Es ist mir völlig bewusst mit diesem Artikel ein Kontroverse auszulösen, aber der Bericht war dermaßen Abartig, dass ich ihn Euch zeigen musste. Ich habe ihn eins zu eins von http://www.sueddeutsche.de kopiert.
Es ist immer wieder erschreckend, was für Fundamentalisten und Extremisten in den USA etwas zu sagen, zu entscheiden haben. Dagegen erscheint die Kruzifix-Diskussion geradezu banal und lächerlich....
USAVerfolgt von der Sprachpolizei Linke und rechte Eiferer in den USA zensieren Schulbücher, Prüfungsfragen und sogar Märchen: Aschenputtel ist sexistisch, Dinosaurier sind unchristlich. Wolfgang Koydl
(SZ vom 10.5.2003) Es ist schon unglaublich, welchen Gefahren Kinder in den USA heutzutage ausgesetzt sind, wenn sie ein Buch aufschlagen oder den Fernsehapparat anschalten. Nein, es geht nicht um die brutalen „X-Men“-Filme oder die vulgäre „Jackass“-Fernsehserie, es geht nicht um Sex und Gewalt. Problematisch sind vielmehr Märchen oder die Erlebnisse von Harry Potter.
Verpönte Wörter
Aschenputtel zum Beispiel. Typisch sexistisch, wie das Mädel dienend und unterdrückt dargestellt wird, nur um dann großherzig von einem Mann zu sich emporgezogen zu werden. Und niemand macht sich die Mühe, die sozio- ökonomischen Ursachen ihrer Lage oder der von Dornröschen, Schneewittchen oder gar Hänsel und Gretel zu hinterfragen.
Noch schlimmer ist freilich der Zauberlehrling aus der Magier-Akademie Hogwarts. Was lernen die Jugendlichen nicht alles aus seinen Abenteuern: Zauberei, Hexerei, Satanismus – mithin alles schwarze Künste, die junge Seelen leicht aus dem Schoß der Religion weg und stracks dem Teufel zuführen. Pardon, dem Bösen zuführen, denn das Wort Teufel ist ja auch verboten.
Durch und durch verlogen In amerikanischen Schulbüchern und Schulbibliotheken wird man Märchen und die Harry-Potter-Romane vergebens suchen – genauso wie zahllose andere Meisterwerke der Literatur.
Aber auch aus Lehrbüchern für Geschichte, Mathematik, Sozialkunde und Geografie werden Wörter, Themen und Illustrationen getilgt, die irgendwie strittig, kontrovers oder problematisch wären.
Dies ist das Werk einer seit Jahrzehnten ungehindert agierenden Lobby von linken und rechten Zensoren, die ihre engstirnige Sicht einer unrealen heilen Welt propagieren: sauber geschrubbt, idealisiert und homogenisiert – aber gerade deshalb durch und durch verlogen. Die Exzesse politischer Korrektheit auf der einen und fundamentalistisch-christlichen Bekennertums auf der anderen Seite in Amerika sind schon lange bekannt.
Doch nun dürfte die Debatte durch ein soeben erschienenes Buch erneut belebt werden: „The Language Police“ (Die Sprachpolizei) der Erzieherin und Historikerin Diane Ravitch enthüllt den Skandal, den Millionen von Schülern, Lehrern und Eltern im ganzen Land seit Jahrzehnten stillschweigend erdulden.
Bizarre Beispiele, was Ende der sechziger Jahre mit dem löblichen Vorsatz begann, rassistische Bemerkungen und Anwürfe aus Lehrbüchern und vor allem aus Prüfungsfragen zu entfernen, hat sich mittlerweile längst verselbstständigt.
„Einige der Zensurmaßnahmen sind trivial“, schreibt Ravitch, „einige sind lächerlich, und einige sind geradezu atemberaubend in ihrer Fähigkeit, das zu verdummen, was Kinder in der Schule lernen.“
Die bizarren Beispiele, die Ravitch anführt, sind alle authentisch. Gleichwohl lesen sie sich wie Lehrstücke für ein absurdes Theater.
Da wurde die Fabel von Aesop beanstandet, weil sich die eitle, weibliche Krähe vom gerissenen, männlichen Fuchs beschwatzen ließ, den Käse fallen zu lassen. Eindeutig sexistisch, befand der Prüfungsausschuss, und riet, die Geschlechter der beiden Protagonisten auszutauschen.
Eine Geschichte über Delfine wurde ersatzlos gestrichen, weil sie Kinder aus den Bergen oder der Prärie benachteiligt, wo man keine eigenen Erfahrungen mit Delfinen machen kann.
Dinosaurier gibt es sowieso nicht, weil sie nicht in der Schöpfungsgeschichte vorkommen.
Ein Beitrag über Eulen wurde einkassiert, weil diese Vögel bei den Navajo-Indianern tabu sind.
Apropos: Das Wort Navajo ist auch untersagt, denn authentischer ist Diné. Dasselbe gilt für Eskimos, die man nicht bei diesem Sammelnamen, sondern je nach ihrem Stamm Inupiak oder Yupit nennen soll. Apropos: Stamm ist ein arroganter, westlicher Begriff des Weißen Mannes für Eingeborene in ihren Hütten und muss daher durch Nation ersetzt werden.
Apropos: Hütte klingt erniedrigend; stattdessen ist „kleines Haus“ vorgeschrieben.
Definition eines Vorurteils, weil jeder Text, jedes Lehrbuch, jede Prüfungsfrage von „Überprüfungskomitees für Vorurteile und Empfindlichkeiten“ (bias and sensitivity review panels) abgenommen werden muss, sind Amerikas Schulbuchverlage schon lange lieber gleich zur Selbstzensur übergegangen, um sich kostspielige Streitereien mit den Sprachpolizisten zu ersparen.
Was ein Vorurteil ist, haben die Verlage daher auch schon selbst festgelegt: Es ist die „Anwesenheit von etwas in einer Prüfungsfrage, das unterschiedliche Resultate für zwei Personen mit denselben Fähigkeiten, aber aus verschiedenen Sub-Gruppen, nach sich ziehen würde.“
Einfacher ausgedrückt: Wenn irgendein Wort, ein Begriff, ein Bild einen Schwarzen oder einen Asiaten, einen Behinderten oder einen Homosexuellen, eine Frau oder eine ältere Person verärgert, dann ist die Chancengleichheit für den Test nicht mehr gewährleistet, weil der Ärger über die Formulierung Wissen und Urteilskraft beeinträchtigt.
An der Frage stimmmt was nicht der Wahnsinn hat Methode, und er wird sogar noch weitergetrieben: Weil trotz aller Vorschriften und Verbote verschiedene Probanden bei Prüfungen noch immer verschieden gut abschneiden, wurde DIF erfunden – „differential item functioning“.
Das ist fast nicht mehr übersetzbar und bedeutet: Wenn ein weißer und ein schwarzer Mann gleicher Intelligenz dieselbe Frage nicht gleich korrekt beantworten, stimmt etwas mit der Frage nicht – selbst wenn sie vorher als vertretbar abgesegnet worden war. Von irgendwelchen wissenschaftlichen Studien freilich werden die Thesen der Sprachpolizisten keineswegs gestützt. „Es gibt die Verbote,... weil die Themen Erwachsene verärgern, die annehmen, dass sie Kinder auf dieselbe Weise verärgern werden“, meint Diane Ravitch. Vernichtend fügt sie hinzu: „Das Ziel der Sprachpolizei ist es nicht nur, uns daran zu hindern, anstößige Wörter zu verwenden, sondern uns daran zu hindern, anstößige Gedanken zu haben.“
Das Kontrollsystem funktioniert unter anderem deshalb so gut, weil linksliberale Intellektuelle und rechtsextreme Religiöse ein Zweckbündnis eingegangen sind.
Die Rechten haben die Behandlung ganzer Themenbereiche wie Abtreibung, Evolution und Scheidung unterbunden; die Linke kümmert sich mehr um die Säuberung der Sprache und darum, dass Männer und Frauen, Behinderte und Unbehinderte, Schwarze und Weiße, Alte und Junge absolut gleichberechtigt behandelt werden, auch wenn dies im richtigen Leben eher selten vorkommt. Detaillierte Vorschriften „Rechte Zensoren möchten eine idealisierte Vision der Vergangenheit wiederherstellen“, schreibt Ravitch, „ein Arkadien glücklichen Familienlebens . .. Linke Zensoren glauben an eine idealisierte Vision der Zukunft, an eine Utopie, in der in allen gesellschaftlichen Beziehungen Gleichheit herrscht.“
Beide Gruppen freilich übersehen, dass Kinder ihre Informationen und Anregungen nicht nur aus Schulbüchern holen, und dass das Internet, das Fernsehen und das Kino keine weißgewaschene Version bieten.
Für Autoren, die für Lehrbücher Beiträge schreiben und zeichnen, ist dies freilich kein Trost angesichts der umfassenden und detaillierten Vorschriften, die ihnen gemacht werden. „Es ist mir wie mit Säure ins Gehirn geätzt“, erinnerte sich ein Illustrator, der von einem Schulbuchverlag zehn Seiten eng bedruckter Anweisungen für ein Kinderbuch zugesandt bekam. „Der Held war ein Junge lateinamerikanischer Abstammung. Es gab schwarze Zwillinge, einen Jungen und ein Mädchen; einen übergewichtigen orientalischen Jungen; ein Indianermädchen. Damit blieb die weiße Person übrig. Weil wir die Behinderten nicht vergessen durften, hatte sie einen Geburtsfehler und nur drei Finger an einer Hand. Ein Kind musste einen Irish-Setter haben, der ein Weibchen sein musste. Es musste auch eine ältere Person dabei sein, die ich beim Joggen zeigen musste.“ Der Zeichner arbeitet mittlerweile schon lange nicht mehr für Schulbuchverlage.
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