Wir mussten früher in der Hauptschule ein Tagebuch schreiben und der werte Herr Lehrer hat dann auch kontrolliert, ob wir brav Tagebucheintragungen vornehmen. Allein das hat schon das Tagebuch sinnentstellt. Dementsprechend bin ich auch zu Tagebüchern eingestellt, zumindest in herkömmlichem Sinne.

Ich habe 1996 (also eigentlich auch während dieser schrägen Tagebuchidee unseres Deutschlehrers) meine Musikalität im Sinne von aktivem Musizieren entdeckt. Da hatte es auch nicht mehr lange gedauert und ich begann, erlebtes nicht mehr in Schrift zu verarbeiten, sondern vielmehr tonal. Was dabei rauskommt kann ich oftmals gar nicht so genau sagen, ich versuche einfach ein bestimmtes Gefühl in einem Lied einzufangen. Dabei hat diese Audio-Variante noch einen Vorteil: Ich kann die Endprodukte herzeigen ohne meinen letzten seelischen Winkel dem Hörenden offenbaren zu müssen.

So ein "Tagebuch" kann ich natürlich nicht täglich führen, da dazu allein schon die Ideen zu dünn gesät sind. Für mich tritt diese musikalische Aktivität jedoch immer dann in den Vordergrund, wenn ich mich in einem seelischen Tief befinde oder die Stimmung um mich herum im Keller versinkt. Also zumindest genau dann, wenn ich eine Reflektionsmöglichkeit brauche, scheint meine Kreativtät überzulaufen und mir Ideen ohne Ende zu liefern.

Musik hat für mich aber noch einen Vorteil: Sie ist direkter als das geschriebene Wort. Es stimmt wohl, dass ich für das Erstellen solcher "Berichte" wesentlich länger brauche, als wenn ich einfach einen Bericht schreiben würde, im Gegenzug brauche ich mir jedoch nur Stücke wieder in die Playlist von WinAMP zu schmeißen und nach wenigen Sekunden bin ich wieder in genau der Gefühlswelt, in der ich mich befand, als das Stück entstand, mein Gedächtnis gräbt Erinnerungen aus, die ohne diese Stimulierung wohl schon längst vergessen wären. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine schönere, schnellere und intensivere Möglichkeit gibt, in erlebte Gefühlswelten einzutauchen und sie wieder und wieder und wieder zu erleben.