Kapitel 2

John Berger erwachte schweißgebadet im Bett seines Appartements. Es war das Jahr 2076, seine Entlassung aus dem Militärdienst lag jetzt fünf Jahre zurück und er näherte sich seinem dreißigsten Geburtstag. Er hatte Glück gehabt, dass einer der Besatzungsmitglieder und die wertvolle Ladung des Rohstofftransporters NHQ-476 geborgen wurde und der Tot zweier Piloten somit wenigstens teilweise gerechtfertigt werden konnte. Die Prospektorgesellschaft stellte ihm einen Anwalt zur Verfügung und er landete nicht in den Gefängnisminen des Marsmondes Deimos, sondern wurde sogar ehrenhaft entlassen. Er hatte jedoch immernoch regelmäßig quälende Alpträume von diesem Zwischenfall und den anklagenden Blicken Chengs Angehöriger auf der Trauerfeier.
Die Sonne war schon über seiner Geburtsstadt Hamburg aufgegangen und warf erste goldene Strahlen durch das Fenster.
„Hast du wieder geträumt?“, fragte Vanessa schläfrig.
Sie hatten erst vor kurzem in einer Bar kennen gelernt und aus einem One-Night-Stand entwickelte sich eine oberflächliche Beziehung. John hatte sie gern, aber für die Chance wieder ein Raumschiff zu steuern, würde er sie ohne Zögern verlassen. Bereits seit seiner Kindheit träumte er davon zwischen den Planeten zu Reisen und fühlte sich nun leer und depressiv, was sich auch in seiner Erscheinung bemerkbar machte. Dunkle Ringe unter seinen braunen, fast schwarzen Augen verfinsterten sein fein geschnittenes Gesicht und die hängenden Schultern ließen seine hochgewachsene, schlanke Statur schlaksig wirken. Vanessa war hilfreich, doch sie konnte ihm seinen Traum nicht ersetzen. Noch dazu kam, dass sein restlicher Sold und die Abfindung, die er erhalten hatte, langsam zur Neige gingen und er war gezwungen einen Job als Taxifahrer anzunehmen. Eine erniedrigende Tätigkeit für einen Piloten mit seinen Fähigkeiten. Jemand mit seiner Vorgeschichte war jedoch schwer zu vermitteln.
„Ist schon gut. Schlaf ruhig weiter.“
Obwohl John sich noch etwas matt fühlte und einzelne Schnipsel seines Traumes durch seinem Geist spukten, stand er auf und griff nach seinem Morgenmantel. Vanessas gleichmäßige Atmung verriet ihm, dass sie schon wieder schlief.
Seine kleine Wohnküche hatte schon, instruiert vom Computer des Appartements, der jede Bewegung und Gefühlslage des Bewohners registrierte, ein Frühstück bestehend aus heißem, duftenden Kaffee und frisch gebackenen Brötchen für ihn zubereitet. Nachdem er sich mit einer heißen Dusche vom Schweiß und den Schrecken der Nacht befreit hatte, setzte er sich auf das gemütliche kleine Sofa vor der Medienwand und studierte die Nachrichten. Es gab neue Erkenntnisse über die quallenartigen Lebensformen in den Ozeanen unter dem Eis des Jupitermondes Europa, weitere Ausschreitungen der Separatisten in den Kolonien des Mars und die neuesten Modetipps für den Sommer.
Gegen Mittag erhielt er von seinem Taxiunternehmen den ersten Auftrag. Es hieß, der Kunde habe ausdrücklich nach John verlangt, was ihn etwas stutzig machte. Gab es so etwas wie Stars unter den Taxifahrern? Der Lift zog ihn hoch auf das Dach, auf dem sein Taxi wartete. Es war eine klobige Mischung aus Jet und Straßenfahrzeug, sowohl für kurze Strecken in den Häuserschluchten Hamburgs, als auch für lange innerhalb Europas ausgelegt.
Sein Fahrgast erwartete ihn vor dem Eingang des Metropolhotels nur ein paar Straßen weiter. Mit einem herzlichen „Guten Abend.“, begrüßte er John und schob seinen massigen Körper auf den Rücksitz.
„Guten Abend. Wohin soll es denn gehen?“
„Zum Berliner Raumhafen bitte. Aber fliegen sie gemütlich Mr. Berger. Ich hab es nicht eilig.“, antwortete er mit markantem englischen Akzent.
Ein Fahrgast, der es nicht eilig hatte, war etwas sehr ungewöhnliches. Nachdem sie in der Luft waren und er den Kurs in Computer eingegeben hatte, fragte John:
„Kennen wir uns von irgendwo her?“
Bevor er antwortete, zündete sich gemächlich eine dicke, nach Likör riechende Zigarre an.
„Mein Name ist Martin McMillan und ich habe noch eine Rechnung mit ihnen offen.“
McMillan. Irgendwo hatte er diesen Namen schon einmal gelesen. Natürlich! Die Gerichtsakten. Es stellte sich heraus, dass McMillan unbeschadet überlebt hatte und ein Unternehmen gründete, welches heute einer der größten Produzenten von Raumschiffen war. Aufgrund einer umstrittenen Vertragsklausel erhielt er, als einziger Überlebende des zerstörten Transporters, zusätzlich zu seiner, die Provision der anderen Crewmitglieder und vervielfältigte den Betrag durch ein glückliches Händchen an der Börse.
„Sie haben mir das Leben gerettet, Mr. Berger.“
„Ich tat nur meine Pflicht als Soldat. Jedenfalls dachte ich das damals.“
„Ich habe ihren Prozess Verfolgt. Es ist eine Schande wie man ihr Talent vergeudete. Wie sie wissen bin ich mit McMillan Spacecraft Limited ein reicher Mann geworden und kann vielleicht etwas für sie tun, um meine Schuld zu begleichen.“, sagte McMillan und lächelte ihn freundlich durch den Rückspiegel an. John zögerte. Obwohl er sehr knapp bei Kasse war, wollte er kein Geld für seine Taten. Es wäre dem Andenken seiner Freunde nicht würdig gewesen. Es konnte jedoch nicht schaden, sich sein Angebot wenigstens anzuhören.
„An was dachten sie da?“, fragte John misstrauisch.
„Vor zwei Wochen hat die UN einen Auftrag für ein schnelles Kurierschiff ausgeschrieben. Zu diesem Zweck wird ein Rennen vom Mond bis zur Jupiterbasis Stormwatch veranstaltet. Meine Ingenieure sind schon dabei, ein derartiges Schiff zu konstruieren und auch meine Konkurrenten werden ein Team an den Start schicken. Was ich jetzt noch brauche ist ein Pilot und an diesem Punkt kommen sie ins Spiel, Mr. Berger.“
Nach Monate langen Theoriestunden, Testflügen und medizinischen Untersuchungen war für John der Tag der Abreise gekommen. Der Abschied von Vanessa ging relativ leicht von statten, denn sie wusste, wie viel ihm diese Gelegenheit bedeutete. Sie hatten sich darauf geeinigt, nicht aufeinander zu warten, jedoch alle Möglichkeiten offen gelassen.
„Wir bitten alle Passagiere des Fluges 51H7G nach Luna 2 einzuchecken.“, plärrte es aus den Lautsprechern des Berliner Raumhafens, in vier verschiedenen Sprachen. Es war sein Flug und John veranlasste seine Zeitung dazu, sich in seiner Hand zusammen zu falten, bevor er sich auf den Weg zur Passkontrolle machte.
Während des Fluges studierte er noch einmal die Spezifikationen des Schiffes, welches er bald steuern sollte. Er fing jedoch nach kurzer Zeit an, in seinem gemütlichen Erste-Klasse-Sessel zu dösen. Eingelullt von den sanften Vibrationen des Antriebs, welche die rodeoartige Startphase abgelöst hatten.

Barbara legte den Datenhandschuh der Spielkonsole bei Seite und rieb sich die müden Augen.
„Ach komm. Noch eine Runde. Ich hätte dich diesmal fast erwischt!“, rief Billy, ihr kleiner Bruder enttäuscht.
Seit dem Tod ihrer Eltern vor vier Jahren, hatte sie ihn bei sich aufgenommen.
„Mir reicht es für heute, außerdem muss ich bald los zur Arbeit, echte Raumschiffe Fliegen.“
Sie war Testpilotin für Union Industries. Mit ihren 24 Jahren eine der jüngsten, der Geschichte. Trotz dieser Tatsache behandelten ihre Kollegen sie, aufgrund ihrer zierlichen, jedoch sehr weiblichen Erscheinung, wie ein attraktives, dummes Blondchen. Sie fragte sich, wie viel Leistung sie noch bringen musste, damit ihre Fähigkeiten endlich anerkannt wurden. Vielleicht erhielt sie heute wieder eine Chance sich zu beweisen, denn Barbara Rosental hatte sich für einen interessanten Auftrag beworben. Es handelte sich um den Testflug eines neuen Hochgeschwindigkeitsraumschiffs.