Review
Ijon Tichy, Folge 1 "Kosmische Kollegen"
Scheuklappen ablegen und durchstarten!
von Martin Wenzel
Am 26.03.07 startete auf dem ZDF die 1. Folge von "Ijon Tichy: Weltraumpilot". Die ScienceFiction-Miniserie legt die "Sterntagebücher" von Stanislaw Lem (1921-2006, "Solaris") sehr frei aus und bedient sich konsequent trashig-schräger Stilmittel wie man sie sonst eher aus kleinen Independentfilmen diverser Festivals kennt. Dabei nimmt sie sich selbst so ganz und gar nicht ernst, ist deshalb sehr undeutsch und für diejenigen, die eher konventionelle ScienceFiction-Kost gewöhnt sind, zunächst befremdlich. Entsprechend skeptisch und sogar ablehnend waren die ersten Reaktionen auf die Bilder und Trailer, die das ZDF vorab herausgab. Dass "Ijon Tichy" beim genaueren, unvoreingenommenen Hinschauen aber eine erfrischende Abwechslung sowohl für Fernsehdeutschland als auch für das ScienceFiction-Genre ist, zeigte bereits die 1. Folge "Kosmische Kollegen".
Ijon Tichy tritt in der Miniserie nicht als ein vor spektakulärer CGI-Kulisse strahlender Held im maßgeschneiderten Hightech-Raumanzug auf. Nein, er trägt ganz lässig seine Alltags-Klamotten, stilsicher aufgepeppt durch sein weißes Feinripp-Hemd, kombiniert mit einem alten Mopedfahrerhelm für Außeneinsätze. Sein Raumschiff ist eine gemütliche 3-Zimmerwohnung, ausgestattet mit allem, was der ordentliche deutsche Raumpiloten-Hausmann braucht: Geschirrspüler zum Ideen-Herstellen (z.B. zum Haluzinellen-Basteln), Staubsauger zum Raumschiff-Inspizieren, eine Bratpfanne zum Bruzzeln eines galaktischen Omelette... Warum das so ist? "Billiger Trash!" mag mancher denken, der sich beim Anblick dieser Szenerie lieber in die schicken Hochglanz-Kulissen amerikanischer Produktionen wie "I: Robot" oder "Star Wars" zurücksehnt. Aber: Worum ging es eigentlich in den "Sterntagebüchern"? Wäre es wirklich adäquat gewesen, sie wie den x-ten ScienceFiction-Blockbuster umzusetzen oder sind die Macher von "Ijon Tichy: Raumpilot" vielleicht sogar näher an Lems Vision? In seinen Büchern wird der Raumpilot nämlich als eine art Seemanns- bzw. Raumpilotengarn spinnender, nicht wirklich ernstzunehmender "Münchhausen der Milchstraße" beschrieben. Genau das greift man in der ZDF-Miniserie auf: Tichy stellt sich mit den Worten "Bin ich Ijon Tichy - Raumpilot, galaktisches Diplomat, Entdecker, Held von Kosmos." vor. Die Wohnkulisse mit den trashigen Haushalts- Raketensteuerelementen bildet die Fantasiewelten, in die er sich nach dem Konsumieren von Kino- und Fernseh-SciFi hineinträumt, ab. Seine Wohnung wird zum Weltraumabenteuerspielplatz, der Bewohner zum Helden. Dieses sehr ursprüngliche Ausleben fantastischer Ideen erinnert an eine Zeit, in der uns noch nicht vom Computer-frisierten US-Blockbuster-Standard die Kinobrille verkleistert wurde, sondern als wir noch Lust auf´s Ideen-Spinnen hatten. Lust auf schräge Geschichten, zu denen uns selbst ganz alltägliche Begebenheiten inspirieren konnten: Das Brummen eines Geschirrspülers, die Form eines sonderbaren technischen Gerätes, ein Insekt in Nahaufnahme... Stellen wir uns vor, wir würden all das betrachten, indem wir unseren abgeklärten Alltags-Trott ausblenden. Der Geschirrspüler ist dann nicht mehr ein langweiliges Hausgerät, sondern spuckt mit seinem geheimnisvoll brummenden Innenleben und dem heißen Dampf, der ausströmt, wenn man ihn öffnet, bizarre Fantasiewesen aus. Ein Dimensionstor, eine Erfindermaschine, ein Traumgenerator! Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt -außer unsere eigenen! Genau das machte mir "Ijon Tichy: Raumpilot" so klar wie lange kein ScienceFiction-Kost mehr: Wie vielfältig eigentlich unsere eigene Fantasie und die Auslegung der fantasischen Ideen anderer (wie Stanislaw Lem) sein kann, aber wie sehr sie inzwischen vom TV- und Kino-Einheitsbrei in eine gleichförmige Norm gepresst wurde. Nun fällt "Ijon Tichy" genau aus unserem urdeutschen DIN-Normenverständnis heraus und stellt den OttonormalSciFiKonsumenten vor eine ungewöhnliche Herausforderung: Scheuklappen ablegen, Spaß haben!
Was soll also der Vorwurf, "Ijon Tichy" sei wegen seiner witzigen Puppen-Aliens ein Sesamstraßen-Abklatsch? Überhaupt, dieses motzige Gerede über Puppen in der ScienceFiction ist ein derart alter Hut, dass man sich doch wundert, wie gerne ihn sich sogenannte Kritiker immer wieder aufsetzen. Bestes Beispiel dafür ist sicherlich "Farscape", eine der bislang wohl mutigsten und originellsten Science-Fiction-Serien. Ja, "Farscape" verwendete Puppen (nicht nur in kleinen Nebenszenen, sondern sogar für einen der Hauptcharaktere, den Hynerianer "Rygel") und teils ziemlich überdrehte Masken. Das war einigen ScienceFiction-Fundamentalisten anscheinend schon zu viel. Nur weil die Jim-Henson-Company ("Legend", "Muppet Show", "Sesamstraße", "Per Anhalter durch die Galaxis"...) für die Gestaltung der Puppen und Masken zuständig war, stempelte man die Serie als "Muppets in Space" ab. Wer sich "Farscape" mal genauer anschaut (wobei hier auch der Hinweis "Scheuklappen ablegen" zu berücksichtigen ist), wird sich fragen, wie sich dieser unsachliche Vorwurf so lange halten konnte.
Anscheinend haben manche Leuten die Angewohnheit, wenn etwas nicht 1:1 ihrem persönlichen Geschmacks-Dogma entspricht, aus der Luft gegriffene Kritikpunkte bis zum gehtnichtmehr aufzublasen und sich dann permanent daran hochzuziehen. So entsteht lediglich ein verzerrtes, sehr monotones Kritikbild, das keinerlei Grundlage für Interessierte bietet, herauszufinden, ob das kritisierte Werk nun für sie geeignet ist oder nicht. Damit ist lediglich dem Frust-Ventil des Kritikers genüge getan. Die Leserinnen und Leser hingegen haben rein gar nichts davon!
Zugegeben: Die Kulupen, die Tichy in der 1. Folge aufspürt, erinnern schon sehr an Zottelbär Samson aus der Sesamstraße. Aber vielleicht stammen Samsons Vorfahren ja gar nicht von der Erde sondern vom fernen Kulupenplaneten, sind bei uns gestrandet und Samson ist einer ihrer weiterentwickelten Nachfahren? Schließlich ist es ebensowenig plausibel, dass Samson ein Bär sein soll. Erstens: Welcher Bär sieht schon so aus? Zweitens: Wäre er ein Bär, so zeigt uns das Schicksal von Braunbär Bruno, dass er es höchstwahrscheinlich gar nicht bis in die Sesamstraße geschafft hätte! Vorher wäre er (zumindest, wenn sein Weg ihn durchs schöne Bayernland geführt hätte) wohl einem Gewehr begegnet... und wie das ausgeht, wissen wir ja.
So ganz realitätsfern sind die trashigen Puppen aus "Ijon Tichy: Raumpilot" übrigens nicht: Vor einigen Tagen saß ich in der U-Bahn einem Mann gegenüber, der mich stark an einen Kulupen erinnerte! Er trug zwar keinen zotteligen Pelz, hatte aber immerhin dicke Kottletten, einen fusselig-wuchernden Bartwuchs und die kulupentypische globig-bullige Körperform. Doch vor allem der Ausdruck seiner Augen entsprach fast 100%ig dem eines der pelzigen Außerirdischen. Sein Verhalten wirkte ebenfalls wie nicht von dieser Welt: Er versuchte mindestens 15 Minuten lang, die sporadischen Colareste aus seinem fast leeren BurgerKing-Trinkbecher herauszusaugen (wobei "saugen" noch untertrieben ist). Dabei stocherte er so wild zwischen den Eiswürfeln herum und bearbeitete den Strohhalm derartig leidenschaftlich mit seiner Saugmaul, dass ich glaubte, er würde den Becher sogleich mundgerecht zusammenfalten und verschlingen. In einem Rutsch, so wie es Tichy´s Inspektionsroboter passierte... Ebenfalls sehr kulupentypisch! Das geschah aber nicht. Stattdessen kuschelte er sich nach getaner Ausschlürf-Arbeit in seine Sitzecke und starrte mit sehnsüchtigem Teddybärblick ins Leere; als ob er sich auf einen fernen Planeten sehnte, mit anderen Wesen wie ihm, voll von colabefüllten Trinkbechern mit robusten Trinkhalmen und extradicken Eiswürfeln.
Also, wie ihr seht: Nur weil "Ijon Tichy" an die Sesamstraße erinnert, macht es nicht weniger Spaß! Schließlich werden bestimmte Unterhaltungselemente nicht schlechter sobald man das 14. Lebensjahr überschreitet! Dieses engstirnige Schubladendenken konnte ich sowieso nie nachvollziehen. Ein am PC berechnetes CGI-Monster muss nicht zwangsläufig interessanter anzuschauen sein als eine handgemachte Puppe. Letztere wirkt nicht selten lebendiger und charmanter, selbst wenn ihr Look weniger perfekt daherkommt. Bitte nicht falsch verstehen: Ich will hier nicht 2 Fronten bilden: Auf der einen Seite Puppentechnik, auf der anderen CGI. Nein, es geht lediglich darum, gegenüber beidem aufgeschlossen zu sein und nicht eine Schablone im Kopf zu haben, die eine Variante generell ausschließt.
Freunde computergenerierter Effekte werden bei "Ijon Tichy" übrigens nicht völlig vernachlässigt: Die an einen Tee-Aufbereiter erinnernde Rakete düst im sauberen CGI-Gewand effektvoll durchs Weltall und die von Multitalent Nora Tschirner perfekt verkörperte Haluzinelle steht Herrn Tichy bei seinen Abenteuern als nahtlos in die Szenerie eingearbeitetes, flirrendes Hologram zur Seite.
Unterm Strich war der Start von "Ijon Tichy: Raumpilot" auf dem ZDF also erfolgreich! Das belegen auch die Zuschauerzahlen, wie die Redaktion von
Quotenmeter feststellte:
Um 23.55 Uhr startete die neue sechsteilige Science-Fiction-Serie «Ijon Tichy: Raumpilot». Die ersten Abenteuer des Raumpiloten Ijon Tichy wollten 1,03 Millionen Bundesbürger sehen, der Marktanteil lag bei 11,4 Prozent. Das Format konnte auch 0,52 Millionen Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren überzeugen, sodass beim "jungen" Publikum noch einmal 11,8 Prozent Marktanteil erzielt wurden.
Auch Peter Luley von Spiegel-Online hatte seinen Spaß an "Ijon Tichy: Raumpilot". In
seiner sehr positiv ausfallenden TV-Kritik freut er sich bereits auf die kommenden Folgen:
Wer sieht, mit welchem Einfallsreichtum auch in den kommenden kurzweiligen Folgen klassische Science-Fiction-Topoi wie Alterungsprozesse und Zeitschleifen, aber auch Themen wie Weihnachten im Weltraum, Roboterwettbewerbe und Marsmasern aufbereitet werden und mit welcher Kreativität aus Haushaltsgegenständen Sets gestaltet wurden, der kann nur wünschen, dass Tichys Abenteuer noch viele Fortsetzungen erfahren.
In diesem Sinne:
Scheuklappen-Ablegen und viel Spaß beim Durchstarten in die galaktisch-chaotischen Raumpiloten-Abenteuer des unvergleichlichen Ijon Tichy!
Als Lesezeichen weiterleiten