Pädagogis
Der Zeigefinger

Pädagogisch ist so etwas Ähnliches wie der Sohn des Sadismos. Sadismos opferte dereinst seinen eigenen Zeigefinger (den rechten), um daraus ein Geschöpf zu erschaffen, das die Menschheit tyrannisiert und knechtet.
Es ist ihm etwas mißraten, darf man guten Gewissens sagen, und es heißt, er tritt seinen Sohn alle paar Tage quer durch die Große Halle der Götterwelt, weil er ihm so gewaltig auf die Nerven geht.
Die meisten Bildnisse des Pädagogis zeigen ihn als väterliche gestalt mit hochgezogenen Augenbrauen und seienArmen, die sich alle dem Betrachter entgegenstrecken und mahnend mit dem eindeutig überdeminsionierten Zeigefinger wackeln. In einigen Darstellungen jedoch sieht man auch ein dreiköpfiges Ungeheuer, einem Höllenhund recht ähnlich. Es heißt, Pädagogis wechselt gern seine Gestalt, tritt einmal als der mahnende Lehrer auf, um dann geifernd über die armen Seelen herzufallen, die nicht raffen, was er eigentlich von ihnen will.
Wie seine Tante Moraleier hat auch er recht genaue Vorstellung davon, was seine Anhänger tun sollen. Anders als bei ihr folgt er dabei jeodch keinem moralischen, wenn auch undurchschaubaren Prinzip, sondern lässt sich von seinen göttlichen Impulsen leiten.
"Willst du das wirklich tun?" fragen seine Inkarnationen häufig ihre Anhänger, väterlich wohlwollend meistens, manchmal jedoch auch mit schäbig anmutender Gehässigkeit.
„Ja“, die Unerfahrenen fröhlich.
„Hm, äh … ja?“ sagen sie, wenn sie ihn etwas besser kennen.
Nein!“schreien die Versierteren, die man meist an den hohlen Wangen und dem schwelenden Zorn in ihren Augen auf zehn Kilometer erkennt. „Nein, das will ich nicht. Oder …“, ein flehend-hilflos-zorniger Blick, „oder will ich es vielleicht doch?“ Denn schrecklich anzuschauen ist die göttliche Herablassung, wenn man sich als Dummkopf erweist.
Pädagogis hat eine Mission. Er will, dass seine Anhänger lernen, es richtig zu machen. Dabei geht es ihm nicht um moralische Maßstäbe, sondern darum, dass sie nicht zögern und mit klarem Blick erkennen, was (seiner Meinung nach) zu tun ist. Manchmal meint man gar, er ließe sich vielleicht durch Argumente davon überzeugen, dass man weiß, was man tut – wer das versucht, endet oft als plappernder Trottel in irgendwelchen Internet-Foren und übt dort das Diskutieren.
Es ist ratsam, sich bei Pädagogis damit abzufinden, dass die Welt ihm gehört. Man kann versuchen zu lernen, wie man es ihm recht macht. Das mag einem manchmal zwar enorm unlogisch erscheinen, aber es folgt, beobachtet man die Muster lange genug, doch irgendeinem System.
Gefährlich jedoch sind auf diesem Pfad Zaudern und Zagen, Entscheidungsschwäche, schlechte Tage und Seelenkrisen (nicht selten, so sagen manche, ausgelöst durch gewisse Erfahrungen am Spieltisch …). Dann hockt Pädagogis da, sechs Arme in die Seiten gestemmt, den siebten bereits ausgestreckt, um mit dem großen roten Zeigefinger zu wackeln und zu sagen: „A-ah! Fehler. Fehler!“ und schwungvoll die heutige Lektion zu erteilen – und der Spieler kommt nicht zu Potte. Das ärgert den Gott sehr, und dann flammt in seinem väterlichen Antlitz dumpfer Zorn, die Züge seines Gesichts verschieben sich allmählich, die Arme ziehen sich zurück in den Körper, während ihm aus den Schultern zwei weitere Köpfe wachsen. Wohl dem, der ganz schnell noch einen Termin hat, bevor die Wandlung vollendet ist – das dreiköpfige Ungeheuer kennt keine Gnade. Und es gibt keinen traurigeren Anblick als einen Spieler, über den die Bestie hergefallen ist. Seine Selbstbewusstsein wurde der Kopf abgerissen, und seine Seele ist in alle Winde verstreut. Nur noch stotternd kann der sich äußern, und es heißt, manch einer sei vor der Entscheidung, welches Essen heute zu sich zu nehmen wohl das richtige wäre, elend und in Angstschweiß gebadet verhungert.