"Zum Beispiel berichtet die Studie des Ehepaars Shaywitz 1995 in der Wissenschaftszeitschrift Nature von 19 Männern mit linksseitiger und von 11 Frauen mit beidseitiger Aktivierung des Gehirns bei der Erkennung von Reimen. Sie wird bis heute als Beleg für geschlechtsspezifische Sprachverarbeitung zitiert.
Dagegen fanden Julie Frost und ihre Kolleginnen bei 50 Männern und 50 Frauen keine Geschlechterunterschiede in der Hirnaktivierung bei Sprachleistungen; sie veröffentlichten ihre Ergebnisse 1999 im neurologischen Fachjournal Brain. Eine Gesamtanalyse der computertomografischen Geschlechterstudien bei Sprachleistungen von Iris Sommer, fünf Jahre später in Brain erschienen, fand ebenfalls keine durchgängigen Differenzen. Die Variabilität innerhalb der Frauen- und Männergruppen ist höher, als die Unterschiede zwischen ihnen sind.
Eine mögliche Ursache ist die enorme Formbarkeit unseres Gehirns, sodass sich wiederholte Verarbeitungsmuster in Nervennetzen abbilden. Die enorme Dynamik der Hirnplastizität kann die Vielfalt von Gehirnen erklären, denn jeder Mensch macht unterschiedliche Erfahrungen. Umgekehrt können sich Gruppenunterschiede in den Strukturen des Gehirns aufgrund ähnlicher Erfahrungen in einer geschlechtlich aufgeteilten Welt entwickeln. Hirnbilder von Erwachsenen lassen beide Interpretationen zu: das Gehirn als Ursache oder als Ergebnis des Verhaltens."
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