SPIEGEL: Menschen führen aus vielerlei Gründen Krieg, nicht nur aus religiösen. Wir verstehen noch nicht ganz, woher Ihr Furor gegen den Glauben rührt.
Dawkins: Besonders empört mich die Indoktrinierung der Kinder. Ich halte Religion für eine Form mentalen Kindesmissbrauchs. Es ist ungeheuerlich, dass unsere Gesellschaft schon Babys Etiketten anheftet: Du bist ein katholisches, du ein protestantisches Kind. Wir würden nicht im Traum daran denken, von einem marxistischen oder einem konservativen Kind zu sprechen!
SPIEGEL: Wie soll denn solch ein Etikett schaden?
Dawkins: Es bürdet den Kindern eine Menge Gepäck auf, es macht sie verletzlich. Vielleicht nicht in Deutschland, aber ganz sicher in Nordirland, im Irak, in Israel. Und selbst wenn es nicht unmittelbar gefährlich ist - es ist eine Bevormundung. Lange bevor das Kind alt genug ist, eine eigene Meinung zu haben über den Kosmos, die Moral, die Menschheit, wird es abgestempelt zu jemandem, der an die Dreieinigkeit glaubt ...
...
SPIEGEL: Wenn, wie Sie sagen, die Religion so wenige überzeugende Antworten gibt, warum findet sie dann so viele Anhänger? Hat die Evolution beim Homo sapiens ein Bedürfnis nach Spiritualität begünstigt?
Dawkins: Wie viele Biologen favorisiere ich die Idee, dass die Selektion gar nicht die Religiosität als solche begünstigt. Sie könnte auch das Nebenprodukt einer anderen bevorzugten Eigenschaft sein.
SPIEGEL: Wie sollen wir uns das vorstellen?
Dawkins: Religion könnte zum Beispiel ein Nebenprodukt der Neigung von Kindern sein, ihren Eltern zu gehorchen. Der Überlebensvorteil ist leicht zu erkennen: In der Wildnis lebte ein aufmüpfiges Kind gefährlich, weil es die Warnungen der Eltern ignorierte. Deshalb begünstigte die Selektion wahrscheinlich die Unterordnung unter Autoritäten. Ein Gehirn aber, das glaubt, was Autoritäten sagen, kann nicht mehr unterscheiden zwischen dem guten Rat, nachts nicht in den Wald zu gehen, weil da ein Tiger lauern könnte, und dem törichten Befehl, eine Ziege zu opfern, um den Regen herbeizurufen.
SPIEGEL: Diese Theorie hat aber gar nichts Religionsspezifisches. Damit können Sie die Verbreitung von jeder Art von Unsinn erklären ...
Dawkins: ... was ja auch stimmt. Nehmen Sie den gesamten Aberglauben: "Du darfst nicht unter einer Leiter durchgehen" oder "Schwarze Katzen bringen Unglück". Ideen breiten sich aus wie Viren.
SPIEGEL: Und was entscheidet darüber, welches Virus erfolgreich ist?
Dawkins: Ein Virus, das sagt: "Du wirst deinen eigenen Tod überleben", ist zum Beispiel sehr attraktiv. Denn es gibt viele Leute, die Angst vor dem Tod haben, also mögen sie die Idee. Oder nehmen Sie die Idee, dass Glaube eine Tugend und dass Glaube wider alle Vernunft sogar noch tugendhafter sei. Es ist leicht einzusehen, welch einen Überlebensvorteil ein solches Virus hat.
Als Lesezeichen weiterleiten