Kolumne: Gaias Rache und die Atomkraft
Von Wolfgang Münchau

Der prominente Ökologe James Lovelock fordert den Wiedereinstieg in die Kernenergie.


Konsens ist langfristig nicht nur Gift für die Demokratie, sondern vor allem Gift für den wissenschaftlichen Diskurs. Wenn ein Konsens erst mal erreicht ist, hakt man das Thema ab - trotz neuer Fakten.

In der vergangenen Woche gab es eine Meldung, die die britische Öffentlichkeit aufgewühlt, in Deutschland dagegen so gut wie keine Verbreitung gefunden hat. Sie kam von Professor James Lovelock, einem der berühmtesten Klimaforscher und Ökologen der Welt. Nur noch ein Wiedereinstieg in die Kernenergie könne die drohende Klimakatastrophe verhindern, sagte der berühmte Autor der Gaia-Theorie, nach der die Erde sich wie ein selbstregulierendes Lebewesen verhält.


Der 84-jährige Wissenschafter ist kein Lobbyist der Kernindustrie, sondern einer der großen wissenschaftlichen Kronzeugen der Umweltbewegung. Lovelock behauptet, dass die Erwärmung der Erdoberfläche stärker zugenommen hat, als man bislang vermutet hatte. Kraftwerke auf der Basis von Kohle, Öl und anderen fossilen Brennstoffen tragen wegen der Emission von Kohlendioxid zur globalen Erwärmung bei. Nur durch einen schnellen Ausbau von Kernkraftwerken lässt sich die Katastrophe noch verhindern.


Lovelock, bislang ein Gegner der Kernindustrie, führt vor allem das Zeitargument ins Feld. Zwar seien alternative Energien weiterhin wünschenswert, doch könnten sie die klassischen Kraftwerke nicht ausreichend schnell ersetzen.



Krise der Umweltbewegung


Lovelocks Äußerungen haben die Umweltbewegung in Großbritannien in eine Krise gestürzt. Mit seinen neuen Thesen legt er den Finger auf einen unüberbrückbaren historischen Zielkonflikt innerhalb der Bewegung, auch und insbesondere bei den deutschen Grünen. Die Ablehnung der Atomkraft nicht nur irgendein Thema der Grünen, sie ist das Urthema schlechthin, der Grund ihres politischen Aufstiegs in den späten 70er und 80er Jahren. Heute im Zeitalter des Atomausstiegs genießt der Kampf gegen die globale Erwärmung die höchste Priorität. Und jetzt behauptet ein bekannter Wissenschaftler, der Kampf gegen die Erwärmung und der Ausstieg aus der Atomenergie seien miteinander inkompatibel - und zwar gerade weil es der Umwelt schlechter geht als bislang vermutet. Die Tatsache also, dass die Grünen in der Vergangenheit Recht hatten, bedeutet nun in letzter Konsequenz, dass sie eine ihrer wichtigsten Grundüberzeugungen über Bord schmeißen müssen. Die Empörung ist verständlich.


Für Lovelock sind das Schmelzen grönländischen Eises, das zu einem Anstieg des Meeresspiegels führt, sowie die europäische Hitzewelle im August vergangenen Jahres ominöse Warnzeichen dafür, dass die Erwärmung der Erdoberfläche schnell voranschreitet. Der Hauptgrund für diese rasante Entwicklung sei das Verhalten amerikanischer Regierungen. Bis heute stellen die Amerikaner die Theorie der Klimaänderung in Frage.


Lovelock vergleicht die Situation mit der von 1938. Die Welt steht kurz vor einer Katastrophe, aber sie ist nicht bereit, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Der Vergleich hinkt, doch es zeigt das Ausmaß der Sorge Lovelocks. Er weist nicht einfach auf ein Problem hin, sondern auf ein sich anbahnendes Desaster. In einem Artikel für den Londoner "Independent" schrieb er: "Ich selbst bin ein Grüner, und ich beschwöre meine Freunde in der Umweltbewegung, ihre falsch verstandene Opposition zur Kernenergie zu überdenken."



Tief verwurzelte Grundhaltung


Politisch stehen sich zwei Lager gegenüber: Die Konservativen sind gegen das Energiesparen und für die Kernenergie. Die Grünen setzen auf Energiesparen, Energieeffizienz und alternative Energien. Im Prinzip sind beide Ansätze in sich kohärent. Das Problem ist nur, dass weder die Grünen noch die Konservativen allein regieren. Die Machtverteilung zwischen Konservativen und Umweltaktivisten hat, auf die Welt hochgerechnet, dazu geführt, dass die Konservativen nach wie vor alle Versuche blockieren, der globalen Erwärmung entgegenzuwirken, wohingegen die Grünen mit Erfolg auf ihrer Anti-Kernkraft-Position beharren. Fast überall in Westeuropa ist der Ausstieg aus der Kernenergie mehr oder minder vorangeschritten. Das Ergebnis ist die schlimmste aller denkbaren Kombinationen: Konservative, die Probleme verursachen, und Grüne, die sie nicht lösen, weil ihre eigenen Ansätze ein anderes Verhalten der Konservativen voraussetzen. Einzig Finnland will derzeit ein neues Atomkraftwerk bauen.


Parteien wie die Grünen in Deutschland sind heute professionell organisiert. Auch sie geben Marktforschung in Auftrag, bevor sie sich auf Themen festlegen. Ich möchte den Grünen erleben, der es nun wagt, Lovelock Recht zu geben und den raschen Wiedereinstieg in die Kernenergie zu fordern. Diese Entscheidungen zu treffen wird den Konservativen zufallen. Die Folge ist abzusehen: eine weitere Polarisierung der europäischen Gesellschaften in dieser Frage.


Dass deutsche Zeitungen sich bei diesem Thema zurückhalten, zeigt einfach, wie tief der Anti-Kernkraft-Konsens in der deutschen Debatte verwurzelt ist. Auch die Opposition wird zögern, mit einer aggressiven Pro-Kernkraft-Politik in den Wahlkampf zu ziehen, selbst wenn sie inhaltlich davon überzeugt sein sollte. In einem Punkt aber habe ich nicht den geringsten Zweifel: Trotz des Beschlusses über den langsamen Ausstieg aus der Kernenergie wird uns dieses Thema die nächsten 20 Jahre weitaus mehr beschäftigen, als viele glauben und hoffen. Wir werden uns mit unseren internen Zielkonflikten auseinander setzen und entscheiden müssen, ob uns die Lösung der Probleme oder der Ausstieg aus der Kernenergie wichtiger ist. Professor Lovelock hat sich entschieden. Wir sollten uns an ihm ein Beispiel nehmen.



© 2004 Financial Times Deutschland

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ich dachte mir das passt ganz gut zu der diskusion, da ja doch sicherlich relativ viele eine abkehr von der kernenergie aufgrund von ökologischen bedenken fordern. man kann sagen was man will, die kernenergie ist eine der saubersten energieformen die wir momentan haben.

btw.: mich würd mal interessieren, wieviel abfall bei der produktion von solarzellen übrig bleibt; bzw was die leute hierzulande sagen würden wenn sie wüßten, dass aluminium (was wir ja heutzutage praktisch überall verwenden) zumeist im tagebau abgebaut wird und dadurch ganze landstriche für die nächsten paar jahrzehnte/jahrhunderte verseucht werden und die windräder ja doch zu nem großteil aus selbigen bestehen.