Ich mochte schon immer mit der Bahn fahren. Jede einzelne Fahrt konnte sich als kleines Abenteuer entpuppen. Man konnte interessante Manschen kennen lernen oder einfach zu spät kommen, damit ja nicht der Anschlusszug erwischt wird. Und außerdem ergaben solche Zugfahrten immer wieder amüsante Anekdoten.

Auch heute, wo ich zu meinen Eltern fuhr, um dort Ostern zu verbringen, erlebte ich eine von jenen berühmten Verspätungen, die doch so typisch für die Bahn waren. Gerade hatte der freundliche Zugbegleiter sein Bedauern geäußert, das aus betriebstechnischen Gründen eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h möglich war und sich daher die Ankunftszeit am Zielbahnhof um 60 Minuten verzögern würde. Prima, dachte ich. Mein Anschlusszug war da schon weg und auch der Ausweichzug der mir gerade in den Sinn gekommen war, würde wohl dann weg sein. Nun ja aufregen nützte wenig. Wie man nun weiter kam würde mit Sicherheit kurz vor dem Zielbahnhof durch gegeben werden. So machte ich das Beste aus dieser Situation und beschloss ein wenig zu dösen und nebenbei ein wenig Musik zu hören.

Ein lautes Wort holte mich aus sanftem Schlummer. Verärgert nahm ich meine Kopfhörer aus dem Ohr um nach den Ursprung dieser Störung zu suchen.

„Du musst.“ Eine schrille und unangebracht laute Frauenstimme erklang mir gegenüber, wo in einer Vierersitzgruppe eine etwas ältere Frau und ein junger Mann saßen. Beide sahen sehr attraktiv aus und waren auf eine schwer zu erklärende Art nobel gekleidet, obwohl auch jeder anderer so rum laufen könnte. Vermutlich waren es Mutter und Sohn.

„Gar nichts muss ich Mutter.“ Seine stimme war wesentlich angenehmer zu hören und nicht ganz so laut wie die der älteren Dame ihm gegenüber.

„Aber es wird Zeit. Wir wollen endlich Enkel.“ Erschrocken über so viel Direktheit glitten mir die Kopfhörer aus den Händen und landeten mit einem leisen Klacken auf dem Boden. Natürlich wandten sich die Beiden zu mir und ich lächelte ihnen mit hochrotem Kopf zu, bevor ich mich bückte.

„Hier kann man sich nicht vernünftig unterhalten, ohne dass jemand mithört.“ Schimpfte die Frau, klar bei ihrer Lautstärke mussten wir zwangsläufig mithören, stand auf und entschwand Richtung 1. Klasse. Amüsant war zu bemerken dass man richtig spüren konnte wie das ganze Abteil erleichtert aufatmete.

Das erste was ich sah als ich meinen Kopf wieder hob waren blaue Jeans, dann kam ein grüner Pullover und zu guter Letzt das lächelnde Gesicht des jungen Mannes, der noch soeben einen Disput mit seiner Mutter ausgetragen hatte.

„Ent… Entschuldigung. Ich wollte eigentlich gar nicht.“ Stammelte ich verlegen.

„Ich hoffe die Auseinandersetzung hat sie nicht gestört.“

„Nein. Ich meine ist halb so schlimm.“ Männer hatten mich schon immer unsicher gemacht. Vor allem diejenigen deren Aussehen unverschämt gut war und für deren Lächeln ein Waffenschein nötig war.

„Mein Name ist Joe.“

„Ich bin Alexis.“ Mit einem Wink deutet ich ihm an er dürfe sich ruhig zu mir setzten. Er holte also seine Sachen und bot mir, nachdem er alles verstaut und sich gesetzt hatte, Schokolade an. Ausgerechnet Kaffee-Sahne. Die Sorte von Schokolade an die ich absolut nicht ran kam. Daher lehnte ich sein Angebot höflich ab.

„Schade.“ Fand er. „Dabei wollte ich mich für die Störung vor hin entschuldigen.“ Es war echt süß wie leid es ihm tat.

„Es ist nicht so dass ich keine Schokolade mag. Es ist nur so Kaffee-Sahne ist di e Sorte von Schokolade die ich überhaupt nicht mag.“ Erklärte ich lachend, in der Hoffnung dass sich daraus ein Gespräch entwickeln würde.

„Was für Arten von Schokolade bevorzugst du denn?“ Sich selber ein Stück von der Schokolade in den Mund schiebend, tat er mir den Gefallen. Und über das Gespräch der verschiedenen Geschmacksarten entwickelte sich ein angenehmes Gespräch, welches ein jähes Ende fand, als wir in den Zielbahnhof einfuhren und der Zugbegleiter die nächst möglichen Verbindungen durch gab. Ich durfte eine halbe Stunde warten.

„Am besten machst du es so.“ Gerade erklärte ich Joe wie er am schnellsten zu einer Zugverbindung kam, da der Servicepoint hoffnungslos überlaufen war, als seine Mutter uns entgegen kam.

„Da bist du ja. Komm lass uns in die Longe gehen. Wir müssen hier eine Stunde verbringen.“ Innerlich musste ich auflachen. Seiner Mutter gefiel es gar nicht hier warten zu müssen, für mich war das bereits zur Normalität geworden.

„Ehrlich gesagt Mutter würde ich gerne noch eine Weile mit Alexis plaudern. Und außerdem benötigen wir noch eine Zugverbindung.“ Joe konnte sich wirklich gewählt ausdrücken. Aber mir hatte der etwas umgänglichere Ton, welchen er mir gegenüber gebrauchte, besser gefallen.

„Muss das wirklich sein? Hier draußen ist alles so laut.“ Und nicht standesgemäß fügte der gehässige Teil meiner Persönlichkeit hinzu. Dann traf mich ihr abschätzender Blick. „Wer ist sie überhaupt?“

„Darf ich dir meine Verlobte Alexis vorstellen?“ Hatte sich mein Unterkiefer herunter geklappt oder nicht? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Allerdings weiß ich noch wie ich mich gefühlt habe, so in der Art: Das kann doch nur ein Traum sein. Doch ein kleines Zwicken von meiner rechten Hand in den linken Handrücken bestätigte mir das dem nicht so war. Das was soeben passiert war, war real und nicht jenes kleiner Abenteuer die sich während einer Zugfahrt ereignen konnte. Das hier war zu einem Großen Abenteuer mutiert!!!


ENDE