Ich habe mir erlaubt die Songtexte, sowie deren Übersetzungen, und noch ein paar andere unwichtige Sachen, zu streichen, das wären sonst 15 Seiten gewesen. Ach ja, die Quelle ist übrigens Frau Christa Kemp, Mitarbeiterin bei der BPjS.Entscheidung Nr. 6191 (V) vom 5.3.2002
bekanntgemacht im Bundesanzeiger Nr. 61 vom 28.3.2002
S a c h v e r h a l t
Der Antragsteller beantragt die Indizierung, weil der Inhalt der CD geeignet sei, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren. Er ist der Auffassung, dass die Texte der Lieder von Aggression und destruktiven Haltungen geprägt seien. Eine Ideologie wurde dabei nicht vertreten; es handele sich eher um einen synthetisch anmutenden Protestmix. Insgesamt werde zum Widerstand und zum Kampf aufgefordert, was auf Kinder und Jugendliche verrohend wirken könnte.
Die Verfahrensbeteiligte wurde form- und fristgerecht über die Absicht der Bundesprüfstelle, im vereinfachten Verfahren gemäß § 15a Abs. 1 GjS zu entscheiden, unterrichtet. Zu dem Antrag haben sowohl die englische Vertreiberfirma als auch der deutsche Lizenznehmer ausführlich Stellung genommen.
Es wurde zunächst darauf verwiesen, dass alle Texte in englischer Sprache dargeboten werden. Dabei könne nicht davon ausgegangen werden, dass Jugendliche diese ohne weiteres verstehen. Auch käme in diesen Liedern eine bestimmte revolutionäre politische Einstellung zum Ausdruck und eine Kritik an aktuellen Verhältnissen in der Gesellschaft. Rebellische Stimmung verbunden mit drastischer Sprachwahl sei ein ständiges Stilmittel der Pop-Kultur, ohne dass eine solche Musik bislang als gewaltanreizend indiziert worden wäre. Alles in allem gehe der verfahrensgegenständliche Text in Wortwahl und Inhalt nicht über das hinaus, was sowohl im Rahmen künstlerischer Freiheit als auch in der Alltagssprache bestimmter Bevölkerungsgruppen ständige Praxis sei. Als Abbild der Wirklichkeit könnten hiermit jedoch die Tatbestandsmerkmale der Unsittlichkeit, Verrohung oder Gewaltanreizung nicht als erfüllt angesehen werden. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass zumindestens die Tatsache, dass die Texte in englischer Sprache dargeboten würden, die Annahme eines Falles von geringer Bedeutung gem. § 2 GjS rechtfertigen würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prüfakte und auf den der CD Bezug genommen. Die Mitglieder des 3er-Gremiums haben die CD angehört und die Entscheidung sowie die Entscheidungsbegründung in vorliegender Fassung einstimmig beschlossen und gebilligt.
G r ü n d e
Die CD „The future of war“ der Gruppe „Atari Teenage Riot“ sowie das dazugehörige Booklet, waren antragsgemäß zu indizieren.
Ihr Inhalt ist offenbar geeignet (§ 15a Abs. 1 GjS), Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren, wie das Tatbestandsmerkmal „sittlich zu gefährden“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 GjS nach ständiger Spruchpraxis der Bundesprüfstelle sowie höchstrichterlicher Rechtsprechung auszulegen ist.
Die jugendgefährdende Wirkung ist auch offenbar i.S. von § 15a Abs. 1 GjS. Der Inhalt der CD besteht aus einer Aneinanderreihung von Aufforderungen brutale Gewalttaten zu begehen, wodurch die Jugendgefährdung offenbar zutage tritt. Medieninhalte, in denen uneingeschränkt dazu aufgefordert wird, andere Menschen zu töten, werden vom Zwölfergremium der Bundesprüfstelle stets als jugendgefährdend indiziert. Die Behandlung im vereinfachten Verfahren war damit gerechtfertigt.
Nach dem Stand der derzeitigen Forschungsergebnisse ist eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, dass von der CD eine verrohende Wirkung ausgeht.
So gilt die Katharsistheorie, die medialer Gewalt eine Eignung zum Aggressionsabbau unterstellt, inzwischen als eindeutig widerlegt. Sie wurde in den sechziger Jahren maßgeblich von dem Psychologen SEYMOUR FESHBACH verfochten. FESHBACH selber hat diese Theorie nicht bestätigt gefunden, ist vielmehr zu dem Ergebnis gelangt, „dass die Bedingungen, unter denen eine Katharsis auftreten kann, nicht alltäglich sind, während aggressionsfördernde Bedingungen sehr viel häufiger vorkommen“ (zit. nach KUNZCIK: Gewalt und Medien, Köln 1994, S. 60).
FESHBACH´s Revision entspricht der aktuelle Stand der Wirkungsforschung. Übereinstimmung besteht dahingehend, dass Gewaltdarstellungen mit einem Wirkungsrisiko verbunden sind; anders ausgedrückt, dass violente Medieninhalte unter bestimmten Bedingungen einen Beitrag zur Stabilisierung bzw. zum Aufbau gewalttätiger Persönlichkeiten leisten.
GROEBEL und GLEICH geben den aktuellen Stand der Wirkungsforschung wie folgt wieder: „Auch wenn schädliche Wirkungen von Mediengewalt pauschal nicht beweisbar sind: Es gibt bedeutend mehr Indikatoren für ein Wirkungsrisiko als für eine generelle Harmlosigkeit oder gar Nützlichkeit aggressiver Darstellungen. Gewaltdarstellungen bewirken im wesentlichen eine Verstärkung oder Konstituierung angstbesetzter und aggressiver Weltbilder, die aufgrund fehlender unmittelbarer Erfahrungen der Rezipienten nur schwer korrigiert werden können. Durch mediale Gewaltdarstellungen wirkt das gesellschaftliche, ohnehin schon eskalierende Aggressions- und Gewaltpotential noch bedrohlicher, als es tatsächlich ist. In diesem Zusammenhang wird der Glaube an die Angemessenheit aggressiver Konfliktlösungsstrategien genährt. (vgl. Groebel/Gleich: Analyse der Gewaltprofile von ARD, ZDF, RTL, SAT 1, Tele 5, PRO 7. Landesanstalt für Rundfunk/Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), 1992, S. 6f; S. 20f).
Die Autoren kommen an anderer Stelle zu dem Schluss:
„Die eine „Beweisstudie“ zu fordern, geht .... an der wissenschaftlichen Realität vorbei .... Dennoch ist das Wirkungsbild sehr viel eindeutiger als in der Öffentlichkeit und auch in manchen Lehrbüchern häufig dargestellt. Fast alle bislang wissenschaftlich durchgeführten (d. h. empirisch kontrollierten) Untersuchungen demonstrieren einen kurzfristig eindeutigen Verhaltenseffekt von Fernsehgewalt und eine längerfristig zumindest noch überfällige Korrelation zwischen der Menge der Fernsehgewalt und aggressiven Tendenzen.“ (zit. nach: Groebel & Gleich: Gewaltprofile des deutschen Fernsehprogrammes. Opladen 1993, S. 24f.).
Von besonderer Bedeutung für die Einschätzung möglicher langfristiger Wirkungen von Mediengewalt ist eine Langzeitstudie des britischen Medienforschers BELSON. BELSON untersuchte an einem repräsentativen Sample von 1565 männlichen Jugendlichen die Beziehung zwischen dem langfristigen Konsum von Fernsehgewalt und Einstellungs- bzw. Verhaltensänderungen. Die Ergebnisse stellen unter Beweis, dass der langfristige Konsum spezifischer Formen von Fernsehgewalt eine Zunahme interpersonaler Gewalt begünstigt. Dieses gilt insbesondere für
a) Sendungen, in denen enge persönliche Beziehungen ein Hauptthema bilden und in denen verbale und psychische Gewalt gezeigt wird;
b ) Sendungen, in denen Gewalt um ihrer selbst willen gezeigt wird;
c) Sendungen, in denen fiktive Gewalt in realistischer Weise gezeigt wird;
d) Sendungen, in denen Gewalt im Dienste einer „guten Sache“ gezeigt wird... .
BELSON führt die Feststellung, dass hoher Konsum von Fernsehgewalt mit häufiger Verwicklung in Gewalttätigkeiten verbunden ist, auf einen unbewusst erfolgenden Desensibilisierungsprozeß zurück. Mit diesem geht eine Enthemmung, d. h. ein Abbau der Schranken, violentes Verhalten zu zeigen, einher. (vgl. KUNZCIK: Gewalt und Medien, Köln 1994, S. 118f.).
Das auch diese CD geeignet ist, im Sinne der o.g. Ergebnisse der Wirkungsforschung, die Mitleidsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen herabzusetzen, ergibt sich aus folgenden Textpassagen, die seitens der Bundesprüfstelle ins deutsche übersetzt wurden:
In dem Lied „Steht auf, solange ihr noch könnt“, wird der Hörer aufgefordert sein Blut herzugeben, um sich gegen (nicht näher bestimmbar) Feinde zu wenden. Wörtlich heißt es dort:
... Die Stadt ist von dunklen Schatten überzogen
Noch ist es nicht zu spät, dein Blut herzugeben ...
In Lied Nr. 3 mit dem Titel „Zum Kotzen“ wird folgendes propagiert „Ich will zerstören“. Gleichzeitig wird folgendes formuliert “Berlin brenne“.
In Lied Nr. 5 „Deutschland muss sterben“ wird dazu aufgefordert Deutschland zu verbrennen. Ebenfalls wird propagiert, dass Deutschland sterben müsse. Wörtlich heißt es dort:
In Lied Nr. 8 „Ihr könnt uns nicht aufhalten“ wird dazu aufgefordert Geschäftshäuser in Brand zu setzen. Gleichzeitig will man die Weißen in den Strassen wimmern sehen. Hier heißt es wörtlich:
Lied Nr. 9 „Hitzewelle“ propagiert, dass man Gewalt brauche, um die Gesellschaft zu zerschlagen. Hier heißt es wörtlich:
Nicht indiziert werden dürfen gem. § 1 Abs. 2 GjS Medien, wenn sie der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dienen.
Die Bundesprüfstelle vermag in den wiedergegebenen Texten über die Tatsache hinaus, dass die Aussagen zum Teil in Versform erfolgen und in Liedform vorgetragen sind, keinen besonderen künstlerischen Wert festzustellen. Ein besonderes künstlerisches Konzept ist nicht vorhanden. Die als künstlerisch zu geltende Umsetzung der Aussage in Versform und die musikalische Darbietung dienen lediglich dem Zweck, dadurch die Wirkung der Aussage zu erhöhen. Von einer künstlerischen Gestaltung oder Einbettung in eine Gesamtkonzeption eines Kunstwerks kann keine Rede sein. Eine werkgerechte Interpretation führt lediglich zu dem Ergebnis, dass auch die Form der Aussage durch Lieder keine eigenen künstlerischen Werte erhält. Die Bundesprüfstelle kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass der Kunstgehalt der Lieder als gering einzustufen ist.
Demgegenüber geht die Bundesprüfstelle davon aus, dass die Jugendgefährdung angesichts der Aufforderung zur Anwendung von Gewalt gegenüber Menschen und sogar angesichts solcher Texte, die dazu auffordern, Menschen zu töten so z.B. durch in Stücke schneiden so z.B. auch dadurch, dass Geschäftsgebäude in Brand gesetzt werden, als extrem jugendgefährdend einzustufen sind. Auch die Bundesprüfstelle ist sich darüber im klaren, dass in Liedtexten durchaus Protestbewegungen deutlich gemacht werden können. Protestbewegungen, in denen jedoch konkret dazu aufgefordert wird, Menschen auf unterschiedliche Art und Weise zu töten, sind so gestaltet, dass sie nur in die Hände von Erwachsenen gehören. Angesichts der Ereignisse im September 2001 in Amerika sind Texte, in denen musikalisch dazu aufgefordert wird, Geschäfts- oder Bürogebäude in Brand zu setzen, durchaus als jugendgefährdend einzustufen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass diese Lieder in englischer Sprache vorgetragen werden. Eine Vielzahl von Jugendlichen ist der englischen Sprache mächtig und kann daher auch die Texte verstehen. Selbstverständlich geht auch die Bundesprüfstelle davon aus, dass es jedem unbenommen ist, vermeintliche Missstände in der Gesellschaft zumindestens solche Zustände, die nach Auffassung der jeweiligen Interpreten als Missstände einzustufen sind, anzuprangern. Die Anprangerung, die jedoch dazu führt, dazu aufzufordern, Menschen zu töten, ist als jugendgefährdend einzustufen.
Aus diesem Grunde entfiel auch die Anwendung des § 2 GjS.
Last edited by Loser at 11.11.2002, 16:17





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