Entwarnung (zu STERN Artikel):
Es ist ein Lehrstück.
Ein Beleg wie „investigativer Journalismus“ funktioniert und wie aus einem kleinen, harmlos eingestreuten Satz „mediale Reflexe“ und damit auch PR geweckt und gemacht wird.
Nun, ich konnte nun den Artikel des Stern zur Schlagzeile „Stark und rätselhaft - Natascha Kampusch“ lesen. Was auffällt: Es geht in erster Linie um die Beurteilung des Entführers, sein Lebenslauf, sein Verhalten und die möglichen Ursachen warum er so geworden ist, und nicht so sehr um das Opfer. Bei einem Schulaufsatz würde man wohl die Note 6 bekommen, weil man das Thema verfehlt hat - doch mit der Überschrift des „W. P. - der Entführer“ o.ä. ließe sich das Heft wohl aktuell weniger gut vermarkten.
Soviel zur Kritik am Artikel. Dies ist für mich jedoch auch schon die einzige Kritik!
Der Artikel wird von drei Redakteuren „unterschrieben“ und kombiniert sehr ordentlich die Geschichte vom Täter mit der Geschichte des Opfer, unter Verwendung des TV-Interviews, im gelungenen Blick auf die Ursachen von bestimmten Verhaltensweisen und die Beweggründe dazu.
Nun, das „offizielle“ Interview (drei an der Zahl), war dem STERN natürlich, eine Woche danach, nicht ausreichend für eine Schlagzeile und Verkaufserfolg. Auch allgemeine Analysen von Psychologen etc. ... hatte jeder irgendwie schon mal lesen dürfen. Was hilft um mehr zu erfahren: Geld.
Nachbarn befragen, ermittelnde Polizeibeamte kontaktieren und für etwas mehr Information als bisher möglicherweise die Geldbörse öffnen, ... das war die denkbare Vorgehensweise - mit Erfolg.
Ein „Ermittler“ berichtet also dann, so ganz nebenbei, von einem Skiausflug. Das interessante: Dieser Satz ist kurz und ohne Kommentierung im Text:
„Ein Ermittler sagt: Es war ein Geben und Nehmen. Sie brachte ihn sogar soweit, dass er Anfang des Jahres mit ihr für einen Tag zum Skifahren an den Hirschenkogel gegangen ist, ...“
Der Abschnitt davor und danach geht wieder auf den Entführer ein. In keinster Weise wird im Text angedeutet, dass das doch eine gute Gelegenheit zur Flucht hätte sein müssen.
Also: Hätte diese die „geehrte“ BILDdirderenMeinung zuerst erfahren - die Schlagzeile wäre eine ganz andere gewesen! Somit also Hochachtung vor den Redakteuren des STERN, die hier sehr zurückhaltend kommentieren. Gegen Ende des Beitrags wird sogar deutlich warum Menschen in bestimmten Situationen eben eine regelrechte innere Blockade haben und körperlich so reagieren, dass gewisse Dinge plötzlich nicht möglich sind.
(Diese Art der Verhaltensweise konnte ich schon mit 7 Jahren in der Grundschule machen, wo die Angst vor dem damals strengen Lehrer mich auf halbem Schulweg hat umkehren lassen, weil ich Herzrasen und Atemnot bekam - Ich weiss wovon dort also die Rede ist und wenn Fr. Kampusch sagt dass sie hätte nicht einfach fliehen können! Auch deshalb kann ich somit sehr gut etwas damit anfangen und interessiere mich für die Erfahrung.)
Gegen Ende des Artikels wird wieder mehr auch auf Fr. Kampusch und Ihre Verhaltensweisen eingegangen und es wird klar, warum sie so schnell so gute Berater und Ärzte hatte: Weil sie selbst genau diese wollte! Ach, wie das? Ganz einfach: Weil sie genau diese schon vorher „kannte“: Durch Rundfunk, Fernsehen und aus der Zeitung.
Auch wird durch ein Interview mit dem (nun ehem.) Medienberater und der betreuenden Jugend-Anwältin klar, dass Fr. Kampusch in den letzten Jahren gewohnt war eher hart zu sein, so hart, dass sie zuweilen sogar ihre Betreuer kommandieren will.
„Berger: Sie wird merken, dass sie andere Menschen frustriert. Im Moment akzeptieren wir das, weil wir sie als was Besonderes ansehen.“
Alles in allem ein schlüssiger, ordentlich geschriebener Artikel. Der „Hype“ und die kostenlose PR erfolgte jedoch nun auf den beiläufig, fast so als hätte der Skiausflug (der also korrekt recherchiert ist) auch im TV-Interview Erwähnung gefunden, eingestreuten Satz. Reflexartig reagierten wohl dann eher Frau Kampusch´s Berater und sorten für kostenlosen, neuen Wirbel.
Eines wird klar: Es gibt vieles was Fr. Kampusch (zurecht) für sich behält - es geht eigentlich niemand etwas an, der Ihr nicht helfen kann oder möchte. Unabhängig davon ist die Geschichte an sich eine Besondere. So besonders dass Hollywood schon angeklopft hat. Da Fr. Kampusch aber selbst von sich als eine „öffentliche Person“ spricht und die Filmrechte in Zukunft verkaufen will, da ist es durchaus recht und billig, dass das was davon erzählt wird und was sie selbst sagen will auch der Wahrheit entspricht.
Man kann nun höchstens geteilter Meinung sein, ob möglicherweise Journalismus mit Geld-Geschenken gut oder schlecht ist - aber so materialistisch ist unsere Welt leider nun mal.
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... und das ist eine Frechheit:
http://www.ngz-online.de/public/arti...journal/352328
(PS: Das anonyme Internet bringt auch immerwieder Spinner auf den Plan!)
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