Stell dir vor, es ist Sommer 1993. Und das Einzige, was du mit Science-Fiction im Fernsehen verbindest, beginnt mit „Raumschiff Enterprise“, denn was anderes gibt es nicht.

Stell dir weiterhin vor, du schaust dir zu dieser Zeit die Trailer auf Verleihkassetten aus der Videothek an und findest immer wieder eine Vorschau zu einem Film namens „Spacecenter Babylon 5“, der irgendwie interessant und irgendwie anders aussieht als das, was du von „Raumschiff Enterprise“ kennst (Damals sagte man noch nicht „Star Trek“, das kam erst mit der Verdenglischung der deutschen Sprache in Mode, genauso wie man damals noch in Fankreisen „Krieg der Sterne“ sagte und nicht „Star Wars“).

Irgendwann bist du so weichgekocht, dass du dir diesen Film – den du damals noch nicht als Pilotfilm einer eventuellen, neuen Sci-Fi-Serie realisierst – irgendwann mal ausleihst und zusammen mit Freunden anschaust - als Futter für den darbenden Science-Fiction-Fan.

Und dann stellst du fest, dass der Film eine durchaus interessante Story bietet aber vor allem durch spektakuläre, computeranimierte Spezialeffekte glänzt, die du so bisher noch nicht gesehen hast:

- Alien-Raumschiffe, die wirklich alienmäßig aussehen.
- Außerirdische, die wirklich mal exotisch erscheinen und nicht so, als hätte man sie direkt aus der Muppet Show importiert oder ihnen nur eine weitere Stirnprothese angepappt.
- Charaktere, die irgendwie glaubhafter waren, als die makellosen Föderationshelden mit Gutmenschen-Syndrom.

Alles in allem 90 Minuten solide Unterhaltung für damalige Verhältnisse – und doch von heute aus betrachtet nur ein müder Abklatsch dessen, was folgen sollte (und von dem wir damals gar nicht ahnten, dass da noch was nachkommt).

Der Pilotfilm für die Sci-Fi-Serie Babylon 5 muss qualitativ mit Sicherheit höher eingeordnet werden, als das meiste, was damals die Konkurrenz von Paramount zustande brachte. Und er wirkte damals mit seinen Computereffekten wirklich erfrischend neu und revolutionär.

Dennoch wirkte er immer irgendwie unfertig und provisorisch. Und tatsächlich wurde ja auch für die nachfolgende TV-Serie ein Teil der Besetzung ausgetauscht und durchweg durch vielversprechendere Charaktere ersetzt. Masken wurden deutlich verbessert und für die Musik wurde Christopher Franke engagiert, der einen erfrischend neuen Mix aus Orchestersound und elektronischer Musik á la Tangerine Dream mit einbrachte.

Auch nach der ziemlich gründlichen Überarbeitung des Pilotfilms und eines nachträglich neu angefertigten Soundtracks von Christopher Franke wirkt dieser immer noch ein wenig wie ein Provisorium und kann nicht auf ganzer Länge überzeugen. Aber welcher Pilotfilm kann das schon? Inhaltlich jedenfalls wurden bereits hier die Weichen gestellt für die nachfolgenden 5 Staffen, von denen man damals noch gar nicht wusste, ob sie je realisiert werden.

Man erkennt einen Visionär daran, dass er seine Vision auch gegen alle Widerstände durchsetzt. So schaffte es J. Michael Straczynski beispielsweise, bereits im Pilotfilm Andeutungen und Hinweise auf Inhalte von viel, viel später kommenden Handlungssträngen einzubauen, ohne dass ihn irgendwer daran hätte hindern können. Die konkreten Hinweise auf spätere Vorgänge sind bereits im Pilotfilm reichhaltig:

- Sinclairs Gedächtnislücke in der „Battle of the Line“
- Garibaldis offensichtliche Autoritätsprobleme und Charakterschwächen
- Delenns hohe Position in der Regierung der Minbari und dass es seltsam ist, dass sie auf B5 als Botschafterin abgestellt ist
- Die mysteriöse Kapitulation der Minbari im Krieg gegen die Erde und dass längst nicht alle Minbari damit einverstanden sind und sich damit abgefunden haben
- Die Tatsache, dass die Narn aus irgendeinem Grund keine Telepathen in ihrem Volk haben
- Londos Selbstmitleid und Frust über die verlorene Macht und das beschädigte Ansehen seines Volkes
- Das Erkennen und Herausfiltern von telepathisch begabten Kindern für das Psi-Corps
- Die Existenz eines „Maulwurfs“ innerhalb der Kommandoebene von Babylon 5
- Das rätselhafte Verschwinden von Babylon 4
- Sinclairs umstrittene Wahl als Kommandant von Babylon 5 und diplomatischer Vertreter der Erde
- Sinclairs vertrauensvoller Umgang mit Delenn

Dass sich all diese ungelösten Fragen und Hinweise in einem Film finden, der noch nicht mal offiziell als Pilotfilm für eine spätere Serie etikettiert wurde, lässt erkennen, dass dahinter jemand steckte, der sich wirklich Gedanken gemacht hat, bevor er das Thema angegangen ist und dass da jemand eine Vision hatte von dem, was er tun wollte

Etwas, das sich grundsätzlich von der Art unterscheidet, wie bis heute bei Star Trek an die Sache herangegangen wird.

„The Gathering“/“Die Zusammenkunft“ mag heute antiquiert und reizlos wirken auf die konsumverwöhnten, actiongewohnten Fernsehzuschauer der Generation Doof – aber er hat seine versteckten Qualitäten.

Und sei es nur, dass er sehr anschaulich gezeigt hat, dass es noch Alternativen zu Star Trek geben kann.

3 Sterne.