Eine Übersetzung meiner Story 'Rise And Shine'.

Disclaimer: Die verwendeten Figuren gehören mir nicht, sondern den großartigen Leuten, die uns Farscape gegeben haben.

Dank an: meine Betaleserin Birgitt - und die diversen Betas und Testleser, die zuvor die englische Version durchgesehen hatten: Sheridan, AnduraNova, Anne und natürlich Scapekid.

Timeline: frühe zweite Staffel.

Feedback an: hmpf1998@gmx.net


***


"Ich vermisse die Sonne. Tage, Nächte, einfache Dinge."

John Crichton, A Human Reaction


***


John.

Der einzige Weg zurück zu einem vernünftigen Universum führt durch den Schlaf. Nur im Traum hat er noch festen Boden unter den Füßen; nur im Traum folgt das Universum Regeln, die er versteht. Die Erde – vergiß Galilei! – ist dort der Mittelpunkt des Universums. Der Planet, auf dem er geboren wurde: eine Welt, die ihm nicht immer und immer wieder den Teppich unter den Füßen wegzieht. Selbst verdreht von Traumlogik ist sie unendlich weniger verwirrend als das, was er im Laufe eines befremdlichen und beängstigenden Jahres gelernt hat, Realität zu nennen.

Schlaf hält ihn tröstend umfangen, doch sein Bewußtsein bewegt sich fort, strebt zögernd jenem seltsamen, schreckenerregenden Ort zu: dem Wachsein. Er möchte nicht wirklich dorthin. Und so gibt er nach und läßt sich noch einmal vom Schlaf in warme Tiefen ziehen; vom Schlaf, der ihn mit sanften Fingern umfängt, Fingern, die Alex auf strategischen Teilen seiner Anatomie plaziert, damit er bei ihr unter der warmen Decke bleibt und die Frühvorlesung verpaßt.

"Ach, frell doch die Einführung in die Astrophysik", murmelt er gegen ihre Schulter, und ein Teil seines Verstandes, den die Traumrealität nicht völlig gefangen hält, nimmt eine Ungereimtheit wahr.

Frell?

Was für ein Wort ist das?

Er fühlt, wie sie sich dreht und in die Kurve seines Körpers schmiegt, fühlt die seidige Haut ihres Rückens an seiner Brust und drückt sich dichter an sie, sucht Kontakt mit jedem Quadratzentimeter. Etwas Unwillkommenes, Unbestimmtes drängt sich in die Kapsel seines Wohlbehagens. Verstört küßt er ihre milchweiße Schulter.

"Ich liebe dich", murmelt sie schläfrig.

Liebe.

Ein geschmeidiger, schlafwarmer Körper neben seinem, klein und furchtbar verletzlich. Tief in ihm regt sich ein unerwarteter Schmerz. Aber Alex ist nicht verletzlich, war nie verletzlich... Strähnen feinen, blonden Haars kitzeln sein Gesicht.

Liebe?

Falsche Farbe. Ihr Haar hat die falsche Farbe.

Wieder dieser flüchtiger Schmerz. Was war das?

Doch welche Farbe sollte ihr Haar haben? Alex hat blondes Haar, hatte immer schon blondes Haar, und er liebt es, wie die Sonne einen Heiligenschein darauf malt, wenn er neben ihr aufwacht. Er liebt die filigranen Muster, zu denen es sich auf dem Kissen ordnet, liebt den Duft -

Eine Welle unentzifferbarer Gefühle steigt in ihm auf, unvermittelt, und unendlich komplexer, als seine Gefühle für Alex es jemals waren, stärker und fordernder; ein gewaltsames Sehnen und noch etwas anderes, etwas...

(Ein Flüstern.) Schuld.

Mit einer plötzlichen Dringlichkeit, die ihm Angst macht, greift er nach ihr, zieht sie an sich, umklammert sie, als ob er fürchte, daß sie ohne ihn in den leeren Raum hinausdriften könnte. Er fühlt zu vieles auf einmal, einen Stromschlag von Gefühlen, der ihn mit mit größter Gewalt durchzuckt, und er hält sich an ihr fest, um sich selbst zu erden. Da ist Liebe in dem Gewirr, doch für wen?

Blondes Haar in seinem Gesichtsfeld. Blond. Falsche Farbe.

Blond.

Gilina.

Sie ist reglos in seinen Armen.

Falsche Farbe.

Nein, nicht reglos – leblos. Er hält einen kalten, toten Körper in seinen Armen.

(Jemand lacht leise im Hintergrund seines Bewußtseins.)

Gilina?

(Von irgendwoher dringt ein Flüstern, und ein eisiger Schauer läuft seine Wirbelsäule entlang.)

Und mit diesem Klang noch im Ohr, dieser Kälte noch in den Knochen, wacht er auf in dumpfem Moyamorgenlicht und einem leeren Bett.


Aeryn.

Ein Leben voll militärischer Disziplin hat sie zu einer präzisen Schläferin gemacht. Sie schläft ein wie auf Befehl; wacht morgens nicht auf, sondern springt geistig in Habachtstellung - ruft ihren Verstand zurück von einem dunklen Ort, wo sie ihn für die Nacht ablegt. Doch dieser Ort ist nicht so leer, wie es ihr lieb wäre.

Kadettin Sun.

Jawohl, Sir.

Ist das dein Impulsgewehr?

Jawohl, Sir.

Reinige es.

Aber, Sir...

Stellst du meine Befehle in Frage, Kadettin?

Nein, Sir.


Sie kniet im schwachen Licht auf dem kalten Metallboden neben ihrer Pritsche und nimmt ihr Gewehr auseinander. Das Leuchtfeld über der Tür ist auf Nachtbetrieb gestellt. Es ist defekt und wirft ein flackerndes Licht auf all die Achtjährigen in ihren Kojen, läßt sie in einem unregelmäßigen Rhythmus verschwinden und wieder sichtbar werden. Keines der Kinder ist wach – sie haben schon vor langer Zeit gelernt, diese nächtlichen Unterbrechungen nicht mehr wahrzunehmen, solang sie nicht selbst betroffen sind. Das Licht reicht kaum aus, um ein Impulsgewehr zu reinigen, doch sie braucht kein Licht. Sie könnte ihre Waffe mit geschlossenen Augen auseinandernehmen und wieder zusammensetzen - hat es bereits viele Male getan. Der Mann, der hinter ihr steht, weiß das. Er ist einer der Offiziere, die diese Kindergruppe seit drei Jahren ausbilden, und er weiß, daß die vielversprechende Kadettin Aeryn Sun ihr Gewehr mit beinahe religiöser Hingabe pflegt. Der Zweck der Übung liegt nicht in der Reinigung der Waffe.

Sie löst die Halterung. Nimmt die Chakanöl-Patrone heraus. Schiebt der Form halber einen dünnen Metallstab in den Einspritzkanal und wischt das Innere der Zündkammer mit einem in Lösungsmittel getränkten Tuch aus. Kein Restchen Chakanöl verstopft den Kanal, keine Rückstände sind in der Kammer zu finden, denn sie hat ihre Waffe bereits gereinigt, bevor sie zu Bett ging. Der Mann hinter ihr steht unbeweglich, wirft einen tiefschwarzen Schatten über sie und ihre Arbeit. Sie weiß, daß er sich absichtlich so plaziert hat, um ihr die Sicht zu erschweren.

Sie legt das Tuch weg und das Leuchtfeld über der Tür wählt just diesen Moment, um endgültig den Geist aufzugeben. Also schließt sie die Augen - greift mit der Sicherheit einer hunderte Male wiederholten Routine nach der Patrone, setzt sie wieder ein und überprüft den Ladestatus.

Eine rote Diode leuchtet im Dunkeln. Sie steht auf und nimmt Haltung an.

Fertig, Sir.

Du kannst weiterschlafen.

Jawohl, Sir.


Sie schlüpft unter ihre Decke. Der gemessene Schritt des Wachhabenden, der den Mittelgang auf und ab geht, das regelmäßige Atmen von neunzehn zukünftigen Peacekeepern und das leise Hintergrundsummen des Schiffes bilden eine intim vertraute, beruhigende Klanglandschaft. Das Letzte, was ihr bewußt ist, während der Schlaf sie bereits verschluckt, ist der scharfe Geruch der Reinigungsflüssigkeit, der von dem Gewehr ausgeht, das sie ordentlich an ihr Bett gelehnt hat. Er bedeutet Heimat.

Er ist das Erste, was sie morgens bemerkt, an jedem Morgen, an dem sie sich in einer umgebauten Zelle auf einem gestohlenen Leviathan wiederfindet, verirrt und verloren in den Unerforschten Territorien.

Nach mehr als einem Jahr als gejagte Deserteurin schläft Aeryn Sun noch immer wie eine Soldatin: leicht, immer bereit für den Ruf zu den Waffen. Sie hat kein Talent für die schuldbewußte Lust des Verschlafens, und Pilot muß sie niemals wecken. Sie erwacht noch immer rechtzeitig zum Morgendrill.

Augen auf. Aufsetzen. Wo ist deine Waffe?

Sie ist dort, wo sie sie immer abstellt: Neben ihrem Bett.


D'Argo.

Vor der Bitterkeit, vor der Gefangenschaft, vor dem Blut an den Händen ihres Bruders, gab es Frieden – Frieden und den Gesang von Vögeln, deren Namen er nicht kannte. Ihr Jubilieren zitterte in der Luft wie die Blätter der stämmigen Bäume, die die Ufer des Baches mit Schatten sprenkelten.

Abends, wenn die Sonne unterging und Lo'lann Jothee zu Bett brachte, ging er hinaus und stand unter dem Dach knorriger Zweige. Er hörte auf die verwobenen Klänge von Vogelgesang und eiligem Wasser, beobachtete den Himmel über dem leeren, flachen Land, das hinter den Bäumen begann, und fühlte sich zum Bersten erfüllt von einem Glück, das all ihre Sorgen und Schwierigkeiten nichtig scheinen ließ.

Ein Gespenst jenes alten Glücks ist mit ihm, jetzt, als er wieder im Schatten der Bäume steht und mit dem Gefühl eines von einer langen Reise Zurückgekehrten auf die untergehende Sonne jenseits des Baches hinausschaut. Alles ist, wie es sein sollte: Das Wasser, unwahrscheinlich violett von ausgewaschenen Mineralien aus den Hügeln stromaufwärts, der schrille Dreiklang der Vogelrufe, der Himmel flammend vom Sonnenuntergang. Doch irgendetwas stimmt nicht, etwas, das er nicht genau fassen kann. Vielleicht leuchten die Blätter der schwarzborkigen Bäume nicht stark genug; vielleicht haben die weißen Felsen der Ebene den allerleichtesten Anschein des Körperlosen an sich... Ist es nur die Entfremdung des Reisenden, zurückgekehrt an einen ehemals vertrauten, nun subtil veränderten Ort, oder liegt der Makel tiefer?

Ein murmelnder Wind hebt an in der Ebene und trägt feine Staubschleier über den Bach. Die Schleier vereinigen sich, konzentrieren sich zu einem Wirbel, der dichter und undurchsichtiger wird, sich zu einer auf der Stelle wirbelnden Windhose wandelt, schneller und immer schneller. Etwas daran zieht seinen Blick an. Der Wirbel dreht sich, hält ihn wie in Hypnose, wird schneller, schneller, schneller – wird zu einer undeutlichen Gestalt, einer schlanken Gestalt am anderen Ufer des Baches. Die Schleier lösen sich, fallen zu Boden, und er erkennt -

"Lo'lann."

Sie antwortet – antwortet sie? Der Wind trägt ihre Worte davon, mit den Staubschleiern hinweg über die Ebene. "Lo'lann!" Er macht einen Schritt auf das Ufer zu.

Sie regt sich, schwebt, violett verschleiert, und er kann nicht sagen, ob ihre Füße den Boden berühren.

Er tritt ins Wasser.

Mit sanfter Endgültigkeit, mit wehendem Haar, wendet sie sich ab.

Er macht einen weiteren Schritt, und in diesem Moment, genau diesem Moment, stößt Jothee einen hohen, langgezogenen Schrei aus.

Und das Wasser wird zu Schlamm, hält seine Füße gefangen, zieht ihn hinab.

"Lo'lann! Jothee!"

Er kämpft, doch je mehr er kämpft, desto fester hält ihn der Schlamm. Er knurrt in frustrierter Wut und steigender Verzweiflung. Er kann sich nicht bewegen, denn der Schlamm hält seine Füße fest - denn er kann sich nicht entscheiden, wohin er sich wenden soll - denn Ketten fesseln seine Füße und seine Handgelenke, Ketten sind an seinen Schlüsselbeinen fixiert - und Jothees Schreien füllt seine Ohren, füllt seine Welt aus, und er kann sich nicht bewegen – kann nicht rennen, seinen Sohn zu retten, kann nicht rennen, Lo'lann zu helfen, kann sie nicht retten – kann sie schon wieder nicht retten.

Er erwacht schweißgebadet und verkrampft; in einer Zelle, aber frei vom Gewicht der Ketten, das er noch einen Moment zuvor gespürt hat. Frei, oder so frei, wie es ein Flüchtling sein kann, der nirgends verweilen kann, so frei, wie es ein Mann sein kann, der alles verloren hat außer einer wilden Hoffnung.


Chiana.

In einem Wirbel von Schwarz einem Wirbel von Farbe schwimmt sie sinkt sie in einem Wirbel von Dunkel einem Wirbel von Hell einem Wirbel von blendendem Licht fällt sie stürzt sie durch Nichts und durch Farbe taumelt durch Licht durch den Schatten in einen bohrenden Schmerz und da ist Nerri und hält ihre Hand Nerri und hält sie im Arm murmelt tröstende leere Worte ihr Bruder ihr Bruder ihr toter Bruder tot tot -

Und dann rennen sie wie sie immer rennen frei frei frei solang wie sie niemand fängt solang das Establishment sie nicht fängt frei zu rennen frei zu tun was sie wollen zu snurchen was sie wollen zu gehn wohin sie wollen zu frellen wen sie wollen keine Regeln kein Gesetz keine Konformität kein Establishment keine mentale Säuberung frei wie die Luft frei wie wilde Tiere fliehende Tiere kleine Tiere mit scharfen Krallen scharfen Zähnen die kratzen schlagen krallen rammeln rennen sich verbergen -

Sich verbergen in Löchern Rufe hungriger Wesen bei Nacht sich verbergen in klammen dunklen Ecken Gestank von hunderten Arten Pisse sich verbergen in Gassen sich verbergen in Laderäumen zwischen Stapeln von Kisten in verlassenen Hangars schlafen auf kalten Böden unter feuchten hohen Wänden immer feuchte hohe Wände jeder Handelsplanet jeder Raumhafen immer feuchte hohe Wände saure Kondensflüssigkeit tropft auf schlurfenden Pöbel auf unterster Ebene kondensierter Atem der tropft tropft sich mischt mit Chemikalien Staub Abgasen Schimmel -

Und Zeit ist knapp und das Leben kurz denn Abschaum lebt niemals lang sie bewegt sich mit Anmut Wagemut mit hysterischer Schönheit einer hektischen brennenden leuchtenden Schönheit brennt sie zu schnell und zu heiß denn niemand ist hier in der Gosse lang schön sie küßt leckt streichelt mit hungrigen hungrigen Fingern gierigen Lippen brennendem Fleisch wild kokett trunken -

Langsames lockendes Lächeln tiefer traumdunkler Blick so fordernd suggestives Schlängeln der Hüften und Schultern Kopf geneigt Mund geöffnet rosa Zungenspitze leckt lasziv graue Lippen so verführerisch so verlockend so süß so sorgfältig einstudiert -

Dann eine Gasse eine Ecke je dunkler je besser Körper schmiegt sich an Körper immer enger und enger Hüfte an Hüfte Bein an Bein Arm um Hals Mund auf Mund Zunge an Zunge und blitzschnelle blasse Hand züngelt hinunter hinten herum hinunter hinunter hinunter sanft suchend sanft findend sanft snurchend -

Weiße Finger finden Wege in Taschen Pakete und Koffer finden Schlüssel Währung Identchips Landepapiere suchen schnell und sicher wie rosa Zunge heissen Mund snurchen schnell still als sanftes Stöhnen grauen Lippen entflieht als halbgeschlossene Augen Ausschau halten nach einem schwarzen Schopf und da ist er und kein Microt zu früh heißblütiger großer Bruder beschützt kleine Schwester wütend kalt erzürnt mit einem Messer das er nicht zu benutzen wagt doch überzeugend schwenkt -

Und sie sind frei und sie rennen und sie kichert vor Aufregung jubelt euphorisch triumphiert doch er ist wütend immer noch wütend auf sie jetzt nicht auf den Außenweltler und als sie ihm die Beute zeigt genug für einen Monen ein Hotelzimmer neue Kleidung Delikatessen ein wahrer Traum ist er wütend hätte mit ihr gejubelt und gelacht noch vor ein paar Monens doch jetzt brütet er sorgt sich um sie und sie sorgt sich um ihn er denkt zuviel sieht ihm nicht ähnlich so viel zu denken so viel zu brüten woran denkt er und was ist so schlimm an etwas Gefahr etwas Spaß -

Und dann ein Bild aus der Zukunft und sie weiß er wird gehen wird gehen wird niemals zurückkehren wird sie verlassen und sterben und sie wird niemals wissen woran oder wie wird ihn nicht wiedersehen niemals -

Sie erwacht in sich geknäuelt und wartet ruhig, bis die Tränen versiegen, bevor sie sich streckt und aufsteht, um dem Tag begegnen.


Rygel.

Bishan lacht.

Dummer Fekkik. Er hat keine Ahnung, wie gefrellt er ist.

Bishan fläzt sich in einem lächerlich schmucküberladenen Thronschlitten, aufgebläht von seiner neugewonnenen Wichtigkeit, und glaubt sich sicher unter dem Schutz seiner gemieteten Peacekeeper-Schläger. Seine fetten, kurzen Arme, die auf einem Bauch ruhen, den gestohlene königliche Gewänder zieren, zittern von den Erschütterungen seiner Ausgelassenheit, und ein dünner Speichelfaden zieht sich von seinem Mundwinkel Richtung Kinn. Sein breiter, gieriger Mund öffnet sich zu einem Gackern und entblößt bräunliche Zähne und feuchtes Zahnfleisch, während zwei Diener duftendes Öl in das Haar seiner Ohrenbrauen massieren. Der Anblick erfüllt den rechtmäßigen Erben des Thrones von Hyneria, momentan gefesselt und geknebelt und fest im Griff eines Paars großer Peacekeeperhände, mit genug Haß für ein ganzes Leben - oder zumindest für ein sehr langes Exil. Seine Eminenz Dominar Rygel der Sechzehnte ist ein wenig überrascht, in sich selbst die Gabe zu solchem Haß zu entdecken. Er hat Dissidenten für weitaus geringfügigere Verbrechen als Bishans hinrichten lassen, ins Exil geschickt oder eingesperrt, doch bisher war es nie persönlich. Von einem Mitglied seiner eigenen Familie verraten zu werden ist, nun, vielleicht keine Überraschung, doch es schmerzt. Es schmerzt, daß er es nicht kommen sah, daß er die verräterischen Gedanken hinter dem fetten Gesicht nicht lesen konnte.

Jämmerlicher kleiner Yotz. Er ahnt nicht, daß er bereits tot ist, frell, Schlimmeres als tot, und möge Hezmana ihm gnädig sein, wenn ich mit ihm fertig bin.

Bishan brüstet sich. Bishan streicht über seinen prallen Bauch und hinterläßt eine Spur von fettigem Marjoles-Sud auf dem unbezahlbaren Gewand, das seinen unwürdigen Leib bedeckt. Bishan stopft sich voll.

"Die besten Marjoles im ganzen Reich, Vetter. Würdig eines Dominars. Es tut mir ja so leid, daß du sie nicht mit mir genießen kannst." Er fängt wieder an zu gackern.

Haß stürmt durch Rygel wie der Feueratem, der der Zerstörung vorausgeht. Der Haß ist eine sengende Flamme, die ihn verzehrt und doch am Leben hält, ja stärkt. Er hört Bishans Hohn nicht mehr. Er hört nur noch das Rauschen des Hasses in seinen Adern, das ihn von allen anderen Gefühlen isoliert.

Bishan lacht. Bishan schluckt Händevoll von Marjoles, und der kalte Sud tropft von seinem schwabbeligen Kinn auf seine Gewänder und hinterläßt dunkle, feuchte, wachsende Flecken. Dunkel, feucht, sich langsam ausbreitend -

Wie Blut.

Jede Marjole, die zwischen Bishans hungrigen Kiefern verschwindet, nährt die Flamme von Rygels Haß. Sie wird heißer und gleißender, eine fordernde Macht im Zentrum seines Geistes und seiner Seele, und er sonnt sich in ihrem Licht. Mit einer Kraft wie dieser kann er alles erreichen...

Alles.

Na, schmecken die Marjoles, Vetter? Du wirst sie schwer verdaulich finden.

Rygels Zorn ist der Zorn seiner Vorfahren - der Zorn des ruhmreichen Rygel IX., der den verzweifelten Feldzug gegen die Charrids anführte - ein Vermächtnis, dem Bishan niemals gerecht werden könnte, auch wenn er fünfhundert Zyklen lebte.

Aber er wird nicht einmal mehr einen Zyklus erleben.

Rygel spürt das Gewicht der Peacekeeperhände, die ihn niederdrücken, nicht mehr. Es gibt nur noch ihn, Bishan und die Marjoles.

Marjoles? Das glaubst du, Bishan. Aber deine Augen waren noch nie besonders gut.

Bishan bemerkt die subtile Veränderung der Wirklichkeit nicht. Als er die letzte Marjole in seinen Mund wirft, schaut er wieder auf den ehemaligen Dominar, in der Erwartung, hilflose Wut im Gesicht seines Vetters zu sehen.

Rygel lächelt.

Das bringt Bishan aus dem Konzept. Er blinzelt mißtrauisch und öffnet den Mund, um einen Befehl zu geben.

Doch da beginnen die Krämpfe.

Rygel lächelt, als der Usurpator beginnt, um sich zu schlagen, zu zucken und zu schreien; lächelt, als die Diener in Angst und Verwirrung zurückweichen. Er lächelt, als sein Vetter einen letzten, schreckensstarren, flehenden Blick auf ihn richtet. Dann bricht ein Blutschwall aus Bishans Mund und er wird wieder von Krämpfen geschüttelt.

Rygel lächelt.

Selbst wenn ich es wollte, könnte ich die Parasiten jetzt nicht mehr stoppen, Bishan. Doch selbst wenn ich könnte, würde ich es nicht wollen. Du hättest besser aufpassen sollen, wen du verrätst - und du hättest besser aufpassen sollen, was du ißt.

Rygels Lächeln weitet sich, während sein Vetter sich windet und die Parasiten seine Eingeweide auffressen, und er lächelt, als er hört, wie sein Volk anfängt, seinen Namen zu skandieren - "Rygel! Rygel! Rygel!" - ein immer lauter werdender Chor vor dem Palast. Die Peacekeeper machen kehrt und fliehen, doch die Palastgarde mäht sie nieder, und ein Dutzend Diener stürmen heran, um Rygel von seinen Fesseln zu befreien, und ein Dutzend hynerianischer Schönheiten drängeln sich um das Privileg, seine Ohrenbrauen zu küssen -

Rygel erwacht lächelnd, doch das angenehme Nachgefühl des Traumes läßt schnell nach. Es braucht nur einige Microts, und die Züge des hynerianischen Herrschers nehmen einen mißgelaunten Ausdruck an. Natürlich - was hat er schon anderes zu erwarten als einen weiteren Tag voll von Erniedrigungen und den Blödsinnigkeiten jener jämmerlichen Gruppe zusammengewürfelter fremder Wesen, mit denen er bedauerlicherweise das Schiff teilt...


Zhaan.

"Göttin, hab Gnade mit dieser befleckten Seele. Göttin, nimm dieses Leben, auf das ich keinen Anspruch mehr habe, und mach es zu dem deinem. Führe mich auf dem Pfad durch deinen Garten, wo ich Leben unter Leben bin. Nähre mich mit deinem Wasser. Bringe meine Seele zum Blühen."

P'au Zotoh Zhaan schläft nicht. Während ihre Gefährten sich in nächtlichen Labyrinthen der Hoffnung, Sehnsucht und Angst verlieren, strebt sie nach Vollkommenheit. Spirituelle Vollkommenheit ist nicht leicht zu erreichen, nicht einmal für eine P'au der zehnten Ebene. Der Lohn der Suche - flüchtig, zerbrechlich, unfaßbar; erschütternd - kommt nur zu jenen, denen übernatürliche Geduld gegeben ist. Es braucht Jahrzehnte, solche Geduld zu lernen; Jahrhunderte. Manche erreichen ihr Ziel nie; manche erreichen einen bestimmten Punkt und stagnieren dort. Zhaan hat Geduld gelernt in den langen, zähen Zyklen ihrer Gefangenschaft, in der Leere von Tagen und Nächten ziellosen Wartens. Manchmal vermißt sie die Ruhe jener Tage, als niemand ihre Konzentration störte, als ihre Zurückgezogenheit fast so vollkommen war wie in einem delvianischen Kloster. Nur des Nachts, wenn die Ablenkungen des Tages sich zurückziehen, kann sie noch die Ruhe finden, um sich auf die Suche zu begeben.

Sie sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett, nackt, keine Barriere zwischen ihrem Körper und der Welt als ihre atmende, blaue Haut, und öffnet ihren Geist in einer komplexen Sequenz von Beherrschung und Loslassen.

Zuerst, Beherrschung: die mikroskopischen Abläufe der Atmung und des Stoffwechsels im Vergrößerungsglas der Wahrnehmung einfangen, das helle Licht ihres Geistes auf die Durchdringung ihrer Gewebe mit Sauerstoff richten, auf das Zusammenfinden und die Auflösung von Molekülen, die Sättigung ihrer Säfte mit Zucker.

Dann, Loslassen: eine schrittweise Erweiterung des Fokus. Vom Molekül zur Zelle, zur Welt der Adern und Fasern, und dann hinaus, hinaus. Ihre Zelle, die Luft darin Atem des friedlichen Muttertiers; dann: hinaus aus diesem engen Raum und hinein in die lebenden Wände, und sie folgt den Kanälen, die warme Luft führen, folgt rätselhaften Flüssigkeiten, die durch verborgene Lakunen fließen, folgt Pilots Nervenfasern, die sich durch das Gewebe ziehen. Sie fühlt sich sicher, beschützt vom summenden Leben des Schiffes, gehalten von seinem großen, fremdartigen Bewußtsein. Ihre Stimme steigt und fällt im Gesang und rankt sich um das sanfte Pulsieren des riesigen Schiffes. Ihre Worte fallen wie Blütenblätter und die schwarze Stille der Nacht schlägt sanfte Wellen.

Sie fühlt ihre Mitreisenden, ihre Mitflüchtlinge in ihren Zellen irgendwo im Schiff. Sie schlafen unruhig, ein jeder verpuppt in seinem eigenen Unglück. Ihr Bewußtsein, das nach außen drängt, sich nach dem Raum zwischen den Sternen sehnt, hält einen Moment inne, als es all ihre Träume berührt. All ihre Verluste - die Orte, Personen und Ichs der Vergangenheit - all ihre Bitterkeiten. All ihre Sehnsüchte, die ihre eigenen widerspiegeln. Ein Schmerz wächst in ihr, macht ihre Säfte bitter und stört ihre Konzentration.

Und da ist er, der Same ihres Schmerzes und seine Frucht, das blauleuchtende Delvia. Nur eine Projektion ihres brennenden Wunsches, nach Hause zurückzukehren, und doch wunderschön. Sie hebt eine Hand, um den Planeten zu berühren, streckt einen zitternden Finger aus -- und ihr Geist schnellt davon, hinauf und hinaus und weit weg von Moya, mit tausend Metra pro Sekunde, beschleunigt von angestauter Sehnsucht. Das All heißt sie willkommen. Sie badet im Sternenlicht - berührt das Leben auf Tausenden von Planeten, und als sie ihren Geist immer weiter und weiter ins Außen sendet, hört die kalte Leere des Raumes auf, kalt und leer zu sein.

Sie fühlt Ekstase. Fühlt die warme Umarmung der Göttin.

Doch sogar jetzt, wo ihre Seele alles Leben und die Quelle des Lebens selbst umfaßt, zieht sie ein winziger, scharf umgrenzter Ort zurück, heraus aus der Transzendenz, und dieser Ort ist nicht Delvia. Liebe, Mitleid und Verantwortung halten sie fest mit klammernden Ranken und ziehen sie zurück. Zurück ins Exil, zurück zu Moya. Sie kann noch nicht nach Hause reisen. Hier wird sie gebraucht.


Pilot. Moya.

Sternenhimmel.
Unendlichkeit.
Kälte -
Leere.
Weite -
Weite -
Weit.
In die Ewigkeit fallen -
Fallen -
In den Raum zwischen Sternen.
So weit.
Fallen -
Gleiten -
Schweben -
Schwimmen -
In Leere; in den Zwischenräumen.
Zwischen Sternen.
Zwischen
Gleißenden Feuern im Nichts.
Nicht mehr flacher Malgrund der Träume -
Nein, dreiachsig jetzt -
Immense Leere.
Raum -
Zu sein.
Raum -
Frei zu sein.
Raum, allein zu sein.
Allein -
Allein zwischen den Sternen -
Zwischen den Sternen -
Niemals allein -
Niemals allein zwischen den Sternen.
Allein. Zu zweit. Allein. Zu zweit.
Zu zweit.
Tanz der Klauen.
Geruch von Rot.
Geschmack der Schuld.
Schmerz der Erinnerung
Eins. Eins.
Eins jetzt.

Neun Sinne, um die Sterne zu sehen. Der Preis nie zu hoch. Niemals zu hoch.


Morgen.

Pilot und Moya sehen alles. Durch die Sensoren der DRDs beobachten sie ihre Passagiere, die sich auf den Tag vorbereiten: Crichton schnüffelt mit kritischem Blick an einem T-Shirt. Aeryn, bereits angekleidet, schließt die Schnallen ihrer Stiefel. D'Argo ist in Gedanken versunken; seine Hand ruht auf seiner Brust, wo das Bild seiner Frau und seines Sohnes in seinem Körper ruht. Chiana reibt sich Duftöl - zweifellos aus Zhaans Lager von Kräuteressenzen gestohlen - ins Dekolletee. Rygel schwebt schon den Korridor entlang, auf dem Weg zur Küche. Zhaan rafft ihre Roben um sich, voller Grazie... All dies sehen Pilot und Moya, doch die Eindrücke frühmorgendlicher Aktivitäten füllen nur einen winzigen Bruchteil ihres immensen Bewußtseins. Die Sterne sind immer präsent - die Kulisse für alles, was auf Moya geschieht, ein Hintergrundgemälde für Pilots Geist, das Versprechen und Erinnerung an seine Schuld zugleich ist. Ihre Schönheit berührt ihn wie am ersten Tag.

***

"Hey, Pilot! Siehst du zu?" Crichton schnippt seine Finger vor dem DRD, bückt sich, bis die visuellen Sensoren ein unnatürlich verzerrtes Bild von ihm auffangen, Kopf riesig im Vordergrund, Körper perspektivisch verkürzt und winzig dahinter. Seine Aussprache ist undeutlich, da er einen Dentic im Mund hat. Für einen Moment bleibt er so gebeugt, im Gesicht ein Grinsen kaum noch diesseits des Wahnsinns, während der Dentic seine Zähne reinigt. Pilot registriert eine Spur Gammastrahlung rechts von Moya in weiter Ferne und erstellt eine kurze Analyse jedes nahe gelegenen Sterns, während er zusieht, wie Crichtons Oberlippe sich über dem Dentic wölbt. Plötzlich richtet sich Crichton auf und spuckt das Weichtier in seine Hand. Er läßt es in einen Becher mit Wasser fallen und spricht dabei über die Schulter zum DRD. "Weißt du, Pilot, manchmal frag ich mich... hast du eigentlich schon mal vom Konzept der Privatsphäre gehört?"

Das Comm piept, als Pilot den Kommunikationskanal aktiviert.

"Moya und ich versuchen lediglich, uns gut um jeden, der an Bord ist, zu kümmern, Commander. Du schläfst unruhig, seit..."

"Ja?" unterbricht ihn Crichton. "Und was hilft es, wenn du mir beim Schlafen zusiehst, als wärst du meine Mutter?" Seine Stimme klingt beiläufig, doch seine überdeutliche Aussprache verrät seinen Ärger. Pilot kann nicht umhin, die Anspannung seines Rückens zu bemerken, doch ein plötzlicher Schmerz von Moya lenkt ihn ab. Schmerz über die Zurückweisung ihrer Sorge, Schmerz wegen der Erwähnung von Mutterschaft. Ein Bild von Talyn schießt für einen Sekundenbruchteil durch Pilots Geist, und er wird überwältigt von einer Sehnsucht, die in der Schale seines Kopfes widerhallt wie eine tiefe Glocke. Einen Moment lang kann er nichts tun, als Ruhe zu projizieren und ist sich dabei nur zu bewußt, wie ungenügend sein Trost im Verhältnis zum Ausmaß der Trauer eines Leviathans ist. Als er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Menschen richtet, ist Crichton aus dem Blickfeld des DRDs verschwunden, doch Pilot kann seine schnellen Schritte noch über das Comm hören.

"Ich bedauere, Commander... ich war abgelenkt. Was sagtest du?"

Einige Augenblicke lang antwortet Crichton nicht. Pilot hört, wie seine Schritte langsamer werden, dann innehalten. Als seine Stimme schließlich ertönt, ist jede Spur von Härte aus ihr verschwunden. "Nichts." Eine Pause. "Pilot, es tut mir leid. Ich weiß, du versuchst nur zu helfen... es ist bloß..."

Pilot wartet.

"Ach, ich weiß auch nicht. Ich bin halt nervös in letzter Zeit. Ein bißchen gereizt. Tut mir leid, daß ich eben so schroff war."

"Wir können den DRD entfernen, falls du dich besser fühlen würdest, wenn du nachts allein wärst."

"Nein, hör zu, Pilot... ich glaube... ich denke, ich bin dankbar, daß du da bist. Weißt du... du kannst mich aufwecken, wenn ich einen Alptraum habe oder so. Ich glaube, ich hätte es gerne, wenn du bliebest."

"Bist du sicher?"

"Ja, ich bin sicher." Er spricht mit einem hörbaren Lächeln. "Aber schau mir nicht beim Aufstehen zu, okay? Das macht mich ganz wuschig, wenn mir jemand beim Zähneputzen und so zusieht. Ich seh morgens beschissen aus."

"Wir werden deine Wünsche befolgen, John."

"Danke."

"Wenn ich fragen darf, was hast du heute vor?"

"Oh, das Übliche. An meinem Schiff rumbasteln, und vielleicht laß ich mich mal ein bißchen von Aeryn durch den Trainingsraum schmeißen. Zeit totschlagen, weißt du?"

"Du könntest... mal nachsehen, ob du etwas für den Verteidigungsschirm tun kannst, wenn du Lust hast. Die meisten DRDs sind immer noch dabei, nach von Nilaam verursachten Schäden zu suchen."

"Ich werd's den anderen sagen." Seine Schritte sind wieder zu hören. "Ich schätze, wir könnten alle etwas brauchen, um uns zu beschäftigen. Um uns von dem ganzen Kram abzulenken."

Pilot stimmt dem von ganzem Herzen zu, doch er bezweifelt, daß es auf Moya genug Arbeit gibt, um ihre Passagiere für eine nennenswerte Zeit von dem 'ganzen Kram' abzulenken. Der 'ganze Kram' hat eine Tendenz dazu, sich in Erinnerung zu bringen und das Leben der Moya-Crew zu verkomplizieren. Pilot schließt den Kommunikationskanal. Dann stößt er einen tiefen Seufzer aus.