Ich hab hier auf meiner Platte eine Kurzgeschichte gefunden, die ich in einer langweiligen Schulstunde im Jahre 1998 geschrieben habe. Lasst euch nicht von dem Titel beirren, denn die Geschichte ist anders, als man es auf den ersten Blick vermuten würde.
Annies Liebesglück
Annie Carlson war unglücklich. Sie lebte in einer Kleinstadt im Westen Englands, nahe bei der Walliser Grenze. Annie war nicht gerade der Typ Frau, der von Männern häufig angemacht wurde. Es wäre ja ein Wunder, wenn einmal in zehn Jahren ein Mann sich nach ihr umsehen würde.
Sie war klein, dick, unauffällig und sehr einsam. Ihre kleine drei Zimmer Wohnung, die im ersten Stock eines Reihenhauses lag, war nicht besonders komfortabel, doch zu mehr hatte es Annie nicht gebracht.
An diesem sonnigen Mittag sollte sich ihr Leben schlagartig verändern.
Annie Carlson verließ gegen halb zwölf den Supermarkt, bepackt mit zwei vollen Einkaufstaschen. Sie besaß kein Auto, deshalb mußte sie mit dem Bus fahren. Vor sich hin träumend lief sie in die Richtung, in der die Bushaltestelle lag. Deshalb sah sie den Mann, der auf sie zu gerannt kam, zu spät. Er rannte sie einfach um.
Die Einkaufstaschen flogen im hohen Bogen durch die Luft und landeten auf dem Asphalt. Ihr Inhalt verteilte sich über den Bürgersteig. Annie fiel auf ihr dickes Hinterteil.
Als sie wieder klar denken konnte, sah sie den Mann, der sie umgerannt hatte, vor sich stehen.
Und was das für ein Mann war!
Muskulöser Oberkörper, männliche Lippen, eine süße perfekte Nase, strahlend blaue Augen und pechschwarzes kurzes Haar, das wirr vom Kopf abstand.
Für einen Moment vergaß Annie alles um sich herum. Es gab nur noch seine blauen Augen.
Die warme männliche Stimme des Mannes holte sie halbwegs in die Realität zurück.
„Ist mit ihnen alles in Ordnung?“
„J... Ja... Ich...“, stammelte sie.
„Ich helfe ihnen erst einmal aufzustehen.“
Er packte sie sanft mit seinen starken Armen und stellte sie wieder auf die Beine. Dann bückte er sich und fing an, den Inhalt der Tüten aufzusammeln. Annie schaute ihm fasziniert dabei zu. Sie beobachtete, wie sich seine Muskeln bei jedem Bücken spannten und sein knackiger Hintern die Jeans ausbeulte. Es schien ihr fast den Verstand zu rauben. Ehe sie sich versah, befanden sich ihre Sachen wieder in den Tüten.
„Das alles tut mir sehr leid“, entschuldigte er sich. „Wie kann ich das nur wieder gut machen?“
„Ist schon in Ordnung“, flüsterte sie schüchtern.
„Nein“, protestierte er. „Ich lade sie zum Essen ein.“
„Aber...“
„Mein Name ist Steve Stuart“, unterbrach er sie. „Und wie heißen sie?“
„Annie Carlson.“
Er nickte und lächelte. Seine blauen Augen schienen sie zu durchbohren. Sie konnte diesem Blick nicht lange stand halten. Wann würde sie jemals wieder einem solchen Mann begegnen? Es wäre das beste, sein Angebot anzunehmen.
Steve konnte Annie doch zu einem Essen überreden. So lernten sie sich kennen. Steve sagte, er wäre Anwalt und außerdem unverheiratet. Annie war so glücklich wie nie zuvor. Er machte ihr andauernd Komplimente, wie:
„Dein braunes Haar ist so weich und du hast eine so tolle Figur.“
Annie schwebte auf Wolke Sieben.
Nach dem Essen, das er bezahlt hatte, gingen sie noch durch die Stadt. Er trug sogar ihre Einkaufstüten. Am Abend suchten sie eine Bar auf. Während sie auf den Barhockern saßen schaute er ihr tief in die Augen. Sie war von diesem ungewöhnlichen Blau so gefangen, daß sie nur schwer an etwas anderes denken konnte.
Aber ein Gedanke schlich sich ihr immer wieder in den Kopf. Es war nicht gut, mit einem fremden Mann einfach so auszugehen. Nicht nach den beiden Frauen, die auf grausame Weise in dieser Stadt ermordet worden waren. Annie erinnerte sich noch genau an die Zeitungsmeldung.
Vor einer Woche hatte der letzte Mord stattgefunden. Die beiden Frauen waren im Abstand von einer Woche auf die gleiche Art und Weise umgebracht worden. Der Täter war ein Mann und lief immer noch frei herum.
Er hatte den Frauen den Bauch aufgeschlitzt und ihre Gedärme um ihren Hals gewickelt. Die Ohren der Opfer waren abgeschnitten und an den Arsch genäht worden. Zu guter Letzt hatte er ihnen den Schädel aufgesägt und das Gehirn entnommen, welches er wahrscheinlich als Trophäe mitnahm.
Deshalb war Annie mißtrauisch. Doch als er ihr sanft und beruhigend durchs Haar strich, vergaß sie ihre Angst.
Um Mitternacht verließen sie die Bar und gingen durch die leeren, einsamen, dunklen Straßen. Annie ergriff seine Hand. Der Mond schien kühl auf die beiden herab. In diesem unheimlichen Licht schienen Steves Haare fast blau zu leuchten. Er sah noch atemberaubender aus, als sonst.
Sie ließ sich von ihm nach Hause begleiten und bat ihn noch in ihre Wohnung. Dort half er ihr, die Einkäufe wegzuräumen.
Später saßen sie auf der Couch. Steve beugte sich zu ihr herüber und küßte sie sanft, dann stürmischer. Dieser Kuß raubte ihr all ihre Sinne. Als er sich von ihr löste sagte er mit seiner süßen fast hypnotischen Stimme: „Oh Annie. Ich liebe dich. Das ist kein Witz. Mir ist noch nie eine Frau, wie du begegnet.“
„Aber...“, wollte sie widersprechen, doch er erstickte ihre Worte mit einem weiteren Kuß. Langsam fuhr er mit der Hand unter ihr T-Shirt und drückte sanft ihre Brüste.
Sie löste sich von ihm und schaute ihn mit ihren braunen Augen verliebt an. Dann zog sie ihr T-Shirt über den Kopf und ließ es achtlos zu Boden fallen. Auch er entledigte sich seines Shirts. Als Annie sich zu ihm herüberbeugte, um seine Brust zu küssen, bemerkte sie zum ersten mal diesen Duft der von ihm ausging. Seine Haut roch stark fast betäubend nach Rosen. Warum war ihr das nicht vorher aufgefallen?
Sie blickte ihn an. In seinen Augen lag ein eigenartiger Glanz. Sie brannten sich tief in ihre Seele.
Annie wollte weg schauen, doch sein Blick hielt sie fest.
„Du bist ein naives fettes Mädchen, Annie.“
Plötzlich hatte sich seine Stimme verändert, als er dies aussprach. Sie war nicht mehr warm und süß, sondern kalt und spöttisch.
„Was?“ hörte sie sich fragen. Ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Diese gräßlichen Augen drangen in ihren Verstand ein.
„Du hast mich richtig verstanden.“
Am Rande nahm sie wahr, wie er aus seinem Stiefel ein großes Messer zog. Sie konnte sich nicht rühren. Was hatte er nur mit ihr angestellt?
„Ich werde dich jetzt töten, Annie.“
„Aber...“
„Hast du mir noch irgend etwas zu sagen?“
„Wa... Warum tust du das?“
„Um dieser lästigen blonden Nutte, die sich selbst für einen Engel hält, das Leben schwer zu machen. Sie wird sich ganz gewiß über die netten Trophäen freuen.“
„Damit habe ich nichts zu tun. Ich kenne diese Frau doch gar nicht.“
Annie wußte nicht, wie sie noch die Kraft auftreiben konnte, ihm zu widersprechen. Vielleicht, weil sie wußte, daß es zu spät war?
„Aber ich kenne sie. Das reicht.“
Er küßte Annie. Sie schloß die Augen und vergaß endlich alles um sich herum. Es war schon so lange her, seit sie das letzte mal mit einem Mann zusammen gewesen war.
Als er ihr den Bauch aufschlitzte, konnte sie nicht schreien. Sie starb in den Armen von Steve.
Genauso, wie die anderen Frauen ermordete er sie.
Dann verließ er unerkannt die Wohnung und verschwand in der Dunkelheit, von der er selbst ein Teil zu sein schien.
Auf Annies Beerdigung war nur ihre Mutter anwesend, die einen Herzinfarkt bekam und ebenfalls starb. Keiner weinte um sie. Das Morden hörte nach Annies Tod auf, doch der Täter wurde nicht gefaßt.
ENDE
Als Lesezeichen weiterleiten