.....habe ich hier folgenden Verri? aufgegabelt. Mich w?rde Eure Meinung dazu interessieren - meine werde ich nachreichen.


Mittelma? aus Mittelerde:
Die Verfilmung des \"Herr der Ringe\" entt?uscht

Das Buch Tolkien: \"Der Herr der Ringe\" kommt ins Kino

\"Der Herr der Ringe\" ist in vieler Hinsicht ein versp?tetes Buch. Das beginnt mit seinem augenf?lligsten Merkmal: dem gewaltigen Umfang, der
von keinem popul?ren Roman auch nur ann?hernd erreicht wird. Nach dem Ersten Weltkrieg schrieb man so
dicke B?cher, als es galt, die Fragmente einer zerfallenden Welt durch das Wort ein letztes Mal zu vereinen. \"Der Herr der Ringe\" handelt von einer solchen Welt, dem Ersten Zeitalter in Mittelerde. Es endet damit, da? der Held Frodo Beutlin den unheilbringenden Ring der Macht zerst?rt.
Doch so paradox wie die Heldentat ist ihre Wirkung. Mit dem absolut B?sen f?llt auch das absolut Gute: die Weisheit der Zauberer, die Sch?nheit der Elben und die harmlose Freundlichkeit der Hobbits.

Da? sein Mittelerde nur eine Phantasiewelt war, hat John Ronald Reuel Tolkien niemals gest?rt. Denn das, was er darin zum letzten Mal aufleben lie?, war durchaus real: das Erz?hlen in ?berlieferungen und Mythen, das Pathos und der hohe Ton - eine Tradition, die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ausgedient zu haben schien. Nicht umsonst nahm der Medi?vist es ?bel, da? man sein Werk immer wieder als Allegorie auf den Zweiten Weltkrieg las. Da? Hitler die Verfilmung des \"Herrn der Ringe\" gemocht h?tte, war k?rzlich in einer Kritik des \"Independent\" zu lesen. Aber Tolkien h?tte Hitler nicht gemocht. Als Vorbild f?r die Schurken seines Romans w?re er ihm zu mittelm??ig gewesen. Den Demagogen seiner Zeit widmet er nur eine
Nebenfigur, Grima Schlangenzunge, der mit seinem Namen schon hinl?nglich beschrieben ist. Und auch wenn wir kaum umhinkommen, Zeittypisches in
den B?chern zu finden, bleibt deutlich, da? der Verfasser alles tat, um es zu vermeiden. Nichts Gegenw?rtiges sollte ihm Vorbild sein. Er wollte
ganz zur?ck, zu Gilgamesch, in das Dunkel der schriftlosen Zeit. So erfand er sich nachtr?glich seine eigenen Legenden und tat so, als seien sie die Quellen seiner Inspiration.

Der Erfolg ist bekannt. Was ein Ende bezeichnen sollte, schuf einen neuen Anfang. Millionen von Menschen traten seithin in die Welt der Tolkienschen Erz?hlkunst ein, darunter viele, die sonst wenig von Literatur halten, und viele auch, die den Autor als engstirnigen Reaktion?r bek?mpft h?tten, wenn sie seine Studenten statt seine Leser gewesen w?ren. \"Der Herr der Ringe\" begr?ndete ein neues Genre, dessen Autoren es bisheute zufrieden sind, Fu?noten zu Tolkien zu liefern. Man kann verstehen, da? sich fast vierzig Jahre lang niemand traute, den Roman zu verfilmen. Ralph Bakshi hat es 1977 mit einer Zeichentrickfassung versucht, die nicht schlecht war, aber wegen einiger Freiheiten bei der Anh?ngerschaft des Buchs nur Emp?rung ausl?ste und wenig beachtet in der Versenkung verschwand (F.A.Z. vom 13. Dezember).

Der Film, der heute weltweit anl?uft, hat eine andere Dimension. Die amerikanischen Produzenten haben sich ?ber die Bedenken des wenig cinephilen Tolkien-Sohns Christopher hinweggesetzt und mit zweitausendvierhundert Darstellern achtzehn Monate lang in Neuseeland gedreht. Dabei entstanden drei Filme mit ?berl?nge, die im Abstand von je einem Jahr gezeigt werden sollen. Der Regisseur Peter Jackson stammt aus Neuseeland, und Literaturverfilmungen waren bisher nicht sein Fach. Sein Werk umfa?t einige Splatterfilme und das Teenagerdrama \"Heavenly
Creatures\". Ein Mann also, der sich nicht so leicht einsch?chtern l??t. Das verbindet ihn mit Bakshi; und tats?chlich wurden auch beim neuen Film die Abweichungen von der Vorlage beklagt. Was denn mit Seite 53 sei, wollte ein Zuschauer auf der Londoner Vorauff?hrung wissen; ein anderer erregte sich ?ber Unterschiede bei der Haarfarbe. So geht es, wenn man sich an ein Buch heranwagt, das von seinen Verehrern als Bibel betrachtet wird.

Doch diesmal haben die Produzenten alles getan, um sich die Gunst der Tolkienianer nicht zu verscherzen. Der Film folgt dem Buch sklavisch genau, und wie bei \"Harry Potter\", dem anderen gro?en Fantasy-Film
dieses Jahres, hat man das Gef?hl, da? dem Regisseur die eigene Phantasie verboten wurde. Sein Auftrag war, m?glichst viel aus dem ersten Band in die erste Folge zu pressen, und das ist ihm gelungen. Er illustriert die Handlung mit grandiosen Bildern. An keinem Detail wurde gespart. Nur Sensibilit?t l??t er schmerzlich vermissen. Es liest sich eindrucksvoll, wenn dem dunklen Herrscher Sauron ein lidloses Auge vor
flammendem Grund zugeschrieben wird. Aber niemand wird ?berrascht sein, da? es im Film reichlich albern aussieht.

Nur an wenigen Stellen entfernt sich Jackson vom Wortlaut der Vorlage, etwa dort, wo er richtig erkennt, da? die b?se Macht des Rings hervorgehoben werden mu?. Doch von allen filmischen Mitteln w?hlt er das
ungl?cklichste: Er l??t den Ring fl?stern. Auch die Schauspieler kommen nicht recht zum Zug - teils, weil
man sie wie Liv Tyler nur einmal rasch durch das Bild reiten l??t, teils, weil sie wie Ian McKellen als Zauberer Gandalf dick auftragen m?ssen, um gegen die Spezialeffekte und ihren Bart zu bestehen.

\"Der Herr der Ringe\" ist nachgerade ein Lehrbuch der klassischen Erz?hlformen vom Epos bis zum Lied. Opulente Schlachtengem?lde stehen neben d?rrer Entsagungsprosa. Der Film dagegen kennt nur einen Ton, und der wird vom Willen zum Pomp und vom Zwang zur Eile diktiert. Pausenlos wabert Musik, und die Einstellungen geraten so kurz, da? man sich an
einen Diavortrag erinnert f?hlt. Gollum wurde in Mordor gefoltert, sagt Gandalf, und wir sehen eine Sekunde lang, wie Gollum in Mordor gefoltert wird, um gleich darauf wieder in eine behagliche Hobbith?hle zu blicken.

Aber so handlungsreich das Buch auch ist, liegt sein Geist doch gerade in den Abschweifungen, den seitenlangen Ausf?hrungen ?ber die Dialekte der elbischen Sprache und die Vorz?ge des auenl?ndischen Pfeifentabaks. Sie offenbaren eine Besessenheit des Autors von der eigenen Sch?pfung, die sich auf den Leser ?bertr?gt. Wer sie wegl??t, begibt sich in die
Nachfolge jener Literaturverhunzer, die meinten, \"Moby Dick\" zu verbessern, indem sie die walkundlichen Abschnitte strichen. Man versteht, was Tolkien meinte, als er im Vorwort schrieb, sein Buch sei zu kurz. Doch wie kurz ist dann erst dieser Film?

Da? man den Roman, wenn man ihn mag, oft liest und immer etwas Neues entdeckt, hat einen Grund, ?ber den keiner seiner Bewunderer gern spricht: Man liest ihn n?mlich nicht gr?ndlich und erlaubt sich bisweilen, ein paar Abs?tze zu ?berspringen. Das ist keine Schw?che des Buchs, das ja nichts weniger sein will als ein durchkomponierter, \"moderner\" Roman. Im Gegenteil: Der Leser, der es noch nicht wu?te, lernt hier, da? er der Herr ?ber seine Lekt?re ist, da? er aus dem Angebot des Erz?hlers so frei sch?pfen kann, wie der aus der F?lle des ?berlieferten sch?pft. Der Film hat diese M?glichkeit nicht. Er scheucht sein Publikum im Schweinsgalopp durch die f?nfhundert Seiten und bricht
dann einfach ab, obwohl die Handlung zu keinem Abschlu? gekommen ist. Die Fortsetzung folgt Weihnachten 2002.

Mit diesem abenteuerlichen Kalk?l und mit nichts sonst wird \"Der Herr der Ringe\" Filmgeschichte schreiben. Aber es ist die Geschichte der Kapitulation eines Mediums vor einem anderen. Jackson h?tte aus diesem
Monolithen von einem Buch seinen \"Herrn der Ringe\" mei?eln m?ssen, und wenn die Tolkien-Gemeinde unter Fl?chen aus den Kinos gest?rmt w?re. Statt dessen schneidet er ihn in drei Teile und baut ihn in Hollywood
wieder auf wie ein Fundst?ck aus einer vergessenen Welt. Dieser Anfang markiert das Ende einer Dichtung, die vom eigenen Erfolg erdr?ckt worden ist. Man darf annehmen, da? die Rechnung trotzdem aufgeht. \"Der Herr der Ringe\" wird einmal einen sehr erfolgreichen Fernsehmehrteiler abgeben, und man wird finden, da? er sich in diesem Rahmen hervorragend macht. Doch die Chance, ein gro?es Werk mit einem gro?en Film zu ehren, ist vertan. Der Versuch kam wohl einfach zu sp?t.

MICHAEL ALLMAIER, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2001, Nr. 295 / Seite 43
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