division three - chapter 3

In der Circlotron Stadt erstrecken sich Kilometer weit ausgestorbene Seitengassen. Keine Menschen auf den Straßen, kaum Nummern an den Häusern, die sich gegenüber den Wolkenkratzern in unterzahl befinden. Die beiden wissen ganz genau, dass sie das Hotel nicht ohne Hilfe finden können. Dennoch ist es sehr risikoreich, zu einem gut besuchten Ort zu gehen und danach zu fragen. Jemand könnte Sie erkennen. Ihre Schritte wurden, obwohl sie immer müder wurden, von Minute zu Minute schneller.
Nachdem die beiden bereits eine Weile im Laufschritt umhergehuscht waren, ließ sich Cecile erschöpft nieder. Sie ringt schwer nach Atem und ihr Gesicht verriet, dass sie völlig dehydriert ist. Tamara setzt sich neben Cecile.
„Alles in Ordnung Cecile?“
Cecile nickt wortlos und keucht: „Ich… ich muss mich nur ...“
„… einen Moment ausruhen.“ vervollständigt Tamara ihren Satz.
„Ja ruh dich einen Moment aus. Wir müssen uns wohl auf eine U-Bahn Station wagen um nach den Weg zu fragen. Wenn es irgendwie möglich ist suchen wir dir einen vor fremden Augen geschützten Ort während ich frage.“
Cecile gefällt dieser Gedanke nicht, ist aber zu erschöpft um zu widersprechen.
„Ist es dir auch aufgefallen?“
Tamara blickt zu Cecile die immer noch zu sehr mit sich selbst kämpft um diese Frage zu beantworten. Doch es ist nicht notwendig. Sie kennt die Antwort bereits. Beide haben ihre Sinne soweit geschärft um zu merken, wenn sie beobachtet werden. Und das war definitiv der Fall.
„Egal wer es ist, sie wollen uns nicht töten und nicht ausliefern. Denn wenn dem so wäre, hätten sie in dem Moment zugeschlagen, als wir hier völlig erschöpft zu Boden gingen.“
Tamaras Worte lassen Cecile kurz zusammenzucken. Natürlich hatte sie Recht, aber das macht die Fremden Blicke nicht mehr erträglicher. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Cecile ging auch komplett ans Limit, bevor sie sich, ohne eine andere Wahl zu haben, auf den Boden setzte um zu ruhen.
Die beiden sitzen noch einige Minuten da. Der Körper von Cecile hat sich wieder etwas beruhigt. Ein langsames ruhiges Atmen hat wieder eingesetzt. Tamara beobachtet Cecile mit ihren grünen Augen, die noch immer von dem blauen Lidschatten abgelenkt werden sollen. Sie erwidert den Blick und kämpft sich langsam auf die Beine. Erst jetzt bemerkt sie den stechenden Schmerz in ihrem linken Oberschenkel, lässt sich jedoch nichts anmerken. Natürlich war ihr klar, dass es Zeit ist weiterzugehen.
Die beiden machen sich auf und gehen in die Richtung in der sie die nächste U-Bahn Station vermuten. Es dauert nicht lange als sie endlich die U-Bahn Station „Cleric“ erreichen. Das besonderer an dieser Station ist die neu konstruierte Wartehalle. Im inneren Cirlotron-Ring wird nicht viel investiert und umso überraschender war, als sie die Cleric-Station renoviert und neu aufgebaut haben. Niemand weiß genau warum sie es gemacht haben, doch es gibt Vermutungen, dass die Drogendealer ihren Einfluss geltend gemacht haben. Cleric ist bekannt für die Freaks die alles haben und alles besorgen können, was auch nur ansatzweise süchtig machen kann.
Die Station ist wie immer gut besucht. Junkies in jeder Ecke umgeben von ‚normalen’ Durchreisenden. Hier und da ein nur sehr wenig verdecktes Geschäft bei dem Ware und Geld den Besitzer wechselt. Tamaras Gesicht erhellt sich. Sie haben Glück. In dieser Station ist die Gefahr nicht so groß erkannt und ausgeliefert zu werden.
Sie tauchen in der Menschenmenge unter und suchen den nächsten besten Junkie der an einem nicht so leicht beobachtbaren Platz steht. Ein junger Mann mit weißen Haaren und stechenden roten Augen erfüllt diese Anforderung. Seine Hände sind blau und man erkennt die Knochen unter der Haut. Er zappelt von einem Fuß auf den anderen. Cecile kennt diese Art von Droge. Es muss eine Abwandlung von der berüchtigten „Accelerator“ Droge sein. Dabei handelt es sich nicht um eine natürliche oder chemische, sondern um eine technische Droge. Man öffnet die Kapsel und schluckt einen kleinen Chip. Dieser Chip optimiert die elektrischen Ströme die zum Gehirn fließen. Die Umwelt bewegt sich für einen in Zeitlupe und die eigenen Reflexe sind um einiges gesteigert. Bei jeder Einnahme bleiben jedoch Rückstände zurück und können so zu unkontrolliertem Muskelzucken führen.
„Tamara pass auf, er ist auf Accelerator.“, flüstert Cecile ihrer Freundin ins Ohr.
Diese nickt nur kurz und wendet sich wieder dem Mann zu:
„Entschuldigen Sie bitte…“, beginnt sie, doch noch ehe sie zu Ende reden kann unterbricht er sie: „Was? Was ist los? Warum stört ihr JD? Ihr wollt Drogen? Ich kann euch alles besorgen was ihr braucht. Ihr habt Geld ich hab Beziehungen, also was wollt ihr? Sagt JD eure tiefsten Wünsche und er wird sie euch erfüllen – gegen Bezahlung versteht sich!“
„Wir wollen keine Drogen. Wir wollen nur wissen wo dieses Hotel ist.“ Cecile drückt ihm die Visitenkarte in die Hand und JDs Augen rollen über die Schrift.
„Informationen sind noch teurer als Drogen. Also sagen wir…“, dieses Mal ist es Tamara die ihn unterbricht. Sie legt ihre Hand um seinen Hals und drückt mit dem Daumen gegen seinen Kehlkopf: „Sagen wir ich schenke Dir das Leben. Bezahlung genug?“
JDs Augen weiten sich vor entsetzen. Sein Körper ist zu schlaff um sich gegen Tamara zu wehren. Seine Muskeln wurden Opfer seiner Sucht. Er versucht es nicht einmal sich zu wehren und beschreibt den beiden den Weg. Beide Frauen wissen, dass er nicht lügt. JD hat zu große Angst als die beiden zu belügen. Tamara lockert ihren Griff und JD sinkt zu Boden und versucht sich mit seinen Händen zu schützen.
Aus dem nichts ertönt ein greller Schmerzensschrei. Cecile sieht sich um und sieht dann wieder zu Tamara. Dann wird ihr klar, dass der Schrei von Tamara selbst kommt.
„Tamara was ist los?“
Ihr Körper verkrampft und sie drückt ihre Schultern nach hinten. Der Oberkörper hört auf sich zu bewegen. Ein weiterer Schrei hallt durch die Station.
„Oh mein Gott, ihr Freaks!“, JD stolpert sichtlich erschocken davon.
Cecile legt ihre Hände an Tamaras Wangen und sieht ihr in die Augen. Die Finger waren ebenso verkrampft wie der Rest ihres Körpers. Cecile stammelt nur immer wieder ihren Namen. Sie kommt sich in diesem Moment unendlich hilflos vor. Dann verändern sich Tamaras Augen. Aus dem giftigen Grün wurde ein stechendes Dunkelblau. Jetzt bemerkt Cecile auch die Flecken auf dem Gewand Tamaras. Blut. Blutflecken.
Tamaras Muskeln lösen ruckartig den angespannten Zustand und sie sinkt zu Boden. Die Atmung setzt sehr schwach wieder ein und ihre Augen beginnen zu zucken, als sie noch einen Schrei von sich gibt und ein weiterer Blutfleck erscheint.
Cecile öffnet Tamaras Oberteil welches mittlerweile von drei Blutflecken überdeckt wird. Einer der Flecken rechts in ihrem Magen, ein weiterer rechts unter ihrer Achsel und der dritte dürfte nur um Zentimeter ihr Herz verfehlt und ihre Lunge durchdrungen zu haben. Cecile sieht die Wunden auf ihrer Haut und sie scheinen wie Schnittwunden auszusehen. Hektisch sieht sie sich um. Es ist weit und breit niemand, der ihr diese Verletzungen zugefügt haben könnte. Aus dem Augenwinkel entdeckt sie jedoch JD mit einem Mann in Uniform reden, der sich sofort auf den Weg zu den beiden macht.
„Tamara wir müssen los. Sofort!“, Cecile wirkt sehr hektisch und sieht in das schmerzverzerrte Gesicht Tamaras.
Diese schüttelt nur den Kopf und flüstert ohne Stimme: „Geh! Finde das Hotel.“
„Ich lasse dich nicht allein! Komm steh auf!“
Tamara konzentriert sich und sieht Cecile tief in die Augen: „Sie dich um, es sind zu viele. Geh und rette dich. Keine Angst, ich komme wieder.“
Cecile sieht sich um und bemerkt, dass es sich nicht mehr um nur einen Mann in Uniform sondern schon um eine gesamte Einsatztruppe handelt. Sie blickt noch einmal in Tamaras Gesicht und vergießt eine einzelne Träne, die ihre Wange herunterwandert. Tamara nickt kurz und Cecile presst ihre Augen zusammen und läuft so schnell ihre Beine sie trägt. Es bleibt ihr keine Zeit sich auch nur einmal umzudrehen, da sie gekonnt den Uniformtragenden Personen ausweichen muss. Sie schaltet alles um sich in ihrem Kopf aus und konzentriert sich einzig auf das Laufen.
Als sie aus dem ‚Laufwahn’ wieder zur Besinnung kommt, steht sie direkt vor dem Hotel ‚Serreine’. Es ist das Hotel von der Visitenkarte. Ohne lange nachzudenken und ohne sich einen Moment Zeit zu nehmen um das Geschehene zu verarbeiten, betritt sie das Hotel.
Es ist ein sehr altmodisch eingerichtetes Hotel. Noch mit einem eigenen Rezeptionisten. Normalerweise haben die Hotels nur noch Chipkarten und DNS Kontrolle. Sie geht auf den Rezeptionist zu. Es kommt ihr so vor, als könnte sie sich selbst beobachten wie sie das Hotel betreten hat. Alles kommt ihr sehr surreal vor.
Noch bevor sie ein Wort sagen kann, sagt der Mann sie solle sich in den 2 Stock zum Zimmer 233 begeben. Cecile versucht sich auf das Gesicht des Mannes zu konzentrieren, aber es gelingt ihr nicht. Alles wirkt sehr verschwommen. Der Rezeptionist scheint kein Gesicht zu haben. Sie betritt das Stiegenhaus und geht wie in Trance die Stufen hinauf. Oben angekommen hat sie keine Mühe das Zimmer zu finden. Die Tür steht offen, also betritt sie den Raum.
Erst jetzt kommen ihr Zweifel wieso der Mann an der Rezeption sie erkannte. Ihre Sinne schärfen sich wieder. Plötzlich tritt auch der Schmerz des Verlustes ein. Doch sie ergibt sich den Schmerz nicht.
„Willkommen Cecile.“, eine weibliche Stimme ertönt hinter ihr. Ruckartig dreht sie sich um. Niemand ist zu sehen.
„Sie können mich nicht sehen, aber das tut auch nichts zur Sache.“
„Wer… Wer sind sie und was wollen sie von uns… mir?“, Cecile senkt den Kopf als sie merkt wie alleine sie jetzt ist.
„Wir haben denselben Feind. Ich brauche sie um ihn zu bezwingen. Und sie brauchen auch mich um zu überleben.“
„Wer ist unser Feind?“
„Das wissen sie doch genauso gut wie ich. Naevisus.“
Cecile steht einen Moment ganz still und sieht sich im Raum um. Ein Kleiderkasten. Ein Bett. Eine Tür nach draußen und eine weitere Tür, die wohl in ein Bad führt.
„Ich hoffe Ihnen gefällt der Raum?“, ertönt die Stimme.
Cecile zeigt keine Regung.
„Dieser Raum wird ihre Unterkunft sein, solange bis wir wieder getrennte Wege gehen können.“
„Wer sind sie?“, wiederholt sie die Frage.
„Nennen sie mich Ewman.“
„Was wollen sie von mir?“, Cecile wird immer misstrauischer, was auch Ewman aufgefallen sein dürfte.
„Zunächst möchte ich nichts von Ihnen. Im Gegenteil. Ich gebe Ihnen etwas.“
„Sie geben mir etwas?“
„In dem Kleiderschrank finden Sie Gewand und eine kleine Thermoskanne. In dieser Thermoskanne finden Sie das, was Sie zum überleben benötigen. Ich nehme mir die Freiheit sie bei jeder Gelegenheit nachzufüllen, damit sie immer voll ist wenn Sie … nach Hause kommen.“
„Warum sollte ich Ihnen vertrauen?“
Ein Lachen ertönt: „Ihre Freundin, Sie hat mir vertraut und tut es auch jetzt noch.“
„Tamara?“
„Ja, Tamara. Cecile Sie haben das richtige gemacht in dem Sie Tamara zurückgelassen haben. Ich konnte mich ihr somit ungestört annehmen.“
„Sich ihr annehmen?“
„Ihr Zustand ist kritisch, aber sie lebt noch. Sie sollten sie besuchen gehen.“
„Wo ist sie? Sagen sie es mir!“, ihre Stimme klingt etwas hysterisch.
„Sie ist im Bellvedere Krankenhaus unter dem Namen Patricia Arima. Auf dem Weg zum Krankenhaus sollten Sie sich die Frage stellen, ob Sie glauben.“
„Ob ich glaube?“
„Gehen sie nun. Sprechen sie mit Patricia und sagen Sie niemand ihren richtigen Namen.“
Cecile lässt sich kurz auf das Bett nieder. In ihrem Kopf sind tausend Gedanken. Dann steht sie auf und verlässt das Zimmer…