Ich möchte mein letztes sehr pessimistisches Posting etwas relativierien. In der Tat sieht es so aus, als würde es mit der FREAKSHOW in Würzburg weitergehen, allein schon, weil Oberfreak Charly Heidenreich eben doch nicht das lassen kann, was er seit über einem Jahrzehnt betreibt - nämlich immer wieder tolle ungewöhnliche Bands aus aller Herren Länder nach Würzburg zu holen. Selbst wenn er sich innerlich sträubt, die Anfragen kommen eben doch, weil sich längst herumgesprochen hat, was Charly für eine gute Adresse ist. Anfragen von Top-Bands, die bereit sind, für minimales Geld zu spielen (ein "Alleinunterhalter" auf einer Hochzeit verdient mehr...), wo man einfach nicht nein sagen kann. Es findet sich eben immer irgendwie ein Weg.

Auch für andere "kleinere" Festivals sieht es gar nicht so schlecht uas. Das "Burg-Herzberg-Festival", Stammtreffen der Hippies am letzten Wochenende scheint jedenfalls ein Erfolg gewesen zu sein, was mich sehr freut.

Wenn ich grad mal dabei bin, erzähle ich doch noch etwas zur letzten FREAKSHOW, egal ob es jemanden interessiert oder nicht.

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Immerhin 40.000 Leute waren gekommen. Leider zum falschen Konzert, denn Grölemeyer war zum Wochenende auch in Würzburg eingeflogen. Einige sahem ihm sogar aus den umgebenden Weinbergen mittels Ferngläsern zu...
Bei uns dagegen war die Atmosphäre etwas familiärer. Man traf sich mit den Freunden der [progrock-dt]-Mailingliste bereits am Vortag und feierte in die Nacht hinein, bevor am nächsten Morgen übernächtigterweise Charly beim Vorbereiten und Aufbau geholfen wurde.

Los ging's dann am Samstag vor etwa 250 Leutchen im Würzburger "Bockshorn"-Theater mit Versus-X, einer ambitionierten Band aus dem Rhein-Main-Gebiet. Die Darbietung war allerdings nicht mein Ding. Technisch war die Band gut drauf, aber der Sound war schlecht, weil viel zu laut (erster Einsatz für die bei jedem Konzert stets griffbereiten Ohropax), die Musik zu kalt und zu retro-proggig konstruiert. Nicht mein Ding.

Anschließend folgte mit den verrückten Chilenen "Akinetón Retard", die sich übrigens nach einem Medikament gegen Parkinson benannt haben und durch durch Sponsoring des Bundes als "Kulturbotschafter ihres Landes eingeflogen worden waren, *die* Überaschung des Festivals. Nach Respektsbekundungen gegenüber den "Jugendhelden" von Univers Zero, die den Abendheadliner bilden sollten, rotzte die Band völlig respektfrei los. Mit unglaublichem Spass bei der Sache, Spielwitz und Tempo bliesen sie alles an die Wand und ernteten wahre Begeisterungsstürme im Publikum. Gespielt wurde ein hochenergetischer Jazz-Rock-Prog-Mix in ungewöhnlicher Besetzung mit Schlagzeug, Gitarre, Bass und 2 Saxofonen, untermalt durch eine kleine "Multimediashow". Dank an Charly, dass er diese unglaubliche Band nicht nur kannte, sondern es schaffte, sie extra zu diesem Festival nach Deutschland zu holen. Akinetón Retard wurden so lange gefeiert, dass wir nach Ende des Sets bereits über eine Stunde in Verzug waren. Also mussten die Mitglieder der [progrock-dt]-Mailingliste beim zügigen Abbau und Aufbau für das nächste Set mit anpacken - bzw. "durften" im Falle des extra angekarrten Mellotrons.

"Wobbler" hieß die nächste Band. Die seltsamen jungen "Zottelwesen" aus Norwegen waren auf totalem 70er Analog-Trip. Die Aufbauarbeiten zogen sich hin, bis Mellotron und die zentnerschwere Hammond-Orgel + Original-Leslie + obligatorischem Minimoog auf die Bühne gewuchtet, verkabelt und gestimmt (&#33 waren. Musikalisch gab's den totalen Hammond-Overkill. Mit dem komplexen düsteren Skandinavien-Prog-Sound zwischen heftigen Ausbrüchen und melancholisch-stillen Momenten nur mit Querflöte und Mellotron orientierte man sich spürbar an Änglagard, ohne allerdings deren Klasse erreichen zu können. Trotzdem eine feine Vorstellung einer noch sehr jungen Band mit viel Potential. Den Jungs war allerdings die Anspannung sichtlich anzumerken, direkt vor den mächtigen Univers Zero zu spielen.

Univers Zero: Der Headliner aus Belgien, der erst mit zweieinhalb Stunden Verspätung loslegen konnte (Abbau-Arbeiten bei Wobbler ), entführte die Zuhörer in eine andere Welt, eine finstere, unheimliche, bedrohliche und doch fesselnde Welt, die einen trotz der extrem fortgeschrittenen Uhrzeit keine Sekunde aus ihrem Bann ließ. Unterstützt wurde das düstere kammermusikalische Spiel durch verstörende Multimedia-Präsentationen. Neben dem herausragenden Schlagzeugspiel konnte man den in der Rockmusik ungewohnten Klängen von Cello, Fagott, Oboe, Klarinette, Trompete und Saxofon lauschen. "Chamber Rock", "moderne Klassik", "Rock In Opposition", Avantprog und Zeuhl kommen einem alle in den Sinn. Der Samstag wurde nach Ende des Konzertes in gemütlicher Runde in diversen Kneipen zum Abschluss gebracht.

Am Sonntag gings dann weiter mit Octafish aus Stuttgart, die mit hartem Jazz-Rock überaschten. Guter Saxonfonist, der vielleicht ein wenig viel "geduldelt" hat - und als instrumentales Schmankerl gabs eine Bohrmaschine.

Dann folgte das schwedsche Jazzrock-Duo "Mats & Morgan". Technisch eine der besten Bands der Veranstaltung. Unglaubliche Spielkunst beim Keyboarder Mats Oberg und dem Schlagzeuger Morgan Agren - aber auch die Begleitband brauchte sich nicht zu verstecken. Ein wenig nervig waren höchstens gelegentliche Käse-Keyboardsounds und die mehrmaligen Unterbrechungen, weil der blinde Oberg sich auf den geliehenen Keyboards nicht zurechtfand.

Taal: Die junge Band aus Frankreich hat es mit ihrem "dreisten" Stilmix bereits zum Kultstatus gebracht und war die Band, auf die sich sicherlich die meisten gefreut hatten. Musikalisch sind Taal wie erwähnt schwer einzuordnen. Kammermusikalische Elemente stehen bei Taal normalerweise im Vordergrund. In der "kleinen" Besetzung auf der Freakshow mit sieben Musikern (Keyboards, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Flöte, Saxophon, Violine - der zweite Schlagzeuger sowie Cello und Viola waren nicht dabei) wurde aber eher schon "Chamber-Metal" geboten, so heftig waren die immer wieder auftretenden ungezügelten Gitarrenausbrüche.
Leider war die Performance anfangs etwas enttäuschend. Die Jungs (und das Mädel) hatten sich vorher ausgiebig dem deutschen Bier und chilenischen Joints von den Selbstanbauspezialisten Akinetón Retards gewidmet und spielten am Anfang zu "bratzig", unkonzentriert und vorallem entschieden zu laut. Die Komplexität der Musik ging im Wummern der Metal-Gitarre anfangs ziemlich unter. Zum Glück bekamen sie die Soundprobleme spätestens zur Hälfte ihres Sets in den Griff und entschädigten später die Zuhörer mit dem absoluten Höhepunkt der ganzen Veranstaltung: Einer atemnberaubende Darbietung des meinem bescheidenen Geschmacks- und Kenntnisstandes nach schönsten Songs, der je geschrieben wurde: "Starless" von King Crimson, in einer vollen "Original"-Besetzung mit Saxofon und Violine. Und natürlich viiiiiiel Mellotron, leider nur gesampelt, sonst hätte die Darbietung noch ein paar Begeisterungstränen mehr gekostet. Aber spätestens dort war ich im 7. Himmel. Und als die halbnackten Verrückten Taalinesen als Zugabe noch eine unglaubliche Highspeed-Metal-Version von "Skymind" hinlegten, war das Publikum gänzlich aus dem Häuschen. Und die hochgradig leckere sängerin machte auch noch den Trick mit dem bei passender Hintergrundbeleuchtung halbtransparenten Kleid. Yummie.
Trotz schlechten Sounds waren Taal das eindeutige Highlight des zweiten Tages.

Zum Schluss noch ein paar allgemeine Eindrücke von der Freakshow.

Auch wenn der Zuschauerhaufen ziemlich klein war, die Stimmung war oberklasse. Man hat das Festival und sich selbst gefeiert, als wäre es das letzte Mal (was ja wirklich drohte..). Durch gigantische Getränke- und CD-Verkäufe kam aber offenbar doch genug Geld herein, um die Veranstaltung zu retten.
Bemerkenswert fand ich, wie natürlich die Musiker sich im Gegensatz zu den auf größeren Festivals auftretenden Bands gaben. Hier war es völlig normal, wenn im Foyer Bandmitglieder lustig über einem Bier miteinander und mit den Gästen plauderten und sich mit ins Publikum setzten, um sich die anderen Bands anzusehen. Die Wobblers aus dem wilden Norden gingen auch schonmal ungeniert gegenüber zur Tankstelle, um sich etwas härteres zu besorgen, als das lasche Bier, während sich die Taal-Jungs sämtlicherseits mit freiem Oberkörper draußen herumlaufend mit Akinetón-Retard-Mitgliedern über privaten Gras-Anbau unterhielten...

Nächstes Jahr wirds wieder eine Freakshow geben - und ich werde zu passender Zeit hier wieder was dazu schreiben.