Das allgemenie Interesse am Konflikt ist eher gering. Trotzdem bringt die FR immer wieder gerne Berichte auf der ersten Seite, die mich ab und zu sogar beunruhigen. Das Thema scheint mir recht wichtig zu sein und daher poste ich einfach mal den Artikel.



Tschetscheniens Regierung bestätigt russische Morde an Zivilisten
Verbrechensliste soll Präsident Putin vorliegen / Geheimdienst-Oberst bekennt sich öffentlich zum "Töten der Rebellen"

Russische Truppen entführen und ermorden im kaukasischen Kriegsgebiet jeden Monat weit mehr als hundert tschetschenische Zivilisten. Das belegen interne Dokumente der moskautreuen Regierung Tschetscheniens, die der FR in Kopie vorliegen.

Von Florian Hassel


MOSKAU, 16. April. In einer "Aufstellung über Morde und
Verletzungen auf dem Territorium der Tschetschenischen Republik vom 1. Januar bis 31. Dezember 2002" nennt die Verwaltung 1132 Mordopfer unter der "zivilen Bevölkerung". Dabei sind hunderte Entführte, deren Leichen erst spät oder nie gefunden werden, nicht berücksichtigt. Nach FR-Informationen wurde das Dokument Ende Januar auf einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates Präsident Wladimir Putin vorgelegt.

In diesem Jahr hat sich die Lage nicht verbessert. Einer von der Verwaltung erstellten "Tabelle schwerer Verbrechen" zufolge wurden im Januar und Februar 2003 in Tschetschenien 70 Menschen ermordet, und 145 wurden entführt oder verschwanden spurlos. Außerdem wurden die Leichen 25 weiterer Mordopfer aufgefunden.

Wer für den Großteil der Morde und Entführungen verantwortlich ist, geht aus zwei insgesamt 31 Seiten umfassenden Aufstellungen über die Morde und Entführungen im Januar und Februar hervor. Die Dokumente führen dutzende Fälle wie den folgenden auf: "Am 4. Januar 2003 um fünf Uhr morgens drangen Unbekannte in Masken, bewaffnet mit automatischen Schusswaffen, in der Stärke von ungefähr zehn Mann, (. . .) sich fortbewegend mit vier Schützenpanzern und vier (Militärjeeps) UAS-452, in das Haus von Aischat Meschijewa (. . .) in Grosny ein, und (entführten) unter Anwendung physischer Gewalt ihren Mann Alik (. . .) und die drei Söhne Hassan, Hussein und Arbi." Für Alexander Tscherkassow von der Menschenrechtsorganisation "Memorial" steht fest, dass "Russlands Geheimdienste FSB und GRU und weitere Spezialeinheiten diese Verbrechen begehen". Die Todesschwadronen machen daraus nicht einmal mehr ein Geheimnis. Die russische Tageszeitung Iswestija veröffentlichte am 28. März ein Interview mit dem Führer einer solchen Todesschwadron, einem 36 Jahre alten Oberst des Militärgeheimdienstes GRU. Die Tschetschenen seien ein Volk von Räubern und Mördern, sagte er, die Rebellen "müssen wir töten, töten, töten (. . .) Die Rebellen im Schutz der Nacht zu töten, ist die effektivste Art der Kriegsführung."
Die Vermisstenkommission der Regierung Tschetscheniens geht laut "Memorial"-Vertreter Tscherkassow von 2800 Entführten und Verschwundenen im zweiten Tschetschenien-Krieg aus. "Auf 10 000 Tschetschenen kommen so 46 Verschwundene", sagt Tscherkassow. "Zur Zeit des Großen Terrors 1937/38 waren es 44 Verschwundene auf 10 000 Einwohner. Russlands Terror in Tschetschenien ist heute schlimmer als unter Stalin."
Die Chronik des Schreckens ist damit nicht beendet. Eine der FR ebenfalls vorliegende Aufstellung über Massengräber in Tschetschenien, die auf Zahlen des Katastrophenschutz-Ministeriums beruht, führt 49 Massengräber auf, in denen 2879 Leichen gefunden worden seien: so etwa 260 Leichen auf dem Zentralen Friedhof von Grosny, 109 Leichen bei der "Sowchose 60 Jahre Oktoberrevolution", 106 Leichen im Dorf Prigorodnoje. Bei Goiskoje wurden gar 699 Leichen gefunden: Als die russische Armee im März 2000 das von Rebellen gehaltene Dorf Komsomolskoje in Schutt und Asche legte, wurden dabei angeblich nicht nur hunderte Rebellen, sondern auch unbeteiligte Zivilisten getötet - und im drei Kilometer entfernen Goiskoje beerdigt.

Diejenigen Menschen, die der deutschen Bundesregierung vorwerfen, sich außenpolitisch isoliert zu haben, wollen nun, dass sich die Regierung in der Tschetschenien-Frage kritisch zum russischen Vorgehen äußert.