Ich weiß nicht, ob der Film überhaupt als Geheimtip gelten kann, dazu ist er eigentlich fast schon zu bekannt. Trotzdem, seine letzte Ausstrahlung im deutschen Fernsehen ist lange her, und der Anlaß paßt gerade (siehe unten), also gibt es jetzt...

Short Cuts

1993 drehte Regie-Legende Robert Altman mit Short Cuts eines seiner ehrgeizigsten Projekte. Mit 22 Hauptcharakteren inszenierte er in 183 Minuten ein Porträt des Lebens in L.A., das man dem lieben Gott lieber nicht zeigen sollte, wenn er gerade nach Gründen gegen eine erneute Sintflut sucht.

Beispiel: Da ist ein Bäcker, der auf einer teueren Geburtstagstorte sitzenbleibt und bei den säumigen Kunden gemeine, anonyme Anrufe tätigt. Er hat sicher Grund sauer zu sein, aber die Geburtstagskarte war für einen kleinen Jungen, der angefahren wurde, und die Eltern stehen Tag und Nacht am Krankenbett. Was hätten die beiden wohl zu der Kellnerin zu sagen, die ihn angefahren hat? Wir wissen aber auch, daß die Kellnerin ihn zum Krankenhaus hatte bringen wollen, und der Junge nur deswegen nicht mitging, weil er nicht zu Fremden ins Auto durfte. Und überhaupt: es schien ihm da noch ganz gut zu gehen. In der Welt von Short Cuts gäbe es weitaus weniger Wut, wenn die isolierten Charaktere die ganze Geschichte kennen würden.

Vieles ist nur Fassade, unter der sich traurige und unlösbare Geheimnisse verbergen. Da sind die drei Männer, die auf einen monatelang geplanten Angelausflug gehen, und im Wasser eine Frauenleiche entdecken. Alarmieren sie die Polizei? Nein, dann wäre ihr Ausflug ruiniert. Schließlich bleibt die Frau tot, und was soll die Polizei daran schon ändern?

Eltern entfremden sich von ihren Kindern, reden entweder nur über sich selbst oder wenden sich dem Alkohol zu. Tim Robbins spielt einen Polizisten, der seine Frau nur deswegen belügt, weil er es kann, und weil ihm sein Abzeichen erlaubt, wilde Lügen zu erzählen. Seine Frau weiß darüber Bescheid und findet seine Stories witzig.

Und trotzdem haben alle diese Charaktere eine gewisse Ehrenhaftigkeit. Sie sind nicht gut, aber sie versuchen es wenigstens zu sein.

Das alles in einem Plot wie ein Labyrinth, der bei jedem Ansehen anders wirkt. Danke Altman, für ein atmosphärisch dichtes Meisterwerk, für eine beklemmende Momentaufnahme, für einen Film, der einen mit seiner erzählerischen Wucht erschlägt, der gleichermaßen Emotionalität und Gleichgültigkeit ausstrahlt.

Von Short Cuts gibt es seit einiger Zeit eine sehr verhunzte deutsche DVD, die noch nicht einmal mit dem englischen Originalton aufwartet. Vor kurzem erschien aber in der Criterion Collection endlich eine RC1-Ausgabe, perfekt remastered, mit einer randvollen Bonusdisc und in einem stilvollen Digipack, das zusätzlich noch die Buchvorlage (Kurzgeschichtensammlung) von Raymond Carver als Taschenbuch enthält. So muß eine DVD-Veröffentlichung aussehen, vorbildlich.