätigen wird.

Hundertausende sterben an den Folgen der Sucht

Die Folgen der Sucht sind so erschreckend wie bekannt: Zwischen 100.000 und 140.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Rauchens. Das Krebsrisiko ist 30fach höher als bei Nichtrauchern. Besonders fatal: Wenn ein Mädchen regelmäßig raucht, hat es gar ein um 70 Prozent höheres Brustkrebsrisiko.

Neben dem Krebsrisiko steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarkts, da die Blutgefäße sich verengen. Die Lebenserwartung von Rauchern liegt daher deutlich unter der von Nichtrauchern. Während 80 Prozent der Nichtraucher das 70. Lebensjahr erreichen, gelingt dies nur 50 bis 70 Prozent der Raucher.

Weniger dramatisch, aber noch viel verbreiteter: die Alltagsleiden der Raucher wie Kurzatmigkeit, Husten, Infektanfälligkeit. Wenig verwunderlich, pumpt der Rauch von einer Packung Kippen doch eine Tasse Teer und 300 Gramm Rauchstaub in die Lunge.

Methoden, aus der Abhängigkeit raus zu kommen, gibt es viele. Die von Gesundheitsministerin Schmidt eröffnete "Rauchfrei 2004" - Kampagne setzt auch auf Nichtraucher. Sie sollen Raucher während der vier Wochen zum Durchhalten motivieren und können dafür ebenfalls 2500 Euro gewinnen. Teilnahmekarten liegen ab heute in Apotheken, Krankenkassen und den Service-Points der Deutschen Bahn aus. Der Wettbewerb findet zum dritten Mal und parallel in etwa 100 Ländern statt. Etwa 90 000 Raucher nahmen beim letzten Mal in Deutschland teil - etwa jedem dritten gelang der Ausstieg, schätzen die Initiatoren.

Rasche Erfolge lassen sich schnell erzielen: Bereits nach acht Stunden ohne Kippe sinkt der Kohlenmonoxid-Gehalt im Blut, die Blutgefäße und Organe bekommen mehr Sauerstoff. Und eine gute Nachricht für diejenigen, die Angst um ihre Figur haben: Aufhören macht nicht unbedingt dicker.
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/...,288128,00.html

Beschuldigt mich ruhig der penetranten Schleichwerbung für Spiegel.de, das lasse ich mir gefallen.