Als ehemaliges Mitglied der Arbeitsgruppe der deutschen Tolkiengesellschaft zur Krege-Übersetzung (bin zwar Amerikanistin und nicht Anglistin, aber mit der englischen - und auch der deutschen - Sprache kenne ich mich recht gut aus) muß ich ganz deutlich sagen, daß ich Carroux trotz gewisser Schwächen weiterhin vorziehe. Wir haben damals einen Detailvergleich verschiedener Kapitel vorgenommen und in beiden Übersetzungen Schwächen und Fehler gefunden; das ist auch normal und kommt bei jeder längeren Übersetzung vor. In dieser Hinsicht liegen die beiden Übersetzungen also etwa gleich auf. In Bezug auf die Wiedergabe sprachlicher/stilistischer Differenzierungen des Originals, die bei Carroux etwas geglättet wurden, liegt Krege vorn. Diesen Vorsprung - um bei der Metapher des Rennens zu bleiben *g* - verliert er dann aber durch die m.E. völlig inakzeptable Verwendung übertrieben moderner Begriffe an einigen Stellen ("Penner", "Chef", sogar "Imbißbude", wenn ich mich recht entsinne usw.) wieder, die dermaßen herausstechen, daß sie den Leser völlig aus der Welt des Buches werfen. Ganz besonders schlimm ist das bei der Verwendung von "Chef" als Anrede von Frodo, denn damit werden die sozialen Umstände der Hobbits den unseren gleichgesetzt. Die Gesellschaft der Hobbits entspricht aber eher der (englischen) Gesellschaft des 18. oder 19. Jahrhunderts; Frodo ist nicht der Chef eines Betriebs, sondern gehört zum Landadel, und Sam ist nicht sein Angestellter im modernen Sinn, sondern sein Bediensteter und Schutzbefohlener in einem ganz und gar feudalen Sinn. Daher ist die einzig angemessene Anrede hier die feudale Anrede "Herr". Im Original sagt Sam ja auch nicht "boss" zu Frodo, sondern "master". Damit hat Krege also nicht bloß eine Sprachmodernisierung vorgenommen, sondern in den Inhalt des Buches eingegriffen, und das ist mehr als nur ein Kavaliersdelikt in einer Übersetzung.

Damit will ich nicht sagen, daß Wolfgang Krege ein schlechter Übersetzer war. Er war ganz ohne Zweifel ein großartiger Übersetzer. Aber auch ein sehr guter Übersetzer kann sich mal im Ton oder Ausdruck vergreifen, und wenn der daraus resultierende Fehler grob genug ist, kann er einem auch eine gesamte Übersetzung vermiesen. Insbesondere, wenn es sich um einen so zentralen Ausdruck wie die Anrede einer Hauptfigur handelt.

Im übrigen fand und finde ich die Carroux-Übersetzung sehr lesbar. Habe sie damals, beim ersten Mal, in ca. zweieinhalb Tagen verschlungen und danach noch ca. sieben weitere Male mit Vergnügen gelesen. Da ich auch das Original schon mehrfach gelesen habe, kann ich auch durchaus beurteilen, ob dieses in der Übersetzung halbwegs anständig wiedergegeben wird.