Das ist ein Mißverständnis. Sobald drei Grad überschritten sind, setzt eine positive Rückkopplung ein, d.h. der Prozeß ist nicht mehr aufzuhalten. Die sechs Grad kommen dann nicht nur vielleicht, sondern garantiert. Das einzige, was nicht hundertprozentig sicher ist, ist, ob das auch tatsächlich zum Freisetzen dieser Gase aus den Ozeanen führt. Aber das Buch, auf dem der Artikel beruht, ist eine Zusammenfassung von hunderten wissenschaftlicher Studien zum Thema Klimaveränderung und wurde von Klimawissenschaftlern sehr positiv besprochen, d.h. die Möglichkeit ist wohl so unrealistisch nicht.
Dummerweise reichen die derzeit geplanten Maßnahmen nicht, um den Anstieg auf drei Grad zu verhindern. Dazu müßten wesentlich stärkere Begrenzungen des CO2-Ausstoßes durchgesetzt werden, und zwar innerhalb der nächsten paar Jahre (*nicht* Jahrzehnte).
Sehr ungemütlich wird's auf der Erde übrigens selbst im Fall des Eintretens des "Best Case Scenarios". Das Best Case Scenario ist eine Erwärmung von 'nur' zwei Grad bis zum Jahr 2100. Eine Begrenzung der Erwärmung auf unter zwei Grad ist bereits unmöglich, weil es eben leider keinen großen roten Knopf gibt, den man drücken könnte, um einen Prozess dieser Komplexität von einem Moment auf den anderen zu stoppen. Eine Begrenzung auf ziemlich genau zwei Grad *wäre* im Moment noch gerade so mit Ach und Krach zu schaffen - wenn wir jetzt anfingen, radikale Einschränkungen zu akzeptieren.
Das eine Problem an der ganzen Sache ist, daß die meisten Menschen - und zwar nicht nur die Politiker - nicht ernsthaft weiter als ein paar Jahre in die Zukunft denken, bzw. wenn sie es doch tun, automatisch davon ausgehen, daß sich innerhalb ihres Lebens nichts Gravierendes verändern kann. Das ist eine fatale Haltung, wenn es um Prozesse geht, die sich erst ganz langsam über Jahrzehnte steigern und dann plötzlich exponentiell, und solche gibt es in der Natur nun einmal leider, und am Klima sind gleich mehrere davon beteiligt. Witzigerweise (oder vielleicht traurigerweise) schaffen es nicht mal die meisten Menschen mit Kindern, ernstlich in zeitlichen Dimensionen zu denken, die auch nur die Lebenszeit ihrer Kinder mit einschließen - geschweige denn künftiger Generationen.
Das zweite Problem ist die Trägheit/Langsamkeit politischer Prozesse. Die gesellschaftliche Veränderung, die wir brauchen, ist so radikal, daß sie innerhalb unseres politischen und gesellschaftlichen Systems vermutlich Jahrzehnte brauchen wird. Das hängt natürlich auch damit zusammen, daß das Problem immer noch nicht als ein sehr ernsthaftes wahrgenommen wird. Ich denke, 99,9% aller Menschen sind davon überzeugt, daß die Klimaveränderung letztlich nur ein Problem für, sagen wir mal, die Menschen in der Sahelzone ist, und daß die andauernd verhungern, daran sind wir ja gewöhnt, nicht? </Sarkasmus>
Leider haben wir keine Jahrzehnte für den nötigen Bewußtseins- und Politikwandel. Ich gebe zu, diese Erkenntnis schubst mich manchmal sanft in Richtung Verzweiflung. Manchmal denke ich, daß wir erst anfangen werden, etwas zu verändern, wenn es schon zu spät ist. Ich weiß nicht so recht, was ich tun kann, um etwas daran zu ändern. Einer Umweltschutzorganisation beizutreten und in der Fußgängerzone Infoblättchen zu verteilen wird auch nicht den großen gesellschaftlichen 'Ruck' erzeugen, der hier benötigt wird... aber letztlich ist das natürlich das, was ich hier gerade und immer mal wieder tue. Was sonst kann ich tun?
(Übrigens: nur, weil die Auslöschung praktisch allen komplexen Lebens auf der Erde im Moment nur eine *Möglichkeit* und keine *Gewissheit* ist, heißt das doch nicht etwa, daß es rational wäre, auf diese Möglichkeit mit einem 'Nur immer weiter so!' zu antworten. Nur, weil ich nicht mit absoluter Sicherheit weiß, ob in der nächsten Kammer eine Kugel ist, halte ich mir doch den Revolver nicht an den Kopf und drücke ab, oder? Man mag mich hysterisch und irrational nennen, aber mir scheint es im Moment wesentlich rationaler, davon auszugehen, *daß* in der nächsten Kammer eine Kugel ist und den Revolver schleunigst wegzulegen, als darauf zu vertrauen, daß keine drin ist. Vielleicht habe ich eine seltsame Definition von Rationalität, das mag sein. Mir erscheint schließlich sehr vieles, was allgemein als rational und notwendig gilt, eher irrational.)
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