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Nachdem Myriam die beiden Venture's langsam in den einzigen verbleibenden Hangar der Ancient bugsiert hatte, sah sie, wie sich die gewaltigen Metalltüren des Hangars langsam schlossen. Sie betätigte einen Schalter im Cockpit, und langsam öffnete sich die Kanzel. Sie löste die Sicherungsgurte und kletterte vorsichtig aus der Maschine. Sarah's Cockpit liess sich nicht völlig öffnen, da sie unter Myriam's Venture "festklebte", dennoch schaffte sie es mit müh und Not, sich zu befreien.
»Myri... danke für alles...«
»Ich hab's dir schonmal gesagt... für sowas sind Flügelfrauen doch da.«
Eine Türe am Ende des Hangar's öffnete sich, und einige Technikerinnen strömten heraus. Eine Frau in den mittleren Jahren näherte sich den beiden Pilotinnen - wie sie schnell feststellten handelte es sich um die Cheftechnikerin der Ancient.
»Das war verdammt klever, die Venture mit dem Pod-modul zu ziehen. Beeindruckend, wirklich... ich denke, sie sollten sich ausruhen... aber vorher begeben sie sich auf die Brücke. Der Captain wartet auf sie.«
Die beiden Frauen nickten nur und begaben sich richtung der Hangartüre, als die Cheftechnikerin schon im scharfen Ton begann, befehle zu geben.
»Miller, sie und ihr Team kommen hierher... schaut euch mal die Spritleitung an... sieht nicht gut aus... ausserdem brauchen wir einen Transporter mit Treibstoffmodulen... kann den mal bitte jemand organisieren? Gestern am besten!«
Sarah grinste Myriam an, und diese grinste zurück.
»Techniker« murmelte Myri leise, sagte aber nichts weiter. Dann hatten sie die Türe erreicht, die sich vor ihnen öffnete und hinter ihnen wieder schloss. Die Gänge der Ancient waren ähnlich eng wie die der Atlanta; allerdings waren weit weniger Teile des Schiffs repariert. Nachdem die beiden Pilotinnen ein paar Meter gelaufen waren, gingen die Neonröhren über ihnen aus, und die beiden Frauen waren in völlige Schwärze gehüllt.
»Ist ja Klasse... also tasten wir uns nach vorne... und hoffen, das uns niemand über den Haufen rennt...« fluchte Myriam.
»Gib mir deine Hand, dann rennen wir uns zumindest nicht über den Haufen.«
Myriam nickte, erkannte dann aber, das Sarah ihre Geste natürlich in der totalen Dunkelheit, die sie umgab, nicht sehen konnte und taste nach Sarah's Hand, ergriff sie.
Die beiden Frauen tasteten sich langsam voran... nach wenigen Sekunden ging das Licht, wenn auch ziemlich heftig flackernd, wieder an. Direkt vor ihnen befand sich - vielleicht gerade mal zwei Meter entfernt - ein Aufzug.
»Na, dann wollen wir mal sehen...« murmelte Sarah und betätigte den Einschalter. Mit einem lautem Quietschen glitt die Türe halb auf, schloss sich dann wieder, und ging wieder halb auf.
»Klasse.«
»Ich weiss nicht wie du's siehst, aber ich brauch erstmal 'ne Kippe.«
Sarah fischte in ihrer Dienstuniform und förderte eine weisse Kippenschachtel zutage, klappte sie auf und hielt Myriam auch eine an, die dankend annahm.
»Ich hab keine Ahnung, ob man auf diesem Schlepper rauchen darf, aber ich glaube, wir haben genug durchgemacht, um das zu rechtfertigen...«
Myriam nickte nur. Ihr war bis auf Befehle von Sarah sowieso alles egal. Die beiden Frauen zwängten sich durch die immer noch halboffenen Fahrstuhltüren und hofften, das sie sich nicht schliessen würde, während sie sich dazwischen befanden.
Sarah schaute sich die Konsole an und betätigte einen Schalter mit der Aufschrift Brücke. Sofort schoss der Fahrstuhl nach oben - viel zu schnell.
»Fühlt sich ja fast an, als wenn man bei vollem Schub eine 180 Gradwendung fliegt...« meinte Myriam, während sie sich mit einer Hand an der Wand versuchte festzuhalten. Plötzlich stoppte der Fahrstuhl abrupt, und die beiden Frauen wurden zu Boden geschleudert. Fluchend erhoben sie sich.
»Verdammte Dreckskiste...«
»Genau...«
Durch die halboffene Türe konnten sie einen Blick auf die Brücke der Ancient erhaschen. Überall waren Konsolen explodiert, einige Leichen lagen noch auf der Brücke. Einige Teams von Soldaten und Technikern hasteten umher und waren anscheinend immer noch damit beschäftigt, immer wieder ausbrechende Brände zu löschen. Es stank erbärmlich nach verschmortem Kunstsoff. Eine Frau mit Captainsuniform, eben noch damit beschäftigt, mit einem Feuerlöscher einen Brand an einer Konsole zu löschen, drehte sich zu ihnen um. Ihr Gesicht war rußgeschwärzt und ihre Uniform ziemlich dreckig. Ein kleines Blutrinnsal lief ihre Wange herunter.
Sie salutierte spöttisch.
»Willkommen auf der Ancient, dem tollsten Urlaubsraumer des Universums...« rief sie den beiden Frauen zu. Eine Sekunde später ertönte eine laute Explosion, eine Konsole explodierte, Menschen flogen durch die Luft und schrien. Sofort rannte der Captain zur Konsole und versuchte des Brandes Herrin zu werden, wie auch einige der anderen Technikerinnen. Einige rappelten sich wieder auf, einige blieben liegen.
Sarah und Myriam rannten sofort zu den liegengebliebenen und knieten sich neben sie.
»Die hier ist tot...Scheisse!« fluchte Myriam.
»Hier auch...« erwiderte Sarah, dann griff sie sich einen Feuerlöscher und begann sich dem Feuer zu widmen.
Plötzlich knackte das Funkgerät.
»Hier ist die Kipling, unser Reaktor Kolla....« meldete sich eine panische Frauenstimme, dann ertönte eine grelle Explosion, die vom ende der Korvette kündete.
Der Captain liess den Feuerlöscher fallen, stürmte zu einer noch halbwegs funktionierenden Konsole und begann wie wild auf die Tastatur einzuhämmern. Sofort ging ein ruck durch das Schiff.
»Voller Schub... wir versuchen auszuweichen...« rief sie.
Einige Sekunden vergingen, in denen keiner etwas sagte. Sogar die Löscharbeiten wurden für diese Sekunden eingestellt. Einzig das Feuer knackte und knisterte.
»Wir schaffen's nicht! Auf Aufschlag vorbereiten!«
Einige Flüche ertönten. Sarah sah, wie sich einige der Besatzungsmitglieder bekreuzigten, erkannte dann, das Myriam es auch tat.
Sie schloss einfach die Augen und wartete ab... aber nicht lange. Ein monströser Ruck ging durch das Schiff, das grelle Kreischen von Metall, das an Metall entlangschrammte ertönte, so laut, das es in den Ohren wehtat.
Nach einer Zeit, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkam, hörten sie nichts mehr. Mittlerweile war das Feuer verloschen; einige der Frauen hatten trotz der möglichen Vernichtung weitergelöscht, zu recht, wie sie jetzt sahen.
»Die Konsole ist auch hin... das können wir knicken...« fluchte eine Technikerin, stürmte dann zu einer anderen.
»Diagnose?« erkundigte sich der Captain, während sie sich neben eine verwundete Soldatin kniete.
»Scheint die reste der Außenpanzerung mitgenommen zu haben... und... Scheisse! Anscheinend ist der linke Antrieb hin... Leitungen werden versiegelt, sofern das Selbstreparatursystem noch intakt ist...«
»Immerhin was...« murmelte der Captain, schaute dann zu den beiden Pilotinnen.
»Ist eine von ihnen zufällig Ärztin?«
Die verwundete Soldatin stöhnte, murmelte etwas unverständliches.
»Leider nicht...« entgegnete Sarah.
»Verdammt, verdammt, verdammt. Warum bin ich heute nur aufgestanden...«
Sarah begab sich zum Captain, Myriam folgte ihr und trat nebenher einige Leitungsreste und Konsolenstücke weg, die im Weg lagen.
Die Soldatin sah nicht gut aus. Aus mehreren kleinen Wunden trat Blut aus, die größte Verletzung war jedoch, das sich ein stück einer Konsole in ihren Bauch gebohrt hatte. Ihre Augen waren glasig, dennoch schaute sie zum Captain und brachte mühsam ein Wort hervor, das jedoch unnötig war - ihre Augen sagten alles aus.
»Bitte... Jen...«
»Gott... Sabri... gib nicht auf, das schaffen wir...« murmelte der Captain. Sarah sah, wie eine Träne ihre Wange herunterrollte.
Sabri versuchte ein lächeln aufzusetzen, aber es misslang kläglich.
»Also gut...« flüsterte der Captain - Jen - leise, kaum vernehmbar. Resigniert zog sie ihre Dienstpistole. Sabrina brauchte ein schwaches nicken zustande. Sarah und Myriam wandten sich ab. Ein leiser, gedämpfter Schuss ertönte, und Sabrina war erlöst. Jen brach über ihrer Leiche zusammen und weinte lautlos. Die anderen Mitglieder der Besatzung hüllten sich in betroffenes Schweigen.
Eine Zeit, die allen wie eine Ewigkeit erschien, passierte gar nichts. Irgendwann zog Jennifer eine Zigarre aus der Tasche.
»Eigentlich wollte ich sie bei deiner Hochzeit rauchen... aber jetzt gibt sich das wohl nichts mehr...«
Kurze Zeit sagte wiederum niemand etwas. Nach einer Weile fragte Jen - wieder ein wenig gefasster nach einem Statusbericht.
Sämtliche Besatzungsmitglieder - im moment noch zwölf - verteilten sich um die zwei noch funktionierenden Konsolen, als hätten sie nur auf diesen Befehl gewartet. Eine Technikerin mit einer klaren, hellen Stimme antwortete.
»Linker Antrieb ist hin... Leitungen sind versiegelt... Deck 3, 6, 9 sind ziemlich verbrannt. Munitionskammern 1, 2, 4 sind unzugänglich. 3 ist gesichert. Bordcomputer funktioniert zu 30%. Reaktor scheint in ordnung zu sein.«
Ein erleichtertes seufzen ging durch die Menge. Dann... schweigen. Leise fragte der Captain...
»Besatzungsstärke?«
Eine weile sagte niemand etwas, so das Jennifer ihre frage wiederholen musste.
»90 sind definitiv tot... etwa halb soviel gelten als vermisst oder melden sich nicht mehr... 30 sind auf der Krankenstation... 40 mehr oder minder arbeitsfähige...«
Wieder Schweigen.
Jennifer seufzte.
»Wie stehts bei der Maria?«
»Kriegen keine Funkverbindung zu ihnen rein... halten aber geschwindigkeitstechnisch mit uns mit.«
»Immerhin.«
Jennifer schaute ihre verbliebenen Besatzungsmitglieder an.
»Heute war ein verdammt schwerer Tag. Ich möchte, das sich alle, die sich auch nur einigermaßen angeschlagen fühlen, in ihre Quartiere begeben und sich für 12 Stunden ausruhen. Ich bin in meinem Büro.«
Bis auf zwei Technikerinnen verliessen alle die Brücke. Jennifer wandte sich in Richtung ihres Büroraumes, dabei fiel ihr Blick auf Sarah und Myriam, die etwas planlos herumstanden.
»Oh... verzeihung. Ich glaube, ich habe mich noch nicht vorgestellt... Jennifer Schneider... Captain dieses ach-so-tollen Schiffs... und vergessen wir mal die Förmlichkeiten.«
»Sarah Jones... Sergeantin des 3. Roid-Squad... das hier ist meine Flügelfrau Myriam.«
»Schön euch kennenzulernen, auch wenn ich mir andere Umstände gewünscht hätte...« erwiderte Jennifer mit einem schwachem lächeln.
»Ja, das hätten wir wohl alle.« gab Myriam zurück.
»Ruht euch aus. Wir brauchen mit Vorräten auch nicht mehr zu geizen... insofern nehmt euch was ihr braucht...«
Die beiden Frauen nickten, wandten sich dann ab und gingen zum Fahrstuhl, der diesesmal ein bisschen besser funktionierte als bei ihrer letzten Fahrt damit.
Die Mannschaftsunterkünfte waren auch hier ziemlich knapp bemessen und nach demselben Schema der Atlanta gebaut - nur das sich hier in einem Zimmer vier Betten statt zwei befanden.
»Ich brauch dringend eine Dusche...« murrte Sarah.
»Mein Magen bringt mich um... ich hab jetzt ewig nichts mehr gegessen.«
erwiderrty Myriam.
»Gut, gehen wir in Richtung Kantine...«
Die beiden Frauen verliessen das Quartier und machten sich auf dem Weg. Unterwegs passierten sie einige ziemlich übel beschädigte Wandabschnitte... einige Wände waren aufgerissen, und knisternde Elektrizität erfüllte die Luft.
»Ich glaub, an die offenen leitungen ranzukommen ist kein so schöner Tod...« murmelte Myriam, und Sarah nickte.
In der Kantine herrschte fast dasselbe Chaos wie auf der Brücke, obgleich es hier nicht dieselbe anzahl an elektrischen Konsolen gab. Es roch ebenfalls ziemlich verbrannt, nach Kunstoff, verbranntem essen und nach etwas undefinierbarem.
»Pfui Deibel... stinkt ja zum Gotterbarmen hier...« fluchte Sarah. Die beiden schlenderten zu den überresten der Theke. Eine missgelaunte Köchin schaute sie an.
»Sie wünschen?« fragte sie in muffigem tonfall.
»Einfach was zu essen...«
»Wir haben hier nicht einfach was zu essen! Da ist eine Liste, sucht euch was aus!«
Sarah griff über die Theke und packte die Köchin an den Schultern, fixierte sie mit einem eiskaltem Blick. Ihr tonfall war leise und eisig.
»Hör mir gut zu... Köchin... eine Menge Leute sind heute gestorben... und jetzt gibst du uns das erstbeste was du hier hast... verstanden...?«
Die Köchin nickte nur, gab den beiden etwas, was wie Nudelauflauf aussah und verzog sich ganz schnell in den hinteren Teil der Kantine.
Sarah und Myriam setzten sich an den erstbesten Tisch, der nicht umgestürzt oder zertrümmert war, und begannen zu essen.
»Schmeckt wie Scheiße.« meinte Sarah.
»Falsch. Das wäre sogar eine Verbesserung.« erwiderte Myriam und grinste.
Sarah grinste zurück, holte zwei der obligatorischen Kippen heraus und legte sie auf den Tisch.
»Vielleicht lässt sich der Geschmack ja verbessern, wenn wir nebenher rauchen...«
»Hier wird nicht geraucht!« kreischte die Köchin und stampfte auf den Tisch der beiden zu.
Ehe eine der beiden Frauen etwas erwidern konnte ertönte ein Schuß, und die Köchin kippte um. Die beiden Pilotinnen sprangen auf, zogen ihre Waffen und sahen sich um. Neben ihnen am Tisch saß eine Soldatin, die sie etwa auf 40 Jahre schätzten. Sie bliess den Rauch der Pistolenmündung fort, in richtung der beiden Frauen, die sie schockiert angafften.
»Beruhigt euch, Kinder. Das ist kein Mensch... nur'n Bot.«
Die beiden Frauen drehten sich irritiert um. Die Köchin hatte sich wieder erhoben und war hinter die Theke zurückgestampft. In ihrer Uniform befand sich ein sauberes einschußloch, aber es war kein tropfen Blut zu sehen.
Verwundert setzten sie sich wieder hin. Die ältere Soldatin deutete auf Sarahs Zigarettenschachtel.
»Darf ich?«
Sarah nickte und reichte sie ihr.
»Lt. Colonel Lely Winfield. Ich weiss, meine Vorstellung verlief nicht so ganz nach Plan - aber was verläuft im moment schon nach Plan?«
Sie setzte sich neben die beiden Frauen, denen es sichtlich unangenehm war, mit einem derart hohen Rang an einem Tisch zu sitzen.
»Mädels... ich weiss schon, was ihr jetzt denkt. Bloss nix falsches sagen und so... ist schon gut. Ich bin ein Mensch wie fast jeder andere hier... vergesst ruhig die Förmlichkeiten. Die zählen meiner Meinung nach eh nichts mehr - die Monarchin ist in meinen Augen voll durchgeknallt, als sie diesen dämlichen rammbefehl gegeben hat. Von DER lass ich mir nix mehr sagen.«
»Also sind doch nicht ALLE hohen Ränge nur Arschkriecher?« fragte Myriam, mit einem Kampflustigen aufblitzen in den Augen, doch die erwartete Reaktion eines Wutanfalls blieb aus. Lely lachte nur.
»Naja. Die meisten sind es. So... jetzt leg ich mich aber ein paar Stunden hin. Wer weiss, wann wir unsere Kräfte wieder brauchen werden. Ihr solltet das aber auch tun.« Sie salutierte lässig, dann drehte sie sich um und ging.
»Scheint ganz in ordnung zu sein. Zumindest nicht so ein Paragraphenreiter, wie ich mir einen Lt. Colonel immer vorgestellt hatte.« meinte Sarah, als sie sich sicher war, das Lely sie nicht mehr hören konnte. Myriam nickte und widmete sich wieder ihrem Nudelauflauf.
Nach kurzer Zeit hatten sie gegessen und begaben sich zurück in das Quartier, das sie als "ihres" auserkoren hatten.
»Ich werd schlafen wie ein Stein...« murmelte Sarah, nachdem sie die Türe hinter sich geschlossen hatten. Müde legte sie sich auf eines der Betten.
»Wird mir wohl genauso gehen.« Myriam zog ihre Stiefel und ihren Pilotenanzug aus, bis sie nur noch Unterwäsche anhatte, dann schlüpfte sie unter die Decke eines der Betten.