Eigentlich halte ich Disclaimer für ziemlich überflüssig, aber hier schiebe ich sicherheitshalber einen vor. Diese Geschichte enthält Darstellungen grafischer Gewalt und nongrafischer Sexualität. Mit anderen Worten: Wer die Tagesschau ohne Schreikrämpfe übersteht und nicht total verklemmt ist, findet hier nichts vor, was diesen Disclaimer nötig machen würde. Ich gehe davon aus, daß keine Vor- und Grundschulkinder in diesem Forum unterwegs sind, aber falls doch ...
Liebe Kinder, in diesem Märchen passieren Sachen, die ihr viel schlimmer schon im TV gesehen habt, weil eure Eltern nicht auf euren Medienkonsum achten. Falls eure Eltern das doch tun sollten, lesen sie auch jetzt gerade mit.
Liebe Eltern, wenn Sie hier gerade mitlesen, beachten Sie bitte, daß Ihre Kinder diese Geschichte meiner Ansicht nach nicht lesen müssen. Die endgültige Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen.
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Der viel zu schöne Tod
Der Blick der Wächters schweifte gelangweilt durch die spätabendliche Dämmerung. Sie verbarg weiter nichts als die endlose Weite der Nördlichen Steppe, die direkt am Fuße der Mauer begann, auf deren Wehrgang der Posten seinen Dienst versah.
Kiuraan wußte, daß er sich seinen Mangel an Aufmerksamkeit leisten konnte. Die Garnison des Schirmherrn in der kleinen Stadt an der Grenze zwischen den Provinzen Palmadh und Buria lag etliche Marschstunden hinter jener Linie, an der Kämpfe stattfanden, seit die Truppen des Schirmherrn nach Einnahme der Provinz Palmadh weiter nach Süden vorgedrungen waren.
Ihr Ziel war die Hauptstadt des bridanischen Reiches, Draghaven, mit deren Sturz die endgültige Unterwerfung der nördlichen Hälfte des Subkontinents nur noch eine Frage der Zeit sein konnte. Die Bridaniin waren von der gleichen Art wie die Eroberer, doch an ihrer Seite kämpften die Efhiri und die Amesha, fremde Wesen, deren Kampfkraft den Sieg ebenso hinauszögerten wie der Widerstand der Bridaniin selbst.
Der Blick des jungen Mannes wandte sich von der Dunkelheit ab, welche inzwischen die Dämmerung abgelöst hatte, und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Innere der Stadt. Wenn überhaupt Gefahr drohte, dann höchstens durch rebellische Stadtbewohner und nicht durch die leere Steppe. Dem ihm zugeteilten Mauerabschnitt gegenüber lag das Haus, das der Befehlshaber der Besatzungstruppen in Beschlag genommen hatte. Aus den Fenstern der oberen Etage drang noch immer Licht.
Bereits am Nachmittag war der Tausendschaftsführer des nächstgelegenen Kampfabschnittes erschienen, um mit seinem Amtsgenossen das weitere Vorgehen zu besprechen. Die Chancen standen gut, daß die Stadtbesatzung verringert wurde, um mit den freigewordenen Truppen an der Kampflinie schnellere Ergebnisse zu erzielen. Das wäre für viele junge Kämpfer wie Kiuraan die Chance, sich zu behaupten und den eigenen Aufstieg voranzutreiben.
„Träumst du wieder, Kiu?“
Der Ruf riß ihn aus seinen Überlegungen und er blickte auf den Innenhof, wo sein Kamerad Heenoan übertrieben mit den Armen fuchtelte, als könne er nur so Kiuraans Aufmerksamkeit gewinnen.
Richtig, es ist Zeit für die Ablösung, dachte dieser. „Einen Augenblick, Heen“, rief er zurück, gerade laut genug, daß der Andere ihn verstehen konnte. Der Befehlshaber mochte es nicht, in Besprechungen gestört zu werden.
Die Kampfstiefel klackten metallisch auf dem aufgerauhten Stein der Rampe, als Kiu vom Wehrgang hinabstieg. Die scharfen Kanten der Stiefelspitzen, die den Tritt eines Bridaniin im Kampf noch mehr Wirkung verliehen, hinterließen Scharten im Stein, der für solches Schuhwerk nicht gefertigt worden war. Die hiesigen Bridaniin trugen nur leichte Stiefel, welche die verletzbaren Bereiche ihrer paarhufigen Füße schützten.
„Du kommst spät, Heen“, meinte Kiu, noch bevor er unten angekommen war. „Ich habe gar nicht mehr mit dir gerechnet“, fuhr er fort und wandte sich dem Freund zu.
Dieser grinste. „Eines der Mädchen hielt mich etwas länger auf, als eigentlich beabsichtigt. Aber ich wollte sie nicht enttäuschen ...“
„... schließlich sollen wir ja ein gutes Verhältnis zur Bevölkerung in den besetzten Gebieten herstellen, wo immer möglich“, ergänzte Kiu trocken. Er kannte den Anderen gut genug, um ihm das Ende seines Satzes sinngemäß vorwegzunehmen.
„Du hast leider das Beste verpaßt. Die Frauen hier sind anders als in der Heimat. Sie sagen, wenn ihnen etwas nicht paßt und sie wissen, was sie wollen.“
„Deinen Beuteanteil zum Beispiel?“
Heens Gesicht wurde ernst. „Sie scheinen es hier gar nicht zu kennen, sich dafür bezahlen zu lassen. Ich hatte eher den Eindruck, sie haben sich aus freiem Willen bereitgefunden, uns zufriedenzustellen und damit den Besatzungsfrieden in dieser Stadt zu schützen..“
„Das klingt beinahe, als hättest du ein schlechtes Gewissen.“
„Um ehrlich zu sein, mache ich mir Sorgen. Du weiß, daß auch Frauen gegen uns angetreten sind. Zuerst dachten wir, es wäre reiner Mangel an Truppen, der sie dazu trieb, auch Frauen in den Kampf zu schicken, aber inzwischen wissen wir, daß die meisten von ihnen längst Waffen führten, als die Säulen noch geschlossen waren und wir beide noch Milchvieh hüteten.“
„Ja, und? Die Leute hier sind seltsam, das wissen wir doch schon seit unserem Einmarsch.“
„Nun, es ist zumindest ungewohnt, mit einer Frau das Lager zu teilen, die einem ebenso gut im Kampf gegenüberstehen könnte.“ Sein nur allzu bekanntes Grinsen kehrte rasch auf sein Gesicht zurück. „Es hat aber auch etwas. – Pech für dich, daß du ausgerechnet für heute die erste Wache gezogen hast.“
Kiu zuckte mit den Schultern. „Es wird für mich noch Gelegenheit geben zu prüfen, ob du Unsinn redest oder nicht. Für heute werde ich mich allein schlafen legen.“
„Tu das. Ich wecke dich dann, wenn du wieder mit der Wache an der Reihe bist. Träum’ was Schönes.“
„Werde ich.“
Mit einem neuen Bündel Überlegungen beschäftigt, begab sich Kiu zu dem Heuschuppen, der sich an die Stadtmauer lehnte. Man hatte es den Soldaten mehr oder weniger freigestellt, wo sie sich einquartierten; er und Heen hatten es vorgezogen, ihr Domizil in diesem Schuppen einzurichten. Zwischen den Ritzen der Bohlenbretter drang gedämpftes Licht hervor. Sein Freund mußte es für ihn angelassen haben.
Wenn du nach deiner Verlustierung nicht wieder Ordnung gemacht hast, Heen, dann schuldest du mir eine Doppelwache, dachte er und schloß die Tür hinter sich, während er rückwärts eintrat.
Als er sich umwandte, stellte er überrascht fest, daß sein Schlafplatz nicht leer war.
Sie schien nicht überrascht, ganz offensichtlich hatte sie auf ihn gewartet.
Heen, das hättest du mir auch vorher sagen können, dachte er, und mußte unwillkürlich lächeln.
Sie lächelte ebenfalls, nicht scheu, aber zurückhaltend und schweigend. Sie schien darauf zu warten, daß er das Gespräch eröffnete.
„Wie ist dein Name?“, fragte er freundlich, um überhaupt einen Anfang zu finden. Er hatte nie Probleme gehabt, mit einer Frau zu reden, aber das vorangegangene Gespräch mit seinem Freund ging ihm noch immer durch den Kopf.
„Shzis“, antwortete sie. Ihre Stimme klang wie langsam strömendes Wasser, war weder sehr hell noch übermäßig dunkel. Sie gab sich nicht die Mühe, ihrer Stimme einen verheißungsvollen Unterton zu geben, wie es selbst die Sklavinnen in der Heimat getan hätten, um ihre Position im Frauenhaus zu verbessern. Es war eine angenehme Stimme, doch die Sachlichkeit, die allein in der Nennung ihres Namens steckte, irritierte Kiu noch mehr.
Es war im auf einmal unangenehm, sein Gegenüber nicht genau erkennen zu können, und dabei selbst im Halbdunkel zu stehen. Er redete sich ein, lediglich wissen zu wollen, was ihm Heen auf Lager gelegt hatte, als er das Tuch vor der Öllaterne entfernte.
„Shzis“, wiederholte er nachdenklich, als er sie musterte. Unter der dünnen Sommerdecke seines Lagers zeichneten sich verführerische Formen ab, für die er jedoch nur einen kurzen Blick hatte. Was ihn fesselte waren ihre Augen, in deren blanken Schwarz sich die bläuliche Flamme der Lampe irritierend spiegelte. „Das ist kein bridanischer Name“, meinte er, um seine erneute Verunsicherung zu überspielen. „Fließt in dir Blut der Efhiri?“
„Mein Vater stammte aus Tzane“, entgegnete sie und senkte ergeben den Kopf. „Stößt dich meine Herkunft ab?“
„Nein“, entgegnete er aufrichtig, trat zu ihr und hockte sich nieder. „Ich wußte nur nicht, daß Bridaniin und Efhiri Nachkommen zeugen können.“ Seine Hand schob sich unter ihr schmales Kinn und sanft drückte er mit zwei Fingern ihren Kopf nach oben, so daß er ihr fein geschnittenes Gesicht betrachten konnte.
In diesen Augen kann man ebenso leicht versinken wie in einem nächtlichen See, dachte er und senkte seinerseits den Blick. Seine Hand folgte der Kontur ihres Kinns und sie neigte leicht den Kopf, als er ihren Hals erreichte.
„Ich genüge demnach deinem Anspruch?“, fragte sie, erneut lächelnd.
Er nickte und seine Finger folgten der Linie ihres schlanken Halses bis zu dem Schultern. Ihr dunkles Haar war lang und bedeckte den Teil ihres Körpers, der nicht von der Decke verhüllt wurde. Als er es beiseite strich, bemerkte er einen ungewohnten Widerstand, als würde er die Festigkeit eines Sperrdrahtes prüfen. Die Efhiri sind seltsame Wesen, dachte er, doch sie haben schöne Töchter. – Auf ihrer bloßen Schulter bemerkte er die zierliche Tätowierung, die stilisierte Darstellung eines ihm unbekannten Vogels.
„Das Zeichen meines Hauses“, erklärte sie, bevor er fragen konnte.
„Steh auf“, verlangte er an Stelle einer Entgegnung, und erhob sich selbst ebenfalls.
Sie folgte seiner Bewegung und die Decke blieb auf dem Boden zurück. Sie hatte nicht versucht, sie zu halten.
Als sie vor ihm stand, bemerkte er erst, daß er sie fast um doppelte Haupteslänge überragte. Die Efhiri sind alle kleiner als die Bridaniin, erinnerte er sich, und diese Erkenntnis gab im seine Selbstsicherheit zurück; neu geformt durch ein irrationales Gefühl der Überlegenheit.
Dieses Gefühl gab ihm den Mut, das Ebenmaß ihres Körper ohne die vorherige Unsicherheit, aber doch Zurückhaltung zu erkunden. Die Furcht vor dem Neuen hatte der Sorge Platz gemacht, ihr in ihrer Zerbrechlichkeit Schaden zuzufügen. Behutsam folgte er der Linie ihrer Schultern bis zum Ansatz ihrer Brüste.
„Für einen Eroberer bist du sehr zartfühlend“, meinte sie. Der plötzliche Sarkasmus in ihrer Stimme war unüberhörbar, und er traf Kiu wie ein kleiner Hieb.
Es war mehr Ärger als der Wunsch, ihr das Gegenteil zu beweisen, der dafür sorgte, daß er sie grob an sich zog. „Ihr seht uns zu Recht als Eroberer, aber wir sind keine Tiere“, sagte er heftig. „Was wir tun, das tun wir für ...“ Er hielt inne und lockerte die Festigkeit seines Griffes etwas, als er das spöttische Glitzern in den Abgründen ihrer Augen bemerkte. Sie hatte ihn bewußt provoziert, warum auch immer.
„Es ist mir gleichgültig, was dich von zu Hause fortgetrieben hat, um hier ein Sieger zu sein“, stellte sie fest. „Aber mein Hiersein ist Teil deiner Beute. Vergeude sie nicht.“
Er ließ sie ganz los und drückte sie von sich weg. Die Wärme, die seine Kleidung bereits durchdrungen hatte, verschwand von einem Moment auf den anderen. „Vielleicht will ich dich gar nicht als Beute“, meinte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann riechen, wie sehr du mich willst.“ Wie zur Bestätigung zitterten ihre feinen Nasenflügel, als würde sie Witterung aufnehmen. „Du bist ein schlechter Lügner.“ Sie trat näher und nestelte müßig an den Bändern, die seine Kampfrobe zusammenhielten. „Ich will nicht umsonst hierher gekommen sein. Laß mich wissen, ob du wenigstens ein guter Liebhaber bist.“
„Was gibt es dir, deinem Feind zu Diensten zu sein?“, meinte er kopfschüttelnd, ließ aber zu, daß sie nach und nach alle Bänder löste.
Sie hielt inne. „Du verstehst es wirklich nicht, oder? Vielleicht suche ich auch nur etwas Abwechslung? Vielleicht gibt es mir nach einigen Mißerfolgen der Armeen meiner Leute ein Gefühl der Überlegenheit, dich hier wie einen dummen Jungen stehen zu sehen, und nicht als einen Sieger?“ Er entgegnete nichts, und sie löste auch seinen Waffengurt. Die Kampfsichel prallte dumpf auf den heubedeckten Boden.
„Wenn es eine geteilte Nacht ist, was du willst“, meinte er, „warum gibst du mir dann das Gefühl, ich würde auch dann verlieren, wenn ich dein Interesse erwidere?“
„Warum findest du nicht heraus, ob dein Gefühl zutrifft?“
Er nickte zögernd und neigte schließlich den Kopf, um den letzten Abstand zu überwinden.
Ihre Lippen waren warm, doch der Kuß hatte einen seltsamen Geschmack, eine seltsam aromatische Bitterkeit. Es erschien ihm als eine konsequente Fortsetzung von Shzis’ Charakter.
Kaum merklich drängte er sie zurück, bis sie an die Stadtmauer stieß, welche zugleich die Rückwand des Schuppens bildete. Er bemerkte ihr Zusammenzucken, als ihr Rücken den kalten Stein berührte, doch er wich nicht zurück. Er hatte vorgehabt, sie die Kälte vergessen zu lassen, doch seltsamerweise schien sie keine Wert auf ein zärtliches Vorspiel zu legen.
Auffordernd preßte sie ihren Unterleib gegen den seinen. Er spürte ihr Gewicht kaum, als sie sich, auf seine Schultern gestützt, nach oben drückte und ihre Beine schlangengleich um seine Hüften wand.
Die Natur hatte ihren Teil getan, um die Vereinigung zu ermöglichen, und sie bestimmte auch das weitere Geschehen. Ihrer beider Atem beschleunigte fast gleichmäßig zu den Bewegungen ihrer Körper, nachdem sie ihren ganz eigenen Rhythmus gefunden hatten.
Im gleichen Maße, wie sich ihr Atem in ein heiseres Raunen verwandelte, spürte er den Druck in seinen Lenden übermächtig werden. Erst als sich ihre haltsuchenden Hände in seinem Nacken jäh verkrampften, gab er die letzte Spur von Kontrolle auf, die er bis zu diesem Augenblick hatte bewahren können.
Der Augenblick höchster Erregung ging viel zu schnell vorüber und machte jener Klarheit Platz, die sich stets dann einstellte, wenn die Lust gegangen war. Heftig atmend löste er mit einer fahrigen Bewegung ihre Umarmung. Unzählige Ungereimtheiten in den Ereignissen der letzten Viertelstunde begehrten gleichzeitig bei ihm Audienz.
Ihr war keine Spur von Erschöpfung anzumerken und sie schien sich nicht daran zu stören, daß er sie plötzlich mit einer Distanziertheit betrachtete, als erwartete er, daß sie sich vor seinen Augen in etwas Entsetzliches verwandelte. Sie strich sich eine paar Haarsträhnen aus dem Gesicht ... Und lachte.
Es war ein leises, unaufdringliches Lachen, daß geeignet war, die seltsame Barriere zu lösen, die sich urplötzlich aufgebaut hatte. Spielerisch warf sie ihr Haar hoch und die drahtigen Strähnen legten sich über seine Schultern. Sie stelle sich auf die Zehenspitzen und stieß ihre Nasenspitze neckisch gegen sein Kinn, als wollte sie ihn ermuntern, einen besseren Ausklang des vorangegangenen Taumels zu finden.
„Was ist mit dir“, fragte sie, als er nicht reagierte. „Hat meinen Eroberer bereits die Kraft verlassen?“ Es klang eher enttäuscht als provozierend.
„Etwas anderes führt dich hierher“, stellte er fest. „Es ging dir nicht darum, einem Feind die eigene Schwäche und Verführbarkeit vor Augen zu führen. Jedenfalls ist das nicht die ganze Wahrheit.“
Ihre Antwort bestand aus einem durchdringenden Blick. Als ihr bewußt wurde, daß er diesmal seine Wirkung verfehlte, nickte sie. „Du wirst alles morgen erfahren. Wenn du aber darauf bestehst, sie jetzt von mir zu hören, dann ...“ Sie stockte und neigte den Kopf etwas zur Seite, als müßte er wissen, wie der Satz ausging. „Du weißt nicht, was mein Name aussagt, nicht wahr?“, fragte sie, bevor er antworten konnte.
„Shzis“, murmelte Kiu nachdenklich. „Der Name stammt aus der Sprache des Volkes deines Vaters. Was bedeutet er?“
„Tod.“
Sein Begreifen hatte keine Zeit, zum Entschluß zu reifen. Der Druck auf seinen Schultern verstärkte sich kurz, dann traf ihn ihr Knie mit überraschender Wucht in den Bauch und preßte ihm die Luft aus den Lungen.
Als er keuchend nach vorn kippte, rollte sie sich elegant über seine Schultern. Ihr Haar wickelte sich dabei um seinen Hals und riß ihn ruckartig zurück, als sie hinter im aufkam und sich nach vorn warf. Die widerstandsfähigen Strähnen verhinderten, daß er den zuvor erlittenen Verlust an Atemluft ausgleichen konnte.
Röchelnd ging er in die Knie, bunte Sterne explodierten vor seinen Augen. Ihre Funken bildeten verwirrende Muster, die sich langsam auflösten und einer allumfassenden Schwärze Platz machten. Er nahm nicht mehr wahr, wie er sanft zu Boden gelassen wurde und sich die Strähnen von seinem Hals lösten.
Nachdenklich blickte Shzis auf den reglosen Körper zu ihren Füßen; dann beugte sie sich herab und legte zwei Finger an seinen Hals. Befriedigt stellte sie fest, daß mit dem Schwinden des Bewußtseins Kius Reflexe die gewaltsam unterbundene Atmung wieder einsetzen ließen. Er atmete schwach, aber regelmäßig.
Sie erhob sich wieder und ging achtlos an ihren Kleidern vorüber, die noch neben Kius Schlafplatz lagen. Ein kleiner Heuhaufen verbarg ein weiteres Bündel Kleidung.
Routiniert kleidete sie sich an: Die Hose und das Hemd aus dunkelgrauem Leinen und der Poncho aus dem selben Material, unter dem auch ihr Haar verschwand. Die schwarzen Schnallstiefel aus weichem Leder hatten eine weiche Sohle, die unverzierte Schnalle des schmalen Gürtels bestand aus geschwärztem Metall. Das letzte Stück ihrer Ausrüstung war eine mit verwirrenden Linienmustern verzierte Unterarmpasse; zwei schmale, rasiermesserscharfe Klingen ragten leicht geschwungen 20 Fingerbreit über ihren Handrücken hinaus.
Als sie sich erhob, fiel ihr Blick auf den immer noch bewußtlosen Kiu. Auf dem Weg zu ihm hob sie die Decke auf und legte sie über den bloßen Körper. „Es genügt, wenn du die Wahrheit morgen erfährst“, flüsterte sie ihm ins Ohr, wohl wissend, daß er die Worte nicht verstehen würde.
Dann huschte sie mit einer schnellen Bewegung, der auch das Auge eines Beobachters kaum hätte folgen können, aus dem Schuppen und in die Dunkelheit, die sie willkommen hieß wie eine Schwester.
Als Kiu erwachte, war es noch dunkel. Ein kurzer Blick genügte, um festzustellen, daß er nicht an seinem gewohnten Platz lag. Ein nachdenklicher Zug wanderte auf sein Gesicht, als der an den merkwürdigen Traum dachte, der als Einziger in der Lage war, diesen Umstand zu erklären. Er schüttelte irritiert den Kopf, was jedoch nicht genügte, um die seltsame Schwere zu vertreiben, die in seinen Knochen zu stecken schien.
Es war ein durchdringender Schrei von draußen, der jegliche Mattigkeit vertrieb. Er sprang auf, warf sich seine Robe über, ergriff seine Kampfsichel. Den Gürtel zurrte er fest, während er aus dem Schuppen stürmte. Aus dem Augenwinkel glaubte er, einen Schatten über die Wehranlagen huschen zu sehen, aber der Schrei war eindeutig aus der anderen Richtung gekommen.
Offenbar war er nicht der Einzige, der ihn gehört hatte, denn auch einige seiner Kameraden erschienen auf dem Hof, die meisten nicht weniger provisorisch bekleidet. Gemeinsam betraten sie das Haus des Befehlshabers, um dort einen völlig aufgelösten Diener vorzufinden. Er beantwortete keine der auf ihn einprasselnden Fragen.
Kiu hielt sich nicht weiter mit dem verstörten Mann auf und stürmte, von einer dunklen Ahnung getrieben, zum Aufenthaltsraum des Hauses. Als er ihn erreichte, mußte er feststellen, daß er dennoch nicht der erste am Ort war. Er drängte einen seiner Kameraden beiseite, um selbst einen Überblick über die Szene zu bekommen. Das Bild, was sich ihm bot, war geeignet, die Unentschlossenheit seiner Mitstreiter zu erklären.
Auf dem Boden lagen die verkrümmten Leichen des Befehlshabers und seines Gastes, des Tausendschaftsführers. Dieser hatte eine Hand am Griff seiner Kampfsichel, die nur halb aus der Scheide gezogen war. Die andere Hand lag an seinem Hals, wie auch beim Befehlshaber selbst; zwischen den Fingern war geronnenes Blut zu erkennen. Es war viel, aber längst nicht soviel, wie sich aus den zerfetzten Kehlen der Männer auf den Boden ergossen hatte.
„Sie konnten nicht einmal ihre Waffen ziehen“, murmelte einer der Männer und faßte damit Kius Gedanken zusammen. „Beim Wissen der Gefangenen Herrin, wer kann das getan haben?“
„Jemand, der mich überwältigte, bevor ich auch nur reagieren konnte“, meinte eine andere Stimme die Kiu sofort als die Heens erkannte.
Er wandte den Kopf und war froh, den Freund wohlauf zu sehen. Die Platzwunde an seiner Schläfe sah übel aus, aber sonst schien ihm nichts weiter geschehen zu sein. Der Eindringling hatte offenbar sehr konkrete Vorstellungen darüber gehabt, wer seine Opfer sein würden.
„Wer bringt so etwas zustande?“, wiederholte jemand.
„Der Tod“, murmelte Kiu für sich, unhörbar für die Anderen. „Der viel zu schöne Tod.“
Ende?
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